Allegra83
Mitglied
1.
Einige Wochen waren vergangen. Und sie beschäftigte mich immer noch. Die Frage aller Fragen: Wie sollte ich Michael meine Gefühle begreiflich machen und woher sollte ich wissen, dass er nicht sofort zu Marc rennt und ihm davon erzählt?
Das könnte nämlich absolut peinlich werden für mich. Und die ganze Geschichte wäre vorbei, bevor sie begonnen hat. Und jedes Mal, wenn Michael einen Patienten bringt müsste ich demütig in den Aufenthaltsraum verschwinden, damit ich ihm nicht in die Augen schauen muss. Schwierige Situation.
Ich überlegte hin und her, wie ich hier am besten und diskretesten vorgehen sollte.
Ich hatte wiedereinmal Tagdienst. Diese stupide Arbeit raubte mir noch den letzten Nerv. Ich musste endlich zusehen, dass ich einen neuen Job fand.
Das einzig gute an diesem Tag war, dass ich zusammen mit Anne Dienst schieben musste. Wie üblich kicherten wir unentwegt und machten uns über die Patienten lustig. Zum Glück war gerade in diesem Dienst nicht besonders viel los und wir konnten uns ungestört unterhalten.
„Machen wir am Wochenende was zusammen?“ fragte Anne, während sie sich die Nägel feilte. „Oder hat dich Marc wieder mal in Beschlag genommen?“
Ich klebte mir gerade meine Nagelspitzen mit Tixo ab, um mir danach selbst eine wunderbare French Maniküre zu machen.
„Scheiß auf Marc. Sicher machen wir was! Wir könnten mal wieder so richtig fortgehen. Marc hängt mir schon so zum Hals raus, das kannst du dir gar nicht vorstellen!“
Anne lachte. „Oh doch, das kann ich. Du musst ihn endlich verlassen. Ich weiß gar nicht, wieso du das nicht schon längst getan hast.“
„Ich auch nicht. Irgendwie ist soviel Gewohnheit im Spiel. Bis jetzt hab ich es einfach noch nicht geschafft. Aber ich arbeite daran.“
Anne begann nun auch, ihre Nagelspitzen abzukleben. „So ein klebriger Mist. Wenn nur eine professionelle Maniküre nicht so teuer wäre. Wenn ich mal einen reichen Mann heirate werde ich jede Woche zur Maniküre gehen. Übrigens finde ich nicht, dass es besonders schwierig ist, Marc zu verlassen. Dein Vater zieht doch bald aus deiner Wohnung aus. Wenn er im Dienst ist pack deine Sachen und verschwinde!“
„Du hast leicht reden. Nein, nein, ich bin es ihm schuldig, dass ich ehrlich zu ihm bin. Und das werde ich auch tun. Bald.“
„Warte nicht zu lange. Besonders jetzt, wo du dich so in Michael verliebt hast. Das könnte nicht gut ausgehen. Er weiß schließlich, dass du mit Marc zusammen bist. Und solange das so bleibt, wird er sich bestimmt nichts mit dir anfangen. Zu Recht!“
Ich schnitt eine Grimasse. „Ja, Ja. Du hast ja recht. Ich werde das regeln, versprochen.“
Anne lachte. „Mir brauchst du nichts versprechen. Es ist dein Leben.“
Auf einmal piepste Annes Handtasche. Sie sprang auf und kramte wie wild darin herum. Endlich hatte sie ihr Handy gefunden.
„Wer hat dir gemailt?“ fragte ich indiskret.
„Ich habe keine Ahnung.“ Anne musterte nachdenklich ihr Handy. „Seit Tagen schon bekomme ich so komische SMS, die übers Internet abgeschickt wurden. Ohne Absender. Und es stehen nur irgendwelche Zeichen drin. Ich weiß wirklich nicht, wer so etwas tut.“
„Das Internet!“ rief ich begeistert. „Das ist es!“
Anne schaute mich verständnislos an. „Was meinst du?“
Ich sprang auf und kümmerte mich nicht um meine frisch lackierten Nägel. Ich riss Anne das Handy aus der Hand und schaute auf das Display. Da stand eine Homepage-Adresse, fabelhaft! Sofort tippte ich sie in den Computer ein. Gratis SMS versenden, na bitte. Da hatte ich meine Lösung, nach der ich so lange gesucht hatte.
Anne trat hinter mich. „Willst du mir nicht verraten, was dich so in Euphorie versetzt?“ fragte sie sarkastisch.
