Kabir & Mystik

Mein spiritueller Lehrer sagt, dass der indische Mystiker Kabir (1440 - 1518) der Vater der modernen Spiritualität war. Deswegen kann es sehr lohnend sein, sich mit seinen Texten zu beschäftigen. Kabir hat seine spirituellen Erfahrungen und Einsichten in Verse geformt, die nach indischer Tradition gesungen werden können. Wie jeder Mensch hat Kabir, trotz seines fortgeschrittenen Wesens, einen entscheidenden Entwicklungsweg in seinem weltlichen Leben zurückgelegt, welcher ihn schließlich zur Vollkommenheit geführt hat. Er weist selber einmal darauf hin, dass so manche Erkenntnis im Entwicklungsprozess durch eine höhere Erkenntnis ersetzt werden muss. Die zeitliche Abfolge seiner Erläuterungen ist demnach wesentlich. Leider scheint es in der Literatur mittlerweile ein chronologisches Durcheinander zu geben und die verfügbaren Übersetzungen sind immer nur so gut, wie es der eigene spirituelle Fortschritt (der Autoren) oder ein oft fehlender Kontakt mit wahren Wissenden zulässt.

Nachdem ich später die Kommentar-Einträge hier nicht mehr bearbeiten kann ... ist es mir dann leider auch nicht möglich, die Beiträge chonologisch besser zu reihen ... oder ich bearbeite immer wieder diesen Hauptbeitrag ... hmmm.


I.13. mo ko kahan dhunro bande

Oh Sucher, wo suchst du nach mir?
Ich bin dir sehr nah (in dir).
Ich bin weder im Tempel, noch in der Mosche,
Weder in der Kaaba(1) noch im Kailash(2).
Ich bin weder in Ritualen noch Zeremonien,
weder in Yoga-Übungen noch im Asketentum.

Bist du ein wahrer Sucher, wirst du mich finden.
Ich bin dir näher als deine eigene Halsschlagader (3).
Kabir sagt: Oh Sadhu!(4): Gott ist der Atem allen Atems (5).

(1) Gebäude im Innenhof der Heiligen Moschee in Mekka
(2) Gebirge in Tibet
(3) Der Teil ist sehr frei übersetzt ... weil die englische Version unvollständig übersetzt ist.
(4) Ist ein Möch des Hinduismus; also ein spirituell Suchender der normalerweise in Askese lebt
(5) Meine Auslegung: Die Yogis verwenden bestimmte Atemtechniken, um sich mit dem Göttlichen zu verbinden ... und diese Techniken sind einem Yogi "heilig". Kabir sagt hier aber, dass Gott über dem Atem liegt, also das Ziel, welches die Yogis eigentlich erreichen wollen. Ich kann nur vermuten, dass Kabir hier bereits andeutet, dass es etwas Höheres gibt (ein höheres Bewusstsein), welches über die Atemtechniken der Yogis hinausgeht. In einer früheren Stufe ist aber Kabir selber diesen Weg (Yogatechniken) gegangen und auch sehr weit gekommen ... später hat er aber erkannt, dass es noch eine Wirklichhkeit darüber hinaus gibt.



I.16. santan jat na pucho nirguniyan

Es ist nutzlos einen Heiligen nach seiner Kaste(1) zu fragen;
Denn der Priester, der Krieger, wie der Geschäftsmann, ja sogar alle 36 Kasten sind in Wirklichkeit Gottsuchende.
Deswegen ist es nur dumm zu fragen, welcher Kaste ein Heiliger angehören mag.
Der Friseur hat nach Gott gesucht genauso wie die Wäscherin oder der Zimmermann.
Auch Ravidas(2) war ein Gottsuchender.
Rishi Swapacha war sogar Gerber vom Beruf (3)
Hindus und Moslems haben gleichermaßen das Ziel erreicht,
wo es keine Unterscheidung mehr gibt.

(1) vgl. Kastenwesen Indiens
(2) Ravidas war ein Heiliger und Mystiker
(3) Rishi Swapacha gehörte damit einer niedrigen Kaste an. Der Titel "Rishi" wird besonderen Weisen und Sehern im Hinduismus zugeschrieben.


