Pädagogik - Welche Form brauchen wir an unseren Schulen ? Drill oder Emphatie ?

Erdkröte

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NRW
Hallo zusammen,

gerade befasse ich mich gerade mit dem Thema Lehrergewalt und "Schwarzer Pädagogik" an unseren Schulen, aus persönlichen Gegebenheiten, aber auch der Fall Frau Sarrazin wirft ein weiteres Licht darauf.

Wie soll Bildung in unseren Schulen vermittelt werden ? Mit Drill und Bestrafung (bestenfalls einfach Autoritär, schlechtestenfalls mit Druck, Anbrüllen, Lächerlich machen, negative Bewertungen) oder Einfühlungsvermögen, positiver Motivation, Gewaltfreiheit (auch in der Sprache) Selbstreflektion ?

Was tun bei immer mehr ADHS-Schülern die Lehrer in Grenzbereiche pädagogischen Handelns führen ?

Ich freue mich auf eine lebhafte Diskussion

LG Siegmund
 
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... am besten mit Lehrern die ihren Beruf gerne machen, in der Lage sind einen Draht zu den Kindern und Jugendlichen zu finden, die eine Natürliche Autorität ausstrahlen und es nicht nötig haben, agressiv zu reagieren, die in der Lage sind, Interesse zu wecken und unterrichtsstöhrungen gekonnt und eventuell mit Humor zu unterbinden...
 
Autoritär sein ist sehr wichtig, aber nicht alles.

Unser Physiklehrer im Gymnasium war ein relativ fähiger Lehrer. Er hat es gut geschafft, auch die größten intellektuellen Dumpfbacken und Sesselpupser ein bisschen für die Wissenschaft zu interessieren (Betonung liegt auf: ein bisschen).
Erstens übermittelte er das Gefühl, ein gewisses Genie zu sein (sein Ruf eilt ihm voraus, er hat vor einiger Zeit bei der Millionenshow mal innerhalb von etwa 20 Minuten zwei Drittel der Fragen durchgepeitscht und ist mit einer Viertelmillion oder so ausgestiegen), und er kennt sich in seinem Fach super aus. Dann verarschte er uns immer ein bisschen und machte viele fiese Witze voller schwarzem Humor. Er verband den Stoff so oft es ging mit dem echten Leben und versuchte uns so begreifbar zu machen, dass Naturwissenschaft überall rund um uns herum ist.

Eine große Motivation war, dass man ihm beweisen wollte, dass man clever ist und den Stoff verstand. Bei seinen Prüfungen durfte man regelmäßig die Skripten verwenden, er meinte dazu achselzuckend: "Wer's nicht verstanden hat, dem bringt das Skript auch nichts" - seine Prüfungen waren zu 80% auf reines Verständnis aufgebaut, also einfach für diejenigen, die aktiv im Unterricht mitgearbeitet haben und irre schwer für die, die im Unterricht schlafen und einen Tag vor der Prüfung schnell das Skriptum durchackern. Guter Lehrer.
 
Hallo FIST,

... am besten mit Lehrern die ihren Beruf gerne machen, in der Lage sind einen Draht zu den Kindern und Jugendlichen zu finden, die eine Natürliche Autorität ausstrahlen und es nicht nötig haben, agressiv zu reagieren, die in der Lage sind, Interesse zu wecken und unterrichtsstöhrungen gekonnt und eventuell mit Humor zu unterbinden...

Ja das wäre ideal. Nur was machen mit den Lehrern die das nicht können oder werden wollen und davon gibt es in Brandenburg sehr viel, vorallem viele ältere Lehrer aus DDR-Zeiten. Die kann man ja nicht einfach austauschen, denn es gibt ja auch kaum junge Lehrer die nach Brandenburg wollen.

Hallo Tarbagan,

wie defnierst Du Autoritär ?

Er hat es gut geschafft, auch die größten intellektuellen Dumpfbacken und Sesselpupser ein bisschen für die Wissenschaft zu interessieren (Betonung liegt auf: ein bisschen)

Wichtiger Satz, genau so denken viele Lehrer von ihren Schülern. Verarschung und schwarzer Humor, ich nenne es Ironie, sind eine Folge davon.

Nur daraus ergeben sich andere spannende Fragen. Um was soll es im Unterricht gehen. Vermittlung von intellektuellem Wissen oder auch sozialen, emotionalen und/oder gar emphatischen Begreifen.

Daraus ergibt sich die grosse Frage, wie wollen wir zukünftig leben in unserer Gesellschaft ?