„Anne! Das Internet! Dank sei Gott dem Herrn dass wir im Zeitalter des Handys leben! Man kann Gratis SMS übers Internet versenden. Und der Empfänger kommt nie auf den Absender drauf.“
Anne sah mich an, als ob ich verrückt geworden wäre. Vielleicht war ich das auch.
„Jetzt kann ich dem Michael anonym per SMS schreiben, was ich für ihn empfinde. Ich werde die SMS so formulieren, dass man ganz leicht draufkommen kann, wer ich bin. Aber falls die Antwort negativ ausfällt kann ich immer noch alles abstreiten!“ erklärt ich ihr.
Jetzt verstand sie. „Das ist ja wunderbar!“ jubelte sie. „Los, schreib gleich was!“
Ich überlegte. Ich schrieb etwas. Dann löschte ich es wieder. So ein Schwachsinn.
Nach einigen weiteren Versuchen hatte ich endlich das Richtige gefunden.
Hallo schönster Sani dieser Erde.
Wenn du wüsstest, was ich dafür
geben würde, dich nur ein einziges Mal
im Arm zu halten. Komm bald wieder!!!
Anne schaute mich skeptisch an. „Komm bald wieder?“ fragte sie. „Er war ja erst da, als er die letzte Patientin gebracht hat. Er wird sofort glauben, dass die SMS entweder von dir oder von mir ist!“
„Ja, so soll es ja auch sein.“ sagte ich zufrieden. „Wir werden sehen, wie er reagiert. Wenn er sauer ist, streite ich es einfach ab. Dann war es halt ein blöder Zufall.“
Anne kicherte. „Na darauf bin ich jetzt schon gespannt. Sag mal, hast du etwas dagegen, wenn ich jetzt Mittagspause mache? Schmeißt du den Laden allein für eine halbe Stunde?“ Ich nickte. „Ja, geh nur. Ich überlege mir inzwischen den Text für die nächste SMS.“
Nach einer Dreiviertel Stunde war Anne noch immer nicht zurück. Ich langweilte mich unglaublich. Es gab nichts zu arbeiten. Und ehrlich gesagt, hätte ich wahrscheinlich auch dann nicht gearbeitet. Ich musste mich wirklich um eine neue Stelle kümmern.
Ich rief wieder die Homepage mit den Gratis SMS auf und überlegte, was ich Michael noch schreiben könnte. Als ich gerade loslegen wollte, wurde die Drehtür aufgestoßen und niemand anders als Michael kam herein. So schnell ich konnte schloss ich die Homepage, bevor er sie sah. Dabei fiel mir die Maus vom Tisch. Sofort spürte ich, wie ich rot anlief. Michael schwang sich auf Annes Stuhl und seufzte. „Heute ist wieder mal die Hölle los. Wir fahren von einem Einsatz zum anderen. Ich hab noch nicht mal was gegessen.“ beschwerte er sich.
Bildete ich mir das nur ein, oder sah er mich wirklich komisch an?
„Bei uns ist es heute total ruhig. Zum Glück, sonst müsste ich ja arbeiten!“
Michael lachte. Mein Gott, war der Mann schön!
„Ich habe gerade eine Patientin in den Kreissaal gebracht und dachte mir, ich schau noch bei dir vorbei, bevor wir wieder fahren.“ Er grinste mich an.
Ich lächelte mein schönstes Lächeln. „Das ist lieb von dir.“
„Sag mal, weist du vielleicht, ob es in diesem Spital eine Abteilung gibt, wo man sich Tattoos entfernen lassen kann?“ fragte Michael.
„Ich schätze mal auf der Dermatologie. Aber genau weiß ich das nicht. Ich werd mich schlau machen für dich.“ antwortete ich.
„Ja, das wäre toll. Ich kann mein Tattoo nämlich nicht mehr sehen.“
„Wieso, was ist das für ein Tattoo?“
Statt einer Antwort stand Michael auf und zog sich den Pullover aus. Grundgütiger!
Er zeigte auf seinen Oberarm. „Das war mein Erstes. Was ich mir dabei gedacht habe, weiß ich bis heute nicht.“
Dann musste er leider wieder fahren. Ich versprach ihm, mich über Tattooentfernungen zu erkundigen. Es hatte also doch etwas Gutes, in diesem Irrenhaus zu arbeiten.
2.
Anne und ich wurden immer kreativer bei Verfassen der SMS. Manchmal mischte auch Jörg mit, aber dann drehte sich alles um Sex und die SMS wurden richtig ordinär. Die schickte ich dann nicht weg, verriet Jörg aber nichts davon.
