Der kleine Narr.

brahbata

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"Einst wirst du mit einem Traum gesegnet, der dein weiteres Leben gehörig auf den rechten Pfad weisen soll", sagte der manu und schien Befriedigung darin zu finden, sich wieder auf seine Schuhe zu konzentrieren.


Diese – durch die schroffen Belastungen einer wer weiß wie langen Zeit sichtlich zermürbt und gealtert, wussten die Reisen des Alten wohl zu beschreiben. Sie schienen nicht unbequem zu sein, denn der manu spielte mit seinen Zehen unter dem knochigen, brüchigen Leder. Ich lächelte. Als Teenager besaß ich ein Paar Schuhe, die meiner Mutter ein Gräuel waren. Ich aber liebte meine alten Latschen – wahrscheinlich gerade aus ebendiesem Grund. Überhaupt bemerkte ich, dass ich es mit diesem sonderbaren Fremden wohl traf – von klein auf sind es für mich immer jene alten, weißhaarigen Männer gewesen, die ich für Erleuchtete hielt.


Er schien wohl zu ahnen, was sich hinter meiner Stirn verbarg und so legte er die seine denn in Falten. "Töricht bist du", tadelte er mich, denn für richtige Schelte fehlte diesem merkwürdigen Fremden offenbar jeder Antrieb. Auch war bemerkenswerterweise nur ein Anflug leichten Bedauerns über mein unverbesserlich beklagenswertes Dasein in seinem Gehabe; ein Umstand, der mich zarte Hoffnung schöpfen lies. Obgleich ich mir immer wieder vorgenommen hatte, es zu vermeiden, konzentrierte ich mich nun abwartend auf den manu.


"Weit geschritten bist du noch nicht, Mensch, aber dein Weg folgt dem wahren, begnadeten", hub er wiederum an und einen Moment lang schien es mir, als ob er Gefallen am Dozieren gefunden hätte, oder sich zumindest warmlaufen würde. Doch wahrscheinlich bildete ich mir nur wieder so etwas ein, grad so, wie es eben meiner Art gerecht kommt.


"Dein Weg, brahbata, ist gleich einer Natter verschlungen" – so begann er die Geschichte von der Antwort zu erzählen...







II.



Entsinne ich mich der Begegnungen mit meinem manu, so muss ich immer an seine Schuhe denken.


Diese Schuhe strahlen in ihrer Lotterheit, ihrem speckigen Glanz, mit den abgelatschten Absätzen und den Löchern an den gemeinhin üblichen Überbeinstellen einen so überragend erbärmlichen Eindruck aus, dass sie schon wieder von ehrwürdigem Liebreiz zeugen. Und doch wirken sie mit trotziger Widerstandsfähigkeit. Es ist erstaunlich, dass mir solche Dinge auffallen, da ich im Allgemeinen von Wissenswertem zum Thema Schuhe kaum Kenntnis besitze.


Wenn mein manu mit mir Kontakt sucht, wählt er vorzugsweise eine unscheinbare Gestalt. Dies erstaunt ebenfalls, vermeine ich doch gewisse eitle Züge an ihm zu erkennen. So wäre es wohl leichtes Brot für ihn, mir beispielsweise vermittels einer spirituellen Erscheinung den nötigen Respekt abzuluchsen. Von dergleichen hält er lediglich aus reiner Bequemlichkeit Abstand, da ihn der Sphärenwechsel stets ermüdet. Ich bin mir sicher, dass er nur aus purer Faulheit heraus eine gewöhnliche Gestalt beibehält und dieser so den Vorzug vor der Stillung seiner eitlen Bedürfnisse mir gegenüber verleiht.



Der alte Mann macht heute einen nachdenklichen Eindruck.


Bei Licht betrachtet macht er immer einen nachdenklichen Eindruck, da er sich in dieser Rolle zu gefallen scheint. "Ich frage, mit Verlaub", beginnt er loszukomplizieren, "ob du dich für einen aufgeklärten Menschen hältst?"


