M
mdelajo
Guest
Freiheit und Bedingtheit des Willens
\Du Affenfratze, du redest mir nach dem Mund, um mich herumzukriegen. Schweig,
du verstehst uberhaupt nichts. Wenn es keinen Gott gibt, bin ich Gott."
\Sehen Sie, diesen Punkt habe ich nie bei Ihnen verstehen konnen: Warum sind
gerade Sie Gott?"
\Wenn Gott ist, ist aller Wille sein, und aus seinem Willen kann ich nicht heraus.
Ist er nicht, ist aller Wille mein, und ich bin verp
ichtet, meinen eigenen Willen
kundzutun."
\Ihren eigenen Willen? Und wieso verp
ichtet?"
\Weil aller Wille mein geworden ist. Mag denn nur niemand auf unserem Planeten,
wenn er Schlu gemacht hat mit Gott und an den eigenen Willen glaubt, den Mut
aufbringen, den eigenen Willen kundzutun, am entscheidensten Punkt? Es ist, wie
wenn ein Armer eine Erbschaft macht und erschrickt und sich nicht an den Sack
herantraut, weil er meint, er sei zu schwach zu besitzen. Ich will meinen eigenen
Willen kundtun. Und wenn ich der einzige bin, ich tu's."
\Immer zu."
\Ich bin verp
ichtet, mich zu erschieen, denn das ist der alles entscheidende Punkt
des eigenen Willens | sich selbst zu toten."
\Aber Sie sind doch nicht der einzige, der sich umbringt; es gibt viele Selbstmorder."
\Mit Ursache. Ohne jede Ursache, nur zur Bekundung des eigenen Willens, tu ich
es allein."
Pjotr Stepanowitsch und Kirillow
in Dostojewski, Die Damonen.
III
Freiheit und Bedingtheit des Willens
Der Bezugsartikel von Prof. Wolf Singer zu dem noch folgenden offenen Brief:
Keiner kann anders, als er ist
All unser Denken und Tun ist mit dem Ablauf neuronaler Prozesse zu erklären, meint Wolf Singer, Direktor am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt: Wir sollten aufhören, von Freiheit zu reden.
Entscheidungen sind das Ergebnis von Abwägungsprozessen, an denen jeweils eine Vielzahl unbewußter und bewußter Motive mitwirken. Diese legen gemeinsam das Ergebnis fest, sind jedoch in ihrer Gesamtheit kaum zu erfassen, weder vom entscheidenden Ich noch vom außenstehenden Beobachter. Hirnforscher behaupten, daß Entscheidungen vom Gehirn getroffen werden, also auf neuronalen Prozessen beruhen. Sie müssen deshalb erklären, wie das Wissen neuronal repräsentiert ist, auf dem Entscheidungen beruhen, wie sich die Motive für Entscheidungen im Nervensystem manifestieren, , wie die Abwägungsprozesse organisiert sind, wie das wollende und entscheidende Ich sich konstituiert und schließlich, welches die Konsequenzen der Antworten für unser Selbstverständnis und die Beurteilung von Fehlentscheidungen sind.
Die Gewißheit, daß unser Wollen und Entscheiden auf neuronalen Vorgängen im Gehirn beruht, verdankt sich der Konvergenz mehrerer, unabhängiger Beobachtungen. Eine Argumentationslinie stützt sich auf die evolutionsbiologische Evidenz einer engen Korrelation zwischen dem Differenziertheitsgrad von Gehirnen und ihren kognitiven Leistungen. Die Verhaltensleistungen einfacher Organismen lassen sich lückenlos auf die neuronalen Vorgänge in den respektiven Nervensystemen zurückführen. Da die Evolution sehr konservativ mit Erfindungen umgeht, unterscheiden sich einfache und hochdifferenzierte Gehirne im wesentlichen nur durch die Zahl der Nervenzellen und die Komplexität der Vernetzung. Daraus folgt, daß auch die komplexen kognitiven Funktionen des Menschen auf neuronalen Prozessen beruhen müssen, die nach den gleichen Prinzipien organisiert sind wie wir sie von tierischen Gehirnen kennen.
Keiner kann anders, als er ist ..
Und nun der offene Brief von Ingo Wolf Kittel, Facharzt für Psychotherapie:
Sehr geehrter Herr Prof. Singer,
wenn es 'in der Tat' so sein sollte wie Sie behaupten: "Keiner kann anders als er ist", muss verwundern, dass sie fordern: "Wir sollten aufhören, von Freiheit zu reden."
Wie soll das möglich sein, wenn 'wir' doch nicht anders können?! -
Genauso wenig wie offenbar Sie selbst...
ENTWEDER geben Sie damit nämlich ein Resultat gediegener Forschung wieder.
Dann wäre anzunehmen, es sei ein eindeutiges und von jedem Fachkenner mit guten Gründen anzunehmendes Ergebnis der logisch einwandfreien Interpretation von Daten, die mit selbst konstruierten Messinstrumenten selbst produziert und auf der Grundlage von wohl begründeten selbst gesetzten theoretischen Voraussetzungen auch selbst gedeutet wurden.
Falls Sie auf einer derartige Weise zu Ihrer These gekommen sein sollten, müssten Sie aufgrund von 'vernünftig' erscheinenden Interpretationen von Forschungsdaten zu der Feststellung kommen, sich in genau dieser Ansicht zu täuschen und realiter vielmehr von den 'Verschaltungen' Ihres Gehirns auf Ihre Thesen 'festgelegt' worden zu sein.
Soviel ich weiß, kommen nicht alle Hirnforscher zu derselben Einsicht - nach Ihrer These dann aber offenbar nicht, weil sie ihrerseits - nach meiner Kenntnis sogar viele und gute - Gründe haben, Ihre Behauptungen zurückzuweisen, sondern einfach: weil ihre Neuronenverschaltungen andere sind und sie 'nicht anders' und vor allem nicht so 'können' wie Sie.
Es dürfte dann auch nicht mehr gut davon die Rede sein können, Ihre Aussagen gäben wissenschaftliche 'Erkenntnisse' wieder. Ab sofort müsste Sie von wissenschaftlichen 'Festlegungen' sprechen.
Deren Überprüfung wäre zudem ausgeschlossen: wenn sie 'nicht anders können', sind Hirnforscher auf die Feststellung, festgelegt zu sein, festgelegt.
Sie müssen zudem solange immer wieder zu derselben Feststellung kommen, festgelegt zu sein, wie Verschaltungen sie just auf diese Ansicht festlegen.
Ihre Feststellung, Herr Prof. Singer, oder vielmehr Ihre Festlegung... müsste überdies allerneuesten Datums sein.
Vor gerade mal zwei Jahren haben Sie in einem Interview der Zeitschrift 'Gehirn & Geist', in deren Beirat Sie Sitz und Stimme haben, völlig richtig festgestellt:
"Unser Wissen über die Zusammenhänge von Hirnstrukturen und Verhaltensdispositionen ist noch sehr rudimentär". (2)
Fortschritt? Rückschritt! Widersprüche überall!
Werde den offenen Brief in der Folge noch gänzlich hier unterbringen, da aus meiner bisherigen (festgelegten?) Erfahrung manche Links der Neigung unterliegen, phasenweise sowie auch punktuell ignoriert zu werden. : D
Daher zieht es mich heute am Sonntag in dieses Forum, um einzuladen zu einer heiteren Diskussion im Rahmen eurer Möglichkeiten und im Sinne der Thread-Überschrift, die da lautet:
Keiner kann anders, als (wie) er ist ..
