Energeia
Sehr aktives Mitglied
Hallo,
ich möchte hier über ein Thema sprechen, das ich in der letzten Zeit in einigen Threads angesprochen habe, weil ich dies immer wieder beobachten konnte – bei anderen, aber auch bei mir.
1. Thema
Ich beobachte immer wieder Situationen, dass sich hier im Forum Schreiber durch die Beiträge anderer Schreiber angegriffen fühlen. Es entwickelt sich dann oft kein sachliches Gespräch und auch kein liebevolles Aufeinanderzugehen, manchmal versöhnen sich die Streitpartner auch, manchmal nehmen sie auch einfach gleich Abstand.
Diese Gefühle und der Umgang mit diesen Gefühlen ist das allgemeine Thema dieses Threads: einerseits das Miteinander, andererseits die Gefühle in einem Menschen in derartigen Situationen.
2. Buchstabenkommunikation, Gesellschaft, soziale Regeln und Verletzlichkeit
Aus meiner Sicht ist es so, dass wir uns hier im Internet lediglich anhand von Buchstaben, Zeichenketten verständigen. Es kann hier niemand einfach mit einer Pistole auf uns zugehen und uns erschießen. Es kann auch niemand einen Hammer nehmen und uns gegen den Bauch schlagen. Beitragschreiber können Beiträge schreiben und die Leser interpretieren diese Beiträge, gehen also mit diesen Worten um.
Der eine Leser lächelt vielleicht über den Beitrag von X, der andere fühlt sich angegriffen, ein dritter fühlt sich gar nicht angesprochen.
Wenn wir uns nun von Beiträgen besonders „angegriffen fühlen“, das ist nun meine These, dann verweisen diese Gefühl auf uns selbst, auf unser eigenes menschliches Sein. Viele Menschen neigen jedoch dazu, im Schreiber des Beitrages den Täter bzw. den Verursacher der eigenen Gefühle zu sehen.
Aus meiner Sicht kommt das „auch“ daher, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der soziale Regeln aufgestellt werden, wie ja z.B. auch in einem Forum. Diese Regeln dienen dazu, das Schreiben zu organisieren und sollen zugleich die Schreiber emotional schützen: Beleidigungen, etc. sind verboten. Diese sozialen Regeln sind natürlich abhängig von einer Gesellschaft: in China darf man dies schreiben, in anderen Ländern jenes und vor 2000 Jahren gab es wiederum andere soziale Regeln.
Einerseits schützen uns diese sozialen Regeln und Organisieren die sozialen Verhältnisse, andererseits suggerieren sie uns auch z.B. hier im Internet eine Monokausalität: der Schreiber X verletzt den Leser Y, so als wäre der Leser Y dem Schreiber X vollkommen ausgeliefert.
Die „Opfer“ erwarten dann eine „Entschuldigung“, „Einsicht“ beim „Täter“ und fühlen sich durch den Täter „verletzt“ - so das soziale Modell der Verursachung.
3. Aufgabe, Freiheit vs. Opfer-Täter
Aus meiner Sicht – wie schon angesprochen – verweisen diese „Schmerzen“ jedoch auf uns selbst zurück. So, wie ein Mensch denkt, wie er den Beitrag interpretiert und wie er emotionale fühlt, so wird ihm der Beitrag erscheinen.
Jedes Mal, wenn wir uns angegriffen fühlen, dann stellt sich eine Aufgabe, wie wir mit diesem Schmerz umgehen.
Ich sehe hier nun zwei Ebenen:
1. Man kann einerseits diesen Schmerz als eine Chance sehen, mit seinen eigenen Gedanken und Gefühlen, mit seinem Selbst umzugehen. Auf diese Weise kann man Verantwortung für seine Gefühle übernehmen und Freiheit und Unabhängigkeit entwickeln. Man kann die Wut dennoch ausdrücken, vielleicht indem man sie aufschreibt oder indem man sich irgendwie abreagiert, aber man ist sich dennoch dessen bewusst, dass dieser Schmerz auf der eigenen Verletzlichkeit beruht. Eventuell kann man auch einfach diesen Schmerz loslassen, wenn man dies erkennt, da es ja ein Schmerz ist, der rein durch Interpretationen eines Textes hervorgerufen wird, nicht durch physisch-mechanische Gewalteinwirkung auf den Körperleib.
