Hermeneutik der Tarotkarten lernen durch die Hintertür

FIST

Neues Mitglied
Registriert
16. Februar 2004
Beiträge
25.976
Schalom Alechem

beim Deuten der Tarotkarten geht es ja nicht Primär darum, eine Bedeutungsformel auswendig zu lernen und sie dann zur Karte herunterzuleiern. Und auch sind ja nicht die Deutungssätze Älter als der Tarot, sondern sie entstanden ja durch Beschäftigung mit dem Tarot. Im Grunde genommen geht es beim Kartendeuten (Hermeneutik - die Lehre des Interpretierens) zuallererst ja nur einmal darum, ein Bild zu beschreiben, zu erfassen und dann in einem Kontext zu deuten.

Und darum wollen wir mal durch die Hintertür gehen und den Tarot gar nicht erst anfassen, geschweige denn Angucken, denn wenn ich fragen würde: was bedeutet diese oder jene Karte, würden wohl bei allen, die sich schon mit dem Tarot befasst haben die gelernten Deutungen nach oben kommen, weil man die Bedeutungen schon so sehr verinnerlicht hat, wass die die Ausdeutung des Bildes auch Beschränkt.

Die Hintertür heisst darum die Hermeneutik, speziell die Hermeneutik der Bildenden Kunst zu lernen.

Die erste Frage die man sich dabei Stellen sollte ist: was ist eigentlich auf dem Bild dargestellt

dazu eigenen sich meines Erachtens Franz Marc's Bilder ganz gut

0159-0041_die_verzauberte_muehle.jpg


was ist auf diesem Bild eigentlich dargestellt? was sieht man alles darauf?

Liebe Grüsse

FIST

(PS: Der Autor des Bildes (Franz Marc) ist vor mehr als 70 Jahren gestorben, weswegen das Bild nach Deutschem Urheberrecht Gemeinfrei ist)
 
Werbung:
Schalom Schalom

will man den Tarot deuten, muss man ja auch beachten, wann er entstanden ist, um das Kunstverständniss dieser Zeit zu erfassen.
Der Tarot entstammt ja der Rainesance und damals war die beherrschende Kuntrichtung die der Allegorie. Allegorie heisst : etwas anderes Ausdrücken. Also dass man durch ein Bild auf etwas anderes Verweist, was mit dem Bild nicht Identisch ist, aber mit dem Bild in einem Verwanntschaftsverhältniss steht.
Anders als der Freie Ausdruck in der Kunst ist die Allegorie an Regeln gebunden - es muss erkennbar sein, was damit ausgedrückt werden will und die Symbolik ist beschränkt. z.b. wird die Gerechtigkeit, wenn sie allegorisch dargestellt wird immer als Iusticia mit verbundenen Augen und der Wagschale dargestellt (ein Bild das man auch aus dem Tarot kennt)

eine der Bekanntesten Allegorien (die sich natürlich auch im Tarot findet) ist die Darstellung des Todes als Skelet und Sensemann.

was wird wohl in der folgenden Allegorie ausgedrückt

2718.jpg


(das diese Darstellung Ähnlichkeit mit einer Tarotkarte hat ist natürlich alles andere als Zufällig, da ja, wie gesagt, eine Allegorie an bestimmte Regeln der Darstellung gebunden ist)

Liebe Grüsse

FIST

(PS: der Autor des Bildes (Carl von Blaas) ist vor mehr als 70 Jahren gestorben, weswegen das Bild nach Deutschem Urheberrecht gemeinfrei ist)
 
Schalom Schalom

Auch nicht Schaden kann, wenn man sich etwas die Heraldik anschaut - dies vorallem, wenn man mit klassischen Tarots arbeitet (bei den Modernen spielt das keine Rolle mehr)

Heraldik ist eigentlich Wappenkunde - das berührt den Tarot nicht direkt - aber die Heraldik befasst sich auch mit den Bedeutungen von Farben und von Figuren (Gemeine Figuren).

