Meine Besuche bei der Frauenkirche zu Dresden

Mellnik

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Meine Besuche bei der Frauenkirche zu Dresden

Hier möchte ich demnächst nach und nach meine persönlichen Erfahrungen oder Begegnungen mit der Frauenkirche zu Dresden erzählen.

Ich habe sie in sehr verschiedenen Stadien gesehen und erlebt:

1978 .... 1994 ... 2002 .... und 2006 ...

Und jedesmal im Zusammenhang mit anderen Menschen.
 
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Ich beginne mit dem Jahre 1978.

Damals besuchte ich zusammen mit einer Kollegin das schöne Dresden - oder was von ihm noch übrig ist.

Wir logierten in einem Interhotel namens Newa.

Inzwischen habe sich sich diese eher sozialitisch-sowjetischen angehauchten Namen jener Hotels geändert. Es gehört nun einer französischen Hotel-Kette.

Von der Frauenkirche war nur ein Schutthaufen zu sehen, und der Rest eines Fensterbogens.


Und nach Lage der Dinge sollte das auch für alle Ewigkeit so bleiben, als Mahnmal.

Doch: Nichts ist ewig.

Auch ein Schutthaufen nicht, glücklicherweise.
 
Nun komme ich zum Jahre 1994.

Diesmal war ich in Dresden mit meinem neunjährigen Sohn.

Nicht im Hotel Newa, sondern in einem Hotel der amerikanischen "Best Western" - Kette.

Schon daran kann man sehen, dass ich einiges geändert hatte in der Welt - seit 1977.

Der Wiederaufbau der Frauenkirche hatte begonnen.

Und ich fand schon immer: Und das ist auch gut so!

Es gibt genug Schutthaufen auf dieser Welt als Mahnmale - eine schöne Kirche kommt da imho entschieden besser.

Die Frauenkirche war im Untergrund bereits ausgebaut, so dass dort schon Gottesdienste gehalten werden konnten.

Überirdisch sah man nur dieses:

Regale mit nummerierten Steinen für den Wiederaufbau.

Auch mein neunjähriger Sohn war beeindruckt von dem Unternehmen, diese Kirche aus dem Schutthaufen heraus wieder aufzubauen.

Wieder zuhause angekommen, spendeten wir dann auch für den Wiederaufbau.
 
Nun ein Sprung in Jahr 2002. Und hier darf ich mich selber zitieren aus einer anderen meiner Geschichten:


Zitat:

Es war im Oktober 2002, als ich von Berlin aus mit dem Zug nach Dresden kam.

In das Dresden nach der großen Überschwemmung. Die Schäden waren noch überall zu sehen. Die Flut hatte den Bahnhof leergeschwemmt, er wirkte wie eine Bau-Ruine. Züge fuhren nur noch in Richting Polen. Die Verbindung nach Westen war unterbrochen, und um nach Karlsruhe weiterzukommen, musste ich damals eine abenteuerliche Fahrt per Bus über Land machen, bei der ich dann irakische Christen kennenlernte, die aus ihrer Heimat geflohen waren. Aber das ist wieder eine andere Geschichte....

Die Unterbrechung der Verbindung nach Westen erinnerte ein bisschen an die alte deutsch-deutsche Teilung.

Doch zum Ausgleich dazu gab es an der Frauenkirche ein deutsch-deutsches Treffen!

Diese Frauenkirche habe mich auch in mehreren Stationen ihres Lebens gesehen:

1. als Schuttberg

2. als Baustelle mit Regalen voller numerierter alter Steine, die beim Wiederaufbau verwendet werden sollten

3. und nun als fast fertige Kirche

So stand ich nun bei Nacht, aber ohne Nebel an der halbfertigen Frauenkirche, um auf mein rendez-vous zu warten.

Und bald schon erschien aus dem Dunkel der Nacht eine wunderschöne junge Frau in feierlichem Schwarz. Vanessas Tochter, die damals an der Uni Dresden studierte.

Und sie hatte ein Lokal ausgesucht, das mir sehr zusagte: einen alten Gewölbekeller am Fluss, wo es sächsische Spezialitäten zu essen gab. Sogar die Speisekarte war zweisprachig, hochdeutsch und sächsisch.

