Sturmnächte 2 ((un)zusammenhängende Episoden oder Gedanken)

Serenade

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18. März 2007
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Ysil steigt von ihrem Drachen herab. Man nennt sie auch die Grüne Göttin. Beide! Ysil schreitet wie eine Göttin. Ysil sieht aus wie eine Göttin. Und doch wird sie als Wesen Dieser Seite bezeichnet. Anders ist es bei ihrem Drachen. Bei ihrem grünen Drachen. Ein Ungetüm von Lebewesen, das gar kein Lebewesen ist, sondern bloß die Gestalt eines Lebewesens angenommen hat. Das nämlich ist der Unterschied zwischen Wesen Dieser und Wesen der Anderen Seite. Wesen Dieser Seite sind veränderliche und sterbliche Lebewesen. Wesen der Anderen Seite können jede x-beliebige Körperform annehmen, altern nicht, wenn sie das nicht wollen und sterben bewusst, um schnell wieder eine andere Gestalt anzunehmen oder ins Geisterreich zurück zu kehren. Es ist ein wenig, wenn nicht sehr viel, kompliziert, diesen Sachverhalt verständlich zu erklären. Es hieß einst, es gäbe zwei unterschiedliche Energien, die sich einander bedingen, aber zugleich auch bekämpfen. In ihrer Urform bedingen sie einander. Getrennt voneinander, obwohl es kein 'Getrennt-voneinander' gibt, bekämpfen sie sich gegenseitig. Ich sagte es bereits: Es ist kompliziert. Und zwar sehr kompliziert. Also lassen wir das.

Wie kam ich hier her? Ganz einfach. Das Raumschiff war kein Raumschiff, sondern ein kunstvoll verziert und gezimmerter Eichensarg, der langsam, bei trauriger Musik in den Ofen gefahren wurde. Mit mir als toten Inhalt. Andererseits war es ebenso ein Raumschiff. Es könnte aber auch etwas ganz anderes gewesen sein. Ja, auch das ist kompliziert, wenn man von der multidimensionalen Gleichzeitigkeit ausgeht. In dem Fall, wenn das Raumschiff ein Sarg war, mit mir als toten Inhalt, sprang ich im Irrenhaus aus dem Fenster, schlug mehrere Meter tiefer auf Asphalt, was weiterhin dazu führte, dass man mich in einem schwarzen Sack abtransportierte und später, nachdem man mich halbwegs menschlich hergerichtet hat, in einen kunstvoll verzierten und gezimmerten Eichensarg legte, der wiederum später in den Ofen fuhr. Für mich selbst gab es nie eine Unterbrechung. Es war alles ein wenig verwirrend, weil ich zwischen den multidimensionalen Dimensionen nicht unterscheiden konnte.

Jetzt steigt Arima von seinem goldenen Drachen herab. Er ist der wahre König. Er, Arima, dem eigentlich ein K hinzugefügt werden müsste, dann wären beide auch namentlich vereint Kim und Maria. Wer die Geschichte dieser beiden nicht kennt, hat zwar einiges verpasst, aber es hat mit dieser Geschichte nicht viel zu tun, also ist es auch nicht weiter störend oder gar verwirrend. Arima hört es nicht gerne, wenn man ihn König nennt, - König des Universums.

Beide schreiten mir entgegen. Ja, sie schreiten. Einst Vater und Tochter. Einst Kim und Manola. Nun der wahre und einzige Wächter des Universums und Ysil, die Oberbeobachterin. Sie wird meine Lehrerin sein. Und Sir Laurence, der pinkfarbene Drache, mein Begleiter.

Aber ich greife zu weit vor. Etwas sollte über Arima doch noch gesagt werden. Auch er erlebte sehr oft diese Dimensionsschwankungen, obwohl kaum darüber geschrieben wurde. Wie war das, als er sei letztes Konzert (als Mensch war er einst ein Rockstar) gab und sich mit Maria zusammen vor allen Menschen in Nichts auflöste. Die beiden lösten sich zwar nicht in Nichts auf, sondern gingen auf die Leuchtende Welt (die Weiterentwicklung der Erddimensionen). Was also sahen die Menschen? Ein Wunder? Ja! Und zwar, weil Kim das wollte. Er tendierte schon zu sehr zu den Wesen der Anderen Seite. Kompliziert? Ja! Also lassen wir das und widmen wir uns den Episoden, die nicht immer zusammenhängend sind, aber doch genau hier her gehören.
 
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Sir Laurences gigantischer Körper erhebt sich hinter mir, als Arima und Ysil von ihren Drachen steigen und uns entgegen schreiten. Wir halten bei so viel Schönheit den Atem an. Bei Sir Laurence besteht die nächsten Minuten die Gefahr einer Feuersbrunst, denn wenn er etwas länger den Atem anhält, kann der nächste Atemzug durchaus feurig sein. Das haben Drachen so an sich.

Apropos Schönheit! Es geht nicht so sehr um äußere Schönheit, die stets relativ ist, wie fast alles in der gewöhnlichen Menschenwelt. Jene Schönheit, die Sir Laurence und ich in diesem Moment empfanden, als Arima und Ysil uns entgegenkamen, kann mit den gewohnten Wahrnehmungssinnen nicht erfasst werden. Vielleicht kennen einige dieses innere Leuchten, das man fühlt, wenn einem jemand immens sympathisch ist. So was in der Art empfanden wir immer, wenn uns Arima (vor allem er!) und Ysil entgegen gekommen sind. Selbst bei Bela (Arimas Sohn Thygyrill – eigentlich Kims und Marias Sohn, der aus der endgültigen Vereinigung der beiden entstand) bleibt uns meistens der Atem weg.

