Hallo liebe Leute,
unsere Industrie wandert ab, ferner Osten im Aufschwung.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit - Von Gabor Steingart
Asien trumpft auf, China und Indien wachsen zu neuen "Masters of the
Universe" heran. Der Westen droht zum Verlierer der Globalisierung zu
werden. Die Arbeitskraft der Europäer wird entwertet - millionenfach.
Der Kapitalist geht dahin, wo die Verzinsung seines Kapitals am
höchsten ausfällt. Er baut eine Fabrik unter Palmen oder treibt einen
Stollen ins ewige Eis; Hauptsache am Ende des Jahres ist mehr Geld in
der Kasse als zu seinem Beginn. Das wichtigste Ziel des Kapitals ist
es nunmal, sich zu vermehren. Wenn es das Gegenteil täte, also
schmelzen würde, wäre niemandem geholfen, auch nicht den
Arbeitnehmern. Meist schmelzen dann die Arbeitsplätze zügig hinterher.
In der Zeitung taucht erst das Wort Missmanagement auf, dazu gesellen
sich in dichter Abfolge die Vokabeln Krise, Sanierungsplan,
Arbeitsplatzabbau.
Am Ende entscheidet sich die Überlebensfähigkeit der Arbeitsplätze
ohnehin an einer Frage, die in ihrer Schlichtheit schwer zu überbieten
ist: Gelingt es, aus Kapital mehr Kapital zu machen? Kein Kapitalist
wird zusehen wollen, wie sein Einsatz von Tag zu Tag schwindet. Tut er
es wider Erwarten doch, hört er bald schon auf, Kapitalist zu sein.
Die Arbeiter sind besser beleumundet, obwohl sie genauso
herumvagabundieren. Lässt man sie ungestört ziehen, gehen sie dahin,
wo hohe Bezahlung und gesicherter Lebensstandard locken. Die
Süditaliener wandern in den Norden ihres Landes, die Ostdeutschen nach
Westdeutschland, die Südamerikaner nach Nordamerika und Millionen von
Menschen überqueren Ozeane und Kontinente, nur um dem gelobten Land,
oder was sie dafür halten, näher zu kommen.
Die große Ungerechtigkeit besteht darin, dass das Kapital nahezu
überall willkommen ist, die Arbeiter sind es nicht. Das Geld wird
weltweit angelockt mit allen Tricks und Kniffen; vor den
herumziehenden Arbeitern aber schließen die Staaten ihre Tore. Wenn es
sein muss, übernimmt sogar das Militär die Abwehr der Störenfriede. Es
gibt noch ein weiteres wichtiges Merkmal, in dem sich Arbeit und
Kapital voneinander unterscheiden. Das Kapital und der Kapitalist sind
eine Einheit, das eine kann ohne den anderen nicht leben. Sie sind
verschweißt und verlötet. Staaten wie die DDR, die durch
Verstaatlichung versuchten, das Kapital von seinen privaten
Eigentümern zu trennen, haben es bitter bereut.
Der Kapitalist ist flexibel, regelrecht unruhig geworden
Die Arbeit und der Arbeiter leben nicht in der gleichen Symbiose, das
ist ihr Nachteil von Anfang an. Ihr Kommen und Gehen über
Landesgrenzen hinweg kann gestoppt werden. Ihr Arbeitsplatz aber lässt
sich durch den Einsatz von Grenzsoldaten nicht halten. Dass es den
Staaten des Westens dennoch jahrzehntelang gelungen ist, auf den
Arbeitsmärkten weitgehend unter sich zu bleiben, wirkt in der
Rückschau wie das eigentliche Wunder der Nachkriegsjahre.
Die Nationen tauschten alles Mögliche miteinander, führten ein und
führten aus, Bananen und Fernsehgeräte, Benzin und Stahlplatten, das
Geld wurde hin- und herüberwiesen, aber der Ex- und Import von
Arbeitern unterblieb. Westdeutschland holte eine Zeit lang zwar
türkische Gastarbeiter ins Land, aber für sie galten schon nach kurzer
Zeit die gleichen Regeln wie für die Einheimischen.
