Als mein Vater plötzlich am Herzinfarkt starb, war ich 31 Jahre alt. Damals wohnten wir in Bayern und ich hab die ganze Fahrt bis nach Hause am Niederrhein nur geheult. Ich konnte nicht glauben, dass er tot war und ich wünschte mir, dass es gar nicht wahr wäre.
Wir hatten kein gutes Verhältnis. Mein Vater war ein cholerischer, jähzorniger Mensch, oft ungerecht und er duldete keinen Widerspruch.
Und trotzdem war ich tieftraurig. Später, erkannte ich, dass meine Traurigkeit daher rührte, dass es nun keine Aussprache und keine Entschuldigung dafür, dass er mir meine Kindheit und Jugend so schwer gemacht hatte, mehr geben würde.
Aber noch später erkannte ich, dass es das so oder so nicht gegeben hätte, denn er hätte sich nie soweit verändern können, anzuerkennen dass er etwas falsch gemacht hat.
Als wir zu Hause ankamen stand meine Mutter am Herd und kochte irgendwas. Ich war fassungslos. Dachte ich doch, dass sie am Boden zerstört sein müsse.
Aber sie verkraftete den frühen Verlust ihres Ehemanns in meinen Augen recht gut.
Sie machte mit 52 Jahren den Führerschein, suchte sich eine Arbeitsstelle und baute sich einen neuen Bekanntenkreis auf.
Nur wenn wir telefonierten und ich fragte, wie es ihr gehe, antwortete sie: "den Umständen entsprechend." Das ging so 10, 15 Jahre. Irgendwann fragt ich sie nicht mehr.
Das Verhältnis zu meiner Mutter war eigentlich bis dahin und auch noch ein paar Jahre danach, recht gut. Heute weiß ich, dadurch, dass mein Vater so ein schwieriger Mensch gewesen ist, hab ich die Eigentümlichkeiten meiner Mutter gar nicht so registriert. Die Persönlichkeit meines Vaters hat alles überschattet.
Meine ersten sechs Lebensjahre waren meine Mutter und ich überwiegend allein, da mein Vater, als Bundeswehrsoldat ständig woanders stationiert war und Heimfahrten nicht jedes Wochenende drin waren.
Das war wahrscheinlich mein Glück. Denn meine Mutter war sehr stolz auf mich, weil ich schon früh sprechen konnte und ganz allgemein "weiter" war, als die Kinder ihrer Freundinnen, alles Buben.
So hatte ich also schon mal ein "Grundselbstbewußtsein" und als mein Vater dann später ständig bei uns lebte, nahm ich nicht alles widerspruchslos hin, was mir aber ständig Ärger einbrachte. Ich sah zum Beispiel nicht ein, wieso ich auf einmal beim Essen nicht mehr reden durfte und ich stundenlang vor meinem Teller sitzen mußte, weil es irgendwas gab, was ich nicht mochte. Ich erinnere mich an Samstage. Samstags gab es immer Eintöpfe. Erbsensuppe, im Radio die Presseshow mit Heinrich Schinkler. Es war schrecklich. Früher gab es nie Erbsensuppe, im Radio gab es Musik und ich durfte reden, soviel ich wollte.
Meine Mutter ermahnte mich ständig ihn nicht zu provozieren, allerdings verpfiff sie mich aber auch, oder drohte "das erzähl ich aber deinem Vater heute Abend" wenn ich irgendwas angestellt hatte.
Ja, und es gab auch Prügel, ziemlich häufig sogar, aber öfters mußte ich Beschimpfungen über mich ergehen lassen, die in der Abwertung meiner Person bestanden.
Es gibt ja Kinder, die versuchen dann besonders lieb zu sein und ihren Eltern alles recht zu machen, um Liebe zu bekommen. Dazu gehörte ich aber nicht, ich war ehr trotzig und aufmüpfig. Ich bin mir nicht mal sicher, ob mir etwas an ihrer Liebe gelegen hat.
Wenn meine Eltern nicht zu Haus waren, durchsuchte ich die Schränke nach Adoptionspapieren.
Überhaupt genoss ich es immer sehr allein zu sein. Ich las sehr viel und ich denke, meine ganzen Wertvorstellungen hab ich aus Büchern. Ich erinnere mich jedenfalls nicht, von meinen Eltern irgendwas in dieser Hinsicht vermittelt bekommen zu haben.
Nach dem Tode meines Vaters fiel mir auf einmal auf, dass meine Mutter ständig beleidigt war. Wenn wir zu Besuch waren, war sie beleidigt, wenn wir die Familie meines Mannes besuchen wollten und wenn ich allein dort war und alte Schulfreundinen besuchen wollte ebenfalls. Und es gab noch viel mehr Gründe beleidigt zu sein, auch wenn sie bei uns war.
Wann das nun genau anfing mit den verletzenden Sprüchen, weiß ich gar nicht. Mein Mann ist der Meinung, meine Mutter war schon immer so. Nur hab ich es nicht so wahrgenommen. Erst als ich mich selbst weiterentwickelt hatte, wurde mir bewußt, wie unsinnig einige ihrer Sprüche waren.
Es waren nicht immer nur persönliche Angriffe, sondern auch ganz banale Sätze, wie zum Beispiel: "kannst du mal das Fenster zumachen, wenn ich im Durchzug sitze, bekomme ich eine Lungenentzündung" die mir zeigten, dass meine Mutter einfach drauf los blubbert, ohne nachzudenken.
Sie ist überhaupt sehr gesprächig, redet von morgens bis abends ohne Unterlass. Ohne dabei wirklich wichtiges mitzuteilen.
Eines ihrer Lieblingsthemen ist mein Bruder, über den sie sich ständig beklagt, in der Hoffnung, ich würde mal mit ihm ein "ernstes Wörtchen" reden.
Mein Bruder ist dreizehn Jahre jünger als ich, ein reines Wunschkind, für den sie extra noch eine OP und zwei Fehlgeburten auf sich genommen hat um ihn zu bekommen.
Klar hatte ich mir damals ein Geschwisterkind gewünscht. Jahrelang hab ich Zucker auf die Fensterbank gelegt, für den Storch.
Als er dann endlich kam, war er für mich wie eine lebendige Puppe und ich war schon alt genug um ihn ganz stolz im Kinderwagen herumzufahren.
Auch hatten meine Eltern immer einen verläßlichen Babysitter, nur einmal nicht, da nächtigten wir im Hotel, mein Bruder im Nachbarzimmer und meine Eltern unterwegs. Jedenfalls hat mein Bruder das halbe Hotel zusammen geschrieen und ich hab tief und fest geschlafen. Das gab natürlich wieder Ärger für mich.
