Familienstellen - eine Heilslehre?

X-Toy

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Hallo alle miteinander.

Mir geht es so, dass ich immer mehr Schwierigkeiten habe, das Familienstellen anzuerkennen.

Warum?

Je mehr ich Ahnungen bekomme, was ihm therapeutischen Prozess wirkt, desto mehr beschleicht sich in mir das Gefühl, dass Familienstellen nur ein Fake ist. Leider.

Es gibt zum Einen keinerlei empirische Beweise dafür, dass Familienstellen bei psychischen Störungen hilft. Selbst systemische Familientherapie kann diesen Nachweis noch nicht erbringen, auch wenn sie da auf einen guten Weg ist:stickout2

Zum anderen ist es dieses Gefühl, dass von vielen nach Familienstellen berichtet wird. Ein Gefühl der inneren Klarheit, losgelöstheit, manchmal Euphorie, die Dinge wie sie sind durchblicken ...usw.
Nun, diese Gefühle erlebt ein Mensch auf jedem Kongress zur Selbstmotivation. Menschen lassen sich einfach sehr schnell in einen Zustand der Einsicht, Entspannung, Euphorie, usw. bringen. Deswegen funktionieren auch Workshops so gut. Leider verlässt die Einsicht und die Euphorie einen wieder schnell und man steht wieder am Anfang der Geschichte.

Ich habe jetzt schon einige Familienstellen gemacht, mehrere Male selbst aufgestellt und sehr oft wurde ich aufgestellt worden. Ich habe die einschlägige Literatur studiert.

Und ich komme nicht umhin festzustellen, dass die Möglichkeit besteht, dass Familienstellen letzlich nur ein Konstrukt ist, dass nicht einmal besonders gut therapeutisch wirkt. Natürlich - letztlich sind alle anderen Therapieformen auch Konstrukte, aber die wirken eben nachweislich besser.

naja, so geht es mir momentan.

x.toy:)
 
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X-Toy schrieb:
Es gibt zum Einen keinerlei empirische Beweise dafür, dass Familienstellen bei psychischen Störungen hilft. Selbst systemische Familientherapie kann diesen Nachweis noch nicht erbringen, auch wenn sie da auf einen guten Weg ist.
"Systemische Familientherapie" ist in Österreich schon lange offiziell als Psychotherapie anerkannt - dafür war auch der Beleg der Wirksamkeit notwendig.

Bezüglich "empirischer Beweise" war ich selbst überrascht, dass es die anscheinend bezüglich Familienstellen gibt. Dazu hatten wir vor kurzem einen eigenen Thread.

Reinhard
 
interessant was du zum aufstellen sagst! beweise, was ist das schon? meiner erfahrung nach ist eine aufstellung eine momentaufnahme einer situation - die einen anderen blickwinkel auf ein problem erlaubt. vielleicht ist es das was du mit euphorie meinst - das man spürt wie die menschen danach lösungsorientierter sind? natürlich wirkt es noch besser, wenn man danach weiterarbeitet!
ich habe sooft danach eine besserung erlebt, für mich funktioniert es einfach und wenn man nicht seine eigenen hypothesen verfolgt, sondern zuhört und schaut, angebote macht und regeln der systeme beachtet ist es ein wunderbares werkzeug......
was findest du das besser funktioniert?
lg claudia
 
Hallo X-Toy,

hmmm.. ;-) - Deine persönlichen Ansichten seien Dir völlig unbenommen, aber Systemische Psychotherapie ist zumindest in Österreich von den Krankenkassen anerkannt, und in Deutschland scheint ihre Nicht-Anerkennung eher gesundheits- und machtpolitische Gründe als solche mangelnder Praxiserfolge zu haben. In den USA ist Systemische Therapie insbesondere aufgrund ihrer raschen Erfolge und hohen Langzeiteffizienz (sie heisst dort "Solution Focused Therapy" oder "Brief Therapy") sehr beliebt.

"Systemische Strukturaufstellungen" oder "Systemische Aufstellungen", wie sie in der Systemischen Psychotherapie zur Anwendung kommen, weisen in wesentlichen Teilbereichen grosse Unterschiede zum sog. "Familienstellen" auf, auch wenn die methodischen Wurzeln und Grundmethoden beider ähnlich sind.