Auch zwischen Europa und Amerika wiesen die Arbeitsmärkte keine allzu
großen Unterschiede auf. Die Unternehmer diesseits und jenseits des
Atlantiks waren Konkurrenten, nicht Rivalen. Sie zahlten Löhne und
keine Almosen. Kinder waren Kinder und keine Knechte. Die bürgerliche
Gesellschaft sorgte schon per Gesetz für einen zivilisierten Umgang
zwischen Arbeitnehmer und Fabrikant, so dass beide nach all den wüsten
Jahrzehnten von Ausbeutung und Klassenkampf deutlich näher zueinander
rückten.
Die kommunistischen Führer in Osteuropa beobachteten das westliche
Tete-a-Tete der Sozialpartner mit Argwohn, aber sie nahmen an ihm
nicht teil. Sie tauschten mit dem Westen Rohstoffe und Waren, aber
seinen Arbeits- und Kapitalmärkten blieben sie fern. Auch die Dritte
Welt lebte auf einem anderen Stern, westliches Desinteresse und das
eigene Unvermögen sorgten für den Ausschluss von jenem Prozess, den
wir heute Globalisierung nennen.
Das alles hat sich gründlich verändert. Der Graben zwischen dem Westen
und dem Rest der Welt wurde zugeschüttet und stellt nun eher eine
Brücke dar. Die Kapitalisten stürmen abenteuerlustig hinüber, sie
machen von der neu gewonnenen Reisefreiheit reichlich Gebrauch. Sie
besichtigen die entlegendsten Orte der Erde in der erklärten Absicht,
sich dort häuslich niederzulassen. Ihre Fabriken entstehen allerorten
und die Arbeitsplätze ziehen ohne zu zögern hinterher.
Die Summe aller Direktinvestitionen, also jener Gelder, die von einer
Nation außerhalb der eigenen Landesgrenze investiert werden, betrug
1980 erst 500 Milliarden Dollar. Der Kapitalist alter Schule war ein
eher häuslicher Typ.
Sein Nachfolger ist von anderem Kaliber. Mittlerweile sind die
Direktinvestitionen auf zehn Billionen Dollar gestiegen, ein plus von
fast 2000 Prozent in nur 25 Jahren. Der Kapitalist ist flexibel,
vielerorts regelrecht unruhig geworden und verlangt dieselbe Reiselust
nun auch von den Arbeitsplätzen. Der Unternehmer alten Typs war ein
Patriarch und oft war er sogar nationaler gesinnt als seine Mitbürger.
Der moderne Kapitalist ist ein Vielflieger mit Bonuskarte, er ist
überall zu Hause und überall fremd. Wer ihn als Nationalisten
bezeichnet, wird zu Recht auf sein Unverständnis treffen.
Arbeitskraft wird gehandelt wie früher Silber und Seide
Mit ihm ziehen nun auch die Arbeitsplätze durch die Welt. Sie
verlassen den Westen und kommen in einem anderen Land wieder zum
Vorschein. Sie tauchen in einem indischen Softwareunternehmen auf,
begegnen uns in einer ungarischen Spielwarenfabrik oder einer
chinesischen Werkshalle für Fahrzeugmotoren. Auch wenn oft das
Gegenteil behauptet wird: Arbeitsplätze verschwinden nicht im Nichts.
Sie werden durch Technik ersetzt oder durch einen Arbeiter, der
andernorts zu Hause ist.
Eine Unerhörtheit geschah, mit der so keiner gerechnet hatte: Ein
Weltarbeitsmarkt ist entstanden, der sich täglich ausweitet und das
Leben und Arbeiten von Milliarden Menschen spürbar verändert. Über ein
unsichtbares Leitungssystem sind Menschen, die sich nicht kennen und
zum Teil nicht einmal von der Existenz des jeweils anderen Landes
wissen, miteinander verbunden.
Das eben unterscheidet die heutige Globalisierung von den frühen
Handelsnationen, den Kolonialimperien und dem Industriekapitalismus in
der Mitte des 19. Jahrhunderts: Zum ersten Mal in der Geschichte hat
sich ein weitgehend einheitliches Wirtschaftsystem herausgebildet, das
ausnahmslos alle Produktionsfaktoren umfasst: Kapital, Rohstoffe und
die menschliche Arbeitskraft werden heute gehandelt wie früher Silber
und Seide.