Er durfte sich auch einiges mehr herausnehmen als ich, obwohl er ebenfalls streng erzogen wurde. Einmal kam er ins Wohnzimmer wo ich eine Serie im Fernsehen anschaute. Mein Vater war auch dabei. Er kam rein und schaltete einfach auf einen anderen Sender. Ich sprang auf und schaltete wieder zurück, nicht ohne ihm vorher eine Ohrfeige zu verpassen. Darauf sprang mein Vater auf und ich flüchtete durch die ganze Wohnung. Naja er erwischte mich und Fernsehverbot bekam ich obendrein.
Später erzählte mir mein Bruder, dass mein Vater einmal, oder vielleicht auch mehrmals mit erhobener Hand vor ihm gestanden hat, aber Prügel bekam er nie.
Wir wurden aber beide mit bedeutungsvollen Hinweisen bedacht, wenn es um die Leistungen anderer Kinder, etwa in der Nachbarschaft, oder auch im Fernsehen ging.
Gelobt für eigene Erfolge wurden wir nie. Auch hatte jeder Lehrer oder sonstige Erwachsene immer recht, wenn sich jemand über uns beschwerte.
Sehr viel hab ich nicht mehr mitbekommen, was die Erziehung meines Bruders betraf. Er war ja erst 8 Jahre alt, als ich heiratete und auszog.
Später hab ich das meiner Mutter gegenüber mal erwähnt, das fehlende Lob. Und sie meinte, da gab es ja auch nichts zu loben.
Mein Bruder ist also auch nicht der Sohn geworden, den meine Mutter sich erträumt hatte. Und über diesen Kummer zu lamentieren wird sie nie müde.
Allerdings habe ich mir schon vor Jahren verbeten, da mit reingezogen zu werden. Weil wenn meine Mutter von einer Begebenheit berichtet und ich spreche anschließend mit meinem Bruder darüber, stellt sich die Sache ganz anders dar.
Ich möchte da nicht Partei ergreifen müssen. Ich finde, das soll sie mit ihm selber klären und ich bin nicht ihr seelischer Mülleimer. Auch wenn sie meint, sie müsse ja mit jemandem darüber reden.
Im Bekanntenkreis meiner Mutter wird viel über die Vorzüge ihrer Kinder und Enkel erzählt. Jede tolle Urlaubsreise, jedes neue Auto, toller Job, super Haus. Alles wird ausgiebig berichtet, mitunter auch mehrfach. Und natürlich kümmern sich die Kinder und Enkel hingebungsvoll um ihre Mütter und haben immer Zeit. Über Probleme spricht man dort nicht. Alles ist immer super toll. Einmal meinte meine Mutter "was soll ich denn über meine Kinder berichten...."
Ich bin heute froh, Freundinnen zu haben, die sich nicht über ihre Kinder und Enkel identifizieren, wo man sich auch nicht schämen muss, mal über Probleme zu reden.
Die aber auch positive Worte für mich haben.
Z.B. Unser Garten, der ist ohne Übertreibung einzigartig. Jeder der das erste mal hier herkommt findet lobende Worte für das was wir geschaffen haben.
Meine Mutter nicht. Sie steht da und fragt mich, was das für braune Flecken im Rasen sind. Was anderes sieht sie nicht, nur die Flecken, die von Maulwürfen herrühren.
Und dann wird verglichen, ja das und das, das hat die Sowieso auch, aber die hat noch das und das....bitte? Einen Garten von fast 4000 qm hat dort wo sie wohnt niemand! Und sie selbst hatte in ihrem ganzen Leben keinen Garten, weiß aber über alles Bescheid und meint ich muss mal hier und da die verblühten Blüten entfernen.
Und dann wundert sie sich, dass ich nicht in Jubelschreie ausbreche, wenn sie zu Besuch kommt. Wobei ich ehrlich gesagt sowieso nicht verstehe, warum sie mich sehen will. Sie lächelt mich ja noch nicht mal an, ich spüre keinerlei Freude, nichts gar nichts.
Ich sitze da und muss ihren Redeschwall über mich ergehen lassen und würde viel lieber Unkraut jähten oder sonst was sinnvolles tun.
Über meinen Vater redet sie auch gern und viel. Wie sehr er sich in den letzten Jahren verändert hat und wie ruhig er geworden sei. Und dass er doch früher alles für mich getan hätte. Das stimmt sogar. Als ich später öfters mal mit dem Auto liegen geblieben war, weil ich vergessen hatte zu tanken, war er immer sofort zur Stelle. Auf der anderen Seite hat er mich aber mit 19 Jahren, nur weil ich meiner Mutter Widerworte gab und die Tür zu knallte, nicht nur verprügelt, sondern sogar getreten.
Das war für mich der Anlaß, nachts meine Koffer zu packen und am nächsten morgen, meine Sachen mit zur Arbeit zu nehmen, abends im Zimmer meines jetzigen Mannes zu schlafen und mir ein möbliertes Zimmer zu suchen. Glücklicherweise war ich vor kurzem volljährig geworden. Das Gesetz die Volljährigkeit auf 18 Jahre herunterzusetzen war genau in diesem Jahr.
Rückblickend denke ich, es wäre besser gewesen den Kontakt zu diesem Zeitpunkt restlos abzubrechen. Aber da ich das Verhalten meines Vaters zwar als ungerecht, erniedrigend und wirklich schlimm empfand, hatte ich trotzdem noch das Gefühl sowas wäre in gewisser Weise "normal"
Ich lebte ca. 1 Jahr in dem möblierten Zimmer und mein jetziger Ehemann war auch ständig da. Klar wir liebten uns ja. Aber es war sehr beengt. Also beschlossen wir zu heiraten. Damals bekam man ohne Trauschein keine Wohnung. Und mir widerstrebte auch der Gedanke an eine "wilde Ehe" Die Erziehung meiner Eltern zeigte Früchte.
Meine Eltern waren zwar mit der Wahl meines Ehemannes nicht einverstanden, aber wenn es schon sein sollte, wollten sie mir die Hochzeit ausrichten. Aber nur unter der Bedingung dass ich vorher wieder bei ihnen einzog. Wie sieht denn das sonst aus...
Also lies ich mich breitschlagen, wer hat nicht gerne eine schöne Hochzeit und ein weißes Kleid und so....
Nun war aber mein Zukünftiger zwischenzeitlich bei der Bundeswehr eingezogen worden und meine Schwiegermutter hatte sein Zimmer an eines ihrer anderen Kinder weitergegeben. Also schlief er wenn er auf Heimaturlaub war bei mir. Ich hatte im Haus meiner Eltern im Dachgeschoss zwei kleine Zimmer mit Toilette und Waschbecken, nur kaltes Wasser, aber immerhin. Es klappte ganz gut. Morgens schlich er sich aus dem Haus und kam offiziell als Gast wieder.