Aber so konnte es natürlich nicht weitergehen. Michael war anscheinend doch ein bisschen schwerer von Begriff, als wir annahmen. Ich dachte, er würde gleich nach der ersten SMS wissen, dass ich es bin, die ihn so verehrt.
Schließlich benahm ich mich wie ein Idiot, wenn er nur in meine Nähe kam.
Letzte Woche zum Beispiel, waren wir gemeinsam am Rettungsdeck und unterhielten uns. Dabei sah ich einmal zu lange in seine herrlich grünen Augen und vergaß, was ich sagen wollte. Ich starrte ihn nur noch an. Und das Beste war, er starrte zurück und sagte auch nichts mehr. Da hatte ich das Gefühl, dass er genau wusste, was ich für ihn empfand. Als mir klar wurde, was ich tat, stammelte ich etwas davon, dass ich wohl besser gehen sollte und stolperte verlegen davon.
Aber er ließ mit keinem Wort erkennen, dass er wusste, dass ich es war, die ihm diese kitschigen SMS schickte.
Eines abends saß ich mit Anne in ihrer Wohnung und überlegte, wie ich noch deutlicher werden konnte, ohne meinen Namen zu nennen.
Anne schlug vor, dass ich doch eine anonyme Email Adresse einrichten sollte, damit er auch zurückschreiben konnte. Ich war begeistert von der Idee und machte mich gleich an die Arbeit.
„Ich weiß aber gar nicht, ob er überhaupt eine Email Adresse hat.“ meinte ich zweifelnd.
Aber Anne dachte wie üblich praktisch. „Sei nicht so ein Hasenfuß und versuch es einfach. Was kann schon passieren?“
Da musste ich ihr rechtgeben.
„Was für ein Synonym soll ich denn nehmen?“ fragte ich. Wir überlegte hin und her. „Vielleicht Dornröschen?“ schlug Anne vor. Das fand ich ganz lustig, aber man musste einen Vor- und einen Nachnamen eingeben. Diese dämlichen Email-Anbieter!
„Du musst etwas nehmen, das für dich steht. Für deine Gefühle zu ihm.“ meinte Anne.
Dann wusste ich es. Lara Croft. Schließlich kämpfte ich wie verrückt um ihn. Er wusste es nur noch nicht.
Als die Email Adresse fertig eingerichtet war umkreisten Anne und ich begeistert ihren Laptop. „Das war eine tolle Idee von dir!“ rief ich und küsste sie auf die Wange.
Anne warf den Kopf zurück. „Ja, ja so bin ich eben. Genial und geistreich!“ Arrogant streckte sie die Nase in die Höhe und lachte.
„Los, los, jetzt schreib ihm schon!“
Ich schrieb also die hoffentlich letzte SMS.
Michael, ich kann nur noch an dich denken
mein erster Gedanke am Morgen bist du, mein
letzter Gedanke am Abend bist du.
Vielleicht hast du Lust mir zu schreiben:
laracroft@hotmail.com
Anne lief in die Küche und kam mit einer Flasche Rotwein zurück. „Die werden wir jetzt brauchen!“ erklärte sie und schenkte zwei Gläser ein.
Als wir die halbe Flasche ausgetrunken hatten, traute ich mich immer noch nicht, die Email Adresse zu öffnen.
„Er hat bestimmt nicht zurückgeschrieben.“ rief ich verzweifelt.
„Du dumme Gans ! Schau nach bevor du jammerst!“ Anne machte Anstalten, zum Laptop zu gehen, aber ich hielt sie am Arm fest. „Lass uns lieber noch was trinken!“ bat ich. „Und eine rauchen.“ fügte ich hinzu.
Anne lachte mich aus, schenkte aber bereitwillig nach.
Nachdem die Flasche leer war, waren wir beide schon ziemlich angeheitert. Wir taten zwar gern so, als ob wir trinkfest waren, ehrlich gesagt vertrugen wir aber überhaupt nichts.
„Los, los jetzt schaun wer nach!“ rief Anne und kicherte albern.
„Vielleicht sollten wir noch was trinken?“ meinte ich vorsichtig.
Anne starrte mich an, aber dann lächelte sie breit. „Einverstanden.“
Diesmal holte sie Weißwein. Wir stießen miteinander an .
„Jetzt?“ fragte sie.
Ich zögerte. „Vielleicht sollten wir ein paar Salsa-Schritte üben?“
Anne lachte sich kaputt über meine Feigheit, legte aber ihre Lieblings (und einzige) Salsa-CD auf. Wir zwei Irre tanzten wir durch das Zimmer. Wir mussten uns aneinander festhalten, um nicht umzufallen.