Vieles ist ins Rutschen geraten, von dem wir dachten, dass es
zementiert sei. Macht und Reichtum werden neu verteilt, die
Lebenschancen auch. Wir alle schauen auf die eine Welt - aber mit
höchst unterschiedlichem Blick.
Die Neuankömmlinge im Weltarbeitsmarkt blicken optimistisch nach vorn,
sie erwarten Großes von der Zukunft. Erstmals können etliche von ihnen
einen Lohn nach Hause tragen, der mehr ist als ein Trinkgeld. Der
weltweite Arbeitsmarkt ist für sie eine unerhörte Verheißung.
Für Millionen von Arbeitnehmern des Westens hält die neue Zeit eine
andere Lektion bereit, weshalb der Optimismus der frühen Jahre bei
ihnen verflogen ist. Viele werden in den kommenden Jahren aufhören,
Arbeitnehmer zu sein. Selbst dort, wo die westlichen Beschäftigten
sich mutmaßlich halten können, reißt es ihre Löhne in die Tiefe, nicht
in einem Rutsch, aber mit jedem Jahr ein bisschen. In ihrem Leben
macht sich etwas breit, das sie bisher in diesem Ausmaß nicht kannten:
Unsicherheit.
Für Angreifer wie Verteidiger ist das Entstehen eines
Weltarbeitsmarkts ein Vorgang von historischer Dimension, wie schon
der Blick auf die ungewöhnlich großen Menschenmassen belegt, die nun
in seine Richtung drängen. 90 Millionen Arbeiter aus Hongkong,
Malaysia, Singapur, Japan und Taiwan schlossen sich in den 70er Jahren
dem Wirtschaftssystem an, das bis dahin Westeuropäer, Kanadier und
Amerikaner nahezu allein beschickt hatten. Die Tigerstaaten wurden mit
großem Staunen, die Japaner mit der ihnen gebührenden Ehrfurcht
begrüßt. Doch diese Neuankömmlinge im Weltarbeitsmarkt waren nur die
Vorhut der Moderne.
Die Arbeitskräfte des Westens sind in die Minderheit geraten
Wenig später schon baten die Chinesen um Einlass; nach dem Ableben der
Sowjetunion folgten Osteuropäer und Inder, womit nun innerhalb einer
Zeit, die historisch kaum mehr ist als ein Augenaufschlag, rund 1,2
Milliarden zusätzliche Menschen im erwerbsfähigen Alter ihre
Arbeitskraft anbieten. Was für ein Verschiebung der
Kräfteverhältnisse: Die 350 Millionen gut ausgebildeten, aber teuren
Arbeitskräfte des Westens, die eben noch große Teile der
Weltproduktion unter sich ausmachten, sind fast über Nacht in die
Minderheit geraten.
Schon diese Angebotserweiterung wäre mehr als beachtlich, aber dabei
bleibt es nicht. Innerhalb der Angreiferstaaten wachsen aufgrund der
meist hohen Geburtenraten immer neue Menschen nach, die nur darauf
brennen, sich dem Weltarbeitsmarkt anzudienen. Sie wollen einen Job,
koste es, was es wolle. In den vergangenen zehn Jahren stieg die
Belegschaft im Weltarbeitsmarkt, obwohl kein neuer Staat mehr
hinzukam, nochmals um 400 Millionen Menschen. Weitere 200 Millionen
Menschen, sagt die dafür zuständige Internationale Arbeitsorganisation
der Uno in Genf, würden gern arbeiten, können derzeit aber keinen noch
so schlecht bezahlten Job ergattern. Sie sind arbeitslos und das
heisst: Sie sind Arbeiter im Wartestand.
In den Banken flimmern die Börsenkurse aus aller Welt über die
Bildschirme.
Was können wir dagegen tun?
Inlandswaren gezielt kaufen?
Keine Billigwaren aus dem fernen Osten kaufen?
..........