I.57. sadho bhai, jivat hi karo asa

Oh mein Freund, suche nach Ihm während du lebst.
Verstehe alles während du lebst;
Und erkenne (dich selbst) während du lebst:
denn während des Lebens musst du die Erlösung erlangen.
Werden deine Verhaftungen nicht während des Lebens gelöst, welche Hoffnung darauf kannst du schon im Tode haben?
Es bleibt bloß ein hohler Traum, dass die Seele die Einheit mit Ihm fände, nur weil sie den Körper zurückgelassen hat.
Wenn Er jetzt gefunden wird. Dann bleibt Er auch nach dem Tod gefunden.
Ansonsten verweilen wir lediglich in der Wohnstatt der Toten.
Wenn du aber jetzt mit Ihm eins bist, dann wirst du es auch danach noch sein.
Lebe in der Wahrheit; erkenne den wahren Guru (1)
Und vertraue auf den wahren Namen.
Kabir sagt: Diese Kraft(2) hilft dir das Ziel zu erlangen.
Und ich bin der Sklave und Diener(3) dieser Kraft.

(1) Entweder hat Kabir hier wirklich einen Gottmenschen gemeint, wie es immer einen auf der physischen Welt gibt ... ODER ... er hat hier gemeint: "... erkenne was dir wirklich hilft!" ... was auch durchaus plausibel wäre.
(2) Meister-, Gottes-, Christuskraft
(3) Ein Ausdruck großer Ergebenheit an die Gotteskraft und von echter Demut, wie es nur die Heiligen kennen.


I.58. bago na ja re na ja

Geh nicht in den Garten!
Mein Freund, gehe nicht dorthin!
Denn in deinem Körper erblüht der wahre Blumengarten.
Setze dich dort an den tausendblättrigen Lotus(1),
und schaue die Schönheit des Unvergänglichen.

(1) Ist das Kronenchakra; dies war in Kabir jüngeren Entwicklungsjahren, als er noch die Atem- und Kundalini-Techniken angewandt hat. Wie schon in der Einführung angedeutet, ist Kabir später von diesen Praktik abgekommen. Vers I.13 lässt ja bereits eine gewisse ablehnende Haltung gegen diese Praktiken erkennen.


I.63. avadhu, maya taji na jay

Sag mir Bruder, wie kann ich mich vom Blendwerk der Illusionen(1) befreien?
[... Gebe ich eine Verhaftung auf, ist da sofort die nächste ...]
Wenn ich meine Leidenschaft, mein Verlangen aufgebe, verfliegt nicht mein Ärger.
Und wenn ich meinen Ärger überwinde, so bleiben Geiz und Gier davon unberührt.
Und wenn die Gier verschwindet, bleiben Stolz und Hochmut bestehen.
Doch mein Gemüt(2) gab die Bindungen an diese Welt (Maya) nur dadurch auf,
indem sich meine Aufmerksamkeit in den inneren Klang vertiefte.
Kabir sagt: Höre mir zu, oh Wahrheitssucher:
Es sind nur wenige, die den wahren Weg finden.

(1) "Maya" = Illusionen dieser Welt
(2) Der Geist, unsere Intellekt und Ego ... als Gegenspieler unseres wahren Ichs, der Seele


I.83. canda jhalkai yahi ghat mahin

Der Mond scheint in meinem Körper,
aber meine blinden Augen sehen ihn nicht.
Auch Mond und Sonne befinden sich in meinem Inneren.

Die ungeschlagene Trommel der Ewigkeit erklingt in mir,
aber meine tauben Ohren hören sie nicht.

Solange der Mensch die Neigungen des Gemüts(1) nicht aufgibt,
kann das Göttliche nicht in ihn einziehen.
Aber wenn durch sein Bemühen die Verhaftungen des Egos verschwinden,
kommt er in seine göttliche Natur.

