ein langer traum (eine art tagebuchbericht)

BlackAngel1988

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8. Juni 2004
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Sachsen - Leipzig(Reudnitz)
Wir gehen Schritt für Schritt aufeinander zu, strecken unsere Arme nacheinander aus und sehen uns in die Augen. Dann rennen wir los und reißen die Schwerter in die Luft. Die Klingen treffen mit einem metallischen Geräusch aufeinander und die Muskeln scheinen zum Zerreisen gespannt. Ich sehe seine Augen und darin brennt das gleiche Feuer wegen dem wir kämpfen. Der Glanz in seinen Pupillen sagt er will töten doch ich will nicht sterben und darum kämpfe ich. Immer und immer wieder schlagen wir aufeinander ein. Schließlich hebe ich mein Schwert über den Kopf um im Bruchteil einer Sekunde den Kampf zu beenden. Er sieht die Klinge und er kann ihr nicht ausweichen doch ich stoppe. Ich sehe mich vor ihm stehen wie er tot am Boden liegt und das Blut in die Rillen im Asphalt läuft und ich sehe ihn in meinen Armen liegen. Und dann sehe ich wieder seine Augen und ich lasse das Schwert sinken.

Dann wache ich auf, schweißgebadet und unruhig schaue ich um mich. Ali liegt neben mir und er schaut mich mit seinen großen dunklen Augen an. „Keine Angst ich bin ja da.“ Sagt er leise und ich drücke meinen Kopf an seine Brust. Dann schließe ich die Augen und schlummere sofort wieder weg.

Ich stehe wieder auf der Straße und er ist weg. Ein paar Tropfen Regen fallen zu Boden doch er ist rot. Meine Beine knicken ein und ich falle auf die Knie, lasse das Schwert vor mir zu Boden sinken und schaue in den Himmel. Die Nacht hat die Straße eingehüllt und von irgendwoher höre ich den Krach der Stadt. Ich knie da und überlege was geschehen wäre, hätte ich zugeschlagen. „Nun ja, dann wärst du alleine gewesen. Niemand mehr, der dich in die Arme nimmt, der dir Witze erzählt und dich füttert wenn du Hunger hast. Du wärst alleine, dein ganzes Leben lang ...“ Ali steht neben mir auf der Straße und streckt seine Hand nach mir aus. Ich greife sie und er zieht mich mit einem Ruck auf die Beine. Ich lasse das Schwert fallen und umarme ihn.

Als ich die Augen aufschlage liegt Ali noch immer neben mir. Es ist Morgen, draußen regnet es. Er hat seine Arme um mich gelegt und ich kuschle mich in seine Hände. „Hast du nicht geschlafen?“ „Nein, ich hab die ganze Nacht hier gelegen und auf dich aufgepasst.“

Ich liege da und denke an die Zeit bevor ich Ali kannte. Ich erinnere mich noch an die Zeit als wäre es ein Traum gewesen doch ich fühle mich nicht mehr zu ihr gehörig. Nicht mehr verbunden mit den Kerlen, die mir immer wieder sagen das sie mich noch immer lieben, denn ich kann mich nicht mehr erinnern sie je geliebt zu haben. Alles an das ich mich noch erinnern kann sind Zyams Augen, als er die Tränen von meiner Wange streicht und sagt „Es gibt da jemanden der passt besser zu dir als ich und den wirst du sehr bald finden, vertrau mir!“ ich kann mich noch erinnern wie ich an ihm vorbei stürmte, er mich leicht auf die Wange küsste und ich wütend um die Ecke lief um dort weiter zu weinen. Ich kann mich noch erinnern an den Tag als ich karim das letzte mal sah, an meine letzte Begegnung mit Salim, das letzte Mal als ich Nabils warme Augen sah, an den Tag als Amin uns verließ und an die Sekunde als ich Hussein verabschiedete aber ich kann mich nicht mehr an die Tage dazwischen erinnern. Alles was geblieben ist, ist der Schmerz über ihr verschwinden, die Traurigkeit wenn ich an die Verbundenheit denke von der so gar nichts mehr geblieben ist ausser Schmerz. Ich erinnere mich wie ich jeden einzelnen meiner Brüder umarmte und ich umarme Ali weil er der einzige ist der von all denen noch bei mir ist.

Ich schaue ihn an und erkenne in ihm alle die ich vermisse. Er hat die gleiche haselnussbraune, reine Haut wie Nabil, die Lippen von Karim, die Augen von Zyam, die selben Haare wie Salim, Husseins Körperbau und die sanfte Stimme von Amin. Er ist nicht hübsch aber es scheint als wäre er Stück für Stück genauso hübsch wie meine Brüder, jeder für sich. Sie alle waren perfekt. Der unangefochten schönste von ihnen war Nabil.