2. Man kann andererseits diesen Schmerz als eine Folge der Tat des Täters sehen und sich durch diesen verletzt fühlen. Man kann dann eventuell eine Entschuldigung fordern oder kann ebenfalls aggressiv werden oder man wendet sich vielleicht auch verletzt ab, denkt jedoch, der andere hätte einen verletzt.
Es gibt hier wiederum zwei Fälle:
2.1 Wenn man sich verletzt fühlt, dann kann man die Wut aussprechen und vielleicht entschuldigt sich der andere. In diesem Fall werden die sozialen Normen einer Gesellschaft bestätigt, der soziale Zusammenhalt wird vielleicht sogar gestärkt, eventuell ist es sogar ein schönes Erlebnis, sich wieder zu versöhnen.
2.2 Eventuell fühlt sich der andere ebenfalls verletzt und vielleicht sogar gerade deshalb, weil der andere sich durch seine Worte verletzt fühlt: „Was, ich soll dich verletzt haben? Niemals, das ist ja unerhört!“ Auf diese Weise kann sich ein Gespräch entwickeln, in dem sich beide verhaken und die Beteiligten gegenseitige Vorwürfe erheben und indem sie auch wirklich versuchen, sich gegenseitig mit Worten zu verletzen, weil sie sich selbst auch angegriffen fühlen.
Im Fall 2.1 wirkt die Situation sozial integrativ und beide fühlen sich danach vielleicht sogar gut. Aus meiner Sicht ist es wichtig für die Sozialisation eines Menschen, besonders in der Kindheit, dass er solche Interaktionen erlebt. Dies bewirkt in einem Menschen das Lebensgefühl von Vertrauen in die Welt.
Man kann aber nicht immer davon ausgehen, dass dies auch tatsächlich so ablaufen wird. Gerade in einem Online-Forum ist das nicht immer der Fall.
Ganz unabhängig davon wird im Fall 2.1 die Verantwortung der Gefühle des Verletzten dem anderen zugeschrieben. Derjenige, der die Entschuldigung erwartet, übernimmt also nicht die Verantwortung für seine Gefühle, sondern macht den anderen für seine Gefühle verantwortlich und hat an den anderen eventuell auch Erwartungen.
4. 3 Ebenen des emotionalen Miteinanders
Aus meiner Sicht gibt es nun drei Formen, wie wir miteinander umgehen können.
1. In der Kindheit ist ein Baby vollkommen abhängig von der Emotionsregulation durch die Mutter. All das, was die Mutter tut, hat hier wirklich eine Auswirkung auf die Gefühle und Wunschbefriedigung des Kindes. Der Mensch braucht jedoch sehr lange, um sich von dieser Regulation durch andere sowie durch bestimmte Praktiken und Stoffe zu lösen. Die Menschen haben stets auch Bedürfnisse nach Essen, Trinken, Liebe, etc. . Aber sie können immer mehr lernen, dass sie dies von anderen lösen.
2. Ab einem bestimmten Zeitpunkt entwickelt ein Mensch dann eine solche Selbständigkeit und ein Distanzierungsvermögen, dass er sich nicht mehr von anderen abhängig machen muss. Er verdient z.B. sein eigenes Geld, kann sich dies und das kaufen, ist nicht mehr so eifersüchtig wie früher, lässt seinem Lebenspartner Freiheiten, nimmt sich selbst Freiheiten, er löst sich von sozialen Vorschriften, er kann auch für eine gewisse Zeit einfach alleine sein, etc. . Aus dieser Distanz zu sich und zu anderen kann ein Mensch dann lernen sich zu lieben. Er ist nicht mehr abhängig, sondern kann „offen“ und „liebevoll“ für sich und andere sein. Er muss nichts mehr erwarten, wenn er gibt, sondern er kann das geben, was er möchte. Und wenn er doch etwas erwartet, dann wird er bei einer Enttäuschung sich selbst regulieren können.
3. Wenn ein Mensch es vermag, diese Selbständigkeit und Freiheit durch bestimmte Praktiken zu entwickeln und sich selbst zu lieben, dann wird er mehr und mehr dazu fähig sein, tiefere Nähe mit anderen Menschen einzugehen. Er geht dann nicht nur in Distanz zu anderen, er kann sich nicht nur selbst regulieren, sondern er kann dann in die Nähe mit anderen hinein gehen und in dieser Nähe selbständig und frei agieren, ohne sich verletzt zu fühlen. Dies ist auch der Weg der spirituellen Entwicklung, die über diese Entwicklung noch hinaus führt.
Mich würde hierzu eure Meinung interessieren.