[Anm.: Der Rest beinhaltet Analogien aus der damaligen Zeit, die wir heute nicht mehr verstehen ... vereinfacht ausgedrückt geht es darum:

- Mensch, erkenne dich selbst!
- Das Leben ist dazu da, damit der Mensch sich selbst erkennt und zu Gott zurückfindet. Das ist das höchste Ziel der menschlichen Geburt
- Das Göttliche ist uns sehr nahe (in uns), wir suchen es stattdessen (vergeblich) im Äußeren dieser Welt
=> Kabir verwendet hier einen Vergleich mit Moschusochsen. Die Tiere suchen diesen Duft mit höchstem Ehrgeiz im Äußeren dieser Welt. Aber in Wirklichkeit kommt er aus dem Inneren der Tiere selbst. Welch Ironie! Und genauso ergeht es uns :) ]


(1) Lust, Ärger, Gier, Verhaftung und Ego ... mit "Ich und Mein".

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Kommentare

I.85. sadho, Brahm alakh lakhaya

Wenn Er selbst in Erscheinung treten möchte;
bringt Brahm selbst das Unsichtbare, Formlose zu Gestalt.
Wie der Keimling bereits in der Pflanze ist; so ist auch die Pflanze bereits im Keimling enthalten.
Wie das Endliche aus dem Unendlichen kommt; so ist auch das Unendliche im Endlichen enthalten.
Alle Formen kommen aus dem Formlosen.

Die Schöpfung ist bereits in Brahma (1) enthalten; und Brahma ist in der Schöpfung: Sie unterscheiden sich und sind doch ein und dasselbe.
Somit ist Er selbst der Baum, der Same und Keimling.
Er selbst ist die Blume, die Frucht und der Nachkömmling.
Er selbst ist Sonne, das Licht und das Erleuchtete.
Er selbst ist Brahma, Schöpfung und Maya.
Er selbst ist die mannifältigen Formen und der grenzenlose Raum.
Er ist der Atem, das Wort und das Ziel.
Er selbst ist das Begrenzte und das Grenzenlose: und über allem Begrenzten und Grenzenlosen verweilt Er - das reine Absolute.
Er ist das beständige Wirken Brahms und gibt sich selbst in die Schöpfung.

Das Göttliche kann in der Seele gefunden werden.
Und die Seele ist ein Teil des Göttlichen.
Und in der Seele ist es, wo man diese Dinge erfahren kann.
Kabir ist gesegnet, weil er dies erkennen darf.

(1) Es handelt sich um den Schöpfergott des Hinduismus, der für das erschaffende, aufbauende Prinzip steht.

(2) Phu ... ist sehr schwierig das alles aus dem Englischen zu übersetzen. Da sind meines Erachtens extrem viele Übersetzungsfehler entstanden ... wodurch der Text kaum mehr einen Sinn ergibt. Es ist sicher nicht leicht solche Texte zu übersetzen ... und auch bei meiner "freieren" Version besteht natürlich die Gefahr, dass ich etwas missverstehe oder etwas verloren geht.

Offenbar weist Kabir hier auf einen 3stufigen Prozess hin: Zuerst das Göttliche ... aus dem die erste (formlose) Emanation entstammt ... und aus dieser entsteht dann die materielle Welt. Und in allem ist aber nur das Göttliche selbst ... und es gibt nichts, was nicht aus dem Göttlichen wäre. Der Intellekt kann das alles zwar lesen, aber wirklich verstehen kann er es nie. Spätestens dann, wenn wir es aber selber erfahren, dann ist die unglaubliche Erfahrung eine sehr, sehr tiefgehende ... und zu diesem Zeitpunkt muss sehr viel Täuschung von uns abgefallen sein ... und das ist alles muss eine unglaubliche Erleichterung sein.
 
I.101. is ghat antar bag bagice

In diesem körperlichen Gefäß [Anm.: physischer Körper] sind Lauben und Wälder,
und darin befindet sich der Schöpfer.
Innerhalb dieses Gefäses befinden sich die sieben Ozeane sowie zahllose Sterne.
Der Prüfstein und Edelsteinprüfer befinden sich im Inneren(1).
Und innerhalb dieses Gefäßes erklingt der ewige Ton, und die Quelle nimmt hier ihren Anfang.
Kabir sagt: Höre mein Freund; mein geliebter Herr befindet sich im Inneren.