Heilserwartungen in Bezug auf einzelne Techniken halten im Bereich der psychischen Gesundheit so gut wie nie, was die jeweiligen Marktschreier verkünden. Psychische Veränderung braucht Zeit, und selbst die beste "Familienaufstellung" wird ausser vorübergehender Euphorie (und mitunter einem "Aha-Erlebnis", das nicht selten ein paar Wochen später aber auch so aufregend nicht mehr ist und die Aufstellenden nicht von den Mühen der alltäglichen Umsetzung entheben kann) nur wenig erreichen. Wichtig für psychische Veränderung, insbesondere die Veränderung jener Strukturen, in die man alltäglich eingebunden ist, ist nicht unbedingt intensive, aber nachhaltige und regelmäßige Arbeit an sich selbst, eine gewisse Zeit hindurch.

Um wieder auf die "Aufstellungen" zurückzukommen: ich habe in einem Artikel auf meiner Website ein paar wesentliche Details professioneller Strukturaufstellungen zusammengefasst und hoffe, diese helfen ein wenig bei der Aufhellung des "Mythos Systemaufstellung" - zur Klärung in Bezug auf das Mögliche - und eher Unmögliche. ;-) -> [Artikel-Archiv rlfe]

Freundlichen Gruss
rlfe
 
danke für den hinweis auf deinen artikel, den ich vor allem auch als lehrbeispiel gekonnter pr- und marketingarbeit aufgenommen habe. da ist mir dann doch die art und weise, in der der von mir sehr geschätzte matthias varga von kibed mit der arbeit hellingers umgeht und diese auch würdigt, sympathischer. der ist allerdings ja auch keiner mit "psychotherapeutischem ausbildungshintergrund", der pfründen zu verteidigen hätte, sondern universitätsprofessor für philosophie. vermutlich ist das eine bessere prämisse für den umgang mit objektiven tatbeständen. ich halte ja selber die oft überspitzte polemik hellingers gegen die psychotherapeuten für sehr fragwürdig, finde es dann aber umso bemerkenswerter, wie manche dieser therapeuten bar jeglicher souveränität sozusagen gleiches mit gleichem vergelten und in den krieg der worte ziehen. ich erinnere mich in diesem zusammenhang auch an ein seminar steve de shazers in graz, bei dem dieser erklärt hatte, dass seine "solution focussed brief therapy" in der regel mit drei bis zehn sitzungen auskäme. der hiesige boss der psychotherapeuten-berufsvereinigung sprang erregt auf und fragte ihn, ob er das wirklich glaube. de shazer: "no. I know." wobei solution focussed therapy und systemische strukturaufstellungen sich manche wurzeln teilen, aber grundsätzlich unterschiedliche wege gehen. de shazer kannte die arbeit von kibed/sparrer (und war selbst, gelernter soziologe und musiker, einer der großen skeptiker gegenüber psychotherapeuten, wie seinen büchern eindrucksvoll zu entnehmen ist, in denen er seine brief therapy ja auch ausdrücklich gegen die klassische wie auch neuere formen von therapie stellte und das wort therapie selbst teilweise im text nur in durchgestrichener form verwendete), er schätzte die beiden, war aber (wie insa sparrer selbst schreibt und sagt) der meinung, das stellen wäre für ihn a) eine art von chinesisch und b) überflüssig. ich halte es also für ein wenig fragwürdig, die solution focussed therapy und das SySt in einen Topf zu werfen, wie du es in deinem artikel tust. SySt hat viele elemente von de shazers arbeit integriert, vor allem die einstellung, wonach die lösungskompetenz ausschließlich beim klienten läge - es beeindruckt mich auch immer wieder, mit welch ersichtlich hohem respekt (er selber nennt das "ungarische höflichkeit") von kibed mit seinen klienten umgeht.

und so weiter. ich will nicht ausufern, mir war nur daran gelegen, ein wenig den mythos von der garantie zu relativieren, der mit "psychotherapeutischer ausbildung" verbunden wird. die entscheidenden weiterentwicklungen sind immer dort geschehen, wo rebellische geister die abgesteckten weidegründe verlassen und sich zu neuen horizonten aufgemacht haben. und in dieser hinsicht hat bert hellinger vermutlich nicht geringere verdienste erworben als andere bereits genannte. wobei solche entwicklungen immer auch ihren preis haben, keine frage. dazu gibt es einen schönen esssay von harrison owen, dem entwickler der "open space technology": "Raum für den Frieden", zu finden bei amazon. oder der klassiker von thomas s. kuhn zum paradigmenwechsel in der wissenschaft.