Liebe Grüße,
Energeia
ich möchte hier über ein Thema sprechen, das ich in der letzten Zeit in einigen Threads angesprochen habe, weil ich dies immer wieder beobachten konnte – bei anderen, aber auch bei mir.
1. Thema
Ich beobachte immer wieder Situationen, dass sich hier im Forum Schreiber durch die Beiträge anderer Schreiber angegriffen fühlen. Es entwickelt sich dann oft kein sachliches Gespräch und auch kein liebevolles Aufeinanderzugehen, manchmal versöhnen sich die Streitpartner auch, manchmal nehmen sie auch einfach gleich Abstand.
Diese Gefühle und der Umgang mit diesen Gefühlen ist das allgemeine Thema dieses Threads: einerseits das Miteinander, andererseits die Gefühle in einem Menschen in derartigen Situationen.
2. Buchstabenkommunikation, Gesellschaft, soziale Regeln und Verletzlichkeit
Aus meiner Sicht ist es so, dass wir uns hier im Internet lediglich anhand von Buchstaben, Zeichenketten verständigen. Es kann hier niemand einfach mit einer Pistole auf uns zugehen und uns erschießen. Es kann auch niemand einen Hammer nehmen und uns gegen den Bauch schlagen. Beitragschreiber können Beiträge schreiben und die Leser interpretieren diese Beiträge, gehen also mit diesen Worten um.
Der eine Leser lächelt vielleicht über den Beitrag von X, der andere fühlt sich angegriffen, ein dritter fühlt sich gar nicht angesprochen.
Wenn wir uns nun von Beiträgen besonders „angegriffen fühlen“, das ist nun meine These, dann verweisen diese Gefühl auf uns selbst, auf unser eigenes menschliches Sein. Viele Menschen neigen jedoch dazu, im Schreiber des Beitrages den Täter bzw. den Verursacher der eigenen Gefühle zu sehen.
Aus meiner Sicht kommt das „auch“ daher, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der soziale Regeln aufgestellt werden, wie ja z.B. auch in einem Forum. Diese Regeln dienen dazu, das Schreiben zu organisieren und sollen zugleich die Schreiber emotional schützen: Beleidigungen, etc. sind verboten. Diese sozialen Regeln sind natürlich abhängig von einer Gesellschaft: in China darf man dies schreiben, in anderen Ländern jenes und vor 2000 Jahren gab es wiederum andere soziale Regeln.
Einerseits schützen uns diese sozialen Regeln und Organisieren die sozialen Verhältnisse, andererseits suggerieren sie uns auch z.B. hier im Internet eine Monokausalität: der Schreiber X verletzt den Leser Y, so als wäre der Leser Y dem Schreiber X vollkommen ausgeliefert.
Die „Opfer“ erwarten dann eine „Entschuldigung“, „Einsicht“ beim „Täter“ und fühlen sich durch den Täter „verletzt“ - so das soziale Modell der Verursachung.
3. Aufgabe, Freiheit vs. Opfer-Täter
Aus meiner Sicht – wie schon angesprochen – verweisen diese „Schmerzen“ jedoch auf uns selbst zurück. So, wie ein Mensch denkt, wie er den Beitrag interpretiert und wie er emotionale fühlt, so wird ihm der Beitrag erscheinen.
Jedes Mal, wenn wir uns angegriffen fühlen, dann stellt sich eine Aufgabe, wie wir mit diesem Schmerz umgehen.
Ich sehe hier nun zwei Ebenen:
1. Man kann einerseits diesen Schmerz als eine Chance sehen, mit seinen eigenen Gedanken und Gefühlen, mit seinem Selbst umzugehen. Auf diese Weise kann man Verantwortung für seine Gefühle übernehmen und Freiheit und Unabhängigkeit entwickeln. Man kann die Wut dennoch ausdrücken, vielleicht indem man sie aufschreibt oder indem man sich irgendwie abreagiert, aber man ist sich dennoch dessen bewusst, dass dieser Schmerz auf der eigenen Verletzlichkeit beruht. Eventuell kann man auch einfach diesen Schmerz loslassen, wenn man dies erkennt, da es ja ein Schmerz ist, der rein durch Interpretationen eines Textes hervorgerufen wird, nicht durch physisch-mechanische Gewalteinwirkung auf den Körperleib.