In der Heraldik sind Ursprünglich nur 4 Farben und zwei Metalle zulässig, Rot, Grün, Blau und Schwarz und dazu die Metalle Silber (weiss) und Gold (Gelb) und jeder dieser Farbe hat natürlich eine besimmte Bedeutung, z.b. symbolisiert Rot, neben der Macht, auch Leidenschaft und Zorn, Blau ist die Farbe der Treue, Grün die der Liebe, bzw die Religion, Schwarz, steht für Individualität (aber auch für Gefahr, Trauer), Gold ist natürlich die Königliche Farbe, symbol der Ordnung und der Ewigkeit, Silber symbolisiert die Reinheit.

Die Klassischen Tarots verwenden nur diese Farben (Tarot de Marseille), bzw überwiegen diese Farben und andere Farben kommen nur am Rande vor (Visconti, Waite) und haben dann auch keine Bedeutung, wobei die heraldischen Farben immer bedeutungsschwanger sind.

Dazu kommen die sogenannten Gemeinen Figuren, auch Wappentiere genannt (die aber nicht zwingend Tiere sein müssen) die auch wieder eine bestimmte Bedeutung haben

Klassische Wappentiere sind der Löwe, der Adler, der Bär oder auch Fabelwesen wie Pegasus, Greife oder Einhörner
Dann natürlich Menschliche Darstellungen, oft Mönche oder Heilige
und dazu eine ganze Menge an Gegenständen: Schlüssel, Waffen, Werkzeuge usw..
oder Landschaftsmotive (Klassisch auf Wappen sind die drei Berge und Bäume und natürlich die Lilie), Astrologische Motvie (der Halbmond zum Beispiel)
Natürlich alle mit einer Bedeutung und alles Dinge, die man auch im Tarot wieder findet

So sagt z.b. die Deutsche Fahne (schwarz Rot Gold)... das Deutschland Frei und eigenständig sei (schwarz), Mächtig sei und auch bereit seine Freiheit zu Verteidigen (Rot) und Deutschland ewig sei und in Deutschland Ordnung herrscht (Gold)
Die Schweizerfahne sagt z.b. das die Reine und Vernünftige Schweiz als Christliches Land (weisses Kreuz) umgeben ist von Leidenschaft, Wut und Krieg (rot)

Liebe Grüsse

FIST
 
Schalom Schalom

nu haben wir ja das Grundlegendste und auch etwas vom Rande schon hinter uns, was bei der Deutung der Tarotkarten hilfreich sein kann - kommen wir zu den Symbolen.

die Wikipedia sagt zu den Symbolen schön viel/nichtssagend

Der Terminus Symbol (Lateinisch symbolum, „das (Kenn-)Zeichen“, „Emblem“, „Sinnbild“, „Bild“, syn– „zusammen–“ und ballein „werfen“, also „das Zusammengefügte“) wird im Allgemeinen für Bedeutungsträger (Wörter, Gegenstände, Vorgänge etc.) verwendet, die eine Vorstellung meinen (von etwas, das nicht gegenwärtig sein muss). Welche Vorstellung dann mit dem Wort "Symbol" konkret assoziiert (verbunden) werden soll, wird in den verschiedenen Anwendungsgebieten im Einzelnen speziell definiert.

Ein Symbol ist also ein Bedeutungsträger, der je nach Kontext verschieden interpretiert wird, die aber auf etwas Hindeuten, was nicht innerhalb des Syboles liegt (z.b. meint das Kreuz in sehr vielen Fällen das Christentum, obwohl das Christentum selber ja nicht im Kreuz direkt ausgedrückt ist - und in einem anderen Kontext verweisst das Kreuz wieder auf etwas anderes, was wiederum nicht durch das Symbol des Kreuzes erklährt werden kann.)

Die Verbindung des Symboles zur Bedeutung ist auch nicht immer gleicher Art - machmal erschliest sich das Symbol durch die Gestallt (Ideogramm), dann wiederum durch die Mathematik (z.b.Pentagram), dann wiederum hat es Allegorischen Charakter (z.b. Schlange oder Adler), oder hat beinahe schon den Charakter von Schriftzeichen (Planetensymbole).
Symbole sind auch nicht Eindeutig und haben verschiedene Bedeutungsebenen... so steht das Symbol
Merkur.gif