Nur meine Schwiegermutter machte uns einen Strich durch die Rechnung. Die wußte nämlich nichts von unseren Heimlichkeiten und rief irgendwann bei meinen Eltern an, um ihrem Sohn etwas ausrichten zu lassen. Oh, war das ein Theater! Die Nachbarn! Wenn wir doch wenigstens was gesagt hätten, dann hätte man doch sagen können N. schläft auf dem Sofa.
Wenig später händigten mir meine Eltern das Stammbuch aus, weil wir das fürs Standesamt brauchten. Und siehe da. Die Eheschließung meiner Eltern war ein ganzes Jahr später als bisher angenommen.
Geheiratet haben sie im März und ich bin im August des gleichen Jahres zu Welt gekommen.
Aber unsere Hochzeit sollte noch andere Heimlichkeiten ans Licht bringen.
Meine Großeltern mütterlicherseits kannten meinen Bräutigam noch nicht und wir machten einen Anstandsbesuch. Apropos...mein Mann mußte auch ganz offiziell bei meinem Vater um meine Hand anhalten.
Der Anstandsbesuch bei Oma und Opa war dann auch sehr aufschlussreich. Wir kamen natürlich auf das Thema Stammbuch und da erfuhren wir, dass meine Mutter an ihrem 21. Geburtstag heimlich bei ihren Vater ausgezogen war und dass mein Großvater mich erst mit 3 Jahren das erste mal zu Gesicht bekommen hatte.
Meine Mutter hat ihre eigene Mutter mit 19 Jahren verloren, sie hatte Krebs und mein Großvater hat daraufhin sehr schnell wieder geheiratet. Mit der neuen Frau meines Opas hat sie sich nicht verstanden.
Zur gleichen Zeit hat meine Mutter meinen Vater kennengelernt und weil sie durch den Verlust ihrer Mutter und die neuen Lebensumstände dort, sehr unglücklich war, hat sie die Beziehung auch sehr schnell recht eng werden lassen.
Später hat sie mir mal erzählt, dass es bereits zu spät war, als sie erkannte wie mein Vater so drauf war. Er war von Anfang an sehr besitzergreifend, hat sogar ihr Fahrrad verschwinden lassen, damit sie nicht mehr mobil war.
Aber er hat sie sehr geliebt und alles für sie getan.
Aber die Familienverhältnisse waren gänzlich andere als wie sie das gewohnt war. Mein Großvater, väterlicherseits war der Aussage meiner Mutter nach, noch viel schlimmer als mein Vater. Herrschsüchtig und ebenfalls jähzornig. Natürlich hat er auch seinen eigenen Sohn runtergeputzt. Und meiner Mutter hat er sogar mal eine Ohrfeige gegeben, da war sie schon verheiratet. Drei Jahre lebten meine Eltern mit mir bei den Großeltern, bevor sie sich eine eigene Wohnung leisten konnten.
Diese unselige Veranlagung zum Jähzorn hab ich leider geerbt. Allerdings hab ich mich hinterher für meine verbalen Entgleisungen immer schrecklich geschämt, so dass ich mit der Zeit lernen musste, den aufsteigenden Zorn zu kanalisieren. Die "Streitkultur", die ich in meiner Kindheit gelernt hatte, funktionierte in meiner Ehe nicht. Mein Mann war nicht dazu bereit, sich sofort nach einem Streit wieder zu vertragen und verletzende Äußerungen meinerseits, als "nicht so gemeint" hinzunehmen. Nein, er konnte sogar recht lange "böse" mit mir sein und da half auch keine Entschuldigung.
Ich mochte mich im Nachhinein selbst nicht leiden und langen Unfrieden konnte ich nicht ertragen. Also begann ich nach und nach mich zu ändern. Meine Zornesausbrüche wurden seltener und hörten dann mit der Zeit ganz auf. Heute kann ich mich selbst bremsen, wenn ich aufsteigenden Zorn verspüre.
Man sagt ja immer, man heiratet seinen Vater. Aber das ist bei mir nicht der Fall, zu meinem Glück. Mit meiner Vorgeschichte hätte ich ohne weiteres an einen gewalttätigen Ehemann geraten können. Vielleicht weil ich schon als Kind gespürt habe, dass das Verhalten meines Vaters nicht richtig ist?
Obwohl es zu meiner Zeit durchaus üblich war, seine Kinder mit Prügelstrafen zu "erziehen". Oft genug hatte ich mitbekommen, dass die Kinder der Freundinnen meiner Mutter geschlagen wurden.
Aber bei meinem Vater war es noch etwas anderes. Ich erinnere mich an seinen triumphierenden Blick, nach dem Vorfall als ich 19 war, diesen Blick werde ich nie vergessen. Es ging ihm um Macht. Die Macht die er sonst nicht hatte. Nicht über seine Frau, die sich ihm einfach entzog wenn sie sich mal, was selten vorkam stritten, wovon ich aber nie was mitbekam und auch sonst nicht. Und als Kind oder junger Erwachsener fühlte er sich machtlos gegenüber seinem eigenen Vater.
Auch beruflich hatte er keine besonderen Erfolge. Meine Eltern hatten ihr Auskommen aber besonders große Sprünge konnten sie nicht machen. Er kompensierte das. Nicht nur, dass er sich verächtlich über Leute äußerte, die mehr erreicht hatten als er, nein er log auch. Z.B. erzählte er im Bekanntenkreis die Wohnung, in der wir lebten sei eine Eigentumswohnung. Irgendwann kam es aber raus, dass sie zur Miete dort wohnten, denn die Nachbarn meiner Eltern gehörten ebenfalls zum Bekanntenkreis. Meine Mutter schämte sich in Grund und Boden. Meinem Mann gegenüber erwähnte er ein viel höheres Gehalt als er tatsächlich bekam, als es mal um steuerliche Fragen ging.
Und ich erinnere mich an die wöchentliche Auszahlung des Haushaltsgeldes an meine Mutter. In dieser Hinsicht sorgte er dafür dass sie sehr unselbstständig blieb. Ein paar Jahre bevor mein Bruder kam, durfte sie zwar wieder arbeiten gehen, aber das Geld was sie verdiente ging auf das Konto meines Vaters.
Das zu dieser Zeit Ehefrauen von ihren Männern bevormundet wurden, war nichts ungewöhnliches. Und eine Scheidung wäre für meine Mutter auch nicht so einfach durchzuführen gewesen, selbst wenn sie das im Anfang vielleicht noch in Erwägung gezogen hätte. Es gab damals ja noch die Schuldfrage und rein rechtlich war meinem Vater nichts vorzuwerfen.