alles liebe,
jake
 
Hallo jake,

danke für dein ehrliches Feedback. Ich war mir eigentlich nicht bewusst, in diesem Bereich einen Krieg der Worte zu unterstützen, oder polemisch zu argumentieren - es würde mich (Vorschlag: via PM?) sehr interessieren, wo Du dies herausliest, sodass ich mir das mal 'vornehmen' kann: offensichtlich habe ich da eine Anfälligkeit. Denn ich muss auch zugeben, dass mich das Thema nicht kalt lässt: wenn Du schon mehrmals Menschen vor dir gehabt hättest, die gewissermassen bis ins Mark erschüttert sind, weil über sie von einer Gurufigur (sei es nun Hellinger persönlich oder einer seiner tausenden Schüler) eine Art Urteil gesprochen wurde, welches sie auch Monate nach einem derartigen Seminar noch nicht verkraften, dann weisst Du, was ich meine. Es sind dies Menschen, in deren Innerem innerhalb von wenigen Minuten etwas zerbrochen wurde, was häufig auch im Zuge einer "brief therapy" nur schwer wieder zu heilen ist. Da müssen dann erstmal andere Konzepte entwickelt werden als "Du bist ausgestossen!" oder "DAS ist deine Position!" (knieend vor dem Vater, in Demutshaltung, nachdem sie früher von ihm missbraucht wurde - aber wie konnte der Aufsteller denn das wissen, er kannte sie ja gerade mal 2 Minuten..? Schlimm dann nur, dass er sein Konzept einer "Lösung" nicht mal veränderte, als sie es ihm sagte...).

Ich selbst meine, von Varga von Kibed und auch von De Shazer Wichtiges gelernt zu haben (v.a. auch zwischenmenschlich - von ihrer Art, an Menschen / Dinge / Probleme heranzugehen). Ich arbeite im Grunde sehr kurzzeit/lösungsorientiert, entlastend, in die Zukunft blickend und verstehe mich nicht als Aufstellungstherapeut (dies bitte nicht misszuverstehen, nur weil ich in Bezug auf "Aufstellungen" eine bestimmte Meinung vertrete). "Aufstellungen" sind lediglich eine von vielen therapeutischen Methoden, Lösungen zu finden, und für die meisten Probleme sind m.E. andere Methoden weit sinnvoller und vor allem nachhaltiger wirkend als so eine Aufstellung.

Wesentlich allerdings ist meiner Ansicht nach (mag sein, dass ich hier damit allein bin), dass diese Aufstellungen, wenn sie dann zur Anwendung kommen, mit einem Mindestmass von professionellem Knowhow und womöglich auch von Menschen begleitet werden, deren einziges "Rezept" nicht nur das Aufstellen sein kann - weil sie halt nur wenig anderes gelernt haben. Ich entschuldige mich für den "Anspruch", dass Psychotherapeuten auf diesem Gebiet den TeilnehmerInnen höhere Sicherheit und Arbeitsqualität bieten können - das tue ich allerdings vor dem Hintergrund, dass sie halt jahrelang darin ausgebildet wurden, Menschen in psychischen Krisen nach aktuellem Forschungsstand optimal zu betreuen, und um das geht es hier ja wohl, nicht um eine abgehobene Expertendiskussion. Weder behauptete ich aber, dass PTh diesen Anspruch immer halten können, noch sage ich, dass es nicht auch unzertifizierte Hobbyinstallateure gibt, die einen teuren Gasofen gut reparieren können. Will ich allerdings sichergehen, "dass nix passiert", wende ich mich wohl doch lieber an einen ausgebildeten.

Was mich wundert, sind Deine Rückschlüsse vor dem Hintergrund Deiner Belesenheit. Dein Eindruck, ich werfe SyST und SFT in einen Topf etwa: wenn Du in der Literatur nachliest, wirst Du finden, dass SyST schlicht eine Weiterentwicklung einer systemischen Methode ist (welche ihrerseits ihre Wurzeln in Psychodrama und der Strukturarbeit Satirs hat - aber eben nur die Technik "Aufstellung", nicht die Therapieform insgesamt!).
Dass SyST Elemente der "Brief Therapy" integriert hat, nun ja, das ist von daher ja nicht verwunderlich - SyST-Therapeuten sind i.d.R. Systemische Therapeuten. Auch de Shazer selbst verstand sich, darauf angesprochen, explizit als solcher (dass er sich andererseits nicht gern mit Analytikern oder Gesprächstherapeuten unter dem Begriff "Therapeut" vereint fühlen wollte, dass kann ich mir - bei seinem Weltbild - gut vorstellen. :))

