Sirielle und Tandrias
Es waren einmal zwei Königskinder.
Ihre Namen lauteten Sirielle und Tandrias.
Beide lebten im Land der 1000 Sonnen.
Ein Land, um das sich viele Sagen rankten.
Die Leute erzählen sich, das Land wurde einst von einem großen, magischen Schwert durchtrennt.
Als Strafe für den Ungehorsam zweier Liebender, die gegen den Willen ihrer Eltern zusammen fort gingen.
Angeblich, so wird geflüstert, grämte sich der Vater des Mädchens so sehr, dass er mit jenem verfluