Bedingungsloser Zorn

fckw

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Der Vorstellung bedingungsloser Liebe sei die Vorstellung bedingungslosen Zorns entgegengesetzt. Wenn schon bedingungslose Liebe mit zwischenmenschlichen Beziehungen in einen Sinnzusammenhang gesetzt wird (warum eigentlich, haben die beiden irgendwas miteinander zu tun?), dann sollten konsequenterweise auch alle Alternativen untersucht werden. Bedingungsloser Zorn zum Beispiel. (Von mir aus auch bedingungsloser Hass, bedingungslose Langeweile, bedingungslose Geilheit, bedingungslose Enttäuschung usw.).

Wenn wir von zwischenmenschlichen Beziehungen absehen, welche ja am Ende doch immer nur bedingt sind, und sei es durch die Sterblichkeit des Menschen, dann führt uns die Frage nach der Bedingungslosigkeit bald einmal an die Grenzen des Erkennbaren. Falls Bedingungslosigkeit ein Attribut Gottes sein soll, so müssen ihm konsequenterweise auch alle bereits genannten anderen bedingungslosen Attribute zugerechnet werden. Bedingungsloser Destruktivität beispielsweise.

Diese Vorstellung macht durchaus Sinn, man sollte nicht vorschnell einen solchen Gedanken als unsinnig abtun. Falls Gott die Verantwortung für die Schöpfung übergeben wird, so trägt er konsequenterweise auch die Verantwortung für deren Zerstörung. Da nichts von Dauer ist, kann man ihm also getrost bedingungslose Freude am Destruktiven zurechnen. Und natürlich alle anderen Attribute ebenfalls.

Es ist folglich nur die Beschränktheit der menschlichen Sichtweise, welche einen immer wieder in denselben Bahnen denken lässt. Welche, um nur ein Beispiel zu nennen, dauernd zu einer Wiederholung derselben Frage nach der Möglichkeit bedingungsloser Liebe führt, so gut wie nie jedoch zur Frage nach der Möglichkeit bedingungslosen Zorns.

Der Versuch, bedingungslose Liebe zu leben, ist ein Versuch halber Menschen, die nur die Hälfte ihres Seins zu schätzen wissen. Gerade wenn der Gedanke der Bedinungslosigkeit in die Partnerschaft übertragen wird, sollte der Zusatz "Liebe" lieber gleich weggelassen werden. Warum nicht Zorn, Hass, Geilheit oder sonstige eher negativ konnotierte Attribute des Menschseins mit Bedingungslosigkeit in Verbindung bringen?

Natürlich, so werden sich ein paar Schlaumeier beeilen zu versichern, sei auch Zorn lediglich ein Aspekt bedingungsloser Liebe. So wie all die anderen Genannten, Hass, Geilheit usw., ebenfalls.

Wenn das wahr ist, dann ist es jedoch keineswegs einleuchtend, warum im Zusammenhang mit einer Bedingungslosigkeit ständig das Wort Liebe fällt. Besser wäre es, entweder sogleich eine Präzisierung ganz wegzulassen, also wie bereits vorgeschlagen einfach nur noch von Bedingungslosigkeit zu sprechen, oder dann je nach Zusammenhang einen passenden Zusatz zu wählen.
Das geschieht aber nicht.

Es muss somit der Schluss gezogen werden, dass hier, wie man es auch immer dreht und wendet, eine gewaltige Menge an Projektionen mitarbeitet, irgendwelche naiven Vorstellungen darüber, wie das Sein zu sein habe, und das ist natürlich "lieb". Nicht sein darf es: destruktiv, zornig, wütend, hassend und so weiter.

Auf einer noch tieferen Ebene interessant ist die Frage, weshalb "lieb" akzeptabel ist, jedoch "zornig" nicht. Gibt es einen Unterschied zwischen den beiden? Und wenn ja, welchen?

In Tat und Wahrheit ist es natürlich so, dass wahre Bedingungslosigkeit Angst macht. Sie bedeutet Grenzenlosigkeit, und mit einer solchen Freiheit ist der Mensch im allgemeinen heillos überfordert. Wo keine Bedingungen da sind, kann sich der Mensch nicht orientieren. Eine Partnerschaft ohne Bedingungen, um noch einmal die zwischenmenschlichen Beziehungen aufzugreifen, würde logischerweise heissen, dass der Partner alles tun darf, was er tun will, ohne mir Rechenschaft abzulegen. Er darf beispielsweise mir einen Finger abschneiden oder die ganze Nachbarschaft bumsen. Ist das nicht die Bedeutung von echter Bedingungslosigkeit? Müsste meine eigene unbedingte Liebe zum Partner nicht einschliessen, dass der sich über alle Normen und Sitten hinwegsetzen darf? Selbstverständlich will das niemand. Und selbstverständlich ist es deshalb nichts als Heuchelei, hier noch von Bedingungslosigkeit zu sprechen. Pure Augenwischerei ist das, nichts weiter.