Wir tanzten und tranken und tranken und tanzten.
Dann war die zweite Flasche leer. Anne sah mich ernst an.
„Jetzt.“ sagte sie und fing wieder an zu lachen.
Ich zögerte immer noch. Was, wenn Michael gar nichts von mir wissen wollte, oder mich, Gott behüte, auslachte?
Anne schien meine Gedanken zu lesen, denn sie begann zu singen. „Du feiges Huhn, du feiges Huhn, du wirst es nie nie nimmer tun!“ Dann rülpste sie vernehmlich. Gott, waren wir betrunken.
Konnte ich das auf mir sitzen lassen? Ich hastete zum Laptop und fiel beinahe hin.
Ich öffnete die Email Adresse und OH SCHRECK!!! Der Laptop sprach: Sie haben eine neue Nachricht.
Ich zündete mir eine neue Zigarette an und begann zu lesen.
VON: michael@hotmail.com
AN: laracrof@hotmail.com
Betreff: also
Also, jetzt schreibe ich dir. Ich bin ja froh, dass du dich nach den ganzen SMS durchgerungen hast, mir zu mailen. Ich wüsste wirklich gerne wer du bist.
Michael
Ich war auf einmal wieder stocknüchtern. Meine Hände waren richtig schwitzig, als ich ihm antwortete.
AN: michael@hotmail.com
VON: laracroft@hotmail.com
Betreff: RE: also
Hallo!
Es tut mir leid, dass ich mich nicht eher zu Erkennen gegeben habe. Aber das ist alles nicht so einfach, leider.
Ich glaub, ich hab mich in dich verliebt, wenn man das überhaupt so sagen kann.
xxx
VON: michael@hotmail.com
AN: laracroft@hotmail.com
Betreff: hilfe
Ich steh nicht so auf Versteckenspielen. Was ist denn sooo kompliziert? Gib dir einen Ruck und sag mir wer du bist. Dann können wir beide wie zwei „Erwachsene“ darüber reden.
Michael
Anne brüllte vor Lachen. „Wie zwei Erwachsene? Wenn der wüsste, dass du dich erst betrinken musstest und dann auch noch Salsa lernen musstest, bevor du überhaupt nur seine Email öffnen konntest!“ Beleidigt trat ich ihr auf den Fuß.
Ich war nun bereit, ihm zu sagen, wer ich war.
Da wurde Anne plötzlich ernst. „Bist du dir sicher? Du bist besoffen, du kannst nicht klar denken!“
Aber ich war mir sicher. Jetzt oder nie.
VON: laracroft@hotmail.com
AN: michae@hotmail.com
Betreff: das bin ich
Also gut. Am Ende dieser Mail wirst du verstehen, warum das sooo kompliziert ist.
Erst möchte ich dir noch sagen, dass ich für meine Gefühle absolut nichts kann. Solidarität ist ein schönes Wort, aber ich bitte dich, es in diesem speziellen Fall nicht so genau zu nehmen.
Also dann, liebe Grüße ............ KRISTIN
PS: und jetzt sterbe ich...
Und ich starb wirklich. Scheisse, was hatte ich getan?
VON: michael@hotmail.com
AN: laracroft@hotmail.com
Betreff: stirb langsam
Und....? Schon tot? Wirklich süß übrigens, wenn man die Nervosität schon an der Schreibweise erkennt.
Aber jetzt versteh ich natürlich, dass das Ganze kompliziert ist. Ich bin aber nicht böse oder so, sondern fühl mich sehr geschmeichelt. Ich finde dich schon sehr nett, aber bei mir hat sich eben alles mit der Tatsache, dass du mit Marc zusammen bist, schon erledigt.
Wir können uns gern mal treffen, wenn du willst und dann kannst du mir ja erzählen, was mit Marc ist oder nicht ist.
Liebe Grüße, Michael
„Juhuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu!“ Ich tanzte durchs Zimmer und konnte kaum noch klar denken. Mit dem letzten bisschen Verstand schickte ich ihm noch meine Handynummer.
Danach war der Abend gelaufen. Anne und ich betranken uns hemmungslos. Ich war so unglaublich glücklich. Es war alles gut gegangen. Er würde nicht zu Marc gehen. Und es bestand anscheinend eine reelle Chance, vielleicht mit ihm zusammenzukommen.
Es war unfassbar. Ich hatte tatsächlich einmal das Richtige getan.