Um noch ein Missverständnis auszuräumen: psychotherapeutische Ausbildung allein ist noch kein "Persilschein", Dein Vorwurf, ich würde diesen Mythos aktiv betreiben, schmerzt ein wenig, als gerade ich relativ häufig in öffentlichen Beiträgen darauf hinweise. Ich meine lediglich - das dann aber doch nachdrücklich - dass die Chance, qualitativ gute Betreuung und Unterstützung zu erhalten, bei diesen höher ist. Diese Ansicht ist übrigens auch jene des "von Dir so geschätzten" Varga von Kibed, der ebenfalls Systemischer Psychotherapeut ist und sich im Gegensatz zu Deiner Interpretation sehr klar von der Arbeit Hellingers, so wie er sie seit gut 1 Jahrzehnt betreibt, abgrenzt. Dass Hellinger auch seine historischen Verdienste hat, daran besteht kein Zweifel - dies kann allerdings halt auch nicht seinen heutigen (vorsichtig formuliert: ) "lockeren" Umgang mit Verantwortung hilfesuchenden Menschen gegenüber entschuldigen, und die Art und Weise, wie er seine Ausbildungen und Shows betreibt. Um es mit Arist v.Schlippe, zu sagen (jetzt werfe ich auch mal mit Namen um mich ;)): "Was er an Gutem aufgebaut hat, entwertet er derzeit selbst, [..] er hätte die Psychotherapie als Ganzes ein Stück weiterbringen können, doch seine Entwicklung ist anders weiter gegangen."

Danke für Deine Literaturtipps - da werde ich bei nächster Gelegenheit gerne reinschauen .. Kuhn liegt sogar schon bei mir im Regal, hat bisher nur zu wenig Aufmerksamkeit (=Zeit) von mir erhalten. ;-)

Lieben Gruß
rlfe
 
Sehr interessant, was "rlfe" hier so zusammenschreibt. Interessant insbesondere aus dem von Jake erwähnten Aspekt der Werbung. Mir scheint es geht einzig um selbige. Offenbar reicht dem Herrn sein eigenes Forum nicht, um den Feldzug gegen Hellinger zu führen. In jenem Forum wurden schon Leute rausgeworfen nur weil sie wagten, pro Hellinger zu schreiben. Nicht sehr demokratisch. ich empfinde den Herrn als sehr scheinheilig.

Vorsicht!

Zudem bestätigt dieser Herr hier so ziemlich alles, was Hellinger - m.E. zu Recht - gegen Psychotherapeuten als Ausbeuter der Hilfesuchenden sagt. Ich empfehle "Ordnungen des Helfens".

A.
 
Hallo,

hmm... welchen Feldzug meinst du da genau? :) Ich erlaube mir nun einmal, zu diversen Dingen eine Meinung zu haben, ist das schon ein "Feldzug"? Für einen solchen müsste mich das Thema auch mehr berühren, de facto aber tangiert es mich kaum, denn ich praktiziere wie schon erwähnt nur in Ausnahmefällen "Aufstellungen". Wichtig aber ist mir bei diesem Thema ebenso wie bei vielen anderen genaue Wortwahl, wichtig sind mir Masstäbe von beruflicher Professionalität (sofern möglich) und eine gewisses Grundqualität der Betreuung von Menschen in psychischen Notsituationen. Nicht jeder besucht ja Aufstellungen nur aus Gründen von vagem "Interesse an Selbsterfahrung"...

Grundsätzlich frage ich mich beim Lesen Deiner dunklen Zeilen: ist man als PTh verpflichtet, zu allem und jedem nur "wischi waschi"-Meinungen zu haben? Darf/soll man als solcher überhaupt in einem öffentlichen Forum seine Meinung, wenn man denn eine hat, kundtun?