LG
Sonja
unsere Industrie wandert ab, ferner Osten im Aufschwung.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit - Von Gabor Steingart
Asien trumpft auf, China und Indien wachsen zu neuen "Masters of the
Universe" heran. Der Westen droht zum Verlierer der Globalisierung zu
werden. Die Arbeitskraft der Europäer wird entwertet - millionenfach.
Der Kapitalist geht dahin, wo die Verzinsung seines Kapitals am
höchsten ausfällt. Er baut eine Fabrik unter Palmen oder treibt einen
Stollen ins ewige Eis; Hauptsache am Ende des Jahres ist mehr Geld in
der Kasse als zu seinem Beginn. Das wichtigste Ziel des Kapitals ist
es nunmal, sich zu vermehren. Wenn es das Gegenteil täte, also
schmelzen würde, wäre niemandem geholfen, auch nicht den
Arbeitnehmern. Meist schmelzen dann die Arbeitsplätze zügig hinterher.
In der Zeitung taucht erst das Wort Missmanagement auf, dazu gesellen
sich in dichter Abfolge die Vokabeln Krise, Sanierungsplan,
Arbeitsplatzabbau.
Am Ende entscheidet sich die Überlebensfähigkeit der Arbeitsplätze
ohnehin an einer Frage, die in ihrer Schlichtheit schwer zu überbieten
ist: Gelingt es, aus Kapital mehr Kapital zu machen? Kein Kapitalist
wird zusehen wollen, wie sein Einsatz von Tag zu Tag schwindet. Tut er
es wider Erwarten doch, hört er bald schon auf, Kapitalist zu sein.
Die Arbeiter sind besser beleumundet, obwohl sie genauso
herumvagabundieren. Lässt man sie ungestört ziehen, gehen sie dahin,
wo hohe Bezahlung und gesicherter Lebensstandard locken. Die
Süditaliener wandern in den Norden ihres Landes, die Ostdeutschen nach
Westdeutschland, die Südamerikaner nach Nordamerika und Millionen von
Menschen überqueren Ozeane und Kontinente, nur um dem gelobten Land,
oder was sie dafür halten, näher zu kommen.
Die große Ungerechtigkeit besteht darin, dass das Kapital nahezu
überall willkommen ist, die Arbeiter sind es nicht. Das Geld wird
weltweit angelockt mit allen Tricks und Kniffen; vor den
herumziehenden Arbeitern aber schließen die Staaten ihre Tore. Wenn es
sein muss, übernimmt sogar das Militär die Abwehr der Störenfriede. Es
gibt noch ein weiteres wichtiges Merkmal, in dem sich Arbeit und
Kapital voneinander unterscheiden. Das Kapital und der Kapitalist sind
eine Einheit, das eine kann ohne den anderen nicht leben. Sie sind
verschweißt und verlötet. Staaten wie die DDR, die durch
Verstaatlichung versuchten, das Kapital von seinen privaten
Eigentümern zu trennen, haben es bitter bereut.
Der Kapitalist ist flexibel, regelrecht unruhig geworden
Die Arbeit und der Arbeiter leben nicht in der gleichen Symbiose, das
ist ihr Nachteil von Anfang an. Ihr Kommen und Gehen über
Landesgrenzen hinweg kann gestoppt werden. Ihr Arbeitsplatz aber lässt
sich durch den Einsatz von Grenzsoldaten nicht halten. Dass es den
Staaten des Westens dennoch jahrzehntelang gelungen ist, auf den
Arbeitsmärkten weitgehend unter sich zu bleiben, wirkt in der
Rückschau wie das eigentliche Wunder der Nachkriegsjahre.
Die Nationen tauschten alles Mögliche miteinander, führten ein und
führten aus, Bananen und Fernsehgeräte, Benzin und Stahlplatten, das
Geld wurde hin- und herüberwiesen, aber der Ex- und Import von
Arbeitern unterblieb. Westdeutschland holte eine Zeit lang zwar
türkische Gastarbeiter ins Land, aber für sie galten schon nach kurzer
Zeit die gleichen Regeln wie für die Einheimischen.