Ich habe eine dreifach gute Erinnerung an jenen Abend: an Vanessas Tochter, an die Frauenkirche, und an das gute Essen und den Wein in jenem historischen Gewölbekeller.

Als ich damals mit Vanessa in Weimar herumirrte, hätte ich nicht daran gedacht, dass ich viele Jahre später einmal in einem wieder-vereinten Deutschland mit ihrer Tochter in der Nähe der wieder-aufgebauten Frauenkirche speisen würde.

Ein Stück erlebte deutsche Geschichte.
 
Es war an einem Oktobertag des Jahres 2006, als ich spät abends wieder einmal in Dresden ankam.

Zu spät, um die nun fertige Frauenkirche zu besichtigen. Aber von außen sehen wollte ich sie doch.

Und so machte ich mich in der Dunkelheit auf den Weg.

Als ich in der Nähe war, konnte ich schon herrliche Barock-Musik durchs nächtliche Dresden hören.

Doch kam ich erst mal nicht zur Kirche hin. Baugitter versperrten den Weg zum Ziel meiner Sehnsucht.

Weiträumig musste ich eine Baustelle umgehen, bis ich zur Kirche vordringen konnte.

Es war ein denkwürdiges Erlebnis für mich: Die Luft war erfüllt von himmlischer Musik. Ich war verirrt in der Dunkelheit in einer Baustelle. Die Frauenkirche strahlte überirdisch schön und war zum Greifen nah. Doch ich kam und kam nicht hin ....

Dann endlich hatte ich den rechten Weg gefunden und konnte erwartungsvoll auf die Frauenkirche zugehen.

Eine barocke Bläsergruppe stand davor, und zu meiner Verwunderung war der Eingang zu dieser späten Stunde geöffnet!
 
Wie im Herbst 2002 stand ich nun in dunkler Nacht vor der Frauenkirche. Ihr erinnert euch: Damals kam eine wunderschöne junge Sächsin in feierlichem Schwarz aus dem Dunkel der Nacht auf mich zu.

Dieses Mal blieb ich alleine. Das Treffen mit einer wunderschönen jungen Thüringerin in feierlichen Rot war erst für den Tag darauf vorgesehen. Unsichtbar aber war sie gegenwärtig, und spazierte gerade am Elb-Ufer entlang, wie ich später erfuhr..

So wandte ich mich an jenem Abend einer anderen Frau zu: Unserer Lieben Frau von der Frauenkirche!
 
Durch die geöffnete Tür sah ich in das hell erleuchtete Innere der Kirche: Alles glänzte dort von Gold und funkelte in strahlendem Licht. Menschen in feierlicher Kleidung gingen dort umher.

Wer mochten wohl die Glücklichen, die Auserwählten sein, die zu später Stunde Einlass ins Paradiese gefunden hatten? Es musste eine außergewöhnliche Feier sein, dachte ich.

Ich studierte die Plakate, die vor der Kirche aushingen. Doch für den heutigen Tag fand ich keine Angaben.

Ich ging die Stufen zum Eingang hoch, wo ein würdiger Kirchendiener in majestätischem Schwarz wie ein mächtiger Engel mit Flammenschwert den Eingang ins Paradies bewachte.

Mutig frage ich den schwarzen sächsischen Wache-Engel, ob es wohl möglich sei, Einblick oder gar Einlass zu erhalten in diese Kirche der Auserwählten?

Und der sächsische Engel öffnete den Mund und sprach also:

"Gänsefleisch ..... ? Gennse v'lleisch ihren Goffer-Raum ufffmachn?"


[*Halt! Stop! Kommando zurück! Falscher Film! Re-Start!*]

Und der sächsische Engel öffnete den Mund und sprach also: "Bitte!"

Und er trat ein wenig zur Seite und machte eine einladende Handbewegung.

Also dass der reisende Westler freudig überschritt die Schwelle der Kirche Unserer Lieben Frau zu Dresden und sich gesellte zu den Auserwählten im Paradiese ...
 
Das erinnert mich jetzt an eine ähnliche Szene bei Kafka. Doch dort liest es sich ein wenig anders:


Zitat:


Vor dem Gesetz

Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, daß er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne. Der Mann überlegt und fragt dann, ob er also später werde eintreten dürfen.

