03- der Therapeut... wie er nicht sein sollte

An mir ist ja die Jugend ohne Selbsterfahrungsexperimente vorbeigeflupscht. Man wusste doch, was man will, zumindest dachte man, dass man es weiß – Job, Mann, Kinder, Haus und Kohle, dann ist man glücklich. Es gab bei uns in Ostdeutschland keinen Baghwan oder andere Gurus und man ist im allgemeinen davon ausgegangen, dass man sich selbst kennt und auf keinen Fall wie seine Mutter oder Vater werden will und alles im Leben anders macht. Und dann hat man sofort begonnen, alles wie seine Eltern zu machen. So um die 40 checkt man das und beginnt dann das nachzuholen, was man eigentlich schon mit 18 hätte tun sollen. Jetzt hat man Job, Mann, Kinder, Haus und Geld - nur das Glück will sich nicht einstellen. Ja und dann war da der Therapeut und seine Existenzberechtigung. Schräge Typen hab ich da schon erlebt!! So 3 Monate nach der Adula wollte ich mir Unterstützung holen. Ich war verwöhnt von den Adulatherapeuten. Alle waren supertoll mit ein paar Ecken, aber wirklich o.k. Also hab ich Herrn Schniedel aus dem Telefonbuch gefischt, nachdem ich schon ..mmmzig telefonische Absagen durch hatte. Herr Schniedel war so Ende vierzig und ziemlich nett. Er hatte in seinem Vorzimmer trockene Alkoholiker zu sitzen, was ihn mir noch sympathischer erscheinen ließ. “Der hat Suchterfahrung!”, hatte ich gedacht und in seinem Zimmer prangte eine Riesenausgabe des Gelassenheitsspruchs.... (Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge anzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden) klasse – hab mich gleich wie in der Adula gefühlt und los ging’s. Als erstes hat er mich gefragt, ob ich was dagegen habe, wenn er während der Therapie raucht. Ich war wie vorn Kopf gekloppt und hab in meiner Co-Abhängigkeit gesagt: „nöö“. Es hat mich nicht wirklich gestört. Ich habe ja selbst 25 Jahre lang geraucht und wusste um das flaue Gefühl, das sich einstellt, wenn der Nikotinspiegel zu stark absackt. In der 2. Therapiestunde schob er doch tatsächlich eine Videokassette in seinen Minifernseher und ich musste mir ein Motivationsvideo reinziehen. Äääähh an Motivation fehlt es mir wirklich nicht und ich hätte lieber den Herrn Schniedel genauer kennen gelernt. Aber in der Stunde war das mir alles noch nicht so klar. Ja und dann hat er versucht, mich nach Schema F zu therapieren. Als ich mal die Initiative ergriff, das Thema Bedürfnisse anzugehen, war er so ziemlich überfordert. Er hat mir den TIPP empfohlen, eine Zeitschrift über sämtliche Kulturveranstaltungen in Berlin und damit waren wir mit dem Thema Bedürfnisse durch. Irgendwann in einer anderen Therapiestunde erzählte ich ihm, dass ich gerade den Osho am lesen bin und mich etwas näher mit den Meditationstechniken beschäftige und auch schon ein Seminar besucht habe und.... und dann hat er doch nahtlos das Wort übernommen und eine dreiviertel Stunde lang mit wehmütigen Blick in den Annalen seiner Jugend geschwelgt...: „Ja. Osho, da lohnt jedes Buch zu lesen, ich hab alles verschlungen seinerzeit und bin nach Poona und hab so alles mitgenommen was es gab. Am besten waren die Encountertage...“ „Ääh was bitte?“, hab ich gefragt (ich von Tuten und Blasen keine Ahnung.. zumindest von Tuten nicht) ...Encounter? – nie gehört.! Ich Provinznudel hab mit großen Augen in Herrn Schniedels Sessel geklemmt und wartete gebannt auf die Antwort: „Ja, da hat sich ´ne Gruppe von Leuten für mindestens 24 Stunden in einen Raum eingeschlossen.