Rowina

Lachend lief sie weg von mir, dabei hob und senkte sich das schwarze Rockteil ihres schwarz-weiss getupften Kleidchen rhythmisch dem Laufen angepasst, den kleinen roten Ball hielt sie dabei siegesgewiss in ihrer linken Hand hoch - «du kannst mich gar nicht fangen!»

Ihr rotes Haar flog zu Seite, als sie wild ihren Kopf schüttelte, den Ball in ihre rechte Hand nahm und ihn mit grosser Kraft in meine Richtung warf. Meine Augen folgten dem Ball, als er in steilem Bogen in die Luft stieg, ein Reflex der Sonnenstrahlen liessen ihn für einen Moment golden erstrahlen, als er durch die Luft flog.

Ich hechtete dem kleinen Ball entgegen, steckte meine Hand zum Auffangen aus, fast konnten meine Fingerspitzen das rote Leder des Balles schon berühren - da kam von der Seite ein schnelles dunkles Etwas und der Ball wurde aus seiner Flugbahn gerissen, ich stolperte ins Leere.

Ein Raubvogel hatte sich ins Spiel gemischt.

«Hey», schrie sie vergnügt, «das ist ja irre» - «hey lass gefälligst den Ball fallen!» und rannte dem Vogel armeschwingend hinterher - lachend folgte ich ihr - das war jetzt wirklich zu komisch mit dem Vogel.

Sie rannte quer über die blühende Wiese, strauchelte, fing sich wieder und rief dabei die ganze Zeit dem bald in nahen Wald verschwundenen Vogel hinterher.

Rasch entfernte sie sich von mir, so schnell konnte ich nicht laufen, zudem - diese Schuhe!
Mit schwarzen High Heels auf eine ungemähte Sommerwiese zu gehen, um Ball zu spielen, war nun wirklich nicht meine beste Entscheidung – auch behinderte mich mein langer grüner Samt Rock beim Rennen, ich gab mein Bestes.

Heftig nach Atem ringend kam ich am buntgeblumten Waldrand an - von Rowina nichts mehr zu sehen. So drückte ich das dichte Gebüsch zur Seite, wand mich in gebückter Haltung durch kratziges Geäst und stand plötzlich im schattigen Wald. Ich blieb stehen - auch weil diese hohen Stilettos mit ihren spitzigen Absätzen im weichen Waldboden versanken und es geschafft hatten, meine beschuhten Füsse im stachelbewehrten Brombeergebüsch zu verhaken. Angestrengt lauschte ich nach Geräuschen oder Rufen von Rowina. Nichts.

Nur leises Rauschen der vom Sommerwind bewegten Fichtenwipfel war zu hören, das Klopfen eines Spechts an den Stämmen und draussen vor dem Wald, irgendwo auf einem Feld, das ferne Tuckern eines Traktors auf dem Feld.

«Hallo Rowina» rief ich laut, «Rowina! Wo bist du??» Wieder lauschte ich angestrengt, nahm sogar meine Hände an die Ohren als Trichter zu Hörverstärkung. Immer noch nichts – es war nichts anderes zu hören ausser dem tiefen Brummen von fliegenden Insekten und dem fernen Bellen eines Rehes aus den Tiefen des Waldes.

Ich wurde unruhig. Wo ist sie? Noch mal «Rowina, wo bist du?» Gleichzeitig schlüpfte ich hektisch aus den Schuhen, befreite sie aus den Ranken des überaus unangenehm pieksigen Brombeergestrüpps, bei der Aktion rissen die Stacheln die Haut meiner Beine und Hände auf, rote Kratzer und Striemen erschienen auf der blassen Haut, aus manchen der Wunden quollen kleine Blutstropfen.

Iich musste sie finden!
Bald - sehr bald - würde es dunkel werden, nicht gut, gar nicht gut!

Spontan liess ich die Schuhe zurück ins Gestrüpp fallen und rannte barfüssig los, über knorrige Wurzeln, weiches Moos, hechtete über totes Geäst, pflügte durch die schulterhohen Tannenbäumchen einer kleinen Schonung.

Mein langer Rock wurde mir beim Rennen um die Beine geklatscht, mich gefährlich hindernd um mein rechtes Bein gewickelt, bis ich ihn im Rennen hochraffte, zusammendrehte und den gesamten Stoff über meine rechte Schulter warf.

Sicher dreimal knickte ich im Gelände mit den Knöcheln um, mal rechts, mal links – egal.

Mir war heiss geworden, überall hatte ich blutige Schrammen und Kratzer am Leib, meine Fusssohlen taten höllisch weh, das kleine Geröllfeld mit den spitzigen Steinen am Abhang vorher hatte meine Haut an diversen Stellen aufgeschnitten, elende Brennnesselfelder taten ihr Bestes zum Brennen meiner Waden.