Arima meint, Sir Laurence habe sich, seit er sich für mich entschieden hat (Drachen suchen sich ihre Reiter selbst aus), sehr verändert. Vorher wirkte er wie ein rosarotes Plüschtier, mit runder Schnauze, schwarzen Kulleraugen und runden dicken Körper, mit eher kurzem Schwanz. Ja, hier geht es ums Aussehen, denn Drachen gehören zu den Wesen der Anderen Seite und können ihr Aussehen beliebig wechseln. Sir Laurence würde nun gefährlicher auf alle wirken. Nun, mir kann es recht sei, da es für mich keinen Unterschied macht. Ob Plüschtier oder gefährlich aussehender Drache – riesig ist er allemal.

Wir sehnen uns nach Ewigkeit und träumen vom Paradies oder ähnlichem, - spricht Arima, als er und Ysil vor uns stehen, - weil wir aus einer einheitlichen Welt stammen. Alles stammt aus dieser Welt. Es ist die Urwelt, das Goldene Zeitalter, die reine und unverwundbare Welt der Einen Energie ohne zweite.

Auch seine Stimme klingt nach Schönheit. Das war schon immer so. Arima hat viele Stimmen. Für jedes seiner Gefühle eine ganz bestimmte Stimme. Man hört den Unterton nicht. Man fühlt ihn. Ach, Arima, ich erinnere mich, als du noch Kim warst. Du, mein Seth (Jane Roberts), mein Don Juan (Carlos Castaneda), mein Meister und geistiger Führer. Was du nicht alles warst! Und jetzt? Ist alles gesagt, was gesagt werden kann? Ja, wahrscheinlich. Deine Schönheit ist anders. Als ich einst versuchte, dich zu zeichnen, gelang es mir ein einziges Mal. Und genau diese Zeichnung habe ich verworfen, weil sie mir später nicht mehr gefiel. Aber dieser Moment, als mir der Atem wegblieb, als ich erkannte, das, genau das, bist du – dieser Moment bleibt. Dazu ist keine Zeichnung nötig. Es ist das Gefühl, von dem ich weiter oben schrieb – dieses innere Leuchten. Dazu kann es keine Erklärungen geben. So was muss man selbst erfühlen, erleben.

Übrigens, es ist nicht nötig, die Liebesgeschichte zwischen Kim und Maria zu kennen, wie ich bereits erwähnt habe. Ebenso ist es nicht nötig, den ersten Teil „Sturmnächte“ zu kennen, da dies hier etwas ganz anderes ist und doch zusammen gehört. Das muss erwähnt werden!
 
Als ich das erste Mal mit, besser gesagt, auf Sir Laurence fliegen durfte, kamen wir in eine sehr seltsame Gegend, die zwar alles hatte, was ich an Landschaften kenne, aber doch anders war. Es lag an den menschlichen Wesen dort. Sie schlafen nie und wenn, höchstens zwei oder drei Stunden.

Sir Laurence landete neben einem Waldstück, auf einer Wiese, auf der Tiere grasten. Die Tiere sahen aus wie ein Zwischending von Pferd und Kuh. Sie waren harmlos. Grasten weiter, als wäre nichts geschehen, als wäre da kein Monstrum von Drache neben ihnen gelandet, mit einem kleine Menschlein auf seinem unteren Hals, das sich ächzend herunter schob und mit einem Plumps auf dem Hintern im Gras landete. Als ich aufschaute, stand ein kleiner Junge vor uns, dem es, wie den Tieren, nicht vor riesigen Tieren gruselte. Als ich ihn nach den anderen menschlichen Wesen fragte, sagte der Junge, dass sie unterirdisch leben. Sir Laurence verdrehte zu diesem Zeitpunkt seine runden, großen, schwarze Augen, da er mich bereits über diese Gegend und ihren Lebewesen vor dem Flug aufgeklärt hatte. Er mag es nicht, wenn ich seine Aussagen in Frage stelle. So gut kenne ich ihn bereits, auch wenn wir uns noch nicht lange kennen.

Der kleine Junge, ein zartgliedriger Blondschopf in knielangen Jeans und einem hellblauen T-Shirt, auf dem 'ich liebe Drachen' stand, bückte sich und hob ein Stück Wiese wie eine Falltür hoch. Sir Laurence konnte leider nicht mitkommen, da er für diese Tür nach unten, viel zu groß und dick war. Aber wie so oft, lauert die Täuschung nach der nächsten Kurve. Sir Laurence begann zu schrumpfen und schrumpfen und schrumpfen, bis er fast die so groß war wie ein Mops. Die Ähnlichkeit kam auch irgendwie hin, bis auf die Farbe. Es gibt anscheinend und angeblich keine Möpse mit orangen Köpfen und rosaroten Körpern. Sir Laurence las in diesem Moment meine Gedanken und warf mir einen ziemlich verächtlichen Blick zu.

Über Treppen stiegen wir hinunter und landeten an derselben Stelle, von der wir gekommen sind und ich landete auf meinem Hintern und der Junge stand vor uns und ich fragte ihn nach den anderen menschlichen Wesen und er sagte, sie würden unterirdisch leben.