2. Man kann andererseits diesen Schmerz als eine Folge der Tat des Täters sehen und sich durch diesen verletzt fühlen. Man kann dann eventuell eine Entschuldigung fordern oder kann ebenfalls aggressiv werden oder man wendet sich vielleicht auch verletzt ab, denkt jedoch, der andere hätte einen verletzt.
Es gibt hier wiederum zwei Fälle:
2.1 Wenn man sich verletzt fühlt, dann kann man die Wut aussprechen und vielleicht entschuldigt sich der andere. In diesem Fall werden die sozialen Normen einer Gesellschaft bestätigt, der soziale Zusammenhalt wird vielleicht sogar gestärkt, eventuell ist es sogar ein schönes Erlebnis, sich wieder zu versöhnen.
2.2 Eventuell fühlt sich der andere ebenfalls verletzt und vielleicht sogar gerade deshalb, weil der andere sich durch seine Worte verletzt fühlt: „Was, ich soll dich verletzt haben? Niemals, das ist ja unerhört!“ Auf diese Weise kann sich ein Gespräch entwickeln, in dem sich beide verhaken und die Beteiligten gegenseitige Vorwürfe erheben und indem sie auch wirklich versuchen, sich gegenseitig mit Worten zu verletzen, weil sie sich selbst auch angegriffen fühlen.
Im Fall 2.1 wirkt die Situation sozial integrativ und beide fühlen sich danach vielleicht sogar gut. Aus meiner Sicht ist es wichtig für die Sozialisation eines Menschen, besonders in der Kindheit, dass er solche Interaktionen erlebt. Dies bewirkt in einem Menschen das Lebensgefühl von Vertrauen in die Welt.
Man kann aber nicht immer davon ausgehen, dass dies auch tatsächlich so ablaufen wird. Gerade in einem Online-Forum ist das nicht immer der Fall.
Ganz unabhängig davon wird im Fall 2.1 die Verantwortung der Gefühle des Verletzten dem anderen zugeschrieben. Derjenige, der die Entschuldigung erwartet, übernimmt also nicht die Verantwortung für seine Gefühle, sondern macht den anderen für seine Gefühle verantwortlich und hat an den anderen eventuell auch Erwartungen.
4. 3 Ebenen des emotionalen Miteinanders
Aus meiner Sicht gibt es nun drei Formen, wie wir miteinander umgehen können.
1. In der Kindheit ist ein Baby vollkommen abhängig von der Emotionsregulation durch die Mutter. All das, was die Mutter tut, hat hier wirklich eine Auswirkung auf die Gefühle und Wunschbefriedigung des Kindes. Der Mensch braucht jedoch sehr lange, um sich von dieser Regulation durch andere sowie durch bestimmte Praktiken und Stoffe zu lösen. Die Menschen haben stets auch Bedürfnisse nach Essen, Trinken, Liebe, etc. . Aber sie können immer mehr lernen, dass sie dies von anderen lösen.
2. Ab einem bestimmten Zeitpunkt entwickelt ein Mensch dann eine solche Selbständigkeit und ein Distanzierungsvermögen, dass er sich nicht mehr von anderen abhängig machen muss. Er verdient z.B. sein eigenes Geld, kann sich dies und das kaufen, ist nicht mehr so eifersüchtig wie früher, lässt seinem Lebenspartner Freiheiten, nimmt sich selbst Freiheiten, er löst sich von sozialen Vorschriften, er kann auch für eine gewisse Zeit einfach alleine sein, etc. . Aus dieser Distanz zu sich und zu anderen kann ein Mensch dann lernen sich zu lieben. Er ist nicht mehr abhängig, sondern kann „offen“ und „liebevoll“ für sich und andere sein. Er muss nichts mehr erwarten, wenn er gibt, sondern er kann das geben, was er möchte. Und wenn er doch etwas erwartet, dann wird er bei einer Enttäuschung sich selbst regulieren können.
3. Wenn ein Mensch es vermag, diese Selbständigkeit und Freiheit durch bestimmte Praktiken zu entwickeln und sich selbst zu lieben, dann wird er mehr und mehr dazu fähig sein, tiefere Nähe mit anderen Menschen einzugehen. Er geht dann nicht nur in Distanz zu anderen, er kann sich nicht nur selbst regulieren, sondern er kann dann in die Nähe mit anderen hinein gehen und in dieser Nähe selbständig und frei agieren, ohne sich verletzt zu fühlen. Dies ist auch der Weg der spirituellen Entwicklung, die über diese Entwicklung noch hinaus führt.
Mich würde hierzu eure Meinung interessieren.
Liebe Grüße,
Energeia