Rowina - verdammt nochmal, wo steckt sie bloss? Ratlos stand ich mitten im dichten Wald.

Über mir plötzlich grosses Rumoren in den Ästen, Geraschel, dann ein lautes Knacken und eine gröbere Mischung aus Zapfen, Nadeln und abgerissenen Ästen ergoss sich über mich. Schnell riss ich meine Arme hoch und legte sie schützend über meinen Kopf, sprang gleichzeitig zur Seite – schaute dann nach oben - oh!

Riesig! war der schwarze mit grossen weissen Tupfen gezeichnete Vogel, der mich da gerade mit seinen grossen grünen Raubvogelaugen von oben herab betrachtete, zwischen den Augen ein grosser, sicherlich sehr scharfer gelber Schnabel sitzend – der war um Einiges grösser als eine weibliche Harpyie!
Instinktiv machte ich einen Satz nach hinten, stolperte dabei und fiel hart auf meinen Rücken.

Bei meinem Rettungssprung hatte es der zusammengedrehte Rockstoff irgendwie geschafft von meiner Schulter zu rutschen und sich aufzulösen, und hatte sich auch noch gleichzeitig mir über meinen Kopf geschwungen - kurz war ich blind, bis ich es im Aufsitzen schaffte, den schweren Stoff schnellstmöglich von meinem Kopf zu nesteln und aus meinem erhitzten Gesicht zu schieben.

Hellstes Lachen ertönte da hinter mir, Rowinas Stimme.

Leicht verärgert im unangenehm nassen Moos sitzend, wandte ich den Kopf und sah, wie sie sich absolut prächtig über mich amüsierte, das Lachen schüttelte ihren schmalen Körper durch, kaum hatte sie sich ein wenig beruhigt, prustete sie wieder los und klatschte dabei vor Vergnügen auf ihre nackten Beine.

Der Vogel!
Beunruhigt schaute ich schnell nach Oben zu dem riesigen Vogel - oh. Er war weg.
Wie hatte er das gemacht? Dieser riesige Vogel! Konnte sich so geräuschlos aus dem nahen Geäst abzuschwingen? Erstaunlich.

Jedenfalls war ich sehr froh, dass ich Rowina wiedergefunden hatte. Sie lachte immer noch fröhlich vor sich hin, während sie langsam auf mich zu schlenderte.
«Das ist soo lustig - du hast ausgesehen wie eine strampelnde Schildkröte auf dem Rücken!» sagte sie immer noch kichernd, als sie mit vor Vergnügen hellgrün leuchtenden Augen vor mir stand, mir dabei lächelnd ihre linke Hand als Hilfe zum Aufstehen entgegenstreckte.

In der Bewegung des Kleiderordnens und meinem gleichzeitigen Aufrappeln, ergriff ich unbesehen ihre hingestreckte Hand, und - erstarrte sofort.
Da war keine Hand.

Das fühlte sich ganz und gar nicht! nicht nach einer Hand an.

Das war... ich schaute hin – tatsächlich - eine sehr grosse gelbe Greifenklaue.

Perplex schaute ich in Rowinas Gesicht- sie lächelte mich immer noch sehr vergnügt an und wischte mit der anderen Hand ihre langen roten Haare aus ihrem Gesicht, wobei ich die vielen kleinen Ästchen, Nadeln und Zapfen in ihrem wild zerzausten Haar bemerkte.

«Du hast es wieder getan», sagte ich fassungslos.
«Ja», erwiderte sie, und zwinkerte mir mit ihrem linken Auge kurz zu, erfreut lächelnd, «das war so ein Spass!»

Während ich noch auf dem feuchten Waldboden sass und versuchte meine Gedanken zu sammeln, zog sie sachte ihre NichtHand aus meiner Hand, schüttelte ihre Greifenklaue kurz und nach einem Moment des Wandels verschwand sie als Hand in der rechten Tasche ihres schwarzen Rockteils.

«Lass uns gehen», sagte sie mit ruhiger Stimme, «ich bin müde.»


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Kommentare

Toll!
Richtig schöne Fantasy!
Gibt es eine Fortsetzung?
Da habe ich an dem Film
" Der Tag des Falken" mit Michelle Pfeiffer und Matthew Broderick gedacht.
Und an Adalbert Stifters stimmungsvollen Natur Beschreibungen - den " stimmungsvolle Natur Beschreibung" hast du auch richtig gut drauf!👍
 
Herzlich Dank! 😊

Keine Ahnung, ob es eine Fortsetzung geben werden wird…
?
Die beiden von Dir genannten Titel (Movie/Book) sind mir unbekannt, werde also nachher :morgen: bisschen Surfen gehen.
 
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