Ganz spannender der Bereich mit dem ich zugange bin ADHS, Autismus. Komisch würden die Lehrer mit denen ich zu tun habe den biologischen Hintergrund davon wirklich begreifen und nicht nur mal etwas über den Intellekt gehört zu haben, wären sie vielleicht eher in der Lage Wissen auch hier anders zu vermitteln und sich einzufühlen. Na ja ein Ideal.

LG Siegmund
 
Mir persönlich hat der klassisch einseitige Frontalunterricht wenig zugesagt. Wir hatten einen tollen Lehrer, der zwischendurch alles beiseite legte um uns in “Lebensschulung” - so nannte er es - zu unterrichten. Die Voraussetzungen, dass dies überhaupt angenommen wird und fruchtet hängt nicht nur von der Lehrperson selber, sondern natürlich auch von den Schülern ab. Einige konnten wenig bis gar nichts damit anfangen und haben diese Lektionen regelmässig gestört. Andere wiederum haben durch aktive Teilnahme alle Anwesenden herausgefordert. ;)

Ich denke es ist nach wie vor wenig sinnvoll, die Kinder zu kategorisieren und separieren. Von verschiedenartigen Lernformen profitieren idR alle. Das hab ich selber in Amerika miterlebt, wo Menschen mit (leichteren und schwereren) Behinderung im exakt gleichen Klassenverband unterrichtet wurden, zT noch mit einem extra Trainer dazu.

So etwas zu realisieren erfordert nun mal viel mehr von einem Lehrer, als bloss stur seinen Stoff durchzupauken, den er seit Jahren und Jahrzehnten in gleicher Form durchzieht. Man muss individuell fördern, nicht über- oder unterfordern und die richtige Balance finden zwischen Hilfestellung und selber etwas erarbeiten.

Gesellschaftlich gesehen denk ich nicht, dass sich hierzulande so etwas im grösseren Stil umsetzen lässt. Die grosse Masse lebt doch in diesem Multiple Choice / richtig oder falsch-Denken. Da zählt reines Auswendiglernen der Materie mehr, als die kreative Auseinandersetzung damit und das Verknüpfen derselbigen.
 
Noch was: Genauso wie die individuellen Lernprozesse, müssten auch die Prüfungsvefahren angepasst werden. Gängige Bewertungsmethoden sind Tabellen mit Anzahl erreichter Punkte, die dann der jeweiligen Note entsprechen. Oder aber zB. im Kunstunterricht wird der Klassenbeste zum Massstab auserkoren.
Ein empathischer Lehrer, der seine Schüler einzuschätzen vermag, kann abschätzen, wozu jemand im Stande ist und demzufolge “fair” beurteilen.
 
Erdkröte;
als "autoritär" bezeichne ich, dass der Lehrer so ein Wesen hat, dass die Schüler die Klappe halten, wenn er wirklich will, dass sie die Klappe halten. Wir hatten nen Französischlehrer, der war echt gut, hat uns viele Filme gezeigt und immer Diskussionsrunden auf Französisch gestartet, aber wir haben alle NICHTS gelernt, weil er keine Autorität hatte - es hat einfach niemand aufpassen wollen, weil er sich nicht imstande sah etwas dagegen zu tun, wenn wir einfach nichts machten.
 
Definition Autorität nach wiki:

"Autorität ist im weitesten Sinne eine soziale Positionierung, die einer Institution oder Person zugeschrieben wird und dazu führt, dass sich andere Menschen in ihrem Denken und Handeln nach ihr richten. Sie entsteht (durch Vereinbarungen oder Herrschaftsbeziehungen) in gesellschaftlichen Prozessen (Lehrer/Schüler, Vorgesetzter/Mitarbeiter) oder durch vorausgehende Erfahrungen (von Entschlusskraft, Kompetenz, Tradition, Charisma oder Offenbarung). "

Eben das sollte halt nicht passieren. Diese Machtstrukturen halte ich für überholt- nämlich das Menschen von Kindesbeinen an auf Autoritätshörigkeit getrimmt werden und so keine eigenes Selbst- und Meinungsbild entwickeln können. Diese Strukturen wirken dann im Erwachsenenalter weiter und schaffen Gehorsam- und Abhängigkeitsverhältnisse. Es kann doch nicht darum gehen Kindern Wissen zu indoktrinieren(aufzuzwingen), finde es wichtig Kinder dazu anzuleiten mündig zu werden- also ihr Selbstbewusstsein zu stärken.Wäre halt ein Konzept, dass den Individualismus eher fördert. Ach- wäre das schön, das wäre eine Gesellschaft. Leider ist unsere Gesellschaft nicht so strukturiert. Bin für viel freiere Strukturen.
Im Idealfall ist ein Pädagoge auf seinem/ihren Gebiet kompetent, sodass die Schüler von dem Wissen partizipieren können- sollte eine Basis sein(Anregung)-worauf dann wieder aufgebaut wird und eigene Ideen entwickelt werden. Also eine kreative-spielerische Wissensvermittlung.
 
