ES und Super-Ego und ihre schicksalhaften Fehlbewertungen

diabolo

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Die Wildnis, so hatte ich neulich ausgeführt, beinhaltet in sich das reine Willensprinzip, das Wilde ist durch das Wollen charakterisiert. Das Wilde entspricht auch dem Urwald, eigentlich auch dem Wald, der Wald als Symbol des Unbewußten. Nimmt man natürlich unseren durchforsteten Wald mit seinen Monokulturen dann hat man etwa ein ähnliches Bild wie wenn Leute normal (mono) gemacht worden sind und wie so eine Monokultur im Wald etwa in einem Großraumbüro kaum noch voneinander unterschieden werden können.

Warum hat Freud den psychischen Wald oder Urwald als ES bezeichnet. Wer weiß das? Das ES, das hört sich so an, wie "do kimmt wos!" Es ist dritte Person, sächlich, das Unbewußte also ins Sächliche abgewertet und distanziert. Neulich meinte eine Frau über ihren Stalker: "ES stand vor meinem Fenster!" Eine schon tüchtige Abwertung ins Unterpersönliche oder Außerpersönliche.

In der Bezeichnung ES liegt also schon was abwertendes. Da wirkt noch Luthers Wurf mit dem Tintenfaß: "Hebe Dich hinfort Satan!" "Hebe Dich hinfort ES!" Dieses Verhältnis zum Unbewußten drückt sich in der Wortwahl aus. Das Unbewußte ist also durchaus nichts geliebtes, es ist nur unumgänglich, ein wenig mit spitzer Pinzette in ihm, oder in seinen Erscheinungen herumzudoktern, weil die abendländische Wunschvorstellung von einer vernunftgesteuerten freien Lebensweise durch die Rückkehr des Verdrängten sich als Illusion herausgestellt hatte, man aber doch keineswegs von diesem ES sich da einen Strich durch die Rechnung machen lassen möchte.

Die Vernunft soll das Primat behalten. Das ES muß also in Schach gehalten werden, dazu muß es abgewertet werden und dies drückt sich in der Wortwahl aus. Bildlich gesehen steht da also einer im Schwimmbad am Beckenrand und schaut von da aus in das Wasser, bzw. zu den Erscheinungen des Wassers, die er vom Beckenrand wahrnehmnen kann. Während im Wasser die Manifestationen der Primärprozesse teils sichtbar werden müssen sie dann vom vernunftgemäßen Beckenrand (Sekundärprozesse) aus gedeutet und verstanden werden.

Man will so also gewissermaßen naß werden ohne zu schwimmen. Es stellt sich also die Frage, ob man bildlich gesehen nicht besser in das Wasser hineinsteigt und die Nässe des ES schwimmend erfährt, als vom Beckenrand aus seine Sekundärprozesse vielleicht zu überfordern. Geht es nicht vielleicht doch grundsätzlich darum daß Es und ICH wieder Eines werden, wie etwa Pferd und Reiter, was eine Gleichschätzung und Bewertung beider erfordert. Das Unbewußte ist mit allen seinen Inhalten genau so viel wert und genau so wichtig wie das bewußte Ich mit seinen realitätsorientierten Inhalten.

Vernunftprimat ist innig verknüpft mit Nützlichkeit und Frömmigkeit, fruma=Nutzen, und Nützlichkeitswünsche möchten vom Unnützen abstrahieren. Da den Menschen die Arbeit insoweit ausgeht als diese vermehrt an leblose Natur (mit Recht) delegiert wird, wird es vielleicht langsam Zeit das Leben um die "unnützen" Beiträge und Möglichkeiten des Unbewußten zu erweitern.

Wenn man auf dieser gewählten sprachlichen Grundlage dann formuliert: "Aus Es soll Ich werden", kann dies nur eine Vergewaltigung des ES bedeuten, aus dem Frosch soll ein Prinz werden, das Unbewußte ist aber ein Frosch und muß als solcher gewertschätzt werden, man macht ja auch auf deutsch gesagt, aus einem Arsch keinen Kopf, aber man kann wohl den Arsch für eben so viel wert erachten wie den Kopf.

Betrachtet man diese Überlegungen merkt man, da kann kein Schuh draus werden, sowas kann garnicht funktionieren. Wenn man die Hände faltet und sich vorstellt die Hände seien miteinander verwachsen kann man sie nicht willkürlich voneinander lösen. Ebensowenig kann man aus einem ES ein ICH machen wenn man geringschätzende Vorstellungen davon (vom ES) hat, diese den Bemühungen zugrundeliegen.

Das Wort Über-Ich ist nicht gerade originell, aber versteht man unter dem Ich den persönlichen Kern so wird hier geradezu eine Überperson im Wort konstruiert und somit aufgewertet. Das Über-Ich könnte man als die konservative erhaltende Präsenz der Umwelt internalisiert in die Psyche sich denken. Und dieses Über-Ich wird durch die Wortwahl geradezu in dem Maße übergeschätzt und überbewertet wie das ES durch die Wortwahl abgewertet wird.

Wenn jetzt der leblose Bürger ein bischen Leben (ES) spüren will muß er sein Über-Ich schwächen, er muß es analysieren und hinterfragen und so Raum für ES-Impulse schaffen. Damit er etwas abgewertetes (ES) spüren kann muß er etwas Aufgewertetes (Über-Ich) schwächen. Wenn man schon mit soviel übermäßiger Wertschätzung und Achtung und Respekt sich dem Über-Ich alleine wegen der Wortwahl annähern muß, ist um im Bild zu bleiben die Faust schon wieder so fest geschlossen durch diese suggestive sprachliche Wirkung, daß man sich die willkürlichen Öffnungsversuche vielleicht gleich mitsparen kann.

Wollen wir weiter autoritär buckeln oder mehr für das Leben tun. Im letzteren Falle sollte man sich mal Gedanken über die Sprachregelungen und die zugrundeliegenden Einstellungen machen.
 
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