Einige Wochen waren vergangen. Und sie beschäftigte mich immer noch. Die Frage aller Fragen: Wie sollte ich Michael meine Gefühle begreiflich machen und woher sollte ich wissen, dass er nicht sofort zu Marc rennt und ihm davon erzählt?
Das könnte nämlich absolut peinlich werden für mich. Und die ganze Geschichte wäre vorbei, bevor sie begonnen hat. Und jedes Mal, wenn Michael einen Patienten bringt müsste ich demütig in den Aufenthaltsraum verschwinden, damit ich ihm nicht in die Augen schauen muss. Schwierige Situation.
Ich überlegte hin und her, wie ich hier am besten und diskretesten vorgehen sollte.
Ich hatte wiedereinmal Tagdienst. Diese stupide Arbeit raubte mir noch den letzten Nerv. Ich musste endlich zusehen, dass ich einen neuen Job fand.
Das einzig gute an diesem Tag war, dass ich zusammen mit Anne Dienst schieben musste. Wie üblich kicherten wir unentwegt und machten uns über die Patienten lustig. Zum Glück war gerade in diesem Dienst nicht besonders viel los und wir konnten uns ungestört unterhalten.
„Machen wir am Wochenende was zusammen?“ fragte Anne, während sie sich die Nägel feilte. „Oder hat dich Marc wieder mal in Beschlag genommen?“
Ich klebte mir gerade meine Nagelspitzen mit Tixo ab, um mir danach selbst eine wunderbare French Maniküre zu machen.
„Scheiß auf Marc. Sicher machen wir was! Wir könnten mal wieder so richtig fortgehen. Marc hängt mir schon so zum Hals raus, das kannst du dir gar nicht vorstellen!“
Anne lachte. „Oh doch, das kann ich. Du musst ihn endlich verlassen. Ich weiß gar nicht, wieso du das nicht schon längst getan hast.“
„Ich auch nicht. Irgendwie ist soviel Gewohnheit im Spiel. Bis jetzt hab ich es einfach noch nicht geschafft. Aber ich arbeite daran.“
Anne begann nun auch, ihre Nagelspitzen abzukleben. „So ein klebriger Mist. Wenn nur eine professionelle Maniküre nicht so teuer wäre. Wenn ich mal einen reichen Mann heirate werde ich jede Woche zur Maniküre gehen. Übrigens finde ich nicht, dass es besonders schwierig ist, Marc zu verlassen. Dein Vater zieht doch bald aus deiner Wohnung aus. Wenn er im Dienst ist pack deine Sachen und verschwinde!“
„Du hast leicht reden. Nein, nein, ich bin es ihm schuldig, dass ich ehrlich zu ihm bin. Und das werde ich auch tun. Bald.“
„Warte nicht zu lange. Besonders jetzt, wo du dich so in Michael verliebt hast. Das könnte nicht gut ausgehen. Er weiß schließlich, dass du mit Marc zusammen bist. Und solange das so bleibt, wird er sich bestimmt nichts mit dir anfangen. Zu Recht!“
Ich schnitt eine Grimasse. „Ja, Ja. Du hast ja recht. Ich werde das regeln, versprochen.“
Anne lachte. „Mir brauchst du nichts versprechen. Es ist dein Leben.“
Auf einmal piepste Annes Handtasche. Sie sprang auf und kramte wie wild darin herum. Endlich hatte sie ihr Handy gefunden.
„Wer hat dir gemailt?“ fragte ich indiskret.
„Ich habe keine Ahnung.“ Anne musterte nachdenklich ihr Handy. „Seit Tagen schon bekomme ich so komische SMS, die übers Internet abgeschickt wurden. Ohne Absender. Und es stehen nur irgendwelche Zeichen drin. Ich weiß wirklich nicht, wer so etwas tut.“
„Das Internet!“ rief ich begeistert. „Das ist es!“
Anne schaute mich verständnislos an. „Was meinst du?“
Ich sprang auf und kümmerte mich nicht um meine frisch lackierten Nägel. Ich riss Anne das Handy aus der Hand und schaute auf das Display. Da stand eine Homepage-Adresse, fabelhaft! Sofort tippte ich sie in den Computer ein. Gratis SMS versenden, na bitte. Da hatte ich meine Lösung, nach der ich so lange gesucht hatte.
Anne trat hinter mich. „Willst du mir nicht verraten, was dich so in Euphorie versetzt?“ fragte sie sarkastisch.
