Medizinethik: Wrongful life

P

Pelisa

Guest
Wrongful life und wrongful birth – manchmal ist die Juristensprache wirklich grausam. Kurz gesagt, es geht um Kinder, die nie geboren worden wären hätten die Eltern von deren Behinderung gewusst. Bei „wrongful life“ klagen die Eltern den Arzt auf Unterhalt, mit der Begründung, das Kind wäre abgetrieben worden. „Wrongful birth“ ist die Klage des Kindes selbst.
Rationell verstehe ich das Ganze. Dringt die Klage durch ist der Lebensunterhalt des Kindes lebenslang gesichert. Es hat also durchaus vernünftige Versorgungsgründe, dies anzustreben.
Emotional finde ich es nur schlimm. Da sprechen die Eltern klar aus, das Kind so wie es ist nicht gewollt zu haben. Dass sie es abgetrieben hätten, wären sie rechtzeitig informiert worden. Ein gesundes Kind wäre willkommen gewesen. Ja, dieses Kind wird die Prozessakten nie sehen, nie lesen, nie verstehen. Dennoch… ein Unbehagen bleibt. Das Kind als Schaden. Das wird natürlich umformuliert: der Schaden ist nicht das Kind selbst, der Schaden besteht darin, dass Unterhaltskosten anfallen.

Ich möchte das Thema abseits vom Juristischen zur Diskussion stellen, mich interessiert die ethische Dimension, mehr die „Bauchmeinung“.

Für mich wird hier eine Grenze überschritten die man besser unangetastet ließe. „Lebensunwert“ wird nie ausgesprochen und schwingt doch mit…

Noch eines: bitte macht keine Abtreibungsdebatte aus diesem Thema. Nehmt die Tatsache, dass Abtreibungen legal möglich sind, einfach als Ausgangspunkt zur Kenntnis.

http://decker.eu/serendipity/uploads/5Ob165_05h-wrongfulbirth.htm - Die aktuelle Entscheidung

http://www.kurier.at/nachrichten/chronik/17934.php - Kurzfassung dieser Entscheidung

http://www.aktenvermerk.at/artikel/unterhaltsschaeden/ - allgemeinere Erklärungen

http://ris.bka.gv.at/taweb-cgi/taweb?x=d&o=l&v=jus&db=JUST&t=doc4.tmpl&s=(1Ob91/99k) Noch eine Entscheidung
 
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Puh... das sind ethische und moralische Fragen, die man nichtmals mit 'ner Kneifzange anfassen möchte.

Einerseits: Ein Kind mit Behinderungen großzuziehen und zu pflegen ist anstrengend. Die Verantwortung und der Aufwand der Eltern ist je nach Schwere der Behinderung viel größer als bei einem gesunden Kind.

Andererseits: Natürlich werden auch Kinder mit Behinderungen von ihren Eltern geliebt; genauso wie ein gesundes Kind. Und die Lebensberechtigung von einer Behinderung abhängig zu machen, geht entschieden gegen mein Bauchgefühl.

Bevor ich wegen oberem Punkt gescholten werde: Im Zivildiens habe ich Kinder mit Behinderungen betreut und hatte auch viel mit den Eltern zu tun. Eine Mutter, die ihren Sohn ohne Zweifel sehr liebte, erzählte mir mal, dass ihr negative Reaktionen auf ihr Kind (z.B.:"Iih... der sabbert ja.") weit weniger weht tun, als einige positive Reaktionen wie z.B.: "Wenigstens ist er glücklich." Erstere Reaktion sei wenigstens ehrlich, wärend im zweiten Beispiel verkrampft und die unangenehmen Seiten verleugnend nach einer Lebensberechtigung für das Kind gesucht wird.

Beide Extreme gehen irgendwie gegen mein Gefühl. Die volle Aufwandsentschädigung (vole Unterhaltszahlung, wenn ich das richtig verstanden habe), wecken in mir die gleichen Assoziationen wie bei Pelisa. Keine "negativen Folgen" für den Arzt würden den höhren Aufwand für die Eltern leugnen, und es sind die Eltern, die mit den Folgen einer Abtreibung oder eines Kindes mit Behinderung leben müssten, und nicht der Arzt. Ein Mittelding zwischen diesen Extremen (mit hohem Gewicht auf das zweite Extrem) fände ich angemessener...

Im beschriebenen Fall (Arzt weist nicht genug auf seinen Verdacht hin) empfinde ich die Strafe als weit übertrieben.

