Die Franzosenkrankheit

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AlternateReality

Guest
Aloha!

Ich mag Dissertationen, vor allem wenns nicht die Eigene ist! Ein Goldschatz aus meinem Fundus:



Die "Franzosenkrankheit"

Die Krankheit dem "Anderen" in die Schuhe zu schieben, dem man so etwas "sowieso" zutraute, zeigte sich besonders deutlich bei der Syphilis. Claudia Stein hat den Ausbruch der Syphilis in Augsburg genau untersucht, und dies zeigt exemplarisch, wie die Krankheit zu ihrem etwas merkwürdigen Namen kam. Die Augsburger Chronik des Hector Mülich hebt, Stein zufolge, 1495 die neue Krankheit hervor als Ereignis des Jahres: „der zeit des jars ist ain Posse plag (böse Plage) in dise land kommen mit den grossen platteren (mit den großen Blattern), die hieß man die Frantzosen, umb daß [die kranckhait] in Franckreich am ersten sich erhbb; und kam darnach in alle welt."
Mülich zufolge hieß die Krankheit also Franzosenkrankheit, weil sie zuerst in Frankreich aufgetreten sei. Deutlich wird eine häufige Reaktion auf neue Krankheiten: Der Nachbar ist schuld. Zudem hielten die Zeitgenossen die Syphilis für eine Strafe Gottes. Mülich behauptet zudem, die Krankheit sei unter den Söldnern des französischen Königs Karl VIII (1483-1498) aufgetreten., und zwar 1494. Zeitlich kommt das sogar hin, da Kolumbus damals von der ersten Reise nach Amerika wiedergekehrt war. Unter Deutschen war indessen klar: Die Franzosen hatten sie verbreitet. So hieß die Krankheit unter anderem „Franzosenpocken“ oder lateinisch „Morbus Gallicus“.
Eine Verbindung zwischen dem Ausbruch der Krankheit in Europa und der Entdeckung Amerikas 1492 stellte in Deutschland anfangs niemand her. Wozu auch: Mit den „liederlichen Franzosen“ war der Sündenbock gefunden. Auch die Italiener schoben den Franzosen die Krankheit zu. Die Franzosen machten es umgekehrt und bezeichneten die „Franzosenkrankheit“ als „neapolitanische Krankheit“. Schuld waren für sie also die Italiener. In Polen schließlich bekam die neue Seuche den Namen „Deutsche Krankheit“, und die Russen nannten sie „Polnische Krankheit“. In ganz Europa trug die Syphilis bald über 400 Namen.
Gonzalo Fernhdez de Oviedo y Vddes (1478-1537) sagte jedoch, dass Mitglieder der Mannschaft von Kolumbus durch amerikanische Indigene mit der Syphilis infiziert worden seien. Gestützt wurde dieser Befund durch den berühmten Dominikaner Bartolome de las Casas und den Arzt Ruy Diaz de Isla. De las Casas kannte Syphilisopfer in Amerika, und der Mediziner De Isla hatte des erste bekannte Opfer in Europa in Barcelona behandelt.
Heute besteht in der Medizingeschichte weitgehend Einigkeit: Als Kolumbus Mannschaft von seiner ersten Reise nach Amerika 1492 zurückkam, brachte sie den Erreger mit. Die Syphilis verbreitete sich zuerst in Spanien. Als dann spanische Soldaten bei den Kämpfen zwischen Italienern und Franzosen in Neapel mitmischten, steckten sich Franzosen und Italiener an und verbreiteten die Krankheit in ihren Heimatländern. Die Armee von Karl VIII zog sich von der Belagerung Neapels zurück und brachte die Seuche nach Frankreich. Aus deutscher Perspektive ist der Begriff „Franzosenkrankheit“ also verständlich.
Schon bald funktionierte es nicht mehr, die Seuche als "Krankheit der Anderen" abzuschieben: Die Syphilis verbreitete sich quer in der Bevölkerung. War sie anfangs vor allem unter Söldnern und Prostituierten bekannt, litten bald auch Herrscher an ihr: Karl VIII, Franz I, Heinrich VIII oder Iwan, der Schreckliche, Kardinal Richelieu, Peter, der Große und Katharina, die Große. Auch Künstler wie Ludwig van Beethoven, Heinrich Heine, Gauguin, Franz Schubert, Goya und Maupassant gehörten zu den Opfern.
Die sündige Lust
Schnell wurde klar, dass Sex und Krankheit zusammen hingen - in der Renaissance ein gefundenes Fressen für Reaktionäre im Klerus. Gerade in Italien und Frankreich hatte mit dem Humanismus auch in sexueller Hinsicht eine Befreiung stattgefunden, und Zentren der Renaissance-Gelehrten wie Florenz ließen sich als neues Babylon dämonisieren.
Die Kranken wurden zu Geächteten, hatten sie sich die Seuche doch durch ihre Sünde zugezogen. Mehr noch: Niemand wusste etwas von Bakterien und Ansteckung. So erkannten die Zeitgenossen zwar zu Recht, dass das Ausleben der körperlichen Lust und der Ausbruch der Syphilis miteinander zu tun hatten, erklärten diese Verbindung aber als Strafe Gottes. Gott bestrafte demnach die Sünder für ihre Sünde der Wolllust.
Die Kranken wurden ausgegrenzt und mussten sich im Freien herumtreiben, unter Brücken schlafen oder im Wald. Zöllner kontrollierten sie an den Stadtgrenzen und verbaten ihnen das Betteln, Gastwirten war verboten, sie hereinzulassen. Chirurgen und Barbiere durften sie nicht behandeln, Bader nicht in die Bäder lassen.
Die beliebten Badestuben, die oft zugleich Bordelle waren, verloren die Kunden, denn die Badegäste hatten Angst, sich die Seuche zuzuziehen. Eine kurze Phase der körperlichen Freizügigkeit wich Prüderie aus Furcht. In Deutschland entstanden 1500 neue Seuchenhäuser – die „Franzosenhäuser“.