Ein und dieselbe Szene wiederholte sich mehrmals. Dann wurde mir die Endlosschleife oder der Film 'Täglich grüßt das Murmeltier' zu viel. Sir Laurence meinte, wir würden in einen Traum feststecken. Im Traum dieses Jungen, der nicht schlafen will. Er hat Angst – sagte Sir Laurence – weil seine Eltern vor seinen Augen getötet wurden. Man hat sie wie Tiere abgeschlachtet. Und wenn er nun die Augen schießt, sieht er das ganze Elend wieder vor sich. Der Junge hat uns bereits in dem Moment hinein gezogen, als dir die Idee von den Menschen, die nicht oder nur sehr wenig schlafen, kam.

So ganz richtig ist das nicht, denn Sir Laurence hat mir bereits vor dem Flug erzählt, dass wir zu menschenähnlichen Wesen fliegen, die nicht oder nur sehr wenig schlafen. Und langsam wurde mir klar, dass es bis jetzt gar keinen Flug gegeben hat. Arima warnte mich bereits, dass Drachen sehr verschlagene Wesen sind und wenn man nicht aufpasst, vernebeln sie unseren Geist und ziehen uns in etwas hinein, was wir gar nicht wollen.

Im nächsten Moment spürte ich ein seltsamen Ziehen, als würde ich von einer Szene in eine ganz andere geschoben und doch erlebte ich beide Szenen für einen kleinen Moment gleichzeitig. Innerlich nehme ich Arimas Stimme wahr, wie er mich auffordert los zu lassen und meine Gedanken wie Wolken im Wind ziehen zu lassen. Das ist leichter gesagt, als getan. Als ich es dann doch schaffte und wir beide, Sir Laurence und ich, vor Arima (diesmal leistete er uns alleine, ohne Ysil oder Bela Gesellschaft) standen, boxte ich dem vermaledeiten Drachen eines auf die runde Knollennase. Er jaulte nicht einmal auf. Es dürfte für ihn bloß ein Streicheln gewesen sein.

Den will ich nicht! Ich will einen anderen Drachen! Ich will von einem anderen Drachen auserwählt werden! Oder ich will überhaupt keinen Drachen! Wozu auch? Wozu auf Drachen reiten? Ich hätte es sofort wissen müssen, dass all das nicht echt ist, schon als ich 'ich liebe Drachen' auf dem T-Shirt des Jungen las und seine traurige Geschichte über den grausamen Tod seiner Eltern mir ins Gehirn gespuckt wurde. Alles nur die Phantasie eines blutrünstigen Drachen. So was nennt man Gedankenvergewaltigung.

Sei froh – lachte Arima – dass es Sir Laurence ist, der dich auserwählte, denn ein anderer, der Schwarze mit den gelben Augen, der dir gefallen hätte, hätte dich gedanklich verschluckt und wie Scheiße ausgeschieden. Und du hättest nichts dagegen tun können. Sir Laurence überließ dir immerhin ein kleines Schlupfloch. Und wozu Drachen? Wozu überhaupt das alles?

Diese Frage stellte ich mir sehr oft und kam nie auf einen grünen Zweig. Ist das Leben nun vorbestimmt, oder haben wir einen freien Willen? Entscheide ich mich für den Weg nach rechts, anstatt nach links, könnte es durchaus sein, dass es vorbestimmt war, nach rechts zu gehen. Denken bringt gar nichts. Absolut nichts. Und schon gar nicht, über sich selbst nachzudenken, versuchen, sich selbst zu finden. Alles Unsinn, denn das wahre ist stets die Selbstvergessenheit. Das ist der Grund, warum wir Drachen brauchen!
 
Ein schöner Gedankengang und ein neuer Zugang zu Drachen...:)

Besonders dein letzter Absatz, @Serenade

Diese Frage stellte ich mir sehr oft und kam nie auf einen grünen Zweig. Ist das Leben nun vorbestimmt, oder haben wir einen freien Willen? Entscheide ich mich für den Weg nach rechts, anstatt nach links, könnte es durchaus sein, dass es vorbestimmt war, nach rechts zu gehen. Denken bringt gar nichts. Absolut nichts. Und schon gar nicht, über sich selbst nachzudenken, versuchen, sich selbst zu finden. Alles Unsinn, denn das wahre ist stets die Selbstvergessenheit. Das ist der Grund, warum wir Drachen brauchen!

Vielleicht helfen sie uns wirklich, unseren eigenen Schatz zu heben...:)


Lieben Gruss
 
Ein schöner Gedankengang und ein neuer Zugang zu Drachen...:)

Besonders dein letzter Absatz, @Serenade



Vielleicht helfen sie uns wirklich, unseren eigenen Schatz zu heben...:)


Lieben Gruss

Danke, Urania!
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Drachen sind Wesen der Anderen Seite und anders als Götter und Göttinnen und all die anderen Figuren aus Märchen und Mythen. Drachen lassen sich meistens zu den Menschen herab und manche stehen sogar auf Augenhöhe mit uns Menschen, trotz ihrer mächtigen Körperformen. Drachen zeigen uns, wie Gedanken manipuliert werden können und wie wir unterscheiden zwischen deren und unseren nutzlosen Gedanken. Haben wir überhaupt so was wie eigene Gedanken? Ist es nicht so, dass unsere Gehirne auch Empfänger sind und nicht nur Speicher? Oder produziert unser Gehirn all das, was wir wahrnehmen und es ohne Gehirn so was wie Wahrnehmung gar nicht geben würde? Auch das käme in Frage, denn in der geistigen Welt hat Materie keinen Zugang und somit auch keine Gehirne.