Viele Grüße
Joey
 
Das Kind an sich darf auch gerne immer als vollkommen gelten.
Nur:
Juristisch im Sinne eines Schadens dann eben nicht.
Pelisa, ich kenne diese Urteile, Kind als Schaden subsumiert. Es geht doch an die Frage von wert/unwert heran, Verantwortung/nicht Verantwortung der Mutter sich evtl. nicht ausreichend untersucht haben zu lassen (wollen).
Ich halte wie Du diese Form der Rechtsprechung für äußerst fragwürdig.
LG

Weil die nächste Frage wäre tatsächlich, ob eine Frau ab einer gewissen Risikoklasse vom Arzt aus Gründen der Haftungsbefreiung gezwungen werden könnte, eine eingehende Untersuchung an sich durchführen zu lassen. Oder auch, der Arzt stellt sich durch bestimmte Untersuchungen, Aufklärungen vom Schaden Kind frei. In diesem Falle hätten die Eltern dann keine Ansprüche auf Unterhalt, weil der Arzt richtig gehandelt hatte. Ein weiterer Aspekt wäre das womöglich ein Elternteil die Untersuchung gegen den Willen des anderen durchsetzen möchte ? Vor allem, was nach der Untersuchung ? Ich halte davon nichts. Ich halte auch nichts von der Unterhaltslösung in dieser Form.
 
Es ist auch immer die Frage nach dem "perfekten" Kind.
Ich nehme an, das diese Kläger auch sofort Gentechnik einsetzen würden, wenn es möglich wäre. Ein Kind maßschneidern , nach ihren Vorstellungen. (sicherlich würde der Arzt auch verklagt , wenn das Kind brünett, statt blond wäre).Da passt ein behindertes Kind nicht in das Weltbild der Bilderbuchfamilie.
Sicherlich macht ein behindertes Kind mehr "arbeit", aber macht das nicht jedes?Wo ist die Grenze , die man da zieht? Beim "behindert" sein?.Körperliche missbildung, geistige, Legastheniker?
Was ist ein "behindertes" Kind?..allein die deutsche Sprache klingt so hart..(gehandicapt im holl. klingt angemessener)
Klingt hart wenn ich sage, auch die moderne Medizin (die in vielem Segensreich ist) hat schuld daran.
Viele solche Kinder wären früher zu früh geboren und dann nicht lebensfähig gewesen.(Mutter sorgt für die ihren)
Sicherlich möchte ich diese Entscheidung nicht treffen, auch ich würde alles unternehmen um diese Kinder zu retten, doch um welchen Preis?

Viel Licht
Alaana
 
Ich sehe gerade, ich habe oben einen Fehler gemacht. "Wrongful birth" ist die Elternsicht, "wrongful life" die des Kindes. Sorry.

Höhe des Schadenersatzes: bisher war die Judikatur zumindest in Ö so, dass nur der behinderungsbedingte Mehraufwand ersetzt wurde (auch nur von den Eltern verlangt), nicht aber der "normale" Kindesunterhalt.

Da gibts übrigens noch ein Urteil:
http://www2.sbg.ac.at/oim/docs/05_5/05_5_06

Begriff Behinderung: oweh, da bin ich nicht so auf der Höhe. "Behindert" ist im Moment sicher nicht politisch korrekt (wird aber von den Juristen verwendet), ich glaube "Menschen mit besonderen Bedürfnissen" ist gerade aktuell, gehandicapt wird auch verwendet...da gibt es eine große Vielfalt.

Die Aufklärungspflicht des Arztes sehe ich so wie es die herrschende Lehre ist: sehr streng. Der Arzt muss einfach genau informieren, was warum getan werden sollte. Zu der Frau im Eingangsfall wurde nur gesagt, sie solle in die Risikoambulanz gehen, nichts weiter. Das ist tatsächlich zu wenig. Stell dir vor, der Arzt sagt zu einem Krebskranken "So, Sie gehen mir jetzt zur Chemotherapie", ohne ihm die Diagnose zu sagen, ohne über Nebenwirkungen zu sprechen, etc. Geht nicht, darf nicht sein.
Ich muss als Patient die Möglichkeit zur Entscheidung haben. Die Frau hat diesen Satz offensichtich nicht ernst genommen, und sie hatte keinen Grund dazu.
Eine Untersuchungspflicht würde ich aus dieser Sicht nicht ableiten: der Arzt sagt, was seiner Meinung nach zu tun ist, die Patientin entscheidet, wie genau sie`s eigentlich wissen möchte. Mit der sorgfältigen Aufklärung ist der Arzt aus der Haftung "draußen".