Quelle:
Zu „Warum Franzosenkrankheit?“: Claudia Stein: Die Behandlung der Franzosenkrankheit in der Frühen Neuzeit am Beispiel Augsburgs. Unter: http://www.mgh-bibliothek.de/dokumente/a/a150636.pdf
https://www.rki.de/.../Art_01.html;jsessionid...
 
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na da hast du ja ein appetitliches Interesse. :D

die Syphilis ist übrigens keineswegs ausgestorben.
die Fallzahlen steigen sogar seit 2000 herum wieder an.

ungeschützter Verkehr ist halt tatsächlich ein Risiko.
ob Sünde oder nicht, man holt sich dabei leicht was weg.

heute (seit etwa 60 Jahren) haben wir der modernen
Wissenschaft sei Dank Antibiotika, vor allem Penicillin.

https://www.netdoktor.de/krankheiten/syphilis/
 
na da hast du ja ein appetitliches Interesse. :D

die Syphilis ist übrigens keineswegs ausgestorben.
die Fallzahlen steigen sogar seit 2000 herum wieder an.

ungeschützter Verkehr ist halt tatsächlich ein Risiko.
ob Sünde oder nicht, man holt sich dabei leicht was weg.

heute (seit etwa 60 Jahren) haben wir der modernen
Wissenschaft sei Dank Antibiotika, vor allem Penicillin.

https://www.netdoktor.de/krankheiten/syphilis/

Wieso appetitlich?
Es ist, meiner Meinung nach, sogar ein sehr interessantes Thema.
Obwohl ich glaube, dass es etwas ähnliches, vielleicht einen anderen stamm davon, bereit wesentlich früher gegeben hat, z.B. in Vorderasien. "Die Sünden der Väter werden über Kinder und Kindeskinder kommen" träfe nämlich auf die Syphilis zu, weil sie, wenn nicht schnellstens behandelt, vererbbar ist.


Gruß

Luca
 
Unappetitlich wird es aber, wenn man sich entsprechende "Studien" zur Syphiliserkrankung ansieht.
Die Gesinnung Nazi-Ärzte lässt grüßen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Tuskegee-Syphilis-Studie
Dazu gibt es übrigens einen Film "Miss Evers´ boys".