Touché. Das hat man nun davon, wenn man einmal die Gedanken mokieren lässt. Nun heißt es, die Worte wohlbedacht zu wählen. Ich ahne, dass der listige Hund wieder etwas plant. "Ich glaube behaupten zu können", beginne ich zögerlich nachdenkend, "dass ich mir einen Schattenriss von der Welt machen kann". Naja. Ich gebe zu, ein Verlegenheitssatz.


"Worauf, brahbata, begründest du diese Kenntnis?", vorfreute sich der manu. Da haben wir's. Er will mich wieder in eine seiner Fallen locken. Bestimmt kann ich gleich überhaupt nicht mehr denken.


"Ich habe einiges von Wert gelesen und kann Dinge in einen Zusammenhang räumen", entgegnete ich vorsichtig – nicht ohne mich selbst mit dieser Geistesgegenwart zu überraschen. Wenn ich mir da mal bloss kein Eigentor vorbereitete.


"Auf dem Weg zur Weisheit also, hm?", spöttelte der Kauz. "Aber ein wenig Geduld musst du schon noch mitbringen, willst du jene Sphären, die ich meine, erreichen. Der Weg führt über ein reines Herz und über einen klaren Kopf. Diese Essenz seltener Erden will wohlbereitet sein. Du, mein Freund, urteilst auf der Grundlage eines von dir selbst geschaffenen Weltbildes. Bist du also der Mittelpunkt der Welt? Ist die Welt der Mittelpunkt des Himmels? Gross ist der, der seinen Weg geht, wenngleich dieser auch in die Irre führte? Nein, brahbata, dein Herz ist rein, aber dein Kopf verwirrt.


Dein Glaube und dein Vertrauen machen dich stark, aber deine Augen sehen nur in eine Richtung. Öffne deinen Geist, lass Licht in das Dunkel eintreten!"


Warum muss er eigentlich immer so geschwollen reden ?! Ich habe ihn nicht ganz genau verstanden, aber ich glaube, dass er mit meiner Antwort wohl nicht gerechnet hatte. Das Beste wird sein, ich verwirre ihn gleich weiter, dann denkt er nach und das braucht immer recht lange.


"Dies alles ist mir ja bekannt", pflichtete ich also dem manu bei. "Aber beachte Du, dass ich dieses Weltbild als Summe meiner Erfahrungen und meines übrigen Geistes erstellt habe und weiter zu vervollkommnen Absicht und Überzeugung in mir trage. Meine Sicht der Welt ist als die Quersumme meines Wissens gebündelt und im täglichen Wandel begriffen, da sich deren Komponenten in ihrer Zusammenstellung und Gewichtung ändern.


Verurteilst Du meine Suche? Du sprichst nicht davon, aber gibst mir, voll des versteckten Spottes, zu verstehen, dass ich aus Lehm geformt bin. Was also ist Dein Zweck?", stellte ich in triumphal resignativ wirkendem Ton schnell eine Gegenfrage, um mich einstweilen neu zu sammeln.


Unverständlicherweise lächelte der manu amüsiert!


"Tapferer Mensch! Wahrlich, du scheinst dir Mühe geben zu wollen. Deine Gewandheit ist beachtlich und du scheinst bereit zu sein, zu suchen und eines Tages willst du vielleicht sogar sehen. Indes bedenke deinen Weg lieber wohl und frage dich, wohin er führt. Das Wandern allein führt zu einem Ziel, aber der Weg muss auch mit Bedacht ausgewählt sein. Du läufst deine Strecke ab, wohl getan, aber deine Route liegt auf einer Karte, die andere gezeichnet haben. Scheu bist du, Mensch, ohne Karte durchs Leben zu ziehen und es zu entdecken."


