Liebe Mitleser,
ich möchte hier noch auf eine - vielleicht unbewusste, vielleicht auch gezielte - Art der (Selbst-?)Suggestion eingehen:
Das Wesentliche an den "kritischen" Texten sind m.E. die unterschwelligen Bilder, die mitels der hypnotischen Anekdoten-Technik über eine (fiktive) "Freundin einer Freundin" in den Hirnen des Lesers installiert werden. Milton Erickson wäre stolz:
Stellt Euch einmal vor, Ihr seid mitten in einer Aufstellung ...
= erste hypnotische Tranceinduktion und Eröffnung des ersten hypnotischen Frames
plötzlich kommt heraus, dass just die Person, die Ihr darstellt z.b. ein schweres Verbrechen an Jemandem, vielleicht an der Hauptperson (nennt man das so?) begangen hat.
= Auslösung eines emotionalen Schocks (Zumindest der Versuch dazu) und Induktion von Verwirrung. Dies macht den Leser bereit und offen für die erste Suggestion.
So! Und nun? Wie darf die aufgestellte Person damit klar kommen? Bekommt sie Hilfestellungen seitens der Veranstalters, oder wird sie einfach nur nach Hause geschickt?
= Erhöhung der Verwirrung und rhetorische Fragen im Stakkato. Einzig mögliche Antwort auf selbige ist: "Ich fühle mich allein gelassen und hilflos, ja werde sogar gelich in diesem Zustand nach Haus geschickt."
Erste Andeutung, dass es Zeit ist, empört zu sein. Es bleibt ein hilfloses Gefühl des Lesers, der ja im Geiste in einer Aufstellung in der Rolle eines Verbrechers steht und regrediert in seine Hilflosigkeit.
Ich komme darauf, weil eine Bekannte einer Freundin von mir nach einer Familienaufstellung völlig verstört wiedergekommen ist, den Mund nicht aufbekommt über das, was da abgelaufen ist und ihren Alltag nicht mehr auf die Reihe bekommt ...
= Eröffnung eines weiteren Geschichten-Frames mit implizitem Future-Pacing (= Zukunftsentwurf). Unterschwellig suggerierte Botschaft an den Leser (der ja noch mit seinen vom Autor installierten kindlichen Hilflosigkeitsgefühlen in der Aufstellung steht):
"Wenn du in eine Familienaufstellung gehst, wirst du hinterher völlig verstört sein, den Mund nicht aufbekommen und vor allem deinen Alltag nicht mehr auf die Reihe bekommen. Ergo: du wirst psychotisch sein!"
Nun lässt der Autor andere Stellung nehmen und steigert das in seinem weiteren Beitrag mit dem neuen Geschichten-Rahmen über die Freundin:
Meine Freundin war bei der Aufstellung nicht dabei und sie schreibt hier nicht, weil sie:
1. Nicht so prima mit dem Internet/Rechner umgehen kann
= Suggestion: "Schau, lieber Leser, sie ist wie du. Sie fühlt sich (in Bezug auf Rechner und Internet zwar aber für dein Unbewusstes egal) ebenso inkompetent, wie du gerade." Dem Leser wird eine neue Identifikationsfigur angeboten, die zumindest mal nicht in der Aufstellungssituation bzw, den bereits suggerierten Kindgefühlen steht.
Der Leser nimmt das Angebot gerne an, weil es eine Lösung seiner Spannungsgefühle anbietet und er sich von der Rolle dissoziieren kann, in die er vorher gebracht wurde und die mit unangenehemen Gefühlen verbunden war.
Und diese neue Identifikationsfigur:
... hatte mir vor Jahren einmal die Familienaufstellung als heilendes Mittel dargestellt und mir für mich ans Herz gelegt.
= "Ja", denkt sich der geneigte Leser: "das würde ich auch tun. Das könnte ich sein."
Nun Perspektivenwechsel und Kamera auf die arme verwirrte Person aus der Aufstellung:
Ich lehnte ab, da ich mir in sekundenschnelle das für mich worst case scenario (Beschrieben im ersten Posting von mir zu diesem Thema) überlegt hatte.
= Suggestion an den Leser, sich nun noch einmal selbst in diesem Szenario zu visualisieren. Technisch stellt dies den aufgirff und Abschluss des ersten Geschichtenrahmens dar. Und nun kommt die vorbereitete Suggestion des einzig möglichen Schlusses aus dem Erlebten,...
Nun hat auch sie erkannt, dass es eventuell doch ein wenig gefährlich werden könnte und denkt darüber nach.
... die der Leser (in der Rolle der Freundin, welche eine Aufstellung angeraten hat) nur nachvollziehen können muss! Welches Ende das "darüber-Nachdenken" nur haben kann ist hier nicht mehr in Frage. Dies zumal, als zunächst nur von "ein wenig gefährlich werden" gesprochen wird. Zustimmung beim Leser und Abschluss eines weiteren Geschichtenrahmens.
Nun ist es Zeit, eine weitere Suggestion zu platzieren:
Aber wenn man seinem Alltag nicht mehr nachkommen kann ... da fängt es für mich an sehr sehr gefährlich zu werden.
= neuer Geschichtenrahmen über eine Person, die ihren Alltag nicht mehr regeln kann und Suggestion: "Du wirst deinen Alltag nicht mehr nachkommen!" und "Es wird sehr sehr gefährlich in deinem Leben werden!" sowie: "dies ist eine Folge jeder Aufstellung."
Der Leser erkennt das schon lange nicht mehr als Suggestion. Die Gefahr ist nun sanft bis ins Unermessliche gesteigert worden - was dem Leser in Trance nicht auffällt.
Und nun kommt das Furioso:
Heilsam ist es nicht, wenn man irgendwann z.b. auf der Strasse sitzt!
= erneuter Geschichtenrahmen, dessen Ende der Leser selbst konstruieren muss und Induktion an den Leser, der durch die Verwendung des Präsens wieder in diese Rolle des verzweifelten obdachlosen Aufstellungsteilnehmers assoziiert wird: nun sitze ich auf der Straße! Durch die Assoziation in diese Situation der Obdachlosigkeit wird Angst mobilisiert und die mit der Situation noch verbundenen Gefühle von Panik etc.
Und woher kommen die? Natürlich: sie sind Folge der Teilnahme an einer Aufstellung.
Was will der Autor also dem Leser nahelegen?
"Wer an Aufstellungen teilnimmt muss damit rechnen, dereinst auf der Straße zu landen". Wird er dort sterben? Durch das offene, vom Leser zu fantasierende Ende wird Todesangst mobilisiert und mit der Vorstellung in eine Aufstellung zu gehen geankert.
So ist die Struktur der Manipulation.
Was denkt das Unbewusste nun? "Aufstellungsteilnahme = Tod in Obdachlosigkeit".
Brillant gemacht! Chapeau!
So ist die Struktur der Manipulation.
Christoph