Nicht mal Einhörner sind uns besonders wohl gesinnt, obwohl ich sie so sehr liebe. Oder Pegasus, den geflügelten Hengst! Ach, wie gerne würde ich mit ihm fliegen, auf ihm fliegen. Aber er ist zu stolz, um sich mit Menschen einzulassen. Lieber verbringt er seine Tage und Nächte in einer Zwischenwelt, die viel mehr für Götter als für Menschen zugänglich ist.

Wer, wenn er klug ist, würde schon einen Baum umarmen, ohne ihn vorher zu fragen? Obwohl Bäume Wesen Dieser Seite angehören, jedoch einige Gemeinsamkeiten mit Wesen der Anderen Seite haben.

Und du, Arima? Bist du nicht auch ein Wesen zwischen den Welten? Jetzt vielleicht schon, obwohl dieses Jetzt mehr als fraglich ist. Ähnlich wie Krishna oder Christus wandelst du durch geistige und materielle Sphären. Einst verglich man dich, Arima, mit einem Einhorn. Die absolute Schönheit und absolute Unschuld in einem. Schon damals, als man dich noch 'Kim' nannte, warst du eine androgyne Wesenheit. Nicht Mann und nicht Frau, sondern ganz anders. Unvergleichlich. Aber genauso, wie du es nicht magst, wenn du König des Universums genannt wirst, genauso wenig magst du derartige Schmeicheleien, auch wenn sie ernst gemeint sind.

Du sagst, Arkadien sei nicht betretbar. Das Paradies passiert niemals auf einmal. Entweder man macht sich die Hölle oder man macht sich den Himmel. Haben die Menschen die Götter gemacht (erschaffen) oder die Götter die Menschen? Immer diese rätselhaften Botschaften, aus denen ich nicht schlau werde. Es ist nicht nötig, schlau zu werden, - sagst du. Wie war das noch mal mit 'außerhalb der Vernunft eine Brücke zum Undenkbaren bauen'? Und mit 'verstehen, ach, verstehen ist so was von unwichtig'? Aber die Brücke ließe sich vielleicht bauen. Unlängst las ich in einem sehr philosophischen Buch, dass eine Brücke nicht nur zwei Seiten verbindet, sondern auch Pfeiler (Stützen?) nach unten gebaut werden. Eine Brücke hat viele Kontakte und doch hat sie etwas Faszinierendes. Da war doch die schöne Dame, die am anderen Ende der Brücke wartete. Welch diffuse Erinnerung.

Das Unten. Scheinbare Hölle. Dunkelheit. Und doch steigt niemand auf, der nicht unten war. Immer diese Aufsteiger. Oder sind es Aussteiger? Ich will nicht so sein wie die anderen. Aber was bleibt uns? Genauso viel wie allen anderen. Es gibt keine Unterschiede in der Geisterwelt. Kein Oben, kein Unten, kein Links und kein Rechts. Nicht mal die Ewigkeit. Zeit- und raumlos. Rein und unverwundbar.

Und du, Sir Laurence? Dachtest du auch, Arima sei der Teufel? Ahriman. Wer gerne mit Buchstaben spielt, er-kennt, was dahinter steckt. Aber wer ihn kennt, wirklich kennt, weiß, dass er alles gut heißt. Für ihn kommt niemals in Frage, jemand oder etwas zu verurteilen, geschweige denn überhaupt zu urteilen. Alles ist gut, sagt Arima und Maria lächelt sanft in ihm.
 
Wie gut ist alles, Sir Laurence?

Seine schwarzen Kulleraugen funkeln im sanften Licht der Leuchtenden Welt. Hier ist immer Tag. Manchmal ein bisschen Dämmerung. Aber niemand kümmert sich darum. Jeder einzelne, wenn er (natürlich auch die weiblichen Wesen) will, träumt sich in seine eigenen Welten. Thygyrill, der hier Bela genannt wird, lebt ständig in seiner bunten Stadt, wo kein Haus dem anderen gleicht, kein Garten dem anderen. Er lebt in einem weißen Haus und einen weißblühenden Garten. Man kann ihn besuchen. Man kann alle in ihren Welten besuchen. Langeweile gibt es hier nie.

Darum geht es jetzt nicht. Das Menschenleben ist eine Entartung.

Sir Laurence hat sich wirklich verändert. Die Leuchtende Welt eine Art Bahnhof oder Flughalle, von der aus man in alle möglichen Dimensionsdestinationen (ein wunderbares Wort!) gebracht wird. Sir Laurence wirkt weiser und ernsthafter. Als er das erste Mal auf mich zukam, wirkte er auf mich wie ein kuscheliges Plüschtier. Vor allem sein Kopf. Das Runde in seinem Gesicht. Runde Kulleraugen, runde Knollennase. Von Fürchterlichkeiten keine Spur. Jetzt aber leuchtet Respekt aus seinen Augen, Respekt vor sich selbst.