Bedingungslose Liebe löscht einen aus. Ebenso bedingungsloser Zorn, Hass usw. Es gibt nichts, was den Menschen mehr erschrecken würde als wirkliche, echte Bedingungslosigkeit. Wir alle haben uns deshalb eine Unmenge an Strategien zugelegt, um möglichst nicht mit Bedingungslosigkeit konfrontiert zu werden. Um es auf den Punkt zu bringen: Wir schränken uns andauernd im grösstmöglichen Masse ein. Die gloriose partneschaftliche bedingungslose Liebe ist in Wahrheit bloss der Wunsch, möglichst keine Verletzungen zu erleiden. "Bedingungslos" heisst in diesem Zusammenhang "abgesichert gegen jede Möglichkeit, verletzt zu werden".

Schlimm ist das alles nicht, nur beschränkt. Absurderweise ist es das Festhalten an der Vorstellung der Bedingungslosigkeit, hinter welcher letztlich fast immer das genaue Gegenteil steht: Der Versuch, jeder Bedingungslosigkeit möglichst auszuweichen.

Ich schlage vor, es in der Beziehung mal mit bedingungslosem Zorn zu probieren. Was soll dabei schon schiefgehen können, wenn doch die Liebe bereits bedingungslos ist?
 
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Hallo fckw,

was du schreibst und für Überlegungen anstellst, finde ich klasse. :kiss4:

Es geht bei manchen Menschen darum, ein Ziel zu erreichen, das der bedingungslosen Liebe. Mit deinem Beitrag wirfst du die Frage auf, von welcher Position sie aus diese Frage stellen: wie etwa aus der Warte des bedingungslosen Zorns. Wäre ja gut möglich, dass sie mit dem Blick auf die Liebe ihren eigenen Zorn nicht mehr sehen können und damit auch wegreden wollen. Vielleicht wäre es sogar ganz sinnvoll ihnen mal Zorn oder Hass oder Gleichgültigkeit als eigene Position zuzugestehen, von der aus sie die Liebe erreichen wollen, die aber auch noch als Ultimatum "bedingungslos" sein soll. Die ganz normale Liebe reicht ihnen nicht.

Absurderweise ist es das Festhalten an der Vorstellung der Bedingungslosigkeit, hinter welcher letztlich fast immer das genaue Gegenteil steht: Der Versuch, jeder Bedingungslosigkeit möglichst auszuweichen.

Ja, sie selbst wollen zwar bedingungslos geliebt werden, sind aber unfähig dies bei ihren Mitmenschen auch zu tun. Es ist wie ein Fass ohne Boden, das nach mehr Wasser schreit, es aber gar nicht in sich behalten kann.

wie das Sein zu sein habe, und das ist natürlich "lieb". Nicht sein darf es: destruktiv, zornig, wütend, hassend und so weiter.

dies passt zu deinen ersten Überlegungen, dass derjenige aus der Warte des Zorns o.a. aus seine Forderungen stellt. Leider haben manche (viel zu viele) Menschen noch nicht erkannt, dass wir alle 5 Grundemotionen brauchen, um glücklich zu sein, und nicht nur eine davon. Das wäre wie wenn unser ganzes Leben rosa wäre. Oder mit dem Bild des Wetters verglichen: es würde immer die Sonne scheinen. Wir trochnen dann innerlich aus.

LG Pluto
 
Also ich seh ja eher Gleichgültigkeit als den absoluten Gegenpol zu Liebe...bei Zorn oder auch Hass sind noch Empfindungen da...wenn auch keine sehr "netten", aber das ist noch was...bei der "bedingunslosen" Gleichgültigkeit(nicht zu verwechseln mit der Nu Ätsch-Eso "Gleich-Gültigkeit") sieht´s anders aus. Da ist nix mehr, das einen berührt, weder positiv noch negativ...Haß und Zorn können u.U. noch gewandelt werden, bei der Gleichgültigkeit sieht´s anders aus....