zwar Primär für den Planeten Merkur - kann aber in einem Alchemistischen Kontext auch das Quecksilber stehen. Aber man könnte es z.b. auch als Zusammenfügung des Zeichens für Stier und des Zeichens für Mars lesen, oder man könnte es als umgekehrten Reichsapfel interpretieren (so steht z.b. in der Alchemie ja auch das umgekehrte Symbol des Merkurs für den Stein der Weisen).
Ein Symbol vollgt auch nicht zwingend einer erkennbaren Logik, so könnte z.b. für Merkur auch ein völig anderes Symbol stehen und es würde, in bezug auf Merkur keinen Unterschied machen. Die Bedeutung erschliest sich nur durch eine Konvention, ähnlich wie bei den Schriftzeichen (warum schreibt man H H und nicht G?). Aber anderst als bei Schriftzeichen ist die Konvention freier und nicht so eng beschränkt - die Deutung eines Symboles ist assiziativer. S ist immer S egal ob der Kontext Stefan oder Sand ist, aber bei Symbolen entscheidet der Kontext über die genaue Ausdeutung des Symboles - wobei der Kontext auch immer die Person mit einbezieht, die das Symbol deutet.

Und die Bedeitung der Symbole kann sich auch, je nach Kulturellem und Geschichtlichem Kontext wandeln - ein Beispiel dazu währe z.b. die Swastika, welche in Europa ursprünglich ein Sonnenrad und Schutzsymbol darstellte, durch die Geschichte aber zu einem Symbol der Unmenschlichkeit geworden ist. Das Wort selber (Swastika) kommt aus dem Sanskrit und heisst: Glücksbringer - als solchen wird die Swastika in Indien auch verwendet - hat dort aber keinen oder Kaum bezug zur Sonne, wie die Swastika in Europa hatte. In China wiederum ist das Hakenkreuz ein Schriftzeichen für Unendlichkeit (chin. wán)

Wikipeida meint dazu

Symbole, wie sie in Religion, Mythos oder Kunst vorkommen, lassen sich in ihrer Bedeutung oft nicht rein rational übersetzen oder interpretieren. Sie enthalten einen Bedeutungsüberschuss: während die Bedeutung beispielsweise eines Verkehrszeichens genau definiert ist, übersteigt die Bedeutung eines religiösen, geträumten oder mythologischen Symbols die rationale Ebene und hat über den kulturellen Kontext hinaus eine für den Verwender oft intime psychische Bedeutung, die ohne fundierte Methode kaum eindeutig erkennbar ist. Deutungs-Versuche mit Hilfe z. B. der Traumanalyse ermöglichen es, diese Symbole besser zu verstehen.

Auch in der Komplexität sind Symbole uneinheitlich.. sie gehen von schlichten Darstellungen bis hin zu Bilder, die fast schon wieder zu allegorischen Darstellungen übergehen, so das die Grenze zwischen Allegorie und Symbol oft fliessend sind (z.b. der Pelikan, der seine Jungen mit dem eigenen Blut füttert, oder der Gluten speinde rote Löwe), andere Symbole wiederum fassen in sich mehrere Teilsymbole und werden zu einer Matrix (wiki: Eine Matrix (von spätlat. matrix Gebärmutter, Gebärerin; Pl.: Matrizes und Matrizen) ist in verschiedenen Zusammenhängen etwas, das andere Dinge umgibt oder eine abstrakte Struktur, innerhalb derer etwas angeordnet ist.), z.b. der Kabbalistische Lebensbaum.

rc.gif


was weis dieses Symbol so alles zu berichten? :wink:

Liebe Grüsse

FIST

(PS: Das Bild (Kreuz) wurde vor mehr als 100 Jahren veröffentlicht, weswegen es nach Deutschem Urheberrecht Gemeinfrei ist)
 
Hallo Fist,

Glückwunsch zu diesem gelungenen Beitrag. Deine Beiträge sind mir immer eine Bereicherung.
Ich werde das wohl noch ein paar mal durchlesen müssen, da mein armes Hirn mit soviel Gedankenanstössen auf einmal gar nicht fertig wird, aber ich bin echt begeistert.

Interessant finde ich auch die von dir sehr klug ausgewählten Bilder dazu, kann mir schon denken, warum du gerade Marc genommen hast!:)

Dieser Bericht führt mir wieder vor Augen, wie wenig ich noch vom Tarot weis und das jede einzelne Karte der großen Arkana eigentlich ein ganzes Buch in sich beinhaltet.