„Anne! Das Internet! Dank sei Gott dem Herrn dass wir im Zeitalter des Handys leben! Man kann Gratis SMS übers Internet versenden. Und der Empfänger kommt nie auf den Absender drauf.“
Anne sah mich an, als ob ich verrückt geworden wäre. Vielleicht war ich das auch.
„Jetzt kann ich dem Michael anonym per SMS schreiben, was ich für ihn empfinde. Ich werde die SMS so formulieren, dass man ganz leicht draufkommen kann, wer ich bin. Aber falls die Antwort negativ ausfällt kann ich immer noch alles abstreiten!“ erklärt ich ihr.
Jetzt verstand sie. „Das ist ja wunderbar!“ jubelte sie. „Los, schreib gleich was!“
Ich überlegte. Ich schrieb etwas. Dann löschte ich es wieder. So ein Schwachsinn.
Nach einigen weiteren Versuchen hatte ich endlich das Richtige gefunden.
Hallo schönster Sani dieser Erde.
Wenn du wüsstest, was ich dafür
geben würde, dich nur ein einziges Mal
im Arm zu halten. Komm bald wieder!!!
Anne schaute mich skeptisch an. „Komm bald wieder?“ fragte sie. „Er war ja erst da, als er die letzte Patientin gebracht hat. Er wird sofort glauben, dass die SMS entweder von dir oder von mir ist!“
„Ja, so soll es ja auch sein.“ sagte ich zufrieden. „Wir werden sehen, wie er reagiert. Wenn er sauer ist, streite ich es einfach ab. Dann war es halt ein blöder Zufall.“
Anne kicherte. „Na darauf bin ich jetzt schon gespannt. Sag mal, hast du etwas dagegen, wenn ich jetzt Mittagspause mache? Schmeißt du den Laden allein für eine halbe Stunde?“ Ich nickte. „Ja, geh nur. Ich überlege mir inzwischen den Text für die nächste SMS.“
Nach einer Dreiviertel Stunde war Anne noch immer nicht zurück. Ich langweilte mich unglaublich. Es gab nichts zu arbeiten. Und ehrlich gesagt, hätte ich wahrscheinlich auch dann nicht gearbeitet. Ich musste mich wirklich um eine neue Stelle kümmern.
Ich rief wieder die Homepage mit den Gratis SMS auf und überlegte, was ich Michael noch schreiben könnte. Als ich gerade loslegen wollte, wurde die Drehtür aufgestoßen und niemand anders als Michael kam herein. So schnell ich konnte schloss ich die Homepage, bevor er sie sah. Dabei fiel mir die Maus vom Tisch. Sofort spürte ich, wie ich rot anlief. Michael schwang sich auf Annes Stuhl und seufzte. „Heute ist wieder mal die Hölle los. Wir fahren von einem Einsatz zum anderen. Ich hab noch nicht mal was gegessen.“ beschwerte er sich.
Bildete ich mir das nur ein, oder sah er mich wirklich komisch an?
„Bei uns ist es heute total ruhig. Zum Glück, sonst müsste ich ja arbeiten!“
Michael lachte. Mein Gott, war der Mann schön!
„Ich habe gerade eine Patientin in den Kreissaal gebracht und dachte mir, ich schau noch bei dir vorbei, bevor wir wieder fahren.“ Er grinste mich an.
Ich lächelte mein schönstes Lächeln. „Das ist lieb von dir.“
„Sag mal, weist du vielleicht, ob es in diesem Spital eine Abteilung gibt, wo man sich Tattoos entfernen lassen kann?“ fragte Michael.
„Ich schätze mal auf der Dermatologie. Aber genau weiß ich das nicht. Ich werd mich schlau machen für dich.“ antwortete ich.
„Ja, das wäre toll. Ich kann mein Tattoo nämlich nicht mehr sehen.“
„Wieso, was ist das für ein Tattoo?“
Statt einer Antwort stand Michael auf und zog sich den Pullover aus. Grundgütiger!
Er zeigte auf seinen Oberarm. „Das war mein Erstes. Was ich mir dabei gedacht habe, weiß ich bis heute nicht.“
Dann musste er leider wieder fahren. Ich versprach ihm, mich über Tattooentfernungen zu erkundigen. Es hatte also doch etwas Gutes, in diesem Irrenhaus zu arbeiten.
2.
Anne und ich wurden immer kreativer bei Verfassen der SMS. Manchmal mischte auch Jörg mit, aber dann drehte sich alles um Sex und die SMS wurden richtig ordinär. Die schickte ich dann nicht weg, verriet Jörg aber nichts davon.