«Es ist möglich», sagt der Türhüter, «jetzt aber nicht.»

Da das Tor zum Gesetz offensteht wie immer und der Türhüter beiseite tritt, bückt sich der Mann, um durch das Tor in das Innere zu sehn. Als der Türhüter das merkt, lacht er und sagt:

«Wenn es dich so lockt, versuche es doch, trotz meines Verbotes hineinzugehn. Merke aber: Ich bin mächtig. Und ich bin nur der unterste Türhüter. Von Saal zu Saal stehn aber Türhüter, einer mächtiger als der andere. Schon den Anblick des dritten kam nicht einmal ich mehr ertragen.»

Solche Schwierigkeiten hat der Mann vom Lande nicht erwartet; das Gesetz soll doch jedem und immer zugänglich sein, denkt er, aber als er jetzt den Türhüter in seinem Pelzmantel genauer ansieht, seine große Spitznase, den langen, dünnen, schwarzen tatarischen Bart, entschließt er sich, doch lieber zu warten, bis er die Erlaubnis zum Eintritt bekommt. Der Türhüter gibt ihm einen Schemel und läßt ihn seitwärts von der Tür sich niedersetzen.

Dort sitzt er Tage und Jahre. Er macht viele Versuche, eingelassen zu werden, und ermüdet den Türhüter durch seine Bitten. Der Türhüter stellt öfters kleine Verhöre mit ihm an, fragt ihn über seine Heimat aus und nach vielem andern, es sind aber teilnahmslose Fragen, wie sie große Herren stellen, und zum Schlusse sagt er ihm immer wieder, daß er ihn noch nicht einlassen könne. Der Mann, der sich für seine Reise mit vielem ausgerüstet hat, verwendet alles, und sei es noch so wertvoll, um den Türhüter zu bestechen. Dieser nimmt zwar alles an, aber sagt dabei:

«Ich nehme es nur an, damit du nicht glaubst, etwas versäumt zu haben.»

Während der vielen Jahre beobachtet der Mann den Türhüter fast ununterbrochen. Er vergißt die andern Türhüter, und dieser erste scheint ihm das einzige Hindernis für den Eintritt in das Gesetz. Er verflucht den unglücklichen Zufall, in den ersten Jahren rücksichtslos und laut, später, als er alt wird, brummt er nur noch vor sich hin. Er wird kindisch, und, da er in dem jahrelangen Studium des Türhüters auch die Flöhe in seinem Pelzkragen erkannt hat, bittet er auch die Flöhe, ihm zu helfen und den Türhüter umzustimmen. Schließlich wird sein Augenlicht schwach, und er weiß nicht, ob es um ihn wirklich dunkler wird, oder ob ihn nur seine Augen täuschen. Wohl aber erkennt er jetzt im Dunkel einen Glanz, der unverlöschlich aus der Türe des Gesetzes bricht. Nun lebt er nicht mehr lange. Vor seinem Tode sammeln sich in seinem Kopfe alle Erfahrungen der ganzen Zeit zu einer Frage, die er bisher an den Türhüter noch nicht gestellt hat. Er winkt ihm zu, da er seinen erstarrenden Körper nicht mehr aufrichten kann. Der Türhüter muß sich tief zu ihm hinunterneigen, denn der Größenunterschied hat sich sehr zuungunsten des Mannes verändert.

«Was willst du denn jetzt noch wissen?» fragt der Türhüter, «du bist unersättlich. »

«Alle streben doch nach dem Gesetz», sagt der Mann, «wieso kommt es, daß in den vielen Jahren niemand außer mir Einlaß verlangt hat?»

Der Türhüter erkennt, daß der Mann schon an seinem Ende ist, und, um sein vergehendes Gehör noch zu erreichen, brüllt er ihn an:

«Hier konnte niemand sonst Einlaß erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.»

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http://www.xs4all.nl/~ace/Literaria/Txt-Kafka.html
 
Der sächsische Wache-Engel hätte natürlich auch also zu sprechen anheben können:

"Seid willkommen, oh edelster aller Lords der schottischen Lande!

