Das Märchen vom einsamen Vulkan

marafona

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10. Januar 2005
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Graz
Es war einmal ein Vulkan. Er spie Feuer und schleuderte glühende Steine ins Tal. Lava umströmte seine Flanken und umhüllte alles Leben, auf das die Lava stieß. Der Vulkan machte das seit Äonen und freute sich seiner Stärke und Kraft.

Nach ein paar Millionen Jahren blickte er um sich und begann nachzudenken. Er hielt inne im Feuerspeien und Lavaströmen. Etwas war nicht, wie es sein sollte. Oder war es schon immer so gewesen und es war ihm nicht aufgefallen ? Was stimmte nicht ? Er beschloß, eine Zeitlang ruhig zu sein und nicht auszubrechen. Die Rauchschwaden um ihn herum lichteten sich zum erstenmal seit langer, langer Zeit und er sah ins Tal hinab.

Er blickte in eine Wüste aus erstarrter Lava. So sollte es ja auch sein, das war seine Aufgabe, Feuer zu speien und Lava zu verströmen. Und doch war er nicht mehr zufrieden. Er hielt weiter inne und noch weiter. Langsam erkalteten seine Flanken. Die Winde umspielten ihn, sie kamen von weit her über die Wüste gezogen und von jenseits der Wüste brachten sie allerlei mit: Vögel und Schmetterlinge, Insekten, Sand und vor allem Samenkörner. Der Sand fiel auf die erstarrte Lava, Samenkörner waren darunter. Und nach einiger Zeit trieben die Samen aus und Pflanzen wuchsen, Gras, Büsche, Bäume. Die Vögel bauten Nester in den Bäumen, legten Eier, brüteten sie aus und zogen junge Vögel auf.

Der Vulkan blickte staunend auf das unbändige Leben zu seinen Füßen. Er freute sich an dem Treiben um ihn herum und vor Freude schickte er einen gewaltigen Feuerstoß in den Himmel und voll Übermut schleuderte er Steine und verströmte Lava wie noch nie zuvor.

Doch oh weh ! Alles Leben und Treiben verglühte in seiner gewaltigen Eruption. Voll Schrecken hielt der Vulkan abermals inne und sah was geschehen war. All das schöne grüne Leben, das seine Einsamkeit belebt hatte, war wieder verschwunden.

Und plötzlich erkannte er, was nicht gestimmt hatte. Er war allein gewesen, genügsam und zufrieden mit sich selbst, aber doch allein.

Aber nun türmte sich eine Schwierigkeit riesenhoch vor ihm auf: Erst als er aufgehört hatte, Feuer zu speien, war das Leben zu ihm gekommen und als er neuerlich Feuer spie, wie es seine Natur und Bestimmung war, hatte er all das Leben vernichtet.

Was sollte er tun ? Weiter seiner Bestimmung folgen und Feuer speien wie bisher ? Dann würder er immer allein bleiben. Aufhören mit Feuer speien und erkalten ? Dann hätte er Leben um sich und wäre nicht mehr allein, aber er würde alles verlieren, was ihn zu einem Vulkan machte, das Feuer, die Kraft und die Stärke, er würde erkalten und sich selbst aufgeben. Und wenn er nicht ständig Feuer spie, vielleicht nur einmal in zehntausend Jahren ? Dann würde er all das Leben, das zu ihm kam und das er liebte, das würde er vernichten. Was sollte er bloß tun ? Was konnte er tun ?

Er fragte die Wüste: „Wie kannst du Wüste sein und trotzdem nicht einsam sein ?" Die Wüste sagte: „Die Winde bringen mir Botschaft von anderen Wüsten, sie schicken Sand mit und ich spüre den Duft der anderen Wüsten."

„Ach, es gibt andere Wüsten ?" fragte der Vulkan. „Wüsten, so wie du eine bist, heiß und glühend und voll Sand, mit geheimem Leben zwischen den Sandkörnern ?"

„Ja", sagte die Wüste, „es gibt sie und durch die Winde sind wir verbunden."

„Und betrübt es dich, daß du mit deiner glühenden Hitze das Leben vernichtest, das dir sonst Gesellschaft wäre ?"

„Ja, manchmal betrübt es mich, doch sieh: Meine Bestimmung ist es, heiß und glühend zu sein, würde ich damit aufhören, so wäre ich keine Wüste mehr."

„Ja, das kenne ich", seufzte der Vulkan. „So folgst du nun deiner Natur und vernichtest Leben ?"