Tja, und nach der Untersuchung? Soweit ich weiss, werden unglaublich viele Kinder abgetrieben wenn sicher ist, dass sie geistig behindert zur Welt kommen werden...
 
Hallo,

es ist allerdings in D so, dass ein Patient die Aufklärung verweigern darf. Hat sie ihm ein Arzt angeboten, darf der Patient ablehnen was gleichfalls haftungsbefreiend wirkt.

Ich sehe schon ein Spannungsverhältnis zwischen der Aufklärungspflicht. Noch darf ein Arzt entscheiden ob er z.B. das Geschlecht mitteilt oder nicht. Ich war bei einer fast in den Ruhestand gehenden Ärztin, sie vertrat die Ansicht, das sie nicht vorgreifen darf. Aber sie hat gut untersucht.

Aber, Du weißt auch, am Schluss kämpfen die Giganten, diese sind in unserem System die Versicherungen. Wäre doch eine Marktlücke, die Police für solche Fälle. So traurig das ist.

LG
:)
 
Den Aufklärungsverzicht gibt es auch in Österreich. Dagegen ist nichts einzuwenden.

Dennoch ist die Aufklärungspflicht sehr wichtig, wie kann sonst ein Patient "mündig" entscheiden? Wir sind mitten im Wechsel vom paternalistischen Arzt-Patient-Verhältnis hin zum partnerschaftlichen, aber es liegt auch an den Patienten selbst, dass da etwas weitergeht.
 
Autsch. Jetzt schicken zumindest die Salzburger Ärzte die Frauen in Massen in die Risikoambulanz, nur, um möglichen finanziellen Forderungen zu entgehen. Und ohne sie über ihr persönliches Risiko aufzuklären, zumindest versteh ich den Artikel so.
http://salzburg.orf.at/stories/127843/
 
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Es ist auch immer die Frage nach dem "perfekten" Kind.
Ich nehme an, das diese Kläger auch sofort Gentechnik einsetzen würden, wenn es möglich wäre. Ein Kind maßschneidern , nach ihren Vorstellungen. (sicherlich würde der Arzt auch verklagt , wenn das Kind brünett, statt blond wäre).Da passt ein behindertes Kind nicht in das Weltbild der Bilderbuchfamilie.
Sicherlich macht ein behindertes Kind mehr "arbeit", aber macht das nicht jedes?Wo ist die Grenze , die man da zieht? Beim "behindert" sein?.Körperliche missbildung, geistige, Legastheniker?
Was ist ein "behindertes" Kind?..allein die deutsche Sprache klingt so hart..(gehandicapt im holl. klingt angemessener)
Klingt hart wenn ich sage, auch die moderne Medizin (die in vielem Segensreich ist) hat schuld daran.
Viele solche Kinder wären früher zu früh geboren und dann nicht lebensfähig gewesen.(Mutter sorgt für die ihren)
Sicherlich möchte ich diese Entscheidung nicht treffen, auch ich würde alles unternehmen um diese Kinder zu retten, doch um welchen Preis?

Viel Licht
Alaana


Es geht nicht um "das perfekte Kind".
Es geht darum, daß der Arzt die Frau in verständlicher Sprache, also nicht in Fachchinesisch, ausführlich auf die Risiken hätte hinweisen müssen. Das ganze in schriftlicher Form und mit Unterschrift. Das ist nicht geschehen.
Jeder der sich Kinder wünscht, wird sich im Normalfall bewußt sein, daß Kinder nicht nur Freude bedeuten und daß es durchaus sein kann, daß das Kind später nicht nur Sonnenschein bedeutet. Daß es durchaus möglich ist, daß da kein neuer Einstein heranwächst, sondern möglichlerweise ein künftiger Drogendealer, Zuhälter oder Politiker/Rechtsanwalt etc.
Ein behindertes Kind aber bedeutet nicht nur ungleich viel mehr Arbeit, sondern es entstehen auch imense Kosten, die in der Regel bei einem gesunden Kind nicht entstehen würden.Hinzu kommt, daß es in der Pflege extrem bedürftig ist und das über das übliche Maß hinaus und nicht nur für die nächsten 5-7 Jahre sondern sein Leben lang. das bedeutet auch einen psychischen Druck für die Eltern. Sehr viele Ehen zerbrechen an solch einer Belastung.
Wäre das Kind postnatal durch einen Arztfehler zu ähnlichen Behinderungen gekommen, würde hier niemand, oder zumindest kaum einer, die Eltern für ihre Vorgehensweise kritisieren.



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