Da Du offensichtlich einen "Feldzug" meinerseits wahrnimmst, würde mich doch sehr interessieren, welche "Leute" (das hört sich ja nach einer erklecklichen Anzahl an!) ich angeblich "rausgeworfen" habe, weil sie Hellinger gut finden. :) Schmutzwäsche gut und schön, aber bitte konkret, trotz Esoterik als Überthema! ;-)
Blickt man ins Hellinger-Forum, ist unschwer zu erkennen, dass mit vielen seiner AnhängerInnen auf rationale Weise nicht zu reden ist - ich hoffe, uns gelingt es hier, ein gewisses Niveau zu wahren, dem Gegenüber nicht gleich das Schlechteste, Böseste zu unterstellen. Auch würde ich eigentlich ungern als sein prinzipieller, verbissener Gegner abgestempelt und schubladisiert werden - wie schon erwähnt schätze ich seine historischen Verdienste und Impulse durchaus. Wie bei vielen Themen ist es aber auch bei diesem sinnvoll, allzu vereinfachende "schwarz/weiss"-Schemata aufzugeben, sondern zu differenzieren: und da möchte ich dann schon auch bitte die Freiheit haben, das auszusprechen, was mich stört oder ich gar als unverwantwortlich empfinde, ohne von Dir oder anderen gleich als "Hellinger-Feind", "Werbetreibender für SFT" oder was auch immer kategorisiert und dafür mit verbalen Kanonenladungen behandelt zu werden.

Freundlichen Gruss
rlfe
 
hallo rlfe (?)!

da macht die engagierte diskussion spaß... und ich gehe davon aus, dass in einem diskussionsforum die diskussion auch das ist, worum es geht - therapeutische oder sonst irgendwie bewegende praxis muss ja auf anderen spielplätzen geschehen.