Aber so konnte es natürlich nicht weitergehen. Michael war anscheinend doch ein bisschen schwerer von Begriff, als wir annahmen. Ich dachte, er würde gleich nach der ersten SMS wissen, dass ich es bin, die ihn so verehrt.
Schließlich benahm ich mich wie ein Idiot, wenn er nur in meine Nähe kam.
Letzte Woche zum Beispiel, waren wir gemeinsam am Rettungsdeck und unterhielten uns. Dabei sah ich einmal zu lange in seine herrlich grünen Augen und vergaß, was ich sagen wollte. Ich starrte ihn nur noch an. Und das Beste war, er starrte zurück und sagte auch nichts mehr. Da hatte ich das Gefühl, dass er genau wusste, was ich für ihn empfand. Als mir klar wurde, was ich tat, stammelte ich etwas davon, dass ich wohl besser gehen sollte und stolperte verlegen davon.
Aber er ließ mit keinem Wort erkennen, dass er wusste, dass ich es war, die ihm diese kitschigen SMS schickte.
Eines abends saß ich mit Anne in ihrer Wohnung und überlegte, wie ich noch deutlicher werden konnte, ohne meinen Namen zu nennen.
Anne schlug vor, dass ich doch eine anonyme Email Adresse einrichten sollte, damit er auch zurückschreiben konnte. Ich war begeistert von der Idee und machte mich gleich an die Arbeit.
„Ich weiß aber gar nicht, ob er überhaupt eine Email Adresse hat.“ meinte ich zweifelnd.
Aber Anne dachte wie üblich praktisch. „Sei nicht so ein Hasenfuß und versuch es einfach. Was kann schon passieren?“
Da musste ich ihr rechtgeben.
„Was für ein Synonym soll ich denn nehmen?“ fragte ich. Wir überlegte hin und her. „Vielleicht Dornröschen?“ schlug Anne vor. Das fand ich ganz lustig, aber man musste einen Vor- und einen Nachnamen eingeben. Diese dämlichen Email-Anbieter!
„Du musst etwas nehmen, das für dich steht. Für deine Gefühle zu ihm.“ meinte Anne.
Dann wusste ich es. Lara Croft. Schließlich kämpfte ich wie verrückt um ihn. Er wusste es nur noch nicht.
Als die Email Adresse fertig eingerichtet war umkreisten Anne und ich begeistert ihren Laptop. „Das war eine tolle Idee von dir!“ rief ich und küsste sie auf die Wange.
Anne warf den Kopf zurück. „Ja, ja so bin ich eben. Genial und geistreich!“ Arrogant streckte sie die Nase in die Höhe und lachte.
„Los, los, jetzt schreib ihm schon!“
Ich schrieb also die hoffentlich letzte SMS.
Michael, ich kann nur noch an dich denken
mein erster Gedanke am Morgen bist du, mein
letzter Gedanke am Abend bist du.
Vielleicht hast du Lust mir zu schreiben:
laracroft@hotmail.com
Anne lief in die Küche und kam mit einer Flasche Rotwein zurück. „Die werden wir jetzt brauchen!“ erklärte sie und schenkte zwei Gläser ein.
Als wir die halbe Flasche ausgetrunken hatten, traute ich mich immer noch nicht, die Email Adresse zu öffnen.
„Er hat bestimmt nicht zurückgeschrieben.“ rief ich verzweifelt.
„Du dumme Gans ! Schau nach bevor du jammerst!“ Anne machte Anstalten, zum Laptop zu gehen, aber ich hielt sie am Arm fest. „Lass uns lieber noch was trinken!“ bat ich. „Und eine rauchen.“ fügte ich hinzu.
Anne lachte mich aus, schenkte aber bereitwillig nach.
Nachdem die Flasche leer war, waren wir beide schon ziemlich angeheitert. Wir taten zwar gern so, als ob wir trinkfest waren, ehrlich gesagt vertrugen wir aber überhaupt nichts.
„Los, los jetzt schaun wer nach!“ rief Anne und kicherte albern.
„Vielleicht sollten wir noch was trinken?“ meinte ich vorsichtig.
Anne starrte mich an, aber dann lächelte sie breit. „Einverstanden.“
Diesmal holte sie Weißwein. Wir stießen miteinander an .
„Jetzt?“ fragte sie.
Ich zögerte. „Vielleicht sollten wir ein paar Salsa-Schritte üben?“
Anne lachte sich kaputt über meine Feigheit, legte aber ihre Lieblings (und einzige) Salsa-CD auf. Wir zwei Irre tanzten wir durch das Zimmer. Wir mussten uns aneinander festhalten, um nicht umzufallen.
