lieber Gott,
es ist einige Zeit inzwischen verstrichen
aber wir beiden sind uns einig, über die Bedeutung der Zeit
ich frage mich, wo bin ich, oh Herr
und inzwischen weiβ ich, Ich Bin
und ich frage dich, wo bist du, oh mein Gott?
und du antwortest mir: hier bin ich
ich bin in dir und du in mir
in solchen Augenblicken, bin ich gänzlich gefangen
da bin ich du und du bist ich
aber dann schweifen meine Gedanken erneut hinaus
in die Ferne und zurück in die Vergangenheit
ich sehe meine Reisen vor meinem inneren Auge
und verstehe diese meine Wiedergeburten
dessen Orte ich in diesem Leben nochmals alle aufsuchte
da ist etwas in mir drin
das sagte mir: mache dich auf
auf eine lange Wanderschaft durch die Welt
ruhelos und immer auf der Suche
aber auf der Suche nach was?
mit dir kann ich einmal getrost darüber reden
denn was haben meine kleinen Reisen schon für eine Bedeutung
gegenüber deinen unendlich langen Reisen durch die Universen?
du verstehst mich gewiss, ja du wusstest es ja bereits!
als ich damals auf dem Dampfer anheuerte
da war nicht ich, der entschied, welche Reise ich machen sollte
oder war ich es?
du wusstest es doch ganz genau, warum schmunzelst du?
du wusstest es doch genau, du Schelm!
und eh ich es mich versah
war ich in Japan und stand vor der groβen Buddha Statue von Kamakura
und vor dem Shinto Schrein, wo die Mönche in ihrer Prozession langsam
die vielen Stufen den Berg hochkamen
hörte ihren melancholischen Gesang und dumpfe Trommeln und helle Zimbeln
ich fuhr allein nach Tokyo und mitten in Ghinza
da fühlte ich mich einsam wie vorher noch nie in meinem Leben
schnell zurück in die Geborgenheit auf den Dampfer nach Yokohama
dort war für ein paar Monate nun meine kleine Heimat
die Melancholie nahm ich aus Japan mit
sie wurde ein Teil meiner Seele
und die Liebe zu Japan
Kirschblüte unter dem Fuji
Auferstehung
auch die Reise nach Brasilien, oh mein geliebter Vater
das waren meine Eltern, die es dort hinzog
ich war ja noch ein Kind
meine Eltern waren es
die dort nicht heimisch wurden
und nach vier Jahren zurückkehrten ins alte Europa
aber auch von dort nahm ich etwas mit
die Sehnsucht an entfernte Küsten zu segeln und die Leichtigkeit des Seins
du hast es da bereits gewusst?
dass ich vier Jahre später den Mann meines Lebens treffen sollte
was sind schon vier Jahre, aber was waren sie damals für eine unendlich lange Zeit
dann stand er plötzlich neben mir, der Mann meines Lebens
er und lauter Fuβballspieler vom F.C. Santos
er brachte meine gesamten Pläne durcheinander
und auch mein Leben, ich war noch so jung
und wieder sage ich es dir auf den Kopf zu: du hast es gewusst, nicht wahr?
aber habe ich es nicht auch gewusst?
ich hatte keine Angst, da war nur Liebe und Mut
aber dann kamen Täler und tiefe Schluchten der Dunkelheit und Tränen
aber dort unten in der Tiefe, vermochte ich die Sterne zu erblicken
dann wieder führte der Weg hinauf
hinauf auf hohe Gipfel und der Himmel und die Sonne waren mir nah
du warst immer bei mir, lieber Gott
meistens wusste ich es, manchmal vergaβ ich
ich war auf der Suche
aber was?
was?
einmal in Angola
da schrieb ich es auf:
Wir gehen von der Dunkelheit ins Licht
die Farben sind das Zwischenreich
dort stellte ich meine ersten Bilder aus
und malte die Farben, deine Farben, oh mein Vater
wo die Farben sind, dort ist unsere Welt
ich danke dir, oh Herr
dort erlebte ich die Kraft Afrikas
lauschte den fröhlichen Liedern der Menschen
und sog den Geruch der Rotglühenden Erde in mich ein
den Geruch der Feuerstellen abends bei Dämmerung
ich danke dir, oh mein Gott
für die Farbenpracht und Vielfalt Afrikas
für die unvergesslichen Tage auf dem Weg von Luanda bis nach Kappstadt
es war etwas heiβ, warum musstest du es fünfzig Grad in der Wüste werden lassen?
doch ich denke zurück an die Feuerroten Sonnenuntergänge in der Kalahari
an Windhouk und Walfishbay, Marienthal
und ich denke daran, dass ich an so vielen Plätzen deiner Welt sein durfte
es ist seltsam
denn seit acht Jahren, glaube ich angekommen zu sein
seit acht Jahren schon, das war in Karnak
ich stand am Ufer des Nil und sagte, ich sei nach Hause gekommen
davor war Delphi und die Tempel an der Ägäis
davor Thailand
und davor Australien
und Brasilien
und wieder Australien
kannst du das verstehen, geliebter Gott?
was mache ich nur?
aber es geht weiter
Indien und der Nahe Osten
Argentinien
wieder Australien
ich reise immer noch, unermüdlich wie ich bin, reise ich
inzwischen suche ich nichts mehr
du weiβt es, oh mein geliebter Gott
ich brauche nichts zu suchen
das weiβ wohl inzwischen auch ich selbst
aber eine unsichtbare Kraft drängt mich dazu
weiter und weiter zu reisen
und wenn ich nicht im Auβen reise
so reise ich im Inneren und schreibe darüber
und so denke ich
du mein Vater, bist ja der Reisende an sich
du hast dich auf diese lange Reise begeben
wo begann sie jemals und wo wird sie enden?
warum lachst du jetzt?
lachst du mich aus?
nein?
jetzt wird es mir wieder schwindlig!
da ist der point of no return
wenn ich an diesem Punkt ankomme
glaube ich, dann werde ich nicht mehr sein
ich muss an meine Geschichte des alten Mann vom Ulluru denken:
wie er sagt, es werde Zeit heim zu kehren,
er durchquerte den australischen Kontinent
hatte alles erfahren und das was er suchte, gefunden
Und er sah hinauf in den Nachthimmel zu den Sternen. Ich bin endlich heimgekehrt.
Er begann zu singen, er sang die Lieder über seine Welt, er sang das Lied des Morgensterns Wata-urdli, bis er einschlief und träumte. Er träumte von der Großen Mutter Wata-urdli, die ihre beiden böswilligen Kinder bestrafte und sie in Sterne verwandelte. Sie grub dann mit ihrem Speer ein tiefes Loch in die Erde, so tief, dass sie auf der anderen Seite der Welt herauskam und dort am Himmel als Morgenstern erschien.
Der alte Mann vom Ulluru lächelte im Schlaf und träumte weiter bis an das Ende unserer Zeiten.
Aphrodite