rlfe schrieb:
Ich war mir eigentlich nicht bewusst, in diesem Bereich einen Krieg der Worte zu unterstützen, oder polemisch zu argumentieren - es würde mich (Vorschlag: via PM?) sehr interessieren, wo Du dies herausliest, sodass ich mir das mal 'vornehmen' kann: offensichtlich habe ich da eine Anfälligkeit.
Ich bezog mich da weniger auf Deinen hier geposteten Thread, sondern eher auf den von Dir gelinkten Beitrag auf Deiner Website, und mein persönlicher Eindruck, meine Interpretation, mein Konstrukt ist es, dass rund um diese "Potsdamer Erklärung", die ich eher für das Ergebnis verselbständigter Gruppendynamik halte als für ein wirklich reflektiertes Papier - aber als solche auch mit Gewinn gelesen und daraus einige Impulse gewonnen habe -, dass also diese Erklärung schon auch irgendwie ins Horn der schon viel älteren Goldner-Agitation stößt, der ja mal formulierte: "Hellinger verfolgt ein politisches Konzept und ist mit allen Mitteln (sic!) zu bekämpfen." Das IST krieg mit Worten, oder? Ich zähle die Potsdamer Erklärung nicht unmittelbar zu dieser Form der Agitation, habe jedoch gemeint, in Deinem Text ein kaum relativiertes Einstimmen in die Attitüde "Der aufgeklärte, politisch korrekte Therapeut hat gegen Hellinger zu sein" zu erkennen - Clash of Psychocultures :). Wobei ja eh nichts dagegen zu sagen ist, wenn Du Hellinger nicht schätzt. Mich stört nur, dass gerade aus konstruktivistischer Richtung subjektive Wahrnehmungen in die Kommunikation eingebracht werden, als wären sie objektive Fakten. Und da das (eh irgendwie verständlich) auf beiden Seiten geschieht, eskaliert das immer wieder mal - tut mir leid, wenn ich dazu beigetragen haben sollte.
rlfe schrieb:
Denn ich muss auch zugeben, dass mich das Thema nicht kalt lässt: wenn Du schon mehrmals Menschen vor dir gehabt hättest, die gewissermassen bis ins Mark erschüttert sind, weil über sie von einer Gurufigur (sei es nun Hellinger persönlich oder einer seiner tausenden Schüler) eine Art Urteil gesprochen wurde, welches sie auch Monate nach einem derartigen Seminar noch nicht verkraften, dann weisst Du, was ich meine.
Das illustriert auch, was ich meine. Wenn in einem Nebensatz einer zum Guru ernannt (und hier wohl in eindeutig abfälliger Weise degradiert) wird und seine "tausende Schüler" in den gleichen Rang erhoben werden, dann erblicke ich darin untergriffige Rhetorik. Ich weiß schon, dass es ganz üble Auswüchse in der Stellerei gibt, habe einiges davon auch selbst erlebt, und ich weiß vor allem, dass die allerwenigsten, die sich auf Hellinger berufen, bei ihm oder von ihm gelernt haben ... da stimme ich zu: Der Umstand allein, dass jemand behauptet, sie/er würde "nach Hellinger" arbeiten, ist in keinerlei Hinsicht eine Aussage über die zu erwartende Qualität der Arbeit. Da feiert der Etikettenschwindel fröhliche Urständ, und freilich kommt es dann zwangsweise dazu, dass im Umfeld solcher schwer zu verantwortenden Umtriebe (Chuzpe? Selbstüberschätzung? Die so gern geübte esoterische Selbstvergottung?) labile Menschen Schäden beliebiger Tiefe bis hin zum Suizid davontragen. Und last not least: Obs nun schamanische Exzesse sein mögen oder dilettantischer Umgang mit der Brisanz des systemischen Stellens (als weiter Sammelbegriff, der das Familienstellen einschließt) oder aber - ja, auch das! - Folgen von danebengegangener Psychotherapie und/oder Psychiatrie beliebigen Zuschnitts (da könnt ich ein Beispiel aus nächster Nähe bringen...): Es geht nicht immer gut. Menschen lassen sich nicht gesundmanipulieren, so sehr sich das gerade auch KlientInnen immer wieder mal wünschen mögen. Und dann solche Fälle herauszugreifen, verbal malerisch zu illustrieren und als Beleg gegen eine ganze "Schule" ins Feld zu führen, das verstehe ich unter verbaler Kriegsführung - zumindest Guerillakrieg via Untergriff. Damit kann ich alles und jedes diskreditieren. Wobei ich auch weiß, dass es auf der anderen Seite eine der beliebtesten Ausreden für Kunstfehler bestgeschulter Ärzte ist: "Das ist nur ein bedauerlicher Einzelfall!" Wirklichkeit ist halt werder schwarz noch weiß...
rlfe schrieb:
Es sind dies Menschen, in deren Innerem innerhalb von wenigen Minuten etwas zerbrochen wurde, was häufig auch im Zuge einer "brief therapy" nur schwer wieder zu heilen ist. Da müssen dann erstmal andere Konzepte entwickelt werden als "Du bist ausgestossen!" oder "DAS ist deine Position!" (knieend vor dem Vater, in Demutshaltung, nachdem sie früher von ihm missbraucht wurde - aber wie konnte der Aufsteller denn das wissen, er kannte sie ja gerade mal 2 Minuten..? Schlimm dann nur, dass er sein Konzept einer "Lösung" nicht mal veränderte, als sie es ihm sagte...).
Genau so: Ich kenne dieses Beispiel aus der Presse, wo es offensichtlich einer vom anderen abgeschrieben hat - das stand in der "Zeit" und im "Spiegel" und es wurde im bayrischen Rundfunk kolportiert und in "Psychologie heute" ... allein die mangelnde Differenzierung und Vielfalt in der Kasuistik lässt bei mir tausend Fragezeichen aufblinken, welches Geschäft hier betrieben wird.
Ich kenne keine einzige Aufstellung - auch keine von Hellinger -, in der "Du bist ausgestoßen!" als Konzept entwickelt würde. Und die sattsam reproduzierte Missbrauchsgeschichte ist ein Extrembeispiel des auch sonst genug schweren "Nehmens der Eltern", das allerdings tatsächlich in Widerspruch zu Schulen steht, die die kämpferische Ausseinandersetzung mit den Eltern in der Vordergrund stellen. Wie überhaupt das "Nehmen, wie es ist" bei Hellinger sich grundlegend von der Veränderungsdynamik unterscheidet, die lösungsorientierte konstruktivistische Arbeit treibt. Wobei ich interessanter Weise auch bei M.v.Kibed/Insa Sparrer wenige Aufstellungen - SySt - erlebt habe, in denen nicht zumindest auch Teilelemente des Familiensystems zur Bewegung und Lösung dazukamen. In vielen Aufstellungen bei einigen aus dem Kreis der "tausende Hellinger-SchülerInnen", und/oder in zahlreichen Videos habe ich gesehen und erfahren (und einige Male auch am eigenen Leib), wie herausfordernd dieses "Nehmen der Eltern" ist ... und welche Wende es bringen kann, wenn es gelingt. Ebenso habe ich gesehen, dass es völlig sinnlos und prozeßkillend ist, dieses Nehmen erzwingen zu wollen. Wobei es oft für den nicht nur räumlich außen Stehenden ein anderes Bild ergibt als für die/den in der Aufstellung selbst.