Wir tanzten und tranken und tranken und tanzten.
Dann war die zweite Flasche leer. Anne sah mich ernst an.
„Jetzt.“ sagte sie und fing wieder an zu lachen.
Ich zögerte immer noch. Was, wenn Michael gar nichts von mir wissen wollte, oder mich, Gott behüte, auslachte?
Anne schien meine Gedanken zu lesen, denn sie begann zu singen. „Du feiges Huhn, du feiges Huhn, du wirst es nie nie nimmer tun!“ Dann rülpste sie vernehmlich. Gott, waren wir betrunken.
Konnte ich das auf mir sitzen lassen? Ich hastete zum Laptop und fiel beinahe hin.
Ich öffnete die Email Adresse und OH SCHRECK!!! Der Laptop sprach: Sie haben eine neue Nachricht.
Ich zündete mir eine neue Zigarette an und begann zu lesen.
VON: michael@hotmail.com
AN: laracrof@hotmail.com
Betreff: also
Also, jetzt schreibe ich dir. Ich bin ja froh, dass du dich nach den ganzen SMS durchgerungen hast, mir zu mailen. Ich wüsste wirklich gerne wer du bist.
Michael
Ich war auf einmal wieder stocknüchtern. Meine Hände waren richtig schwitzig, als ich ihm antwortete.
AN: michael@hotmail.com
VON: laracroft@hotmail.com
Betreff: RE: also
Hallo!
Es tut mir leid, dass ich mich nicht eher zu Erkennen gegeben habe. Aber das ist alles nicht so einfach, leider.
Ich glaub, ich hab mich in dich verliebt, wenn man das überhaupt so sagen kann.
xxx
VON: michael@hotmail.com
AN: laracroft@hotmail.com
Betreff: hilfe
Ich steh nicht so auf Versteckenspielen. Was ist denn sooo kompliziert? Gib dir einen Ruck und sag mir wer du bist. Dann können wir beide wie zwei „Erwachsene“ darüber reden.
Michael
Anne brüllte vor Lachen. „Wie zwei Erwachsene? Wenn der wüsste, dass du dich erst betrinken musstest und dann auch noch Salsa lernen musstest, bevor du überhaupt nur seine Email öffnen konntest!“ Beleidigt trat ich ihr auf den Fuß.
Ich war nun bereit, ihm zu sagen, wer ich war.
Da wurde Anne plötzlich ernst. „Bist du dir sicher? Du bist besoffen, du kannst nicht klar denken!“
Aber ich war mir sicher. Jetzt oder nie.
VON: laracroft@hotmail.com
AN: michae@hotmail.com
Betreff: das bin ich
Also gut. Am Ende dieser Mail wirst du verstehen, warum das sooo kompliziert ist.
Erst möchte ich dir noch sagen, dass ich für meine Gefühle absolut nichts kann. Solidarität ist ein schönes Wort, aber ich bitte dich, es in diesem speziellen Fall nicht so genau zu nehmen.
Also dann, liebe Grüße ............ KRISTIN
PS: und jetzt sterbe ich...
Und ich starb wirklich. Scheisse, was hatte ich getan?
VON: michael@hotmail.com
AN: laracroft@hotmail.com
Betreff: stirb langsam
Und....? Schon tot? Wirklich süß übrigens, wenn man die Nervosität schon an der Schreibweise erkennt.
Aber jetzt versteh ich natürlich, dass das Ganze kompliziert ist. Ich bin aber nicht böse oder so, sondern fühl mich sehr geschmeichelt. Ich finde dich schon sehr nett, aber bei mir hat sich eben alles mit der Tatsache, dass du mit Marc zusammen bist, schon erledigt.
Wir können uns gern mal treffen, wenn du willst und dann kannst du mir ja erzählen, was mit Marc ist oder nicht ist.
Liebe Grüße, Michael
„Juhuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu!“ Ich tanzte durchs Zimmer und konnte kaum noch klar denken. Mit dem letzten bisschen Verstand schickte ich ihm noch meine Handynummer.
Danach war der Abend gelaufen. Anne und ich betranken uns hemmungslos. Ich war so unglaublich glücklich. Es war alles gut gegangen. Er würde nicht zu Marc gehen. Und es bestand anscheinend eine reelle Chance, vielleicht mit ihm zusammenzukommen.
Es war unfassbar. Ich hatte tatsächlich einmal das Richtige getan.