Sage
 
Also ich seh ja eher Gleichgültigkeit als den absoluten Gegenpol zu Liebe...bei Zorn oder auch Hass sind noch Empfindungen da...wenn auch keine sehr "netten", aber das ist noch was...bei der "bedingunslosen" Gleichgültigkeit(nicht zu verwechseln mit der Nu Ätsch-Eso "Gleich-Gültigkeit") sieht´s anders aus. Da ist nix mehr, das einen berührt, weder positiv noch negativ...Haß und Zorn können u.U. noch gewandelt werden, bei der Gleichgültigkeit sieht´s anders aus....


Sage
Egal, dann setzen wir der bedingungslosen Liebe die bedingungslose Gleichgültigkeit gegenüber. Das Argument bleibt dasselbe.
 
Bedingunslose Gleichgültigkeit?

Also entweder heben sich die beiden Wörter jetzt auf, oder es ist irgendwie doppelt gemoppelt.:confused:

Verstehe nicht, was das sonst sein soll...hmm...bitte um Aufklärung.:D

Danke.

LG
Gaia
 
Ich meine, daß es keine bedingungslose Liebe gibt und auch nicht geben kann. Bedingungslose Liebe hiesse für mich den Wegfall des Ego. Und dann würde ein Stillstand erreicht werden.
Der Begriff ist für mich eher wie eine Seifenblase, geschieht etwas unabsehbares, platzt sie.
 
Bedingungslose Liebe löscht einen aus.
natürlich. und wer will das schon.

wie du sagst, in letzter konsequenz ist bedingungslos, liebe und beziehung ein nicht auflösbarer, nicht lebbarer widerspruch. nicht so, wie du es argumentierst.

alerdings ist das leben selbst nun einmal rational nicht völlig erfassbar und erklärbar, da spielen doch noch ein paar andere ebenen mit.

dennoch ist bedingungslose liebe nicht das gleiche wie bedingungsloser hass, bedingungslose wut.

bedingungslose liebe geht von einem zustand des freiwillig gebens aus, das nichts zurückerwartet. (alles andere ist nicht bedingungslos, oft nicht einmal liebe)

bedingungslose wut ist das resultat ent-täuschter erwartung(en).
ich leide, ich teile anderen meinen schmerz mit. seht her, das bin ich, so fühle ich mich, und wenn ihr's nicht anders versteht, dann zeige ich euch, wie es sich anfühlt.

jeder amoklauf ist genau das, zumeist mit dem ende der selbstzerstörung oder der zerstörung durch andere.

bedingungslose wut erschöpft sich. dieser zustand ist nicht dauerhaft aufrecht zu halten. auch nicht bewusst. er kann, so man ihn in sich vergräbt, dahinbrodeln, das sehr lange, ja, aber sobald er in seiner ganzen konsequenz aus-ge-drückt wird, folgt eine rasche er-schöpfung.

allerdings, als flächenfeuer, wenn wirklich viele synchron ihre wut realativ zeitgleich ausagieren würden, würde bedingungsloser hass oder wut wohl die menschheit auslöschen. das arsenal dafür haben wir ja zur genüge.

wäre nur noch zu klären, ob das nicht ohnehin die beste lösung wäre.
für unseren planeten wäre es vermutlich eine wohltat, so als ob man einen lästigen parasiten endlich loswird.

Ich schlage vor, es in der Beziehung mal mit bedingungslosem Zorn zu probieren. Was soll dabei schon schiefgehen können, wenn doch die Liebe bereits bedingungslos ist?

wenn du jemanden findest, dessen liebe so bedingungslos ist, wünsche ich dir dabei alles gute, mal sehen, wie lange du es schaffst, im "bösewicht" zu bleiben. du zerbrichst daran. erst recht, wenn du den anderen nicht brechen, höchstens zerstören kannst.

fragt sich nur, wo du jemanden findest, der/die (so bedingungslos) lieben kann.
 
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dennoch ist bedingungslose liebe nicht das gleiche wie bedingungsloser hass, bedingungslose wut.

bedingungslose liebe geht von einem zustand des freiwillig gebens aus, das nichts zurückerwartet. (alles andere ist nicht bedingungslos, oft nicht einmal liebe)

bedingungslose wut ist das resultat ent-täuschter erwartung(en).
Interessant.

Und Gott? Kann Gott bedingungslos hassen? Oder bedingungslos wütend sein?
 
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