Genau das haben die Menschen vergessen, den Respekt vor sich selbst. Es ist nicht die Liebe, die alles vereint. Es ist der Respekt, den man vor sich selbst haben muss. Das heißt nicht, dass man dann auch vor anderen Respekt hat. Das heißt, dass man durch den Respekt wieder Zugang zum Herzen, zur Seele, findet. Menschen erschrecken ständig vor blutigen Wunden, abgetrennten Gliedmaßen, verstümmelten Mordopfern. Was ist das schon gegen eine verletzte Seele! Hat schon jemand eine verletzte Seele gesehen? Natürlich nicht, da man Seelen nicht sehen, nicht mit den gewohnten menschlichen Wahrnehmungssinnen wahrnehmen kann. Wenn ich euch nur zeigen könnte, wie eine verletzte Seele auf uns Wesen der Anderen Seite wirkt! Wir nehmen anders war und können euch diese Wahrnehmung nicht weitergeben. Leider könnt ihr euch nicht einmal erinnern, wie es damals war, im Paradies, Arkadien, Nirwana oder wie immer ihr diese Zustände nennt. Ja, Zustände! Vielleicht auch das silberne Zeitalter, ganz kurz nach der Teilung, die gar nie stattgefunden hat.

Sir Laurence spricht mit sich selbst. Aber ich weiß, was er meint. Ein wenig kann ich verstehen, was er sagen will. Wir sagen so gerne – zumindest einige von uns – dass wir keine Bestätigung von anderen brauchen, es uns gleichgültig ist, ob wir geliebt werden oder nicht, denn erzwingen lässt sich nichts und man kann es nicht allen recht machen. Weit gefehlt! - ruft Sir Laurence und sogar Arima nickt anerkennend.

So weit wollte er es nie kommen lassen, er, Arima. Aber er, als Leuchtendes Wesen, musste doch gewusst haben, wie hart das Leben in der Menschenwelt ist. Und ob er das wusste, der kleine, gequälte Junge, der täglich von seinen Zieheltern fast zu Tode gequält wurde. Aber das waren Metaphern. Es war die Umgebung, die gequälten Seelen der Menschen, was derartige Schmerzen verursachte.

Und der kleine Blondschopf? Auch nur eine Metapher, Sir Laurence?

Menschen brauchen Bestätigung. Davon leben ihre Seelen. Davon wachsen sie hinein in die Flügeln der Liebe und brauchen keine Bahnhöfe, keine Flughallen. Mit den Seelenflügeln können sie überall hin. Aber zuerst muss der Respekt für sich selbst kommen. Artgerecht! Nicht mal den Tieren erlauben sie es. Und sie fürchten den Tod, den es gar nicht so gibt, wie sie es gern möchten. Es hat jeder seine Zeit. Sie zu verlängern, bedeutet, die Seele einzusperren. Arrest für die Seele, wenn der Arzt kommt und etwas herausschneidet, das die eigentliche Fahrkarte ist! Loslassen ist halt nicht einfach. Aber wir sehen uns doch wieder. Immer wieder. Oder hat der Rabe recht, wenn er sein ständiges 'Nimmermehr' schreit?

Genug, Sir Laurence! Lass uns irgendwohin fliegen!
 
Etwa 86 Milliarden Neuronen kommunizieren ständig miteinander, damit der Mensch fühlen, handeln und denken kann. In Millisekunden finden an tausenden Zellen komplexe chemische und elektrische Prozesse statt, um eine einzige sinnvolle Handlung zu erreichen. Man fragt sich jedoch, was für einen Menschen eine sinnvolle Handlung ist. - So sprach ein junger Mann in der rechten Ecke des prunkvollen Saales, der von der Decke durch mehrere riesige Kronleuchter erhellt wurde.

Wie kam ich hierher? Wir, Sir Laurence und ich, wollten doch irgendwohin fliegen. Vielleicht war dies das Ziel unseres Flugs und ich wurde ohnmächtig während des Flugs und bekam nicht mit, wie mich Sir Laurence mit seiner runden Knollennase in diesen Saal stupste.

Es ist ein großer Saal, eine Halle mit hohen Wänden, wo sich an der einen Seite ebenso hohe Fenster und an der anderen Seite eine lange Tafel mit Speisen und Getränken befand. An der Rückseite die Tür und an der Vorderseite ein mächtiger Thron mit einer Gestalt darauf, in der ich Arima erkannte. Es war aber nicht Arima, sondern nur eine lebensechte Statue seiner wunderschönen Körperlichkeit.

Er hasst es, auf diesen Thron zu sitzen, genauso wie Schmeicheleien und alles, was ihn von anderen Lebewesen hervorhebt. - sagt ein Mädchen, mit langen blonden Haaren, die ihren gesamten Körper kleideten.

Ja, ich weiß, das ist so was von typisch für Arima. Immer wieder sagt er, er stehe auf ein und derselben Stufe wie alle anderen. - erwidert eine Frau mit Glatze, gehüllt in einen dunkelroten Sari.

Überall standen Gruppen von menschlichen Wesen zusammen und diskutierten miteinander. Am interessanten fand ich jene hinter mir, als ein junger Mann in der rechten Ecke, also rechts vom Portal (es muss sehr schwierig zu öffnen sein, da es unheimlich schwer aussieht), über das menschliche Gehirn sprach. Neben ihm stand eine Frau, die nur schwer zu schätzen war. Sah sie für ihr Alter jung aus, oder für ihre Jugend alt?

Sie ist eine Hexe und ein Teil der Ganzheit deines Selbst. - flüsterte jemand in mein linkes Ohr. Es war Thygyrill, hier Bela genannt. Ich weiß nicht, warum ich ihn erkannte.

Weil ich auch ein Teil der Ganzheit deines Selbst bin. All das hier ist Teil der Ganzheit deines Selbst. Genauso wie es auch ein Teil der Ganzheit meines Selbst ist und das aller Ganzheiten ihrer Selbste. Na, was sagst du dazu?

