Krisennachhall
Attac klagt Ackermann und Merkel an
Von Steven Geyer
Berlin. Dieser Tage bekam Angela Merkel eine Vorladung zu einem Gerichtstermin - als Angeklagte. "Wir rechnen mit Ihrem Erscheinen zum Verhandlungsbeginn am Samstag, 10. April", hieß es in rauem Ton in dem Brief, der Merkel (CDU) erklärte, sie sei "als verantwortliche Regierungschefin" angeklagt, eine der Schuldigen für die derzeitige Finanzkrise zu sein. Ein Tribunal in Berlin werde die "Rolle der Regierungen bei der sich abzeichnenden Verschärfung der Krise" untersuchen.
Gestern folgte nun die dazugehörige Anklageschrift, die neben Merkel auch weitere große Namen nennt: Altkanzler Gerhard Schröder, Ex-Finanzminister Peer Steinbrück (beide SPD), Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann sowie Hans Tietmeyer, Ex-Aufsichtsrat der Depfa-Bank und Chef der neoliberalen PR-Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Sie alle stehen - stellvertretend für die Institutionen, die sie führten - aus Attac-Sicht im Verdacht, die Krise verursacht und jede Konsequenz gescheut zu haben.
"Es gibt nichts, was seit 2008 an den Finanzmärkten passiert ist, das nicht von der Politik vorbereitet war", sagte der Jurist und frühere Gewerkschaftschef Detlef Hensche. Hensche fungiert beim Tribunal als einer von fünf Anklägern. Er kritisiert vor allem die Politik: Bereits die rot-grüne Regierung habe "bewusst und gezielt" Finanzmärkte dereguliert, Hedgefonds zugelassen, Krisenvorboten ignoriert. Als 48 Milliarden Euro Staatsgeld zur Bankenrettung "verzockt" waren, so Hensche, lehnte Merkel Sonderabgaben für Banken ab, wie sie US-Präsident Barack Obama vorgeschlagen und Österreich eingeführt habe. "Nun treffen die Einschnitte in Städten und Ländern ausschließlich Unbeteiligte!"
Der Prozess wird wohl in deren Abwesenheit stattfinden: Weder erhielt Attac Reaktionen, noch will sich etwa die Deutsche Bank gegenüber der FR dazu äußern.
Doch wenn es läuft, wie Attac sich erhofft, könnte das Tribunal mehr werden als eine Diskussion mit Rollenspiel. "Wir versprechen uns Aufklärung und ein starkes politisches Signal", sagte Sundermann. Vorbild sei das Russell-Tribunal, das 1966 von Wissenschaftlern und Intellektuellen abgehalten wurde, um die Kriegsschuld der USA in Vietnam zu untersuchen. Es setzte das Thema auf die Agenda und sammelte massenhaft Beweise für die Vergehen der USA.
So stellen sich die Beteiligten auch das Bankentribunal vor: "Ich will wissen, ob die Demokratie durch die Banken erpresst wurde, wie Merkel angedeutet hat", sagte Sozialethiker Friedhelm Hengsbach, der einer der fünf Richter ist. Als Zeugen treten Ökonomen, Autoren, Bürgerrechtler und Bundestagsabgeordnete auf, und kommen keine Verteidiger, kriegen die Angeklagten sogar welche gestellt. Denn von nun an wird alles, was sie sagen, vor Gericht gegen sie verwendet werden.
Zur Sache
Von 9. bis 11. April veranstaltet das globalisierungskritische Netzwerk Attac in der Volksbühne Berlin ein Banken-Tribunal. Darin sollen Schuldige für die Finanzkrise sowie Schritte gegen künftige Krisen benannt werden. Information unter: attac.de/bankentribunal
Angeklagt sind die Bundesregierungen seit 1998, die Finanzaufsicht, Banken, Ratingagenturen und Wirtschaftsprüfer. Richter sind unter anderem der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach und der Sozialrichter Jürgen Borchert. Zu den Anklägern gehören der Politologe Elmar Altvater und Gewerkschafter Detlef Hensche. Pflichtverteidiger werden gestellt.
Die Frankfurter Rundschau begleitet das Tribunal als Medienpartner mit Interviews, Essays und Artikeln, die in loser Folge erscheinen werden. (sgey)
"Weder Justiz noch Politik sind fähig oder willens, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und Konsequenzen einzufordern", sagte Attac-Sprecherin Jutta Sundermann. Daher sei die Zivilgesellschaft gefragt, der nur das Mittel öffentlicher Anklagen der "zentralen Akteure" bleibe.
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