Meine Mutter neigt eh dazu, die Dinge auszusitzen und Negatives einfach auszublenden.
Das merkt man auch an ganz normalen Alltagssituationen.
Einmal hat sie, sie arbeitete zu der Zeit in einem Supermarkt, ein anderes Auto touchiert.
Da ist sie einfach nach Hause gefahren und ihr kam erst später der Gedanke wieder zurückzufahren und den Schaden zu melden.
Hier hat sie mal, als sie nach dem Salzstreuer griff, ein Glas mit Orangensaft umgekippt, und anstatt den Saft aufzuwischen, hat sie seelenruhig erst ihr Ei mit Salz bestreut, während ich damit beschäftigt war, das Malheur zu beseitigen.
Oder beim bügeln... da wollte sie eine ihrer Blusen aufbügeln, sprach dabei mit mir und drückte das Bügeleisen auf den Bügelbrettbezug. Glücklicherweise lag die Bluse noch nicht darunter, aber mein Bügelbrettbezug hatte nun einen häßlichen Fleck.
So ist es auch, wenn die Rede auf meine Kindheit kommt und das passiert regelmäßig, wobei nicht ich es bin, die das Thema anschneidet. Nur wenn sie anfängt alles in den höchsten Tönen zu loben, was mein Vater alles gemacht hat, ja dann widerspreche ich ihr halt. Denn meine Erfahrung ist eine andere. Aber das was ich bemängel war ja alles nicht so schlimm, ich übertreibe und es waren ja höchstens ein paar Ohrfeigen und manche Sachen leugnet sie einfach ab. Und so gibt es regelmäßig Streit, wenn wir länger zusammen sind. "Dann such dir doch eine andere Mutter" bekam ich mal zu hören.
Oder, "was hatte ich denn für eine Kindheit" Da hab ich sie dann drauf hingewiesen, dass ich überhaupt nichts für ihre Kindheit kann, sie aber sehr wohl was für meine.
Ich erinnere mich an einen Vorfall, wo mein Vater mir wiedermal durch die ganze Wohnung nachgelaufen ist und ich mich in der Küche hinter meiner Mutter in Sicherheit bringen wollte. Sie trat einfach einen Schritt zur Seite und so erwischte er mich. Ich hielt die Hände vors Gesicht und er schlug so feste meine Hand weg, dass sie gegen einen Küchenschrank prallte. Danach war mein Daumen geprellt. Meine Mutter arbeitete einfach weiter. Ich weiß nicht mehr was sie gemacht hat. Gemüse geschnippelt oder so. Jedenfalls tat sie so, als würde sie das alles gar nichts angehen.
Beim allerletzten Vorfall dieser Art, war ich so weit, den Kontakt endgültig abzubrechen. Damals war unser Sohn ca. 5 Jahre alt und es sollte eine Aufführung im Kindergarten geben. Meine Eltern kamen zu uns und wir wollten gemeinsam dort hin gehen.
Unser Sohn trödelte und trödelte, worauf ich ihn ein bisschen unsanft anfuhr, er solle sich beeilen damit wir nicht zu spät im Kindergarten ankommen würden.
Meinem Vater passte das nicht und wenn mein Mann nicht dazwischen gegangen wäre, wäre er wieder handgreiflich geworden.
Wutschnaubend verließ mein Vater unsere Wohnung, meine Mutter im Schlepptau und fuhr nach Hause. Die Aufführung besuchten wir dann alleine.
Wochen später, ich hatte mich nicht mehr bei meinen Eltern gemeldet stand auf einmal meine Mutter vor der Tür. Mit Bus und Bahn, wir wohnten da ein ganzes Ende von meinen Eltern entfernt, war sie unterwegs gewesen um schön Wetter zu machen.
Ja und ich ließ mich wieder überreden. Ein Jahr später zogen wir nach Bayern und wieder ein Jahr später war er tot.
Ihr Enkelkind liebten meine Eltern heiß und innig obwohl sie damals nicht begeistert waren, als ich ihnen schon 1 Jahr nach der Hochzeit mitteilte, dass sie Großeltern wurden.
Aber direkt nach der Geburt rief mein Vater alle Leute an und teilte ihnen mit: "und es ist sogar ein Junge!" Endlich hatte ich mal was vernünftiges zustande gebracht....
Sie unterstützen uns die ersten Jahre auch sehr, damit ich weiter arbeiten konnte, dafür bin ich auch dankbar. Unser Sohn war gern bei Oma und Opa und hat nur gute Erinnerungen an sie. Die laß ich ihm auch. Alle vier Wochen hatten wir Kegeln und er übernachtete auch dort. Mein Vater filmte ihn jedesmal, mit seiner Super acht Kamera und so haben wir seine Entwicklung über ein Jahr lang dokumentiert.
Auch bei irgendwelchen handwerklichen Sachen war mein Vater immer sofort zur Stelle. An Hilfsbereitschaft mangelte es ihm nicht.
Trotzdem hab ich nie ein Gefühl von Wärme empfunden. Als wir zu meiner Hochzeit fuhren saß ich im Wagen neben meinem Vater und er ergriff meine Hand und hielt sie fest. Es war mir unangenehm und ich dachte nur " was soll das denn jetzt"
...............
Die ersten paar Jahre nach unserem Wegzug war ich häufig zu Hause auf Besuch. Die ersten 2 Male mit dem Auto. Das war für mich ein Albtraum, Autobahn fahren, wenn man sonst immer nur 80 fährt, oder höchstens mal auf grader Strecke 100. ich war beide Male fix und fertig. Eingeklemmt zwischen LKWs, einer hinter mir, einer vor mir und einer der mich überholte mit einem Fahrer, der mir den Vogel zeigte, weil ich mich nicht zu überholen traute und dann die Autos, die von rechts kamen, mit einem Affenzahn, bei den Einfahrten. Nee Autobahn fahren ist nichts für mich. Danach fuhr ich Zug.
Kurz nachdem wir nach Norddeutschland zogen, bekamen wir unseren 1. Hund und eine lange Zugfahrt kann man einem Hund nicht zumuten. Außerdem eröffnete ich kurz darauf meinen kleinen Laden. Also, kam meine Mutter immer zu Besuch, immer für eine Woche, weil sonst lohnt sich die Fahrt ja nicht.