Nichts, denn ich kannte damals meinen Namen noch nicht. Es sollte der Name meiner Seele sein, der Ganzheit meines Selbst, was immer das auch sein soll.

Die Ganzheit des Selbst hat mir Kim viel zu oft erklärt. So oft, dass ich sie auch nicht verstanden habe. - sagt die Frau, die man nicht einschätzen kann. -Ich werde bald 62 in der Welt, in der ich mich an meine Geburt erinnern kann. Bitte, welcher Mensch kann sich an seine eigene Geburt erinnern? Schamanen erinnern sich an ihren Tod. Warum also soll es einer Hexe nicht möglich sein, sich an ihre Geburt zu erinnern? Natürlich kann ich mich nicht an meine Geburt erinnern, weil diese verdammten Neuronen zukunftsorientiert sind und weil sie das sind, erinnern sich die Menschen an eine Vergangenheit, die höchstens einen Bruchteil einer Sekunde zurückliegt.

Das ist doch alles Quatsch. Wo ist mein Drache? Wo ist Arima? Und wo, zum Teufel, befinde ich mich?

Bela lachte. Ach, du meinst, es sei so einfach? Eben schnell auf den Rücken eines Drachen steigen und schon geht es in die Luft. Nein, nein, kleines Mädchen. So einfach geht es nicht. Man muss sich erst mit seinem Drachen vertraut machen. Sozusagen eins werden mit ihm. Mit Lady Ferryin, meiner schwarzen Königin, war es verdammt schwer, weil sie eine immens eigensinnige Persönlichkeit entwickelt hat. Man weiß ja, Wesen der Anderen Seite sind anders als wir, die Wesen Dieser Seite. Sie sind keine Persönlichkeiten, aber sie können, den Wesen Dieser Seite zuliebe, eine entwickeln.

Das tun wir doch auch. Entwickeln wir denn keine Persönlichkeit?

Bela lachte. Niemals! So was steht uns nicht zu. Unsere Persönlichkeiten werden entwickelt. Und zwar durch die Außenwelt. Wäre da draußen nichts, gäbe es auch keine Persönlichkeit, kein Ego, das sich ständig in den Vordergrund drängt und uns das Leben verhunzt. Und so sage ich, dass das Huhn zuerst da war und nicht da Ei. Zuerst gibt es nur sehr präzise Dinge. Erst dann kamen die Kleinigkeiten, die eh niemand braucht.

Jetzt lachte auch die Hexe und ich sah mich im Spiegel ihrer dunkelbraunen Augen, die fast schwarz schimmerten. Ein kleines Mädchen mit braunen Zöpfen in einem blauen Sommerkleidchen mit Rüschen an den Trägern und am Saum. Ich trug weiße Lackschuhe und weiße Söckchen, die gut zu den weißen Pünktchen im blauen Sommerkleidchen passten. Hallo, geht’s noch?!

Das ist nur vorübergehend, kleine Alice. Bitte, Rotkäppchen wäre mir lieber, auch wenn ich kein rotes Käppchen trage. Vielleicht war das doch der Flug mit Sir Laurence, obwohl ich mir einen Flug auf jeden Fall anders vorstellte. Ein Flug der Sinne, den ich schlussendlich zu genießen begann. Was blieb mir sonst übrig? Ich mischte mich in alle möglichen Gruppen, hörte zu und diskutierte manchmal mit, bis ich vor dem Thron stand, auf dem Arimas Statue hockte. Und genau in diesem Moment befand ich mich wieder draußen, auf einem weichen, eher sandigen Boden. Es dämmerte leicht, diffuses Licht vor sanften Hügeln, die in der Ferne violett schimmerten. Hinter mir Sir Laurence und vor mir Arima, Ysil und Bela. Anscheinend träumte ich mich diesmal ganz von selbst in etwas hinein und wieder heraus.

In der Tat, - sagte Arima und zwinkerte mit dem linken Auge, unter dem noch immer das Muttermal lebte. Welch seltsamer Ausdruck. Ein Muttermal lebt. Ja, alles lebt. Typisch Arima. Alles lebt und alles ist gut. Ja, warum denn nicht? Ist doch eh alles Illusion. Alles bald vorbei. In hundert Jahren kräht kein Hahn mehr danach und wir schlagen uns wegen Kleinigkeiten die Schädel ein. Und dann will noch einer sagen, die Menschheit sei die Krönung der Schöpfung. Diesmal lachte Arima und in seinen wundervollen, schocktürkisfarbenen Augen stand: Alles ist gut.
 
Sich der Realität ergeben heißt, sich seinem Schatten ergeben. Nicht, dass jemand denkt, Drachen seien Schattenwesen. Die Schattenwesen sind wir. Platon hat es einst erkannt, als er seine Gefangenen in der Höhle sitzen ließ und sich plötzlich einer befreien konnte. Aber zu welchem Preis? Dort oben sind die Götter, die Mythen und unvorstellbaren Dimensionen, die wir nicht wahrnehmen können. Wir können sie nur erahnen. Phantasie? Mitnichten! Selbst sie, die Königin unter uns, ist begrenzt. Wer kann schon ein Wesen ersinnen, das weder menschlich, tierisch, noch pflanzlich ist? Ein Wesen, das keiner uns bekannten Form entspricht? Man denkt an Abstraktes. Selbst das hat Form, wie auch Farbe. Wir kommen über unsere Grenzen nicht hinaus. Hoffentlich endet sie nicht, laut Wittgenstein, mit unserer Sprache. Das, was nicht benannt werden kann, kann es nicht geben. Ist es denn wirklich wahr, dass damals die Eingeborenen die Schiffe des Columbus nicht wahrnehmen konnten, weil sie keine Schiffe kannten? Ein Schiff ist nichts, das sich jenseits jeglicher Form und Farbe befindet. Sie waren neugierig und unverdorben wie Kinder. Sie hatten noch das Vertrauen, das wir längst verloren haben. Aber was hatten sie davon? Was hatten wir davon? Die Vertreibung aus dem Paradies...

