Quer durch Irland - damals zu Beginn der Unruhen

Mellnik

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Es war im Januar 1969, als ich auf einer Reise per Anhalter quer durch Schottland auch in das Hafenstädtchen Stranraer kam.

Jene Reise alleine und per Anhalter quer durch Schottland mitten im Winter damals wäre auch mal erzählenswert.

Ich glaube, ich war damals im Januar 1969 der einzige, der auf diese Art durch Schottland reiste.

In England hatte man mich gewarnt: "Niemand reist im Winter nach Schottland!"

Ich war dann dieser Niemand, und reiste sogar im Winter 1969 nach Nord-Irland.
Und dann auch noch weiter nach Dublin.
Alles per Anhalter.
 
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Vom schottischen Stranraer aus fahren die Fähren nach Nordirland, wie ich dort sah.
Und so beschloss ich "on the spur of the moment" - spontan also - einfach da mal mitzufahren.

Als Student kann man so etwas noch leichter tun.

Natürlich war ich auch sehr gespannt auf Irland, nicht nur auf die Schiffsfahrt.
Meine Fähre war etwas klein .... und das Meer war wild!
Ich bin ja schon öfters mit der Fähre von Frankreich oder Belgien aus nach Südengland gefahren, ohne jemals seekrank zu werden.
Diesesmal aber erwischte es mich - zum bisher einzigen Mal im Leben.

Die Irische See ist eben doch wilder als der Englische Kanal.

Übrigens, um einmal vorzugreifen: 1982 fuhr ich dann mit meiner Frau in umgekehrter Richtung, von Irland nach Schottland.
Und ein paar Wochen später las ich dann in der Zeitung, dass genau die Fähre, die wir damals genommen hatten, nun gesunken war! Da wird es einem im Nachhinein noch etwas schaurig!


Zu meiner Seekrankheit: Es war genauso, wie man immer liest: Mir war sterbensschlecht. Doch genau in dem Moment, als ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, war diese Krankheit wie weggeblasen. Eine be-eindruckende Spontan-Heilung!

Es war in Larne, wo die Fähre anlegte: "Welcome to Larne, County Antrim, Northern Ireland!"

Und von dort aus fuhr ich dann wieder per Anhalter nach Belfast, der Hauptstadt von Nordirland.
Mitten hinein in den beginnenden Bürgerkrieg ....
 
In Belfast nahm ich mir dann ein einfaches Zimmer in einem Guest House.

Belfast war damals eine an der Oberfläche friedliche, fast verschlafene Stadt.

Aber eben nur an der Oberfläche friedlich.

In Nordirland beherrschte eine Zwei-Drittelmehrheit von Protestanten eine Ein-Drittelmehrheit von Katholiken mit recht unfairen Methoden.

Das Wahlrecht war nach Einkommen gestaffelt. Eine Person konnte bis zu 12 Stimmen haben - und es waren fast immer die Protestanten, die in diesen Genuss kamen.

Die Polizei war fast ausschließlich protestantisch. Eine "Religionspolizei", sozusagen.

Die Firmen-Chefs waren fast alle Protestanten. Und sie stellten im Normalfall auch nur Protestanten ein. Katholiken nur dann, wenn sich absolut kein Protestant für diese Arbeit finden ließ.

Gegen diese Ungerechtigkeiten kämpfte eine Bürgerrechstbewegung an, mit damals noch friedlichen Mitteln.

Heldin dieser Bewegung war ein sehr engagierte mutige junge Frau, deren Name sich mir seit damals eingeprägt hat: Bernadette Devlin.

Sie wurde mit Jeanne d' Arc verglichen.
 
Meinen ersten Eindruck von der Spaltung des Landes bekam ich dadurch, dass ich einfach in das Gästebuch des Guest Houses schaute, in dem ich wohnte - in die Rubrik "Nationalität".

Eine nord-irische Nationalität gab und gibt es ja nicht.
In dieser Rubrik stand entweder: British. Dann war das ein protestantischer Nord-Ire.
Oder: Irish. Dann war das ein katholischer Nord-Ire.
 
In den nächsten Tagen hatte ich dann die Gelegenheit, bei meinen Per-Anhalter-Fahrten qur durchs Land mal mit der einen, mal mit der anderen Seite zu sprechen und ihre Ansichten zu hören.

Drei solche Fahrten sind mir noch besonders in Erinnerung.
 
Nun erzähle ich von diesen drei Fahrten:

Fahrt eins

Hier war es ein Protestant, der mich mitgenommen hatte.

Im Gespräch ging es um das eventuell bevorstehende Eingreifen der Britischen Armee in den Konflikt. Im Januar 1969 war ja damals noch kein einziger britischer Soldat auf nordirischem Boden.

Allgemein wurde erwartet, dass die Britische Armee zum Schutz der katholischen Minderheit vor Übergriffen der protestantischen Mehrheit nach Nordirland käme!

Anfangs war das wohl auch so .... Aber dann wendete sich das Blatt.

Mein protestantischer Gesprächspartner war jedenfalls hell empört über die Ausssicht, dass die Britische Armee ins Land käme. Er vermutete sie voll auf Seiten der Katholiken.