Was ich an dem manu überhaupt nicht ausstehen kann, ist, dass er alles so kompliziert sagt. Bei jeder Gelegenheit ergötzt er sich an meinem Gesicht, wenn ich wieder einmal seinen Weisheiten lauschen darf. Erwähnte ich schon, dass er bestimmt eitel ist? Am liebsten würde ich ihm eine Nase drehen.


Oder einfach meine Zunge rausstrecken. Nicht, weil ich ihn nicht verstanden habe, sondern einfach nur, um zu schauen, was er dann macht. "Wenn Du im Besitz all dieser Wahrheiten bist, warum teilst Du sie mir dann nicht mit?", rief ich trotzig aus. Daraus sollte der Alte erst einmal etwas machen.


Der manu schüttelte nunmehr sichtlich belustigt sein Haupt.


"Dein energisches Vorpreschen ist Ausdruck deiner Begeisterung und deiner Ungeduld", blinzelte er mich an. "Doch musst du lernen, ehe du zu erkennen vermagst.


Der Weg zur Wahrheit ist gespalten; du musst die Abzweigungen sehen können, um sie dann zu beschreiten. Dies allein hast du zu entscheiden und die Wahl des richtigen Pfades fällt dir nicht leicht.


Einige führen verschlängelt und in sich verknäult, andere scheinen das schnelle Erreichen der Antwort zu verheißen. Mancher Weg führt an eine Pforte und nur der kann sie öffnen, der den Schlüssel in sich gefunden hat. Ein anderer Weg erscheint dunkel und unübersichtlich, so dass du dich vor ihm graust und doch kann er der wahre sein. Die allermeisten Wege aber", sprach mein manu, "kennst du nicht und nimmst sie auch nicht wahr. Oh nein, es ist nicht wie du glaubst, nicht die Wege entziehen sich dir, du allein bist es, der auf der Stelle tritt. Doch welcher ist nun der Weg, der zur Wahrheit führt?


Erfreust du dich an den Blumen auf den Feldern, so halte inne und genieße ihre anmutige Pracht. Steht es dir danach, nach dem Sinn der Blumen zu fragen? Wohlan, erschließe dich ihrem Zauber, aber vergiss nicht, auch dankbar zu sein, dass sie sich dir offenbaren, ihre ganze Herrlichkeit entfalten und ihre zarten Blütenträume in den Himmel recken. Dies alles nimm als Geschenk wahr, begreife es, ehe du Fragen nach der Wahrheit stellst.


Hüte dich nicht, brahbata", so wob er sein Netz um mich, "nach der Wahrheit zu fragen. Aber plane deinen Weg und teile die Strecke in Etappen und diese abermals und abermals ein. Halte Rast und bedenke. Sei auf den Wegesrand bedacht, aber wandere wohin es dich erfreut."


"Wohl will ich wandern", wand ich ein, "doch allein die Philosophie bringt mich nicht weiter. Sicherlich hast Du recht, mein manu, aber gibt es denn keine brauchbare Antwort?" Offensichtlich ist er verwirrt.






III.



Mit einem verwirrten Weltenlehrer muss man vorsichtig sein.


Ist mein manu im Umgang mit mir sonst eher erhaben und bedächtig, so neigt er, einmal von sich selbst gefesselt, dazu, vom Hundersten ins Tausendste zu kommen. Ich muss ihn immer wieder auf mein vergleichsweise weltliches Anliegen hinweisen, da er sich ansonsten in den transzendentalen Bereichen der Metaphysik und anderen spekulativen Wissenschaften verläuft.


Gleichwohl er seine Erwähltheit ständig betonen muss, leuchtet mir vieles von dem, was er sagt, ein, was nicht weiter verwunderlich ist, da es sich in der Regel ohnehin um alte Hüte handelt. Offenbar hatte er meine provokativ eingesetzte Frage als Unmut gedeutet, denn anders war sein kritisch forschender Blick nicht erklärbar.