Es ist nicht einfach, alles hinter sich zu lassen. Deshalb fällt uns das Sterben so schwer. Wenn wir nur wüssten, dass all das, was wir einst hinter uns lassen werden, nur ständiger Ballast in unserem Leben war? Schon Freund Carlos erkannte es und schrieb (ob er es wirklich erlebte, kann ich nicht wissen) darüber, als er mit seinem Freund Don Juan durch die Wüste von Sonora zog.

Oh ja, ich bin belesen. Eine Welt ohne Bücher wäre, ja, was wäre sie? Im Grunde nichts anderes. Die Welt verändert sich nicht. Was sich verändert, sind meine Ansichten über sie. Oder bin ich es, die die Welt macht? Das wäre so was von überheblich. Vor allem den anderen Lebewesen gegenüber. Wir sind eh schon von lauter Feinden umgeben. Oder glaubt jemand, dass wir noch natürliche Freunde haben? Freunde in der Natur? Genau deshalb ist es so gefährlich, einen Baum zu umarmen. Man kann nie wissen, wie er uns gesinnt ist. Aber genau hier kann auch ein Fehler begraben sein. Wir vermenschlichen nämlich alles. Vielleicht ist der Baum, vielleicht ist die gesamte Natur wie Arima? Arima, der stets alles gut heißt (ja, ich weiß über meine ständigen Wiederholungen Bescheid, aber das kann nun mal nicht oft genug wiederholt werden!) und niemals verzeihen muss, weil er weiß, dass es nie etwas zu verzeihen gibt. Ihn als Vorbild zu nehmen, als Ganzheit des Selbst wahrzunehmen, kann ein unendlich langer, schwerer Weg sein. Aber was bleibt uns anderes übrig? Auf eine andere Art werden wir nie wieder einen Fuß (sei es ein geistiger!) ins Paradies setzen.

Aber zuerst müssen wir uns unserer Schatten bewusst werden. Sagt zumindest Sir Laurence. Sonst wird es nie etwas mit einem Drachenflug. Ballast abwerfen. Wie nannte es Freund Carlos? Rekapitulation!
 
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Lass es langsam angehen. Persönlichkeiten, auf die wir doch so stolz sind, lassen sich nicht so mir-nichts-dir-nichts auslöschen. - Es geht nicht ums Auslöschen, sondern ums Bewusstwerden. Menschenbewusstsein als eine Art von Kollektiv. Alle machen ein- und dasselbe Schema durch. Ob offiziell oder inoffiziell. Es ist immer dieselbe Leier. Menschenbewusstsein als eine Art von Leierkasten. Das kann es doch nicht sein! - Welche Art von Menschenleben mir vorschwebt? Die Individualität der Leuchtenden Wesen sagt mir schon zu und ihre Kraft, eine Illusion so wirklich aussehen zu lassen, dass man direkt darin leben kann. - Das Menschenleben ist nichts anderes, nur kommt die Kraft der Illusion von wo anders her. Es ist Shivas Tanz. Sobald er zu tanzen aufhört, ist die Welt so, wie sie sein soll. Er holt sich zurück, was ihm gehört. Aus ihm entwickelte sich das Universum. Aus ihm und Millionen anderer Götter, Mythen, Märchen und Sagengestalten. - Ich erinnere mich an das Plateau, das höher war als der höchste Berg im Himalaya. Kim und ich standen dort oben und blickten auf eine Märchenwelt hinab. Luzifer, Kims Zwillingsbruder der Anderen Seite, war auch da. - Das ist wirklich ein Mythos. Kim war ein Einzelkind. Erst, als er sich mit Maria für immer vereinigte und Arima genannt wurde, war er zwei in einem. - Das Eine, das nicht genannt werden kann, weil es nichts gibt, das Ihm einen Namen geben könnte. Nicht Vater und Sohn. Nicht Kim und Maria. Das Eine und Arima. Die Mythen erzählen uns alles, wenn wir nur richtig hinhören.

Zur Persönlichkeit des Menschen gehört sogar das Aussterben der riesigen Urzeitlebewesen. Sie sind ihnen sehr ähnlich und könnten sich ein Beispiel an ihnen nehmen. Seid nicht so gierig, sonst wird euch ein Komet zerstören. Kometen, Asteroiden, Planeten, Sonnen und Sterne und all das, sind Verwandte der Wesen der Anderen Seite. Nicht, weil sie länger existieren, sondern keine Persönlichkeit entwickeln. Also, haltet euch an die Urzeit, denn damals hätte es eine Wende geben können. Hier begann die Entwicklung des Außen. Die Dinos mussten ersetzt werden. Was ist da nahe liegender, als ein Lebewesen, das vermeintlich über allem steht und dennoch panische Angst vor dem Tod hat? Wer streitet dies ab? Ach, ja? Nicht ein kleines bisschen Angst? Sicher, es gibt immer Schlimmeres als den Tod. Warum sonst schreien wir bei der Geburt?

