Erdkröte;3199926 schrieb:
Hallo zusammen,
habe hier einen interessanten Artikel gefunden bezüglich der Bewertung menschlichen Verhaltens, wer ist wann als krank oder noch normal zu definieren und wer gewinnt bei immer neuen Krankheitserfindungen.
So wie ich das selber in einer Schule erlebe, seit die Belegung/Beurteilung von Kindern mit ADHS-Sydrom vereinfacht wurde - wird mit Medikamenten wie Ritalin nur so um sich geworfen. Gesellschaftliche Problemlösung mit Psychopharmaka, wo soll dieser Ansatz hinführen ?
Erinnert mich ansatzweise an Aldous Huxley's "Schöne neue Welt"
Wie denkt ihr darüber ?
Hier der Link:
www.taz.de/1/zukunft/wissen/artikel/1/psychiatrie-fuer-alle/
LG Siegmund
Ich habe auch schon von vielen Stellen gehört, dass die Diagnose AD(H)S inflationär gebraucht wird. Was aber komisch ist, dass es es zwar differentialdiagnostisch betrachtet noch weitere Störungen gibt, die in Frage kommen könnten, diese aber seltener vergeben werden.
ADS wird häufiger vergeben als z.B. tiefgreifende Entwicklungsstörung.
Und diese Aussage vom schweizer Psychiater:
"Wir wissen noch zu wenig über die Ursachen von psychischen Störungen, um individuelle Medikamente entwickeln zu können." ist billige Hochstapelei.
Gleiche Ursachen müssen nicht zu gleichen Symptomen führen, von daher spielt die Art der Entstehung der Krankheit für das Medikament keine (wichtige) Rolle.
Ich befürchte, dass (wie bei vielen anderen Sachen), auch hier das Geld entscheidend ist. Es kann doch kein Zufall sein, dass ausgerechnet F33.1 (oder.2) so häufig vergeben wird (rez. depr. Störung, ggw. leichte Episode oder etc.) Ich kenne Patienten, die zusätzlich und sehr eklatant andere Auffälligkeiten haben --> und trotzdem steht als Diagnose
F33.2. Warum werden wohl
"exotische" Diagnosen (wie beispielsweise die Depersonalisationsstörung) so viel
seltener (wenn überhaupt) vergeben ? Weil sie tatsächlich seltener vorkommen ? Das zwar auch, aber hauptsächlich, weil es anscheinend bequemer ist, immer wieder die gleichen Diagnosen zu stellen. Das sind eher politisch-ökonomische Entscheidungen. Von der Diagnose hängt ein bisschen die Art der Intervention ab, wer möchte schon
teuere Therapien ? Also macht man es sich leicht, indem man immer wieder z.B. F33 vergibt und hat dann seine Ruhe
Ausserdem denke ich sowieso, dass das alles so relativ ist... Auch Störungen sind meiner Meinung nach stark systemabhängig, also abhängig von der sozialen Umgebung. Andere Kulturen würden nicht von einer histrionischen PS sprechen, wenn man sich seltsam kleidet, bzw. würde man hier als gestört gelten, wenn man so "rumläuft" wie in Zambia z.B.
Es spricht ausserdem für sich, dass bestimmte Kodierungen in alten Versionen enthalten waren, während sie in neuen aufgegeben wurden. Ein Beispiel: Im DSM III (glaube ich) galt die
Homosexualität als Störung, im Sinne einer
Paraphilie, unter dem Kapitel "Sexuelle und Geschlechtsidentitätsstörungen". Im DSM-IV ist gibt es diese Störung nicht mehr. Anderes Beispiel: die
Narzisstische PS- in der II. Version galt es als Störung, im der III: Fassung wurde diese Kodierung aufgegeben, und jetzt in der IV. ist es wieder da ?? Sind also alle Menschen, zwischen der II. und IV. Version des DSMs nicht mehr narzisstisch gewesen, seit 1994 dann also doch wieder.

Ich denke das hat leider viel mit politischen Entscheidungen zu tun. Es hat triftige Gründe, zu welchem Zeitpunkt, welche Diagnose auf welche Art und Weise gestellt werden kann. Letzten Endes entscheidet immer der mächtigere was richtig ist und was falsch- also die Regierung.