Hoffentlich gibts noch eine Fortsetzung...

VG Undine
 
Hi Undine

vielen Dank :)

hm: mir ist grad aufgefallen, dass mir noch ein Fehler unterlaufen ist - Das Symol des Merkur kann man natürlich nicht als Zusammenfügung von Stier und Mars lesen, sondern als Zusammenfügung von Stier und Venus ;)

Hm - um Wissen geht es ja nicht so sehr, eher um das genaue Hingucken und sich auf ein Bild einlassen, dann erschliesst sich meist die Bedeutung :)

Liebe Grüsse

FIST
 
Hallo,

ein gelungener Beitrag, wenn auch sehr viel Input. :)
Ohne in ein Buch zu sehen, habe ich jede Karte erstmal einzeln auf mich wirken lassen und mir Notizen gemacht, was ich erkenne. War scheinbar ein guter Weg.

Gruß Gry
 
Hallo,

ich habe es genauso gemacht. Erst alle Karten ausgebreitet und alle auf mich wirken lassen, ohne vorher die Bedeutungen nachzuschlagen. Für mich haben deshalb manche Karten noch andere Bedeutungen als die vorgegebenen. Manche haben sich allerdings auch mit meinen gedeckt, ganz unterschiedlich.

Trotzdem fasziniert mich immer wieder, wie geschickt eine Fülle von Informationen in der großen Arkana verborgen sind, die sich einem nur dann erschließen, wenn man sich darauf einlässt sich mit der Zahlenmystik, mit der Symbolik der Farben, der verborgenen Bildersprache, der Mythologie etc.... zu befassen.

Das erklärt vielleicht, warum ich so begeistert von Franz Marc bin.

VG Undine
 
Hallo,

Das erklärt vielleicht, warum ich so begeistert von Franz Marc bin.

VG Undine

Hi,

wir haben damals in der Schule schon seine ganzen Pferde-Bilder "bearbeiten" müssen - zum besseren Kunstverständnis. Die meisten meiner Mitschüler haben da ca. 1/2 Seite zu schreiben können. Die haben die Pferde gesehen. ;)

Kunstverständnis ist eine Sache für sich. Man muss Bilder auf sich wirken lassen. Ich glaube, ohne diese Fähigkeit im Ansatz zu haben, sollte man das Karten legen lieber lassen... (Monatskarte: 2 Münzen ... "Oh, ich glaube, mein Gehalt fällt diesen Monat kleiner aus." *g*)

Der Text von FIST war sehr gut, um das alles mal auf den Punkt zu bringen. Wenn auch partiell sehr anstrengend. FIST erinnert mich übrigens an Doktor Faustus. Und der wiederum an Thomas Mann. Und der an viele Bücher, die anstrengend zu lesen waren, aber durchaus gut. FIST - schonmal über deine jetzige Inkarnation nachgedacht? :doof: :weihna1

Lieben Gruß
Gry
 
Werbung:
FIST erinnert mich übrigens an Doktor Faustus.

MeFISTo wenn ich bitten darf:firedevil :firedevil :firedevil :firedevil

solange ich nicht ganz so schlimm schreibe wie Rudolf Steiner geht das aber oke :weihna1

Man muss Bilder auf sich wirken lassen. Ich glaube, ohne diese Fähigkeit im Ansatz zu haben, sollte man das Karten legen lieber lassen...

aber das kann man ja auch lernen

dazu beginnt man am besten bei Salvador Dali, der fasziniert irgendwie alle, die kein Kunstverständniss haben, geht dann über zu Pablo Picasso den man so, naja findet, wendet sich von ihm ab um vom Lichtspiel eines Rembrandt getroffen zu werden, den man dann zu Warhol in Kontrast setzt um bei Raffael zu landen (und dadurch den Prä-Raffaelische Stil der Rider/Waite Tarotkarten besser zu verstehen) und landet dann, über Lady Frida Harrys ganz unweigerlich beim Blauen Reiter und damit natürlich bei ihrem Grossen Poeten der Tiere - eben Franz Marc :)

Liebe Grüsse

FIST
 
Zurück
Oben