Auch zwischen Europa und Amerika wiesen die Arbeitsmärkte keine allzu
großen Unterschiede auf. Die Unternehmer diesseits und jenseits des
Atlantiks waren Konkurrenten, nicht Rivalen. Sie zahlten Löhne und
keine Almosen. Kinder waren Kinder und keine Knechte. Die bürgerliche
Gesellschaft sorgte schon per Gesetz für einen zivilisierten Umgang
zwischen Arbeitnehmer und Fabrikant, so dass beide nach all den wüsten
Jahrzehnten von Ausbeutung und Klassenkampf deutlich näher zueinander
rückten.
Die kommunistischen Führer in Osteuropa beobachteten das westliche
Tete-a-Tete der Sozialpartner mit Argwohn, aber sie nahmen an ihm
nicht teil. Sie tauschten mit dem Westen Rohstoffe und Waren, aber
seinen Arbeits- und Kapitalmärkten blieben sie fern. Auch die Dritte
Welt lebte auf einem anderen Stern, westliches Desinteresse und das
eigene Unvermögen sorgten für den Ausschluss von jenem Prozess, den
wir heute Globalisierung nennen.
Das alles hat sich gründlich verändert. Der Graben zwischen dem Westen
und dem Rest der Welt wurde zugeschüttet und stellt nun eher eine
Brücke dar. Die Kapitalisten stürmen abenteuerlustig hinüber, sie
machen von der neu gewonnenen Reisefreiheit reichlich Gebrauch. Sie
besichtigen die entlegendsten Orte der Erde in der erklärten Absicht,
sich dort häuslich niederzulassen. Ihre Fabriken entstehen allerorten
und die Arbeitsplätze ziehen ohne zu zögern hinterher.
Die Summe aller Direktinvestitionen, also jener Gelder, die von einer
Nation außerhalb der eigenen Landesgrenze investiert werden, betrug
1980 erst 500 Milliarden Dollar. Der Kapitalist alter Schule war ein
eher häuslicher Typ.
Sein Nachfolger ist von anderem Kaliber. Mittlerweile sind die
Direktinvestitionen auf zehn Billionen Dollar gestiegen, ein plus von
fast 2000 Prozent in nur 25 Jahren. Der Kapitalist ist flexibel,
vielerorts regelrecht unruhig geworden und verlangt dieselbe Reiselust
nun auch von den Arbeitsplätzen. Der Unternehmer alten Typs war ein
Patriarch und oft war er sogar nationaler gesinnt als seine Mitbürger.
Der moderne Kapitalist ist ein Vielflieger mit Bonuskarte, er ist
überall zu Hause und überall fremd. Wer ihn als Nationalisten
bezeichnet, wird zu Recht auf sein Unverständnis treffen.
Arbeitskraft wird gehandelt wie früher Silber und Seide
Mit ihm ziehen nun auch die Arbeitsplätze durch die Welt. Sie
verlassen den Westen und kommen in einem anderen Land wieder zum
Vorschein. Sie tauchen in einem indischen Softwareunternehmen auf,
begegnen uns in einer ungarischen Spielwarenfabrik oder einer
chinesischen Werkshalle für Fahrzeugmotoren. Auch wenn oft das
Gegenteil behauptet wird: Arbeitsplätze verschwinden nicht im Nichts.
Sie werden durch Technik ersetzt oder durch einen Arbeiter, der
andernorts zu Hause ist.
Eine Unerhörtheit geschah, mit der so keiner gerechnet hatte: Ein
Weltarbeitsmarkt ist entstanden, der sich täglich ausweitet und das
Leben und Arbeiten von Milliarden Menschen spürbar verändert. Über ein
unsichtbares Leitungssystem sind Menschen, die sich nicht kennen und
zum Teil nicht einmal von der Existenz des jeweils anderen Landes
wissen, miteinander verbunden.
Das eben unterscheidet die heutige Globalisierung von den frühen
Handelsnationen, den Kolonialimperien und dem Industriekapitalismus in
der Mitte des 19. Jahrhunderts: Zum ersten Mal in der Geschichte hat
sich ein weitgehend einheitliches Wirtschaftsystem herausgebildet, das
ausnahmslos alle Produktionsfaktoren umfasst: Kapital, Rohstoffe und
die menschliche Arbeitskraft werden heute gehandelt wie früher Silber
und Seide.