(1) Ich habe keinen Tau, was diese Analogie bedeuten soll und ob überhaupt die Originalbegriffe richtig übersetzt wurden. Eine Vermutung hab ich aber :) Angenommen es gibt einen Schatz, der seehr groß ist, um ihn zu versenden ... dann nimmt man eine Probe davon ... also einen Prüfstein, um ihn von einem Experten begutachten zu lassen. Nach obiger Aussage müssen wir den Prüfstein unseres wahren Wertes im Inneren suchen ... und dort erhalten wir auch Rückmeldung über den genauen Wert.

Das ist dasselbe wie Lukas 17,21 wo Jesus sagt: Gott ist inwendig in euch!
Die Materialisten haben diese Stelle in einigen Bibel-Versionen aber verfälscht ... vermutlich unabsichtlich, weil sich niemand vorstellen kann, dass Gott "in uns" ist. Deswegen haben sie es übersetzt mit: "Gott ist bereits unter euch."

Wenn Gott bereits unter uns ist, dann brauche ich nicht mehr tun. Es ist die Bequemlichkeit des Menschen, die hier angesprochen wird. "Bleibt wie ihr seid!" ... oder wie die Kirche auch sagt: "Jesus ist für uns gestorben! Also sind wir alle erlöst!"
=> Diese falschen Sichtweisen machen ein "Bemühen" ja fast schon überflüssig und man darf sich nicht wundern, warum die meisten Christen einmal in der Woche in die Kirche gehen, um dann wieder ihr "Leben" zu leben.

Die korrekte Übersetzung der Bibelstelle (vgl. ist auch in der Original-Lutherbibel so enthalten) lautet aber, wie in Kabirs Vers: Gott ist in euch!
Was bedeutet dies? Ich muss mich BEMÜHEN, um dieses Geheimnis zu entdecken. Ja, es geht tatsächlich um das Erfahren. Bücher bringen mich hier nicht weiter. Ich muss AKTIV werden. Kabir und Jesus geben uns diese Information als ERMUTIGUNG sich zu verbessern ... an sich zu arbeiten, um das Göttliche FREIZULEGEN. Man sollte diesen Prozess als WISSENSCHAFT betrachten. Gott ist in uns. Es geht darum, Mittel und Wege zu finden, um zu Gott zu gelangen ... und diese Experimente werden mit diesem Körper durchgeführt. Wir haben also alles auf den Weg mitbekommen, um diese Entdeckungen selbst zu machen ... schon während des Lebens ... nicht erst danach, wo es schon zu spät ist.
 
I.104. aisa lo nahin taisa lo

Oh, wie kann ich jemals dieses Geheimnis vermitteln?
Wie könnte ich jemals sagen Er ist so, so aber nicht?
Wenn ich sagte, Er sei in mir - so wäre das gesamte [äußere] Universum beschämt.
Aber wenn ich sagte, Er sei außerhalb von mir, so wäre dies nicht ganz richtig.
Er erschafft die inneren und äußeren Welten als ein unteilbares Ganzes.
Das Bewusste und Unbewusste, beide sind Sein Handwerk.
Er ist weder manifestiert noch verborgen. Er ist weder offenbar noch verhüllt.
Es gibt keine Worte, die beschreiben wie Er ist.

Wir sehen hier, dass Sprache und Raum-Zeit nicht ausreichend, um das Göttliche zu erfassen. Der Intellekt kann es einfach nicht begreifen. Nur die Seele kann es erfahren ... außerhalb von Raum und Zeit. Dies klingt irgendwie seeehr abstrakt ... vielleicht sogar abschreckend, weil man sich nichts darunter vorstellen kann. Es hat aber etwas mit Bewusstsein zu tun und wenn wir einmal so weit sind, werden wir nie wieder tauschen wollen ... wer tauscht von Bewusstsein gegen Unbewusstsein ein?? Wer Gold für einen Glassplitter?
 

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TopperHarley
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