Gruß

Luca

Ein dunkles Kapitel der US-Geschichte...vor allem, daß es bis zum Jahre 2010 dauerte, daß die Regierung dazu Stellung nimmt und sich "entschuldigt"...alles nicht aus freien Stücken...der Druck der Öffentlichkeit und ein verlorener Gerichtsprozess führten wohl zum Zwang.

Mit armen Menschen die nicht lesen und schreiben können, kann mans ja machen...diese doppelte Zunge...die Deutschen allesamt als Nazi-Krauts an den Pranger stellen, aber im eigenen Land ists völlig ok, daß es Menschen 2. Klasse gibt! Very nice...not...

Das "Unangenehme" dem Nachbarn zuschieben, einen Schuldigen zu suchen, war mein eigentliches Ansinnen in dem thread...400 Bezeichnungen für ein und dasselbe, aber immer aus einer jeweilig anderen Perspektive...ich würde sagen, da menschelt es^^

Cheerio, A.R.
 
Ein dunkles Kapitel der US-Geschichte...vor allem, daß es bis zum Jahre 2010 dauerte, daß die Regierung dazu Stellung nimmt und sich "entschuldigt"...alles nicht aus freien Stücken...der Druck der Öffentlichkeit und ein verlorener Gerichtsprozess führten wohl zum Zwang.

Mit armen Menschen die nicht lesen und schreiben können, kann mans ja machen...diese doppelte Zunge...die Deutschen allesamt als Nazi-Krauts an den Pranger stellen, aber im eigenen Land ists völlig ok, daß es Menschen 2. Klasse gibt! Very nice...not...

Das "Unangenehme" dem Nachbarn zuschieben, einen Schuldigen zu suchen, war mein eigentliches Ansinnen in dem thread...400 Bezeichnungen für ein und dasselbe, aber immer aus einer jeweilig anderen Perspektive...ich würde sagen, da menschelt es^^

Cheerio, A.R.

In Schweden gab es zur gleichen Zeit eine ähnliche Studie.
Und wer hat sich denn bei uns schon mal bei all den Frauen entschuldigt, die in den Wehrmachtsbordellen arbeiten mussten und sich ansteckten und danach im KZ als Versuchskaninchen benutzt wurden?
Jedes land hat da seinen eigenen dreck am Stecken und dadurch, dass wir auf andere zeigen wird die eigene Schuld bzw. Verantwortung nicht gemindert.
Außerdem ist fraglich, ob die Syphilis tatsächlich erst durch Kolumbus eingeschleppt wurde.
https://idw-online.de/de/news752477

Gruß

Luca
 
ach so, es geht primär um Schuldzuschreibungen.
um 1500 herum, das war noch eine andere Welt als heute.
daß man da noch nicht gut zu bestimmen wußte,
woher diese Krankheit gekommen war, ist verständlich.
all die Jahrhunderte über war es eine schlimme Krankheit,
für die es keine effektive Behandlung gab.

wie ich las, gibt es erst seit 60 Jahren Antibiotika/Penicillin
zur wirksamen Behandlung der Syphilis.
das Penicillin war zwar schon 1928 entdeckt worden,
aber es brauchte eben alles seine Zeit - und auch Studien.

aus dem Wikipedia Eintrag über Penicillin ist im Threadzusammenhang vllt noch dies interessant:

"Viele Erkrankungen, die durch Penicillin-G-sensible Erreger verursacht werden, werden im klinischen Alltag dennoch mit anderen Antibiotika behandelt. Grund dafür sind häufige Mischinfektionen, bei denen mehrere Erreger Auslöser der (jeweiligen) Erkrankung sind. .. Auch die Gonorrhoe zeigt mittlerweile überwiegend eine Penicillinresistenz, da seit vielen Jahren aufgrund des Sextourismus Penicillin-resistente Stämme eingeschleppt werden."