Vieles ist ins Rutschen geraten, von dem wir dachten, dass es
zementiert sei. Macht und Reichtum werden neu verteilt, die
Lebenschancen auch. Wir alle schauen auf die eine Welt - aber mit
höchst unterschiedlichem Blick.
Die Neuankömmlinge im Weltarbeitsmarkt blicken optimistisch nach vorn,
sie erwarten Großes von der Zukunft. Erstmals können etliche von ihnen
einen Lohn nach Hause tragen, der mehr ist als ein Trinkgeld. Der
weltweite Arbeitsmarkt ist für sie eine unerhörte Verheißung.
Für Millionen von Arbeitnehmern des Westens hält die neue Zeit eine
andere Lektion bereit, weshalb der Optimismus der frühen Jahre bei
ihnen verflogen ist. Viele werden in den kommenden Jahren aufhören,
Arbeitnehmer zu sein. Selbst dort, wo die westlichen Beschäftigten
sich mutmaßlich halten können, reißt es ihre Löhne in die Tiefe, nicht
in einem Rutsch, aber mit jedem Jahr ein bisschen. In ihrem Leben
macht sich etwas breit, das sie bisher in diesem Ausmaß nicht kannten:
Unsicherheit.
Für Angreifer wie Verteidiger ist das Entstehen eines
Weltarbeitsmarkts ein Vorgang von historischer Dimension, wie schon
der Blick auf die ungewöhnlich großen Menschenmassen belegt, die nun
in seine Richtung drängen. 90 Millionen Arbeiter aus Hongkong,
Malaysia, Singapur, Japan und Taiwan schlossen sich in den 70er Jahren
dem Wirtschaftssystem an, das bis dahin Westeuropäer, Kanadier und
Amerikaner nahezu allein beschickt hatten. Die Tigerstaaten wurden mit
großem Staunen, die Japaner mit der ihnen gebührenden Ehrfurcht
begrüßt. Doch diese Neuankömmlinge im Weltarbeitsmarkt waren nur die
Vorhut der Moderne.
Die Arbeitskräfte des Westens sind in die Minderheit geraten
Wenig später schon baten die Chinesen um Einlass; nach dem Ableben der
Sowjetunion folgten Osteuropäer und Inder, womit nun innerhalb einer
Zeit, die historisch kaum mehr ist als ein Augenaufschlag, rund 1,2
Milliarden zusätzliche Menschen im erwerbsfähigen Alter ihre
Arbeitskraft anbieten. Was für ein Verschiebung der
Kräfteverhältnisse: Die 350 Millionen gut ausgebildeten, aber teuren
Arbeitskräfte des Westens, die eben noch große Teile der
Weltproduktion unter sich ausmachten, sind fast über Nacht in die
Minderheit geraten.
Schon diese Angebotserweiterung wäre mehr als beachtlich, aber dabei
bleibt es nicht. Innerhalb der Angreiferstaaten wachsen aufgrund der
meist hohen Geburtenraten immer neue Menschen nach, die nur darauf
brennen, sich dem Weltarbeitsmarkt anzudienen. Sie wollen einen Job,
koste es, was es wolle. In den vergangenen zehn Jahren stieg die
Belegschaft im Weltarbeitsmarkt, obwohl kein neuer Staat mehr
hinzukam, nochmals um 400 Millionen Menschen. Weitere 200 Millionen
Menschen, sagt die dafür zuständige Internationale Arbeitsorganisation
der Uno in Genf, würden gern arbeiten, können derzeit aber keinen noch
so schlecht bezahlten Job ergattern. Sie sind arbeitslos und das
heisst: Sie sind Arbeiter im Wartestand.
In den Banken flimmern die Börsenkurse aus aller Welt über die
Bildschirme.
Was können wir dagegen tun?
Inlandswaren gezielt kaufen?
Keine Billigwaren aus dem fernen Osten kaufen?
..........
LG
Sonja