Ich sah der Wiese letzte Butterblume stehen

Mellnik

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Ich sah der Wiese letzte Butterblume stehen

Ich sah der Wiese letzte Butterblume stehen.
Im Dunkel strahlte sie wie reines Gold.
Da sprach ich freudig im Vorübergehen:
Der Geist der Wiese hat es so gewollt.

Diese Butterblume sah ich heute, am gleichen Tage, als ich der Wiese einz'ge Chrysantheme wiedersah.
 
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*Loreley-Modus an*

Ich weiß wohl, was soll es bedeuten,
dass ich so fröhlich bin.
Eine Blume aus neuen Zeiten
die geht mir nicht aus dem Sinn.

Die Luft ist kühl und es dunkelt,
im Herbst am Wiesenrain.
Das Goldgelb der Blüte funkelt
im Abendsonnenschein.

Die Butterblume blühet
im Grase wunderbar.
Die goldene Blüte blitzet
auf der Wiese hell und klar.

*Loreley-Modus off*
 
Der Dichter spricht:

Nun sind wir an der Stelle, wo wir einen Schiffer in einem kleinen Kahne brauchen könnten, den es mit wildem Weh ergreift, wenn er das Gold der Butterblume leuchten sieht.
Doch an meiner Wiese segeln keine Schiffe vorbei. Wer dort vorbeikommt, das sind nette junge Frauen, die dort ihre Hunde auf einem Grasweg entlang spazieren-führen. Es mögen auch verkleidete Feen und Elfen darunter sein, wer weiß das schon? Und die Hunde sind vielleicht verkleidete Drachen.

Nun könnte ich ja erdichten, dass immer wieder nette junge Frauen voller Sehnsucht auf die Butterblume schauen, dabei die Hundeleine übersehen, darüber stolpern, und sich dabei dann den Hals brechen. Und das hätte dann mit ihrem Leuchten die Butterblume getan.

Aber wollen wir das? Wollen wir wirklich, dass nette junge Frauen sich den Hals brechen?
Nein, bei allem Respekt vor Heinrich Heine, das wollen wir nicht!

Der Dichter (also ich, das lyrische Ich) wird eine andere Lösung finden müssen. Und ich habe auch schon eine Idee.
More later ....

:)
 
Der Dichter spricht weiter:

Was es in der Nähe meiner Wiese ganz in der Realität gibt, das ist ein Hochsitz für jagende Jäger. Jene Jäger bejagen Wildschweine, die gerne in die Maisfelder dort eindringen. Oder wohl auch Rehe, die abends vom nahen Wald auf die Wiese kommen. Solch ein Jäger könnte doch auch mal bei seinem Jagen vom Gold der Butterblume abgelenkt werden.

Und statt wie jener Schiffer gebannt in die Höhe zu schauen, schaut der Jäger wie gebannt auf die Wiese und die Butterblume hinunter. Jedenfalls: gebannt! Denn dieses "gebannt" hat ja immer auch etwas Magisches.

Welch eine Wendung! Welch ein Perspektiv-Wechsel! Heinrich Heine wird erfreut sein, zu sehen, wieviele Möglichkeiten sein romantischer Klassiker bietet.
Ja, so wird's gehen! Ça ira!

Es gibt viel zu dichten! Packen wir's an!
:)
 
Den Jäger auf seinem Hochsitz
ergreift es mit wildem Weh.
Er schaut nur noch nach dem Goldblitz,
und sieht nicht das Reh in der Näh.

Ich glaube, am Ende entfleuchet
das Reh in den sicheren Tann.
Und das hat mir ihrem Leuchten
die Blume der Wiese getan!


:)
 
Der Dichter spricht:

Hier kommt nun also niemand um.
Statt dass ein armer Schiffer ertrinkt, rettet die Blume der Wiese einem zarten Reh das Leben.

Heinrich Heine wird's recht sein, oder ich müsst ihn schlecht kennen.
Vielleicht liest er ja gerade mit - wo immer gerade sein mag.
Denn es steht geschrieben: Old poets never die - they just fade away .....


:)
 
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Und der Jäger soll auch nicht leer ausgehen.

Ich glaube, am Ende erleget
der Jäger ein wildes Schwein.
Und als es sich nicht mehr beweget,
trägt er's in sein trautes Heim.


Und Jäger's Frau und Jäger's Kinder freuen sich über die willkommene Mahlzeit.
Und sie aßen und sie tranken und ließen sich's wohlsein.
Es wurde noch ein richtig gemütlicher Abend.
Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.
 
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