Obwohl sie mir wie viele andere auch abgeraten hatte, das Geschäft zu eröffnen, fühlte sie sich sehr wohl dort. Morgens blieb sie zu Hause bei uns und mittags nahm ich sie mit. Wenn keine Kunden da waren, saßen wir gemütlich zusammen und erzählten, oder sie half mir.
Wir hatten kein gutes Verhältnis. Mein Vater war ein cholerischer, jähzorniger Mensch, oft ungerecht und er duldete keinen Widerspruch.
Und trotzdem war ich tieftraurig. Später, erkannte ich, dass meine Traurigkeit daher rührte, dass es nun keine Aussprache und keine Entschuldigung dafür, dass er mir meine Kindheit und Jugend so schwer gemacht hatte, mehr geben würde.
Aber noch später erkannte ich, dass es das so oder so nicht gegeben hätte, denn er hätte sich nie soweit verändern können, anzuerkennen dass er etwas falsch gemacht hat.
Als wir zu Hause ankamen stand meine Mutter am Herd und kochte irgendwas. Ich war fassungslos. Dachte ich doch, dass sie am Boden zerstört sein müsse.
Aber sie verkraftete den frühen Verlust ihres Ehemanns in meinen Augen recht gut.
Sie machte mit 52 Jahren den Führerschein, suchte sich eine Arbeitsstelle und baute sich einen neuen Bekanntenkreis auf.
Nur wenn wir telefonierten und ich fragte, wie es ihr gehe, antwortete sie: "den Umständen entsprechend." Das ging so 10, 15 Jahre. Irgendwann fragt ich sie nicht mehr.
Das Verhältnis zu meiner Mutter war eigentlich bis dahin und auch noch ein paar Jahre danach, recht gut. Heute weiß ich, dadurch, dass mein Vater so ein schwieriger Mensch gewesen ist, hab ich die Eigentümlichkeiten meiner Mutter gar nicht so registriert. Die Persönlichkeit meines Vaters hat alles überschattet.
Meine ersten sechs Lebensjahre waren meine Mutter und ich überwiegend allein, da mein Vater, als Bundeswehrsoldat ständig woanders stationiert war und Heimfahrten nicht jedes Wochenende drin waren.
Das war wahrscheinlich mein Glück. Denn meine Mutter war sehr stolz auf mich, weil ich schon früh sprechen konnte und ganz allgemein "weiter" war, als die Kinder ihrer Freundinnen, alles Buben.
So hatte ich also schon mal ein "Grundselbstbewußtsein" und als mein Vater dann später ständig bei uns lebte, nahm ich nicht alles widerspruchslos hin, was mir aber ständig Ärger einbrachte. Ich sah zum Beispiel nicht ein, wieso ich auf einmal beim Essen nicht mehr reden durfte und ich stundenlang vor meinem Teller sitzen mußte, weil es irgendwas gab, was ich nicht mochte. Ich erinnere mich an Samstage. Samstags gab es immer Eintöpfe. Erbsensuppe, im Radio die Presseshow mit Heinrich Schinkler. Es war schrecklich. Früher gab es nie Erbsensuppe, im Radio gab es Musik und ich durfte reden, soviel ich wollte.
Meine Mutter ermahnte mich ständig ihn nicht zu provozieren, allerdings verpfiff sie mich aber auch, oder drohte "das erzähl ich aber deinem Vater heute Abend" wenn ich irgendwas angestellt hatte.
Ja, und es gab auch Prügel, ziemlich häufig sogar, aber öfters mußte ich Beschimpfungen über mich ergehen lassen, die in der Abwertung meiner Person bestanden.
Es gibt ja Kinder, die versuchen dann besonders lieb zu sein und ihren Eltern alles recht zu machen, um Liebe zu bekommen. Dazu gehörte ich aber nicht, ich war ehr trotzig und aufmüpfig. Ich bin mir nicht mal sicher, ob mir etwas an ihrer Liebe gelegen hat.
Wenn meine Eltern nicht zu Haus waren, durchsuchte ich die Schränke nach Adoptionspapieren.
Überhaupt genoss ich es immer sehr allein zu sein. Ich las sehr viel und ich denke, meine ganzen Wertvorstellungen hab ich aus Büchern. Ich erinnere mich jedenfalls nicht, von meinen Eltern irgendwas in dieser Hinsicht vermittelt bekommen zu haben.
Nach dem Tode meines Vaters fiel mir auf einmal auf, dass meine Mutter ständig beleidigt war. Wenn wir zu Besuch waren, war sie beleidigt, wenn wir die Familie meines Mannes besuchen wollten und wenn ich allein dort war und alte Schulfreundinen besuchen wollte ebenfalls. Und es gab noch viel mehr Gründe beleidigt zu sein, auch wenn sie bei uns war.
Wann das nun genau anfing mit den verletzenden Sprüchen, weiß ich gar nicht. Mein Mann ist der Meinung, meine Mutter war schon immer so. Nur hab ich es nicht so wahrgenommen. Erst als ich mich selbst weiterentwickelt hatte, wurde mir bewußt, wie unsinnig einige ihrer Sprüche waren.
Es waren nicht immer nur persönliche Angriffe, sondern auch ganz banale Sätze, wie zum Beispiel: "kannst du mal das Fenster zumachen, wenn ich im Durchzug sitze, bekomme ich eine Lungenentzündung" die mir zeigten, dass meine Mutter einfach drauf los blubbert, ohne nachzudenken.
Sie ist überhaupt sehr gesprächig, redet von morgens bis abends ohne Unterlass. Ohne dabei wirklich wichtiges mitzuteilen.
Eines ihrer Lieblingsthemen ist mein Bruder, über den sie sich ständig beklagt, in der Hoffnung, ich würde mal mit ihm ein "ernstes Wörtchen" reden.
Mein Bruder ist dreizehn Jahre jünger als ich, ein reines Wunschkind, für den sie extra noch eine OP und zwei Fehlgeburten auf sich genommen hat um ihn zu bekommen.
Klar hatte ich mir damals ein Geschwisterkind gewünscht. Jahrelang hab ich Zucker auf die Fensterbank gelegt, für den Storch.
Als er dann endlich kam, war er für mich wie eine lebendige Puppe und ich war schon alt genug um ihn ganz stolz im Kinderwagen herumzufahren.
Auch hatten meine Eltern immer einen verläßlichen Babysitter, nur einmal nicht, da nächtigten wir im Hotel, mein Bruder im Nachbarzimmer und meine Eltern unterwegs. Jedenfalls hat mein Bruder das halbe Hotel zusammen geschrieen und ich hab tief und fest geschlafen. Das gab natürlich wieder Ärger für mich.