rlfe schrieb:
Ich arbeite im Grunde sehr kurzzeit/lösungsorientiert, entlastend, in die Zukunft blickend und verstehe mich nicht als Aufstellungstherapeut (dies bitte nicht misszuverstehen, nur weil ich in Bezug auf "Aufstellungen" eine bestimmte Meinung vertrete). "Aufstellungen" sind lediglich eine von vielen therapeutischen Methoden, Lösungen zu finden, und für die meisten Probleme sind m.E. andere Methoden weit sinnvoller und vor allem nachhaltiger wirkend als so eine Aufstellung.
Die allermeisten, die ich kenne, und praktisch alle, denen ich vertraue, sind auch keine "reinen Aufsteller", sondern in vielen Methoden und Verfahren geschulte Therapeuten. Mit manchen Klienten gibt es "nur" eine Aufstellung (ich selber bin immer mit solchem Minimalismus zurechtgekommen und habe dabei entscheidende Impulse meiner Individuation erhalten), mit anderen gar keine, mit wiederum anderen eine Aufstellung im Zuge einer therapeutischen Begleitung... ich denke, es tut der Praxis nicht gut, wenn sie einer "reinen Lehre" untergeordnet wird, und es tut der Entwicklung einer ausdifferenzierten Methode nicht gut, wenn sie in einer Art von "vorauseilendem Pragmatismus" bis zur Unkenntlichkeit verwässert wird. Darum steh ich auf Schärfe im theoretischen Diskurs, die ich eher so sehe wie ein gutes Gewürz in einer Speise... quasi mein Gegenkonzept zum "Krieg der Worte".
rlfe schrieb:
Wesentlich allerdings ist meiner Ansicht nach (mag sein, dass ich hier damit allein bin), dass diese Aufstellungen, wenn sie dann zur Anwendung kommen, mit einem Mindestmass von professionellem Knowhow und womöglich auch von Menschen begleitet werden, deren einziges "Rezept" nicht nur das Aufstellen sein kann - weil sie halt nur wenig anderes gelernt haben.
D'accord ... und es darf gern ein bisserl mehr sein als ein Mindestmaß an professionellem Know-how. Für mich ein ganz wesentliches weiteres Kriterium, ob ich einem Therapeuten traue oder nicht, ist sein Umgang mit dem Instrument der Supervision. Wenn mir da eineR nicht klare Antworten geben kann, lass ich die Finger davon.
rlfe schrieb:
Will ich allerdings sichergehen, "dass nix passiert", wende ich mich wohl doch lieber an einen ausgebildeten.
Sichergehen? Nun ja... sicher in der Hinsicht, dass ich selbst die "erforderliche Sorgfalt" bei der Ausübung meiner Eigenverantwortung geübt habe. Generell sichergehen, dass die therapeutische Begleitung etwas bringt, kann ich wohl kaum. Und dann gibt es ja auch noch solche, die einen "unausgesprochenen Behandlungsvertrag" mitbringen, wie ihn Eric Berne mal etwas sarkastisch formulierte: "Beschäftige mich, tu viel mit mir und lass es schmerzlich werden und teuer, lass es dauern, mach was du willst, nur: ich möchte mich nicht ändern." Ein Profi mit gut ausgebildeter Ethik wird auf dieses Spiel nicht einsteigen. Ausübende des Helfersyndroms (mit oder ohne Ausbildung) werden über solche KlientInnen begeistert sein.
rlfe schrieb:
Was mich wundert, sind Deine Rückschlüsse vor dem Hintergrund Deiner Belesenheit. Dein Eindruck, ich werfe SyST und SFT in einen Topf
Das bezog sich auf explizite Formulierungen auf Deiner Homepage, die ich nun nicht mehr wiederfinde ... womöglich hab ich ja halluziniert. Mir schien überhaupt der allgemeine Teil zur Aufstellungsarbeit länger gewesen zu sein. Vielleicht ist es ja einfach zu heiß draußen... :)
rlfe schrieb:
Varga von Kibed, der ebenfalls Systemischer Psychotherapeut ist und sich im Gegensatz zu Deiner Interpretation sehr klar von der Arbeit Hellingers, so wie er sie seit gut 1 Jahrzehnt betreibt, abgrenzt.
das tut er ... und zugleich würdigt er auch einiges. so zitiert er fairer weise auf seiner homepage die Göppner-studie über die Wirkungen des Familienstellens oder betont an anderen Stellen (und auch heuer im Frühling bei einem Seminar in Graz) mehrfach die Bedeutung, die in der "Ritualisierung" der Ausgleichsfähigkeit von Schuld liegt, die Hellinger (aus chassidischen Wurzeln) ins Stellen übernommen hat - ausgleichsfähige Schuld im Kontrast zu moralischer Schuldzuweisung, das ist ja nicht ohne.
rlfe schrieb:
Dass Hellinger auch seine historischen Verdienste hat, daran besteht kein Zweifel - dies kann allerdings halt auch nicht seinen heutigen (vorsichtig formuliert: ) "lockeren" Umgang mit Verantwortung hilfesuchenden Menschen gegenüber entschuldigen, und die Art und Weise, wie er seine Ausbildungen und Shows betreibt. Um es mit Arist v.Schlippe, zu sagen (jetzt werfe ich auch mal mit Namen um mich ;)): "Was er an Gutem aufgebaut hat, entwertet er derzeit selbst, [..] er hätte die Psychotherapie als Ganzes ein Stück weiterbringen können, doch seine Entwicklung ist anders weiter gegangen."
Das find ich nun nett. Bezogen auf ein Denkmal oder auf einen, den man gern als Guru gehabt hätte und der einen enttäuscht hat, besitzt das Lamento eine innere Logik. Wenn ich das Gute einfach als "das Gute" nehmen kann, wird es doch nicht entwertet durch weniger Gutes, das ich der gleichen Person zuschreibe. So lese ich gern, dass auch Arist von Schlippe das Gute an Hellinger wahrnimmt und so sehr schätzt, dass er sogar die vermeintliche spätere Beschmutzung durch den Nestbauer bedauert. Ansonsten, die übliche Polemik wegen der Massenauftritte (was mich immer wieder wundert, weil das so oft als Argument von der Linken kommt, die auf einmal eine Vorliebe für elitäre Elfenbeinturm-Seminare zu entwickeln scheint... da wär's gut, auch mal bei Alfred Adler oder Manès Sperber nachzulesen und ihren ideologisch sympathischen, aber praktisch wenig erfolgreichen Ansätzen, die Psychotherapie in der Arbeiterbewegung zu verankern). Vor allem: Zwischen Hellinger aus der früheren Zeit des Familienstellens und dem Hellinger heute liegt eine ziemliche Spannweite mit (meine Einschätzung) ziemlichen Highlights und Abstürzen ... ebenso schwer wie unnötig, ihm da bei allem zu folgen. Sympathisch erscheint mir, dass er inzwischen ja selbst - vor allem seine spätere Arbeit, die er als "Bewegungen des Geistes" bezeichnet - sein Tun eher als Philosophie denn als Psychotherapie begreift.

