Was ist außer dem Schema noch zwingend erforderlich um erfolgreich gewaltfrei zu kommunizieren?
Es ist die innere gewaltfreie Haltung, - sich selbst und dem anderen gegenüber. Wenn Du z.B. auf diese Weise kommunizierst, um Dein Gegenüber manipulativ zu einer bestimmten Verhaltensweise/Aussage zu bringen, dann wird das Ergebnis entsprechend sein.
Wenn ich dich richtig verstanden habe, gibt es also eine lineare Abfolge?
Ja, zur Vereinfachung am Anfang. Das verschmilzt später zu Einem. Was ich vorhin nicht ausreichend herausgestellt habe, diese vier Schritte vollzieht man sowohl bei sich selbst als auch beim anderen, d.h. wenn mir jemand "blöde kommt", dann setze ich -wenn ich will - sozusagen meine gewaltfreien Ohren auf und höre hinter die Kulissen, was der andere beobachtet hat, welches ungute Gefühl auf welches dahinterstehende Bedürfnis schließen läßt und was er eigentlich wirklich sagen will. Ich höre auf das vordergründige Geplärre gar nicht, sondern sehe die dahinterstehende Not. Im übrigen kann gewaltfreie Kommunikation auch wortlos ablaufen.
Mir fällt da spontan zu Punkt 4 die Frage ein, was denn der Unterschied zwischen einer positiven Bitte und einem in die Zukunft gerichteten Wunsch ist?
Beispiel: Könntest Du künftig bitte das Rauchen in der Wohnung lassen ? = ein in die Zukunft gerichteter Wunsch. Dein Gegenüber hat so keine Möglichkeit im Hier und Jetzt zu Deinem Wohlbefinden beizutragen.
Gegenbeispiel: Könntest Du jetzt nochmals wiederholen, was ich gerade gesagt habe (Schritte 1 bis 3 z.B.)? = gegenwartsbezogene Bitte. Mal abgesehen davon, dass da Dein Gegenüber im Hier und Jetzt die Gelegenheit hat, Deinem Anliegen zu entsprechen, macht diese Bitte auch viel Sinn. Meine Erfahrung zeigt, dass in 99% der Fälle mein Gegenüber nämlich nicht meine sorgfältig formulierten Schritte gehört hat, sondern Anklagen und Vorwürfe. Wenn er mir das dann wiederholt, habe ich die Gelegenheit, mich nochmals deutlicher auszudrücken.
Zu dem 1. Punkt (reine Beobachtung ohne Wertung) wäre meine Frage, ob das denn überhaupt neurologisch, biologisch möglich ist?
Ob es neurologisch, biologisch möglich ist oder nicht, lasse ich mal dahingestellt. Auf jeden Fall ist es möglich, dass man sich bei der Bewertung einer Beobachtung selbst beobachten kann und dann kann man das sofort trennen.
Wenn ich heute Dinge beobachte, die in mir - schon fast automatisch - eine bestimmte Reaktion ablaufen lassen (meist Wertung + emotionale Beteiligung) , dann kann ich heute sofort trennen "Aha, da ist das an sich völlig neutrale Geschehen und da ist meine subjektive Interpretation und Reaktion". Das reicht für unsere Zwecke. Es ist nicht notwendig, Bewertungen abzuwürgen. Ausreichend ist, ihnen nicht den üblichen Raum zu geben, sondern eben statt dessen auf das Gefühl zu schauen.
Also Beispiel: statt "Du hast mich heute wieder den ganzen Abend alleine gelassen", "Du bist heute Abend um 23 Uhr nach Hause gekommen".
Zu Punkt 2 würde mich interessieren, wie ein "Pseudo" Gefühl sich von einem "wirklichen" Gefühl unterscheidet und wie man das eine von dem anderen unterscheiden kann? Ist nicht ein Gefühl eben ein Gefühl?
Mit einem Pseudogefühl verbindet man natürlich ein bestimmtes Gefühl. Also z.B. wenn ich auf intelligente eloquente Vielredner treffe, die gern ihr Wissen an den Mann/ die Frau bringen und zwar ohne Rücksicht auf den Empfängerhorizont, dann bekomme ich die Krise und würde üblicherweise entweder auf Konfrontationskurs gehen oder sofort den Rückzug antreten. Da ich kürzlich wieder in so einer Situation war, habe ich mal für mich die ersten 3Schritte vollzogen und ich hakte total bei Schritt 2. Es fiel mir einfach kein Gefühl ein, ich konnte nur sagen "Ich fühle mich erschlagen, zugemüllt, zugetextet etc." Es hat lange gedauert bis ich auf das Naheliegende kam: Ich fühle mich da schlicht hilflos/ohnmächtig (deswegen reagiere ich nämlich üblicherweise entweder mit Rückzug oder hänge selber die Superschlaue raus - Flucht oder Machtanwendung, das sind in der Regel die Reaktionen auf erlebte Ohnmacht). Wenn ich meinem Gegenüber dann mitteilen würde, "Hey, ich fühle mich zugemüllt oder erschlagen, wenn du 30 Minuten am Stück redest", dann hört der doch nur Vorwurf heraus. Wenn Du dagegen Dein Gefühl von Hilflosigkeit benennen kannst, was ja erstmal keine Bewertung seines Verhaltens enthält, ist die Chance bedeutend größer, dass du gehört wirst mit Deinem Anliegen.
Wie kann ich also das "unerfüllte Bedürfnis" finden und warum hältst Du das für sehr schwer?
Wer suchet, der findet! Und es ist deshalb schwer, weil wir verlernt haben, auf unsere ureigensten Bedürfnisse zu hören. Außerdem ist Bedürftigkeit in unserer Gesellschaft nichts, was wir uns gerne eingestehen und nun sollen wir es auch noch frei kommunizieren. Boah, was meinst du, wie verletzlich man sich damit macht. Dabei wollen wir uns doch immer alle schützen.
Katarina