“ Ich: „Wie äh eingeschlossen? Ohne Essen und Klo?“ Er: „Ne, ne, ein Klo gab’s natürlich. Und es ging da immer gleich ab.“Ich: „Ja und wie?“ „ erst haben sich die Leute ´nen bisschen unterhalten und dann haben sich Grüppchen gebildet und dann fingen manche an zu streiten bis es zum Riesenkrach kam und dann wurde sich vertragen und den Rest können sie sich wohl denken...“Ich saß auf der Kante vom Riesensessel - absprungbereit... und in mir tauchte das naive Bild auf, wie alle im Kreis friedvoll zusammensaßen und ein Friedenstütchen schmokten... Ich hab’s glücklicherweise bei mir behalten, das Bild und hab gefragt: „ und wie gings aus? ...der Rest?“ Er: „Naja, es endete immer im Gruppensex...“ Meine Gedanken: „Achduscheiße... Rudelbumsen, noch so ne Erfahrung, die mir fehlt und Herr Schniedel mittendrin“ Ich stelle mir alles immer sehr bildhaft vor. Von da an ging bei mir alles in Zeitlupe ab. In mir stieg das Bild meiner Mutter auf, ja meiner Mutter. Sie würde jetzt punktgenau in diesem Augenblick aus dem Sessel schnellen und fluchtartig die Räumlichkeiten dieses Ferkels verlassen... “wie unmoralisch!!... iii wie schmutzig. Wie kann man nur Gruppensex, ääh das Wort allein ist schon schmutzig! Wieso überhaupt bumsen“...das war ihre Meinung und getan hat sie’s trotzdem, sonst hätte sie nicht 4 ungeliebte Kinder gekriegt. Ich musste mich so zusammenreißen, dass ich nicht losbrülle vor Lachen. Was sucht meine Mutter grad hier?? Die taucht in den unmöglichsten Situationen auf. Wird man die nie los?? Ich hätte den armen Herrn Schniedel traumatisiert, wenn ich losgelacht hätte. Ja und irgendwie haben wir uns dann verabschiedet und ich bin ins Auto und hatte so einen Lachanfall, der bis zu Hause anhielt. Das war zu schräg. Nix gegen Rudelbumsen an Encountertagen, nur das so in der Therapie mal zu erzählen ohne mich wirklich zu kennen, kann daneben gehen. Das Thema Sex in der Ehe war für diese Therapie „verbrannt“ – der Schniedel hätte doch ´nen Lachkrampf gekriegt, wenn ich von der Missionarsstellung angefangen hätte...
Ja und irgendwie hatte ich immer das Gefühl, das er meine Probleme lösen will, statt mir zu helfen, dass ich lerne mit meinen Problemen anders umzugehen... die Krönung war, als er meinem Sohn einen Job anbot, als dieser seine 2. Fachinformatiker-Abschlussprüfung in den Sand gesetzt hatte... Mama wird therapiert, während Sohni im Nachbarzimmer Computer installiert und wenn Sohni nicht funktioniert ist ja gleich Mama da, die ihm den nötigen Arschtritt verpassen kann....klasse Konstellation.... Steffen, mein Sohn, hat gleich mit den Augen gerollt, als ich ihm von dem Jobangebot erzählt habe....
Eine Freundin hat mir gesagt, ich soll doch zur nächsten Therapiestunde ein kleines Pulliken „Kleiner Feigling“ mitnehmen und fragen: „Darf ich? ... dann redet sich’s besser...“ Wenn er raucht kann ich mir doch so‘ n Schnäpschen genehmigen und wenn er so viel erzählt, müsste ich doch das Honorar kriegen... denn so ein therapeutisches Ohr kostet... Ja irgendwie hatte die Therapie manchmal Kneipengesprächsniveau – war aber lustig, bin nie ins Schwitzen gekommen und war immer schön relaxed.....nur meine Verklemmtheit in sexuellen Dingen wurde in mein Bewusstsein gerückt, wenigstens was.... (Namen geändert) :jump20:

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seestern
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