"Ich ahne, du bist noch nicht reif zu gehen", riss mich der manu aus meinen Gedanken. "Du gleichst einem aufgeweckten Kind, aber kannst trotzdem nur krabbeln, trinkst nur deinen gewohnten Trank und isst nur deine gewohnte Speise. Und nun forderst du von mir, ausgerechnet, eine brauchbare Antwort. Lass dir Zeit und öffne deinen Kopf für den Geist, dann kannst du die Welt erreichen.


Mit der Zeit bekommst du deine brauchbaren Erkenntnisse", lächelte der manu mir nunmehr ermunternd zu, "begehre sie, Mensch, wie einen Schatz und sehne dich danach. Du wirst die hilfreichen auf dem Weg zur Antwort weislich erkennen und die weniger hilfreichen desgleichen. Hast du jedoch die wahre Fährte einmal aufgespürt, so folge ihr weiter."


In seiner Würde scheint er so von sich überzeugt, dass ich laut schreien könnte. Aber da er einen Grossteil seiner Konzentration darauf verwenden muss, ehrwürdig dreinzublicken, kann ich ihn vielleicht doch noch aus der Reserve locken. "Vom Baume der Erkenntnis naschen lässt Du mich nicht", krähte ich, "aber hältst mir ebendiesen, meinen Mangel im nächsten Atemzug vor!" Ein Meisterwerk. Im rechten Moment wäre mir fast – da ich ob des gewaltigen sprachlichen Ausdrucks und der Schlichtheit meiner Worte hingerissen war – das irritierte Funkeln in den Augen des manu entgangen.


Damit hat er nicht gerechnet. Nun habe ich ihn in der Zange und er wird wohl deutlicher werden müssen. Schliesslich sind Spielschulden Ehrenschulden und was für das Spiel gilt, hat bestimmt auch für Erkenntnisse Geltung. Erst den Mund wässrig machen und dann einen Rückzieher – denkste!


Abermals schüttelte der manu lächelnd seinen Kopf. "Ich habe dir doch eben bedeutet, dass du dich in Geduld üben musst. Die Saat muss zunächst keimen, ehe du dich ans Ernten machen kannst. Wir beide, brahbata, haben Zeit, sehr viel Zeit. Mache dich auf die Suche nach der Antwort, aber beginne deine Suche dort, wo sie dir einen Nutzen bringt". Der manu näherte sich mir nun soweit, dass ich seinem Atem auf meinem Brustkorb empfand. Sein Blick schien mich eindringlich durchbohren zu wollen, als er mahnend weitersprach: "Ja, wir haben alle Zeit der Welt. Aber nutze deine Zeit dennoch wohl, vertrödele sie nicht. Womit du sie aber vertust und womit du sie nutzt, das musst und wirst du herausfinden. Dies ist alles, was ich dir zu sagen habe.


Beginne, deinen Weg zu finden, um ihn dann zu beschreiten", beherrschte mich der manu und war sich seiner leicht theatralischen Wirkung auf mich wohl nur allzu bewusst. Nichtsdestotrotz sprach er weiter. "Ich werde von Zeit zu Zeit dein Gefährte sein, werde meine Nahrung mit dir teilen und mein Brot mit dir brechen, Der Schlüssel zum Tor deiner Welt liegt tief in dir vergraben, finde ihn und benutze ihn, wenn die Zeit gediehen ist."


Mit diesen Worten verpuffte der manu bühnenreif in einem rosa Wölkchen, um mir schliesslich doch noch den lange vermissten Respekt abzuverlangen. Ich weiss nicht, wie er das gemacht hat, aber er wird wohl irgendein para-suggestiv-hypnotisches Leipziger Allerlei in meinem Schädel zubereitet haben. Zauberer und andere Gaukler waren mir stets ein Rätsel.


"Staub zu Staub", flüsterte ich ihm nach. Wenigstens war es dunkel, ansonsten liess es der manu an den minimalsten spiritistischen Anforderungen ermangeln. Nichteinmal Laserblitze oder sphärische Klänge waren zu vernehmen.


Ich war beeindruckt.
 
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