Er durfte sich auch einiges mehr herausnehmen als ich, obwohl er ebenfalls streng erzogen wurde. Einmal kam er ins Wohnzimmer wo ich eine Serie im Fernsehen anschaute. Mein Vater war auch dabei. Er kam rein und schaltete einfach auf einen anderen Sender. Ich sprang auf und schaltete wieder zurück, nicht ohne ihm vorher eine Ohrfeige zu verpassen. Darauf sprang mein Vater auf und ich flüchtete durch die ganze Wohnung. Naja er erwischte mich und Fernsehverbot bekam ich obendrein.
Später erzählte mir mein Bruder, dass mein Vater einmal, oder vielleicht auch mehrmals mit erhobener Hand vor ihm gestanden hat, aber Prügel bekam er nie.
Wir wurden aber beide mit bedeutungsvollen Hinweisen bedacht, wenn es um die Leistungen anderer Kinder, etwa in der Nachbarschaft, oder auch im Fernsehen ging.
Gelobt für eigene Erfolge wurden wir nie. Auch hatte jeder Lehrer oder sonstige Erwachsene immer recht, wenn sich jemand über uns beschwerte.
Sehr viel hab ich nicht mehr mitbekommen, was die Erziehung meines Bruders betraf. Er war ja erst 8 Jahre alt, als ich heiratete und auszog.
Später hab ich das meiner Mutter gegenüber mal erwähnt, das fehlende Lob. Und sie meinte, da gab es ja auch nichts zu loben.
Mein Bruder ist also auch nicht der Sohn geworden, den meine Mutter sich erträumt hatte. Und über diesen Kummer zu lamentieren wird sie nie müde.
Allerdings habe ich mir schon vor Jahren verbeten, da mit reingezogen zu werden. Weil wenn meine Mutter von einer Begebenheit berichtet und ich spreche anschließend mit meinem Bruder darüber, stellt sich die Sache ganz anders dar.
Ich möchte da nicht Partei ergreifen müssen. Ich finde, das soll sie mit ihm selber klären und ich bin nicht ihr seelischer Mülleimer. Auch wenn sie meint, sie müsse ja mit jemandem darüber reden.
Im Bekanntenkreis meiner Mutter wird viel über die Vorzüge ihrer Kinder und Enkel erzählt. Jede tolle Urlaubsreise, jedes neue Auto, toller Job, super Haus. Alles wird ausgiebig berichtet, mitunter auch mehrfach. Und natürlich kümmern sich die Kinder und Enkel hingebungsvoll um ihre Mütter und haben immer Zeit. Über Probleme spricht man dort nicht. Alles ist immer super toll. Einmal meinte meine Mutter "was soll ich denn über meine Kinder berichten...."
Ich bin heute froh, Freundinnen zu haben, die sich nicht über ihre Kinder und Enkel identifizieren, wo man sich auch nicht schämen muss, mal über Probleme zu reden.
Die aber auch positive Worte für mich haben.
Z.B. Unser Garten, der ist ohne Übertreibung einzigartig. Jeder der das erste mal hier herkommt findet lobende Worte für das was wir geschaffen haben.
Meine Mutter nicht. Sie steht da und fragt mich, was das für braune Flecken im Rasen sind. Was anderes sieht sie nicht, nur die Flecken, die von Maulwürfen herrühren.
Und dann wird verglichen, ja das und das, das hat die Sowieso auch, aber die hat noch das und das....bitte? Einen Garten von fast 4000 qm hat dort wo sie wohnt niemand! Und sie selbst hatte in ihrem ganzen Leben keinen Garten, weiß aber über alles Bescheid und meint ich muss mal hier und da die verblühten Blüten entfernen.
Und dann wundert sie sich, dass ich nicht in Jubelschreie ausbreche, wenn sie zu Besuch kommt. Wobei ich ehrlich gesagt sowieso nicht verstehe, warum sie mich sehen will. Sie lächelt mich ja noch nicht mal an, ich spüre keinerlei Freude, nichts gar nichts.
Ich sitze da und muss ihren Redeschwall über mich ergehen lassen und würde viel lieber Unkraut jähten oder sonst was sinnvolles tun.
Über meinen Vater redet sie auch gern und viel. Wie sehr er sich in den letzten Jahren verändert hat und wie ruhig er geworden sei. Und dass er doch früher alles für mich getan hätte. Das stimmt sogar. Als ich später öfters mal mit dem Auto liegen geblieben war, weil ich vergessen hatte zu tanken, war er immer sofort zur Stelle. Auf der anderen Seite hat er mich aber mit 19 Jahren, nur weil ich meiner Mutter Widerworte gab und die Tür zu knallte, nicht nur verprügelt, sondern sogar getreten.
Das war für mich der Anlaß, nachts meine Koffer zu packen und am nächsten morgen, meine Sachen mit zur Arbeit zu nehmen, abends im Zimmer meines jetzigen Mannes zu schlafen und mir ein möbliertes Zimmer zu suchen. Glücklicherweise war ich vor kurzem volljährig geworden. Das Gesetz die Volljährigkeit auf 18 Jahre herunterzusetzen war genau in diesem Jahr.
Rückblickend denke ich, es wäre besser gewesen den Kontakt zu diesem Zeitpunkt restlos abzubrechen. Aber da ich das Verhalten meines Vaters zwar als ungerecht, erniedrigend und wirklich schlimm empfand, hatte ich trotzdem noch das Gefühl sowas wäre in gewisser Weise "normal"
Ich lebte ca. 1 Jahr in dem möblierten Zimmer und mein jetziger Ehemann war auch ständig da. Klar wir liebten uns ja. Aber es war sehr beengt. Also beschlossen wir zu heiraten. Damals bekam man ohne Trauschein keine Wohnung. Und mir widerstrebte auch der Gedanke an eine "wilde Ehe" Die Erziehung meiner Eltern zeigte Früchte.
Meine Eltern waren zwar mit der Wahl meines Ehemannes nicht einverstanden, aber wenn es schon sein sollte, wollten sie mir die Hochzeit ausrichten. Aber nur unter der Bedingung dass ich vorher wieder bei ihnen einzog. Wie sieht denn das sonst aus...
Also lies ich mich breitschlagen, wer hat nicht gerne eine schöne Hochzeit und ein weißes Kleid und so....
Nun war aber mein Zukünftiger zwischenzeitlich bei der Bundeswehr eingezogen worden und meine Schwiegermutter hatte sein Zimmer an eines ihrer anderen Kinder weitergegeben. Also schlief er wenn er auf Heimaturlaub war bei mir. Ich hatte im Haus meiner Eltern im Dachgeschoss zwei kleine Zimmer mit Toilette und Waschbecken, nur kaltes Wasser, aber immerhin. Es klappte ganz gut. Morgens schlich er sich aus dem Haus und kam offiziell als Gast wieder.