Die Wüste lächelte und sagte: „Das Leben ist viel stärker und hartnäckiger als du glaubst. Es kommt immer wieder und es hat sich an mich angepaßt. Irgendwo unter der Erde und dem Sand regt es sich leise und nachts wagt es sich hervor und eilt geschäftig umher. Und tagsüber schläft es gut verborgen vor der Sonne."

„Ach, ich beneide dich", sagte der Vulkan. „Ich bin allein und ich weiß nicht, was ich tun soll."

Teilnahmsvoll fragte die Wüste: „Hast du keine Gefährten ? Keine anderen Vulkane ?"

Der Vulkan erschrak. „Andere Vulkane ? Du meinst, es gibt Berge, die sind wie ich, die Feuer speien und Steine schleudern ?" Und Hoffnung zog durch sein Herz. „Bitte sag mir wo sie sind, Wüste, wie kann ich mit ihnen in Kontakt treten ?"

Bedauernd meinte die Wüste: „Das weiß ich nicht. Ich habe nur von ihnen gehört durch meine Brüder und Schwestern, die anderen Wüsten."

Die Hoffnung erlosch wieder im Vulkan und er war traurig. „So will ich lieber erkalten und dem Leben Raum geben, wenn ich schon einsam bleiben muß." Er blies einen letzten Feuerstrahl und Rauch in den Himmel. Nachdem der Rauch sich verzogen hatte, blickte der Vulkan um sich und dann auf zum Himmel. Da sah er viele Sterne glitzern.

„Seid ihr Vulkane ?" fragte der Vulkan die Sterne, doch sie schwiegen.

Und der Vulkan war traurig und weinte. Seine Tränen befeuchteten die Erde und neues Leben keimte hervor.

Plötzlich, was war das ? Eine Sternschnuppe löste sich vom Himmel und raste auf den Vulkan zu. Ein Feuerball kam immer näher und näher. Im Feuerball stand ein Wesen, umkränzt von Flammen.

„Wer bist du", sagte der Vulkan staunend, „bist du ein Vulkan ?"
Das Flammenwesen glitzerte belustigt. „Nein, ich bin kein Vulkan. Aber sei nicht gleich traurig. Ich bin hier um dir zu helfen. Deine Not rührt mich. Ich komme von den Sternen, die weit, weit weg sind. Ich bin das Sternenkind. Die Sterne haben gesehen, daß du Hilfe brauchst und ich bringe dir frohe Botschaft. Du bist nicht allein. Es gibt noch andere Vulkane, die ebenso einsam sind wie du und ebenso in Not. Die Sterne haben mich gesandt, um euch zu helfen. Ich bin Feuer, ich kann zu den anderen Vulkanen reisen und deine Botschaften überbringen.

Voller Glück sandte der Vulkan einen riesigen Feuerstoß mit seiner Botschaft in den Himmel. Sternenkind nahm das Feuer und stürzte sich in die Weite des Alls. Nach einiger Zeit kam es wieder und brachte dem Vulkan das Feuer eines anderen Vulkans mit dessen Botschaft. Der Vulkan war in Ekstase ! Ein anderer Vulkan ! Wie herrlich doch die Welt war !

Doch da war noch ein Wermutstropfen in seinem Glück. Wieder hatte sein Feuer das Leben um ihn zerstört. Zwar hatte er erkannt, daß dieses Leben nicht bestimmt war, sein Gefährte zu sein, aber zerstören wollte er es auch nicht. Noch einmal weinte er dicke Tränen. Und siehe ! Die Tränen trafen auf das Feuer, zischten auf und verdampften. Der Wasserdampf stieg auf und bildete dicke Nebelschwaden, die den Vulkan einhüllten.

„Sternenkind", sagte der Vulkan, „hilf mir noch einmal. Ich möchte das Leben nicht zerstören."

„nun, ganz einfach ist das nicht", meinte Sternenkind, „mit dem Leben fehlt mir die Erfahrung, mein Metier ist das Feuer. Aber was sagen die anderen Vulkane ? Vielleicht hat einer von denen das Problem gelöst ?"

„Nun, da ist einer, der sagt. Nimm deine Tränen und dein Feuer, dann bekommst du Nebelschwaden. Sie schützen das Leben vor deinem Feuer. Und sei nicht traurig, wenn manchmal trotzdem Leben vernichtet wird. Denn Sterben ist die Bestimmung des Lebens und anderes Leben kommt nach."

So war der Vulkan beruhigt und überließ sich beglückt dem Kontakt mit den anderen Vulkanen.

Und immer wenn wir eine Sternschnuppe sehen, so wissen wir: Das ist Sternenkind mit einer Botschaft für einen Vulkan.
 
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