Also Sex, gerade der Sextourismus und überhaupt der Tourismus, durch den Krankheits-Erreger über die Welt verbreitet werden, ist in der Hinsicht schon wirklich ein Problem. Mit Moralisieren hat das nichts zu tun. Bemerkenswert eigentlich, daß die aus heutiger Sicht für ihr Moralisieren Verschmähten im Ergebnis bereits vor Jahrhunderten damit ja durchaus richtig lagen.
 
ach so, es geht primär um Schuldzuschreibungen.
um 1500 herum, das war noch eine andere Welt als heute.
daß man da noch nicht gut zu bestimmen wußte,
woher diese Krankheit gekommen war, ist verständlich.
all die Jahrhunderte über war es eine schlimme Krankheit,
für die es keine effektive Behandlung gab.

wie ich las, gibt es erst seit 60 Jahren Antibiotika/Penicillin
zur wirksamen Behandlung der Syphilis.
das Penicillin war zwar schon 1928 entdeckt worden,
aber es brauchte eben alles seine Zeit - und auch Studien.

aus dem Wikipedia Eintrag über Penicillin ist im Threadzusammenhang vllt noch dies interessant:

"Viele Erkrankungen, die durch Penicillin-G-sensible Erreger verursacht werden, werden im klinischen Alltag dennoch mit anderen Antibiotika behandelt. Grund dafür sind häufige Mischinfektionen, bei denen mehrere Erreger Auslöser der (jeweiligen) Erkrankung sind. .. Auch die Gonorrhoe zeigt mittlerweile überwiegend eine Penicillinresistenz, da seit vielen Jahren aufgrund des Sextourismus Penicillin-resistente Stämme eingeschleppt werden."

Also Sex, gerade der Sextourismus und überhaupt der Tourismus, durch den Krankheits-Erreger über die Welt verbreitet werden, ist in der Hinsicht schon wirklich ein Problem. Mit Moralisieren hat das nichts zu tun. Bemerkenswert eigentlich, daß die aus heutiger Sicht für ihr Moralisieren Verschmähten im Ergebnis bereits vor Jahrhunderten damit ja durchaus richtig lagen.

Mal ganz was anderes, aber immernoch in gleichem Kontext...ich kenne einen Vietnamesen, der hat eine gute Bildung genossen, ist viersprachig aufgewachsen und dieser musste sich schon öfters auf der Strasse von wildfremden Menschen als Chinese beschimpfen lassen, der Schuld ist, daß es Corona gibt, weil er Fledermäuse frisst...

Ganz ehrlich...was das anbelangt, glaube ich nicht, daß sich in 500 Jahren allzuviel verändert hat?

Cheerio, A.R.
 
..ich kenne einen Vietnamesen,..und dieser musste sich schon öfters auf der Strasse von wildfremden Menschen als Chinese beschimpfen lassen, der Schuld ist, daß es Corona gibt, weil er Fledermäuse frisst...

:LOL:
ja, in der Bevölkerung ist viel Dummheit.
aktuell tritt das wieder mal deutlich hervor.
sonst wird es ja meist nicht so krass offenbar.
was rund um Corona alles so umgeht ... grausig.

auch in früheren Zeiten gab es aber auch schon Klügere.
und so gab es auch früher schon wertvolle Erkenntnisse.
nur hatte die Wissenschaft halt (technische) Einschränkungen.
heute hat sich da irre viel getan, und das ist schon beeindruckend.
 
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Mal ganz was anderes, aber immernoch in gleichem Kontext...ich kenne einen Vietnamesen, der hat eine gute Bildung genossen, ist viersprachig aufgewachsen und dieser musste sich schon öfters auf der Strasse von wildfremden Menschen als Chinese beschimpfen lassen, der Schuld ist, daß es Corona gibt, weil er Fledermäuse frisst...

Ganz ehrlich...was das anbelangt, glaube ich nicht, daß sich in 500 Jahren allzuviel verändert hat?

Warum ist es in diesem Zusammenhang denn wichtig, dass er eine gute Bildung hat und viersprachig aufgewachsen ist?

Wenn er das alles nicht hätte, wäre es denn dann weniger schlimm, dass er beschimpft wird?
 
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