Nur meine Schwiegermutter machte uns einen Strich durch die Rechnung. Die wußte nämlich nichts von unseren Heimlichkeiten und rief irgendwann bei meinen Eltern an, um ihrem Sohn etwas ausrichten zu lassen. Oh, war das ein Theater! Die Nachbarn! Wenn wir doch wenigstens was gesagt hätten, dann hätte man doch sagen können N. schläft auf dem Sofa.
Wenig später händigten mir meine Eltern das Stammbuch aus, weil wir das fürs Standesamt brauchten. Und siehe da. Die Eheschließung meiner Eltern war ein ganzes Jahr später als bisher angenommen.
Geheiratet haben sie im März und ich bin im August des gleichen Jahres zu Welt gekommen.
Aber unsere Hochzeit sollte noch andere Heimlichkeiten ans Licht bringen.
Meine Großeltern mütterlicherseits kannten meinen Bräutigam noch nicht und wir machten einen Anstandsbesuch. Apropos...mein Mann mußte auch ganz offiziell bei meinem Vater um meine Hand anhalten.
Der Anstandsbesuch bei Oma und Opa war dann auch sehr aufschlussreich. Wir kamen natürlich auf das Thema Stammbuch und da erfuhren wir, dass meine Mutter an ihrem 21. Geburtstag heimlich bei ihren Vater ausgezogen war und dass mein Großvater mich erst mit 3 Jahren das erste mal zu Gesicht bekommen hatte.
Meine Mutter hat ihre eigene Mutter mit 19 Jahren verloren, sie hatte Krebs und mein Großvater hat daraufhin sehr schnell wieder geheiratet. Mit der neuen Frau meines Opas hat sie sich nicht verstanden.
Zur gleichen Zeit hat meine Mutter meinen Vater kennengelernt und weil sie durch den Verlust ihrer Mutter und die neuen Lebensumstände dort, sehr unglücklich war, hat sie die Beziehung auch sehr schnell recht eng werden lassen.
Später hat sie mir mal erzählt, dass es bereits zu spät war, als sie erkannte wie mein Vater so drauf war. Er war von Anfang an sehr besitzergreifend, hat sogar ihr Fahrrad verschwinden lassen, damit sie nicht mehr mobil war.
Aber er hat sie sehr geliebt und alles für sie getan.
Aber die Familienverhältnisse waren gänzlich andere als wie sie das gewohnt war. Mein Großvater, väterlicherseits war der Aussage meiner Mutter nach, noch viel schlimmer als mein Vater. Herrschsüchtig und ebenfalls jähzornig. Natürlich hat er auch seinen eigenen Sohn runtergeputzt. Und meiner Mutter hat er sogar mal eine Ohrfeige gegeben, da war sie schon verheiratet. Drei Jahre lebten meine Eltern mit mir bei den Großeltern, bevor sie sich eine eigene Wohnung leisten konnten.
Diese unselige Veranlagung zum Jähzorn hab ich leider geerbt. Allerdings hab ich mich hinterher für meine verbalen Entgleisungen immer schrecklich geschämt, so dass ich mit der Zeit lernen musste, den aufsteigenden Zorn zu kanalisieren. Die "Streitkultur", die ich in meiner Kindheit gelernt hatte, funktionierte in meiner Ehe nicht. Mein Mann war nicht dazu bereit, sich sofort nach einem Streit wieder zu vertragen und verletzende Äußerungen meinerseits, als "nicht so gemeint" hinzunehmen. Nein, er konnte sogar recht lange "böse" mit mir sein und da half auch keine Entschuldigung.
Ich mochte mich im Nachhinein selbst nicht leiden und langen Unfrieden konnte ich nicht ertragen. Also begann ich nach und nach mich zu ändern. Meine Zornesausbrüche wurden seltener und hörten dann mit der Zeit ganz auf. Heute kann ich mich selbst bremsen, wenn ich aufsteigenden Zorn verspüre.
Man sagt ja immer, man heiratet seinen Vater. Aber das ist bei mir nicht der Fall, zu meinem Glück. Mit meiner Vorgeschichte hätte ich ohne weiteres an einen gewalttätigen Ehemann geraten können. Vielleicht weil ich schon als Kind gespürt habe, dass das Verhalten meines Vaters nicht richtig ist?
Obwohl es zu meiner Zeit durchaus üblich war, seine Kinder mit Prügelstrafen zu "erziehen". Oft genug hatte ich mitbekommen, dass die Kinder der Freundinnen meiner Mutter geschlagen wurden.
Aber bei meinem Vater war es noch etwas anderes. Ich erinnere mich an seinen triumphierenden Blick, nach dem Vorfall als ich 19 war, diesen Blick werde ich nie vergessen. Es ging ihm um Macht. Die Macht die er sonst nicht hatte. Nicht über seine Frau, die sich ihm einfach entzog wenn sie sich mal, was selten vorkam stritten, wovon ich aber nie was mitbekam und auch sonst nicht. Und als Kind oder junger Erwachsener fühlte er sich machtlos gegenüber seinem eigenen Vater.
Auch beruflich hatte er keine besonderen Erfolge. Meine Eltern hatten ihr Auskommen aber besonders große Sprünge konnten sie nicht machen. Er kompensierte das. Nicht nur, dass er sich verächtlich über Leute äußerte, die mehr erreicht hatten als er, nein er log auch. Z.B. erzählte er im Bekanntenkreis die Wohnung, in der wir lebten sei eine Eigentumswohnung. Irgendwann kam es aber raus, dass sie zur Miete dort wohnten, denn die Nachbarn meiner Eltern gehörten ebenfalls zum Bekanntenkreis. Meine Mutter schämte sich in Grund und Boden. Meinem Mann gegenüber erwähnte er ein viel höheres Gehalt als er tatsächlich bekam, als es mal um steuerliche Fragen ging.
Und ich erinnere mich an die wöchentliche Auszahlung des Haushaltsgeldes an meine Mutter. In dieser Hinsicht sorgte er dafür dass sie sehr unselbstständig blieb. Ein paar Jahre bevor mein Bruder kam, durfte sie zwar wieder arbeiten gehen, aber das Geld was sie verdiente ging auf das Konto meines Vaters.
Das zu dieser Zeit Ehefrauen von ihren Männern bevormundet wurden, war nichts ungewöhnliches. Und eine Scheidung wäre für meine Mutter auch nicht so einfach durchzuführen gewesen, selbst wenn sie das im Anfang vielleicht noch in Erwägung gezogen hätte. Es gab damals ja noch die Schuldfrage und rein rechtlich war meinem Vater nichts vorzuwerfen.