Und für diesen Fall würde er nach Amerika auswandern, sagte er!
 
Fahrt zwei

Diesmal war es ein Katholik, der mich mitnahm.

Er war auf der Fahrt zu einem Vorstellungsgespräch für einen eventuellen Job.

Große Chancen rechnete er sich nicht aus, wie er mir sagte.

Denn die Firma war in protestantischem Besitz, und die würden Katholiken nur im äußersten Notfall einstellen.

Ich fragte ihn, wie man in der Firma denn herausfinden würde, ob er Katholik oder Protestant sei.

"Steht das im Ausweis? Oder fragt man Sie da direkt danach?"

Er erklärte mir: "Sie fragen nach der Schule, die man besucht hat."

Ein verständliche Frage, einerseits.

Doch da in Nordirland so gut wie alle Schulen konfessionell getrennt sind, ist daran auch meist zu erkennen, ob man einen Katholiken oder einen Protestanten vor sich hat.

Mal ein erfundenes Beispiel:

Heißt die Schule "Saint Mary", ist sie sicher katholisch.

Heißt sie "King William", ist sie sicher protestantisch.

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Ich wünschte meinem Gastgeber am Ende der Fahrt viel Glück.

Er war pessemistisch.

Und ich auch.

Ob er wohl den Job damals bekommen hat?

Ich werde es nie erfahren ......
 
Fahrt drei

Ein junger Katholik hatte mich da mitgenommen, der begeistert davon erzählte, wie sich nun da und dort Widerstand gegen die Polizei regte.

Zur Erinnerung: Die Polizei (RUC = Royal Ulster Constabulary) war ja in Nordirland damals fast rein protestanisch - und bei Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten nicht unparteiisch.

Voller Stolz fuhr er mit mir einen Umweg, um mir die Stelle zu zeigen, wo vor kurzem ein Polizeiwagen in Brand gesetzt worden war.

Damals noch eine Sensation! Eine Premiere!

Später dann Alltag .....

Es war in einer ruhigen Kleinstadt, wo er mir dann die Stelle zeigte. Das verbrannte Auto war schon weg, doch ich konnte noch sehen, wie sich geschmolzenes Metall in den Asphalt eingebrannt hatte.

Dieses Bild habe ich noch deutlich vor mir.

Wie ein Symbol für die danach immer stärker werdenden Unruhen .....
 
Nun ein kurzer Abstecher nach Süden. Immer noch im Jahre 1969.

Selbstverständlich war ich auch neugierig auf die Republic of Ireland.
Ich fuhr also auch nach Dublin und verbrachte dort ein paar Tage.

Doch da das Thema hier ja "Nordirland" heißt, möchte ich hier nur kurz zwei Dinge nennen, die mir als besonders merkwürdig auffielen:

1. Die vielen Palmen!

2. Die Hakenkreuz-Wäscherei! Das ist kein Witz! In Dublin gab es damals eine "Swastika Laundry", deren Lieferwagen mit einem großen Hakenkreuz-Logo geschmückt durch Dublin fuhren. Mit Nationalsozialismus hatte das aber gar nichts zu tun. Diese Wäscherei war gegründet worden zu einer Zeit, als Herr Hitler aka Herr Schicklgruber (wie die Angelsachsen und Iren ja gerne sagen) in der Welt noch völlig unbekannt war. Doch könnt ihr euch vorstellen, wie so etwas auf einen Deutschen wirken muss!

Doch leicht merkwürdig ...
Schnell eine Erklärung dazu - auf englisch:

The Swastika Laundry was an Irish business founded in 1912, located on Shelbourne Road, Ballsbridge, a district of Dublin. Its name and logo caused consternation.

The laundry was founded by John W. Brittain (1872–1937) from Manorhamilton, County Leitrim, who was one of the "pioneers of the laundry business in Ireland", having founded the Metropolitan and White Heather Laundries in 1899. He was also the owner of a famous horse called Swastika Rose which was well known "to frequenters of the Royal Dublin's Society's Shows".

The use of the Swastika name was as an ancient Indian symbol of good luck: its name originates from the Sanskrit svastika

https://en.wikipedia.org/wiki/Swastika_Laundry

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Doch denke ich gerne zurück an meinen ersten Besuch in Dublin, als diese Stadt eher noch etwas verschlafen und gemütlich wirkte, im Gegensatz zu dem hektischen Dublin von heute.
 
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Nun ein Sprung ins Jahr 1979.

Diesmal ging ich den umgekehrten Weg. Ich verbrachte zwei sehr schöne Wochen in Dublin und Umgebung, bei einer Wanderung in den Wicklow Mountains, und einer Anhalter-Reise in den Süden und Westen der Insel.

Und dann fuhr ich noch per Eisenbahn nach Belfast. Dort traf ich einen ganz andere Stadt an als 1969.

Jetzt konnte man dort wohl schon von Bürgerkrieg sprechen, obwohl im englischen Sprachgebrauch etwas verharmlosend immer nur von den "troubles" die Rede ist. Ein kleines Understatement, meine ich.
 
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