Meine damaligen Lehrer hatten m.E. noch ein Berufsethos. Viele von ihnen fühlten sich wirklich als Lehrer berufen. Manche von ihnen waren zwar autoritär, aber in einem guten Sinne: Sie forderten Leistung. Aber sie waren auch ein Vorbild an Leistung. Immer pünktlich. Nie krank. Die Hefte der Kinder waren umgehend korrigiert und nicht erst, wie heute, 5 Wochen später. Manche von ihnen hatten auch sehr viel Herz, nahmen Anteil an den Kindersorgen- und nöten.

Die heutigen Lehrer, die ich durch meine Kinder kennenlernen "durfte", sind durch die Bank weg unfähig, meistens wütend oder sauer. Die einen haben kein Rückgrat, die anderen kein Herz. Eine große Gruppe von Dummköpfen, die den Beruf wohl ergriffen haben wegen der Pension, die später winkt und nicht, weil lehren - im besten Sinne des Wortes - ihre Berufung ist. Wo soll das also hinführen?

LG
Juppi
 
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Eigentlich haben wir hier mehrere Fragen:

a. Was macht ein gutes Schulsystem aus?
b. Was macht guten Unterricht aus?
c. Was macht einen guten Lehrer (Lehrerpersönlichkeit) aus?


Ad Schulsystem:
Ich hab neulich einen Bericht über eine innovative Schulen gesehen, die von diesem "Bringschuld"-System abkommen ist, hin zu einem "Holschuld"-System, wobei 'Schuld' ja kein angemessener Begriff ist. In Wirklichkeit geht es darum, dass die SchülerInnen selbst bestimmen, was sie gerade lernen wollen. Die Organisation solch eines Schulsystems ist natürlich ein große Herausforderung und stellt hohe Ansprüche an die Lehrkraft. Diese muss flexibel auf die Bedürfnisse der SchülerInnen reagieren können und den ganzen Schultag verfügbar sein. Außerdem war es möglich, dass SchülerInnen gemeinsam in Kleingruppen gelernt haben ... sogar über mehrere Schulstufen hinweg. Da hat ein sehr kluger jüngerer Schüler einem älteren Mathe-Nachhilfe gegeben :) ... von diesen innovativen Schulkonzepten könnte man sich schon etwas abschaun. Je mehr auf freiwilliger Basis gelernt wird, desto besser ist das aus motivationaler Sicht: Ihr könnt das lernen. Macht davon selbst Gebrauch.

Ad guter Unterricht:
Ich bin ja selber im Bildungsgeschäft (Erwachsenenbildung) und erlebe da immer wieder, wie der große Ehrgeiz beim selbständigen Arbeiten ausbricht :) Sehr viel hängt von guten Aufgabenstellungen ab, mit denen die Lernenden konfrontiert werden, aber auch vom Erfolgsgefühl, etwas selber zusammen gebracht zu haben. Frontalunterricht muss keineswegs schlecht sein, aber er darf nicht die ganze Stunde ausfüllen. Er darf nur die Vorbereitung zum selbständigen Lernen (Lernaufgaben) sein :)

Eine Studie hat außerdem gezeigt, dass die Mehrheit der SchülerInnen nicht weiß, warum sie etwas lernt. Wie motiviert wird jemand sein, der den Nutzen der Lerninhalte nicht erkennen kann? Deswegen muss die Relevanz von Lerninhalten (Lernziele) klar und verständlich kommunziert werden z.B.: "Ihr benötigt dieses Wissen, um ... zu können. In der Praxis ... usw."

Ad Lehrerpersönlichkeit:
Je erwachsener/selbständiger die Lernenden werden, desto weniger Autorität wird man brauchen. Gegenseitiger Respekt ist ganz wichtig und eine klare Linie. In der Pädagogik gibt es die beiden Gegensätze "logotrop" und "paidotrop" zwischen denen sich die Lehrerpersönlichkeit befindet. Das erste ist vereinfacht gesagt ein totaler Sachmensch, Experte und Fach-Fanatiker. Und das zweite ist eine Lehrerpersönlichkeit mit höheren sozialen Ausprägungen und Interesse am Schüler selbst.

lg
Topper
 
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