Meine Mutter neigt eh dazu, die Dinge auszusitzen und Negatives einfach auszublenden.
Das merkt man auch an ganz normalen Alltagssituationen.
Einmal hat sie, sie arbeitete zu der Zeit in einem Supermarkt, ein anderes Auto touchiert.
Da ist sie einfach nach Hause gefahren und ihr kam erst später der Gedanke wieder zurückzufahren und den Schaden zu melden.
Hier hat sie mal, als sie nach dem Salzstreuer griff, ein Glas mit Orangensaft umgekippt, und anstatt den Saft aufzuwischen, hat sie seelenruhig erst ihr Ei mit Salz bestreut, während ich damit beschäftigt war, das Malheur zu beseitigen.
Oder beim bügeln... da wollte sie eine ihrer Blusen aufbügeln, sprach dabei mit mir und drückte das Bügeleisen auf den Bügelbrettbezug. Glücklicherweise lag die Bluse noch nicht darunter, aber mein Bügelbrettbezug hatte nun einen häßlichen Fleck.
So ist es auch, wenn die Rede auf meine Kindheit kommt und das passiert regelmäßig, wobei nicht ich es bin, die das Thema anschneidet. Nur wenn sie anfängt alles in den höchsten Tönen zu loben, was mein Vater alles gemacht hat, ja dann widerspreche ich ihr halt. Denn meine Erfahrung ist eine andere. Aber das was ich bemängel war ja alles nicht so schlimm, ich übertreibe und es waren ja höchstens ein paar Ohrfeigen und manche Sachen leugnet sie einfach ab. Und so gibt es regelmäßig Streit, wenn wir länger zusammen sind. "Dann such dir doch eine andere Mutter" bekam ich mal zu hören.
Oder, "was hatte ich denn für eine Kindheit" Da hab ich sie dann drauf hingewiesen, dass ich überhaupt nichts für ihre Kindheit kann, sie aber sehr wohl was für meine.
Ich erinnere mich an einen Vorfall, wo mein Vater mir wiedermal durch die ganze Wohnung nachgelaufen ist und ich mich in der Küche hinter meiner Mutter in Sicherheit bringen wollte. Sie trat einfach einen Schritt zur Seite und so erwischte er mich. Ich hielt die Hände vors Gesicht und er schlug so feste meine Hand weg, dass sie gegen einen Küchenschrank prallte. Danach war mein Daumen geprellt. Meine Mutter arbeitete einfach weiter. Ich weiß nicht mehr was sie gemacht hat. Gemüse geschnippelt oder so. Jedenfalls tat sie so, als würde sie das alles gar nichts angehen.
Beim allerletzten Vorfall dieser Art, war ich so weit, den Kontakt endgültig abzubrechen. Damals war unser Sohn ca. 5 Jahre alt und es sollte eine Aufführung im Kindergarten geben. Meine Eltern kamen zu uns und wir wollten gemeinsam dort hin gehen.
Unser Sohn trödelte und trödelte, worauf ich ihn ein bisschen unsanft anfuhr, er solle sich beeilen damit wir nicht zu spät im Kindergarten ankommen würden.
Meinem Vater passte das nicht und wenn mein Mann nicht dazwischen gegangen wäre, wäre er wieder handgreiflich geworden.
Wutschnaubend verließ mein Vater unsere Wohnung, meine Mutter im Schlepptau und fuhr nach Hause. Die Aufführung besuchten wir dann alleine.
Wochen später, ich hatte mich nicht mehr bei meinen Eltern gemeldet stand auf einmal meine Mutter vor der Tür. Mit Bus und Bahn, wir wohnten da ein ganzes Ende von meinen Eltern entfernt, war sie unterwegs gewesen um schön Wetter zu machen.
Ja und ich ließ mich wieder überreden. Ein Jahr später zogen wir nach Bayern und wieder ein Jahr später war er tot.
Ihr Enkelkind liebten meine Eltern heiß und innig obwohl sie damals nicht begeistert waren, als ich ihnen schon 1 Jahr nach der Hochzeit mitteilte, dass sie Großeltern wurden.
Aber direkt nach der Geburt rief mein Vater alle Leute an und teilte ihnen mit: "und es ist sogar ein Junge!" Endlich hatte ich mal was vernünftiges zustande gebracht....
Sie unterstützen uns die ersten Jahre auch sehr, damit ich weiter arbeiten konnte, dafür bin ich auch dankbar. Unser Sohn war gern bei Oma und Opa und hat nur gute Erinnerungen an sie. Die laß ich ihm auch. Alle vier Wochen hatten wir Kegeln und er übernachtete auch dort. Mein Vater filmte ihn jedesmal, mit seiner Super acht Kamera und so haben wir seine Entwicklung über ein Jahr lang dokumentiert.
Auch bei irgendwelchen handwerklichen Sachen war mein Vater immer sofort zur Stelle. An Hilfsbereitschaft mangelte es ihm nicht.
Trotzdem hab ich nie ein Gefühl von Wärme empfunden. Als wir zu meiner Hochzeit fuhren saß ich im Wagen neben meinem Vater und er ergriff meine Hand und hielt sie fest. Es war mir unangenehm und ich dachte nur " was soll das denn jetzt"
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Die ersten paar Jahre nach unserem Wegzug war ich häufig zu Hause auf Besuch. Die ersten 2 Male mit dem Auto. Das war für mich ein Albtraum, Autobahn fahren, wenn man sonst immer nur 80 fährt, oder höchstens mal auf grader Strecke 100. ich war beide Male fix und fertig. Eingeklemmt zwischen LKWs, einer hinter mir, einer vor mir und einer der mich überholte mit einem Fahrer, der mir den Vogel zeigte, weil ich mich nicht zu überholen traute und dann die Autos, die von rechts kamen, mit einem Affenzahn, bei den Einfahrten. Nee Autobahn fahren ist nichts für mich. Danach fuhr ich Zug.
Kurz nachdem wir nach Norddeutschland zogen, bekamen wir unseren 1. Hund und eine lange Zugfahrt kann man einem Hund nicht zumuten. Außerdem eröffnete ich kurz darauf meinen kleinen Laden. Also, kam meine Mutter immer zu Besuch, immer für eine Woche, weil sonst lohnt sich die Fahrt ja nicht.
Obwohl sie mir wie viele andere auch abgeraten hatte, das Geschäft zu eröffnen, fühlte sie sich sehr wohl dort. Morgens blieb sie zu Hause bei uns und mittags nahm ich sie mit. Wenn keine Kunden da waren, saßen wir gemütlich zusammen und erzählten, oder sie half mir.