Hm, da gäb es viel zu sagen.
Erstens würde ich persönlich nie zu Jesus beten (genausowenig wie zum Papst oder zu Justin Timberlake). Ich sehe in Jesus nichts als einen Menschen, zwar einen aussergewöhnlichen, aber nichtsdestotrotz nur einen Menschen. Und es gibt keinen Grund, warum ich einen Menschen anbeten soll.
Zweitens, zum Thema Glaube: Natürlich hat Glaube immer 2 Bedeutungen. Das eine wie im normalen Sprachgebraucht für "eine Annahme treffen/unsicher sein", das andere aber auch eher im Sinne von "sich als Anhänger der christlichen Religion verstehen". Vor allem der zweite Sinn ist unter den Christen gemäss meiner Erfahrung völlig uneinheitlich, wird extrem unterschiedlich ausgelegt und darum macht es wohl fast keinen Sinn jemanden zu fragen, ob er auf diese Weise an Gott glaubt (wobei viele Christen das doch immer tun, und es genügt ihnen vollauf, wenn jemand "ja" sagt, dann ist es ihnen auch meist auch egal, wie man das im Detail versteht).
Persönlich hat mir Ken Wilber's Theorien unglaublich viel erklärt diesbezüglich. Ken Wilber geht davon aus, dass der Mensch im Verlaufe des Lebens typischerweise eine gewisse Persönlichkeitsentwicklung durchmacht (entsprechend der Entwicklungspsychologie). Diese Entwicklung durchläuft er in allen Persönlichkeitsberreichen, beispielsweise im emotionalen Bereich, im mathematisch-logischen Bereich, im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen, das Selbstbild, uva. Nicht zuletzt gibt es auch den Bereich der Gottesvorstellungen, der dieser Entwicklung ebenfalls folgt. Nicht jeder Bereich entwickelt sich aber gleichschnell. Jemand kann beispielsweise im mathematisch-logischen Bereich ein wahres Genie sein, aber im zwischenmenschlichen Bereich eine echte Banause - ein typisch einseitiger Mensch halt. Dennoch sagt Wilber, kann man quasi als Summe über alle Ebenen hinweg eine Art "Durchschnitt" ausrechnen. Zentral ist dabei gem. Wilber vor allem der Entwicklungsstrang des Selbstbildes, weil daran ganz viele andere Dinge gekoppelt sind.
Nimmt man dieses Modell mal als gegeben an, dann wird plötztlich verständlich, wie zwei Christen völlig verschiedene Auslegungen der Bibel haben können. Wenn Jesus sagt: "Ich bin der Weg...", dann denkt sich der eine, Jesus sei der einzig wahre Gott, und kein anderer Gott sei richtig, und man müsse entsprechend Jesus anbeten. Die andern Religionen seien falsch, und darum müssten die Menschen missioniert werden. (Das ist so ungefähr die Position von Alexander hier im Forum.)
Der andere hingegen versteht das völlig anders, er grenzt diese Aussage gar nicht unbedingt gegenüber andern Religionen ab, sondern er versteht das so, dass es v.a. um eine Art innere Aufrichtigkeit geht. Es ist für ihn egal, wie oder was andere Menschen glauben, er braucht sie gar nicht zu missionieren, sondern er glaubt, dass Jesus sagen wollte, dass man nur durch tiefe Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit mit "Gott in Kontakt treten" (was dann das auch wieder heissen mag) kann.
Noch andere Leute können die Aussage ev. noch anders verstehen, halt je nachdem, wie ihr psychologisches Durchschnittsprofil insgesamt aussieht. Es ist ja irgendwie einleuchtend, dass ein Mensch, der beispielsweise Asiaten oder Afrikaner nicht für echte Menschen hält, da sie anders aussehen als Durchschnittseuropäer, eine ganz andere Auslegung der Bibel haben wird, als jemand, der schon als Kind in der ganzen Welt herumgereist ist, und mit tausend Kulturen in Kontakt kam.
(Und, nein, das ist nicht etwa als rassistisch zu verstehen, vor ein paar hundert Jahren war es für die meisten europäischen Durchschnittsmenschen einfach nicht wirklich einleuchtend, dass ein Mensch mit völlig anderer Hautfarbe und Aussehen tatsächlich AUCH ein ganz normaler Mensch sein könnte. Dieser Schritt der geistigen Abstraktion verlangt bereits recht viel ab von einem Menschen mit dem Horizont, der damals für die meisten Menschen überhaupt zu erlangen möglich war, und wir müssen uns klarmachen, dass zu jenen Zeiten der Mensch nur selten Distanzen über 100 km zurücklegte, ganz einfach er nicht so mobil war wie wir heute.)
Wer das mit der Entwicklung bisserl abstrakt findet, ein Beispiel.
In einem gewissen Alter glauben Kinder, dass Gott im Himmel die Wolken tatsächlich von Hand hin- und herschiebt. Sie sind einfach nicht fähig, sich Gott anders vorzustellen, als einen konkreten Menschen (mit übernatürlichen Fähigkeiten wie Superman). Erst langsam entwickelt sich das Verständnis heran, dass Gott nicht im Himmel auf einem Stuhl sitzt, aber dieser Schritt der Relativierung, der zunehmenden Abstraktion muss erst einmal gemacht werden!