Jeder der ihn ansah sagte das. Er war schlank, aber nicht zu dünn, hatte hellbraune, reine Haut und nur einen einzigen Leberfleck, auf der Wange, der seine Wangenknochen noch unterstrich. Seine Augen und seine Stimme waren sanft, er war höflich und in seinen Bewegungen geschmeidig wie ein Leopard. Und Nabil wusste das er hübsch war, denn zu hause konnte ihn nichts und niemand dazu bewegen mehr als eine Boxershorts anzuziehen. Sowieso gab es nur ein Kleidungsstück das ihm gut stand und das war seine braune Lederjacke, innen mit Lammfell gepolstert. Niemand schaute auf seine Hose, seine Schuhe oder sein T-Shirt, wenn man nach ihm fragte brauchte man nur nach dem Jungen mit der braunen Wildlederjacke fragen. Am hübschesten war Nabil wenn er in einer Badewanne voll türkisblauem Wasser mit Schaumbergen darin lag, den Kopf auf den Rand gelegt, den Nacken nach hinten durchgedrückt und die Augen geschlossen. Manchmal saß ich über eine Stunde und sah ihn nur an, wie er da lag. In Gedanken war er dann in Algerien, auf den weiten grünen Feldern in den Tälern. Nabil kam aus einer Gegend da gab es keine Verkehrsstaus, keine Polizeisirenen und keine Bandenkriege. Er hasste den Stress auf der Straße, er hasste seine Arbeit. Als ich neu in der Wohnung war fragte ich einmal was hinter der Tür am Ende des Ganges wäre und man sagte mir da dürfe ich nie rein. Irgendwann stand ich einfach im Zimmer und ich sah diesen Jungen mit geschlossenen Augen und Kopfhörern in der Mitte des Raumes auf seiner Matte sitzen. Er war so in die Musik versunken das er mich nicht hörte und er bemerkte mich erst als ich die Tür von innen wieder schloss. Als ich ihn kennen lernte konnte Nabil kein Deutsch aber er mochte mich von Anfang an. Von dem Tag an machten wir alles zusammen. Oft duschten und badeten wir auch zusammen, wir schliefen nebeneinander ein und niemand ging bevor der andere nicht wach war. Nachts gingen wir gemeinsam ins „le bit“ um noch etwas zu essen und zu trinken und wenn die anderen unbedingt wollten kamen sie mit. Wenn ich schnell irgendwo hin musste schnappte ich mir seine Jacke, oft vergaß ich meinen Schlüssel oder Ausweis in den Taschen doch immer fand ich ihn am Abend wieder. Ich vertraute Nabil mehr als allen anderen zusammen. Irgendwann an einem kalten Wintertag standen wir beide in einem Dönerladen und aßen Brot und Nabil schaute mich lange an mit seinen hellen Rehaugen. Und dann küsste er mich schüchtern und umarmte mich. Und als ich ihn umarmte fühlte ich all seine Sorgen von ihm abfallen. Er hatte seinen Kopf auf meine Schulter gelegt und seine Hände waren warm.

Am schlimmsten war der Tag an dem ich wusste ich würde ihn nach diesem Abend nie wieder sehen, als ich vor seinem Bett in seiner neuen Wohnung kniete und er mit geschlossenen Augen flüsterte, er sei zu schwach und könne nicht rausgehen. Er wolle nur noch schlafen, jahrelang schlafen und nie mehr aufstehen.

Ich weiß nicht was es war, Vorbestimmung, Schicksal oder die Trennung von den anderen aber Nabil wollte am nächsten Tag eigentlich nach Spanien abreisen, weil er meinte es läge daran das die Sonne nie vorbei komme. Doch Nori der seine Sachen zum Flughafen bringen wollte, wartete vergeblich und er war auch der einzige der nicht behauptete Nabil habe uns alle im Stich gelassen.

Ich weine oft wenn ich an Nabil denke denn ich habe nie wieder einen Jungen gefunden der so hübsch und perfekt war. Ali hatte seine Hautfarbe, dieses sanfte braun. Deshalb strich ich ihm gerne über die Wange, über die Augenbrauen und die Stirn. Und dann küsste ich ihn immer so wie Karim es immer mit mir gemacht hatte. Karim sagte immer, wenn man jemanden liebe und nie vergessen wolle solle man ihn immer wenn man an ihn denke auf die Stirn küssen und das tat ich. Ich tat es morgens wenn ich neben ihm wachte und von ihm geträumt hatte und ich küsste ihn wenn wir uns nach einem Streit wieder vertrugen.

Ich weiß irgendwann wird auch er weg sein aber das wird hoffentlich lange dauern. Und ist er erst weg werde ich mich auf die Suche nach meinen restlichen Brüdern machen, auf der ganzen Welt wie ich es schon immer tue. Und sollte der Tag kommen da ich meine Brüder vergesse oder sie nicht mehr mit Namen nennen kann, wird das der Tag sein, an dem ich alleine sterbe, alleine auf einer Straße liegend, mit dem Schwert in der Hand, mit dem ich gegen Zyam, Salim und Ali kämpfte. Und es wird regnen und das letzte was ich sehe sind die Sterne über mir, die gleichen Sterne die über jedem Abschied standen.

*

(copyright 2005 by JayCee - janasjaycee@hotmail.com)
 
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wow ...sehr schön finde ich das ...war das echt nur ein traum? es hört sich mehr nach einer wahren gedankenkette an..wie schön das du das mit dem auf die stirn küssen schreibst..das finde ich auch wunderbar und das stelle ich mir bei meinen "brüdern" auch immer vor..danke für den tollen text..

lieben gruss
kulkulcan
 
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