Ich grüße Euch auf das Thüringischste und auch auf das Sächsischste!

So wisset denn: Nur für Euch ward begonnen der Wiederaufbau der Kirche Unserer Lieben Frau zu Dresden im Jahre des Herrn 1994, auf dass nun im zwölften Jahre danach Ihr einzutreten vermöget in die heiligste aller sächsischen Hallen!

Überschreitet nun die Schwelle und genießet Sachsens Glanz und erfreuet Euch an Sachsens Gloria!

Gloria in excelsis Deo!

Hoch gelobt sei der da kommt im Namen des Markgrafen von Baden!

Freuet Euch und frohlocket, denn Euer Kommen ist wohlgefällig in den Augen des Herrn, oh Lord Mellnik, Laird of Glencairn, Prince of the Highlands and Islands, Earl of Ross and Cromarty, and most noble Baron of Drumnadrochit, Invergowrie, Inverallochy and all other Invers of that Ilk!"

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Doch in jener Nacht war ich auch mit jenem einfachen "Bitte!" recht glücklich! :)
 
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Hallo @Mellnik ,
zu deinen Geschichten hier fiel mir etwas ein, das ich Anfang des Jahres 2013 in einem anderen Forum geschrieben hatte.
Ein Besuch bei meinem Bruder in Norddeutschland und ein Erlebnis. Als wir in Hamburg waren, kamen wir an einer zerstörten Kirche, = die Nikolaikirche vorbei, die aber stehen gelassen wurde als Mahnmal.

Ich habe den alten Text von damals jetzt eben zufällig, als ich nach dieser Kirche im Internet suchen wollte, wiedergefunden und ihn einfach mal hier rüberkopiert.


Hier der Text:

Über den Erdenengel kann ich mal eine kleine Geschichte erzählen, eine Erinnerung.

Es ist schon einige Jahre her, es war der Sommer wohl nach dem Tod meiner Mutter
und sehr heiß. Ich war zu Besuch bei meiner Schwester, meiner 15 Jahre älteren Schwester, es gab noch einiges zu regeln über den Nachlass meiner / unserer Mutter.
Es ergab sich dass wir uns zerstritten und dann erstmal über Jahre nicht miteinander sprachen.
Inzwischen haben wir wieder Worte zueinander gefunden.

Aber damals war ich deswegen eng mit meinem Bruder zusammen (drei Jahre jünger), und es waren drei wundervolle Tage mit ihm die ich nie vergessen werde.
Wir waren unterwegs .. eigentlich auf alten Erinnerungswegen unserer Mutter. Er zeigte mir Stellen die ich nie gesehen hatte. Unter anderem das Geburtshaus meiner Mutter zum Beispiel, und wo sie dann die ersten Jahre ihres Lebens verbrachte.

Das alles war sehr ländlich, mitten in der Natur, eigentlich nur einzelne Häuser mitten im Wald..

Dort zwischen den Büschen ganz versteckt fanden wir auch ein altes Mahnmal oder Erinnerungsstein für die Gefallenen aus dem ersten Weltkrieg ..

Als die Tage um waren, fuhren wir nach Hamburg, von dort wollte ich mit dem Zug wieder nach Hause fahren ..

Wir hatten noch Zeit und wanderten durch die Stadt..

Und fanden eine alte Kirche, die Nikolaikirche in Hamburg, die eigentlich im zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Der Turm war erhalten geblieben und man ließ ihn als Mahnmal und Erinnerung stehen ..

Auf diesem Platz, wo auch der Kirchturm und die zerstörte Kirche stand,
war eine Statue von einem riesigen Engel …

Der Erdenengel …….

er hatte keine Flügel soviel ich weiß, und war mit unzähligen Händen bedeckt ..

In mehreren Sprachen stand um ihn herum: „Reiche mir deine Hand, und ich führe dich wieder zu dir selbst.“ ……..


Ich habe diese Augenblicke nie vergessen.
Danach saß ich im Zug und fuhr nachhause. Meinen Bruder hab ich seither auch nicht wieder gesehen. Nur telefonieren tun wir ganz selten mal.
Ich weiß, dass es ihm gut geht.

http://www.angela-harneit.de/content...burg2/1269.htm
 
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