Und immer wieder weichen wir vom eigentlichen Thema ab. Was, verdammt noch mal, soll mir bewusst werden? Das wurde doch schon von Freund Carlos durchgekaut. So weit in unsere Vergangenheit zurück gehen, so weit wir uns erinnern können. Die erinnerte Erinnerung so lebhaft wie nur möglich erinnern und dabei atmen. Atme ich ein, hole ich die damals verschwendete Energie zurück, atme ich aus, geben ich die fremde Energie des erinnerten Ereignisses zurück. Das geschieht so lange, bis ich alle Energie, die ich bereits bei meiner Geburt hatte, wieder habe und durch sie ein Zauberer werden kann. Zauberer und Hexen sind doch Wesen der Anderen Seite.

Luzifer lächelt zu mir hoch. Er sieht wirklich wie Kim aus. Nur das Muttermal unterm linken Auge fehlt ihm. Das kann er einfach nicht kopieren und will es womöglich auch nicht. Shiva und Luzifer. Zerstörer und Erneuerer in einem. Sie bringen das Licht und holen es sich wieder.

Lass es raus. Erinnere dich an die Grauzonen. Sie sind die wahren Schatten. Wie hast du dich als Kind gefühlt? Man sagt, Kleinkinder träumen kein Ich. Sie sind Beobachter ohne Person zu sein. Back to the roots? Kim meinte einst, das sei unmöglich, denn niemand möchte auf die derzeitigen Bequemlichkeiten verzichten. Es habe auch keinen Sinn, an die Zeit der Dinos zu denken oder zu glauben, man hätte an der Evolution etwas ändern können. Wir sind zu klein, Herz. Das sagte schon Kim, er, mit seinem so großen Herzen. Mit dem größten Herzen aller. Und doch ist er nur ein Wächter und Hüter der Drachen. Den Wächter über das Universum haben bereits andere übernommen.

Es sind die Kleinigkeiten, die wir so gerne vergessen. Deshalb scheint die Zeit so schnell zu vergehen. Das Menschenleben ist weder ein Kollektiv noch ein Leierkasten. Es ist ein Paradoxon. Wie war da noch mal die Frage? Ist alles vorbestimmt oder haben wir den freien Willen? Unlösbar diese Frage! Und wie war das mit Gott, dem Allmächtigen? Wenn er einen Stein erschaffen kann, der so schwer ist, dass er ihn nicht heben kann, ist er dann noch allmächtig? Und wie war das mit dem Klatschen einer Hand? Welch Geräusch könnte man da hören? Gar keines. Nichts. Weil all das nur ein flüchtiger Gedanke ist. Weil all das nie, wirklich nie, passiert ist. Und selbst das erscheint paradox und kaum verstehbar, wenn man an den Kurs in Wundern denkt. Man darf ihn nicht denken, den Kurs, sonst ist man aufgeschmissen. Ganz ehrlich? Der alte indische Advaita-vedanta ist mir lieber. Aber darauf kommt es nicht an. Nicht auf meine Vorlieben, sondern endlich das Bewusstwerden der Grauzonen, der wahren Schatten.

Da unten laufen sie herum. Arima und ich starren hinab in eine Welt, die gar nicht so unbeschreiblich ist. Die Wesen der Anderen Seite sind ja keine Unwesen (abgeleitet von Unmenschen). Sie passen sich uns an, damit wir mitunter auch miteinander kommunizieren können. Schau mal, Arjuna ist sogar unter ihnen und neben ihm der Wagenlenker, mein Lieblingsgott aus den hinduistischen Gefilden. Er schafft es, Arjuna gute Ratschläge zu geben und zugleich mit seinen vielen Mädchen Scherze zu treiben. Wenigstens hat er Humor und ist kein so eifersüchtiger Gott, der von seinen Anhängern haben will, dass er der alleinige und einzige Gott sei. Wie viele Mythen wurden dadurch zerschlagen! Wie viele Hexen verbrannt! Und nur wenige waren echt. Das waren jene, die nicht geschrien haben, weil sie keine Schmerzen empfanden. Wesen der Anderen Seite leiden nicht. Und wir Narren haben uns von ihnen losgesagt, als sich die Eine Energie getrennt oder nicht getrennt hat. Träumen wir nur? Der Schmetterling träumt sicher, er sei Zhuang Zhou, aber Zhuang Zhou würde niemals träumen, er sei ein Schmetterling, auch wenn er dies behauptete. Genau das ist es, kleine Alice! Beschäftige dich mit dem ganz Anderen. Sei paradox, bewusst paradox. Kontrollierte Torheit ist hier gefragt. Male Bilder aus Sand. Bau Statuen aus Eis. Male bunte Blumen auf Gehsteige und Straßen. Verliebe dich in eine Pusteblume. Erkenne die Vergänglichkeit in allem. Sei diese Momente und lass dich selbst ziehen.

Alles schon da gewesen und wenn es uns weiterhelfen würde, wären wir längst wieder im Paradies. Wenigstens im Paradies, wenn nicht in der Einheit, die kein zweites kennt. Es gibt kein Allerheilmittel. Religion ist Opium fürs Volk und alles andere ist Verunsicherung, geistige Vergewaltigung, Kopfwäsche oder so. Denk selbst und erkenne, dass nicht denken die bessere Variante ist. Leben und schauen, was da kommt. Und nicht vergessen: Alles ist gut. Immer wieder: Alles ist gut.
 

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