Wie auch immer ... es ist amüsant, dass ich irgendwie immer zwischen den Stühlen lande. Ich bin durchaus kritisch gegenüber Hellinger, schätze aber Vieles von ihm sehr, auch viele schöne Texte ... und ich neige persönlich vor allem sehr zum konstruktivistischen Ansatz und habe viel von den hier nun eh schon reichlich oft Genannten gelernt ... und ich leiste mir den Luxus, nicht Partei zu ergreifen. Was mir auch deshalb leichter fällt, weil ich ja selber kein "Professioneller" bin, sondern nur interessierter Laie ... gebt also meinen Worten das angemessene Gewicht :)

Und: schon lange nicht mehr habe ich in diesem Forum so gern so viel Zeit für so viel Text aufgewendet :)

Alles Liebe,
Jake
 
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Hallo Jake,

danke für diese vielschichtige und in vielerlei Hinsicht sehr "feine" Antwort -
nu' brauch' ich allerdings ein bisschen Zeit ... :cool:

Meinen Artikel habe ich übrigens um einige Ergänzungen (z.B. betr. Satir) verlängert, nicht verkürzt -
solltest Du darin (oder anderswo von mir) aber tatsächlich solche Verallgemeinerungen finden,
lasse es mich bitte wissen (am besten vllt. via PM), diese würden mich nicht nur stören, sondern
wären schlicht auch fachlich inkorrekt, der Gedanke daran verursacht mir dzt. ein wenig Gänsehaut.

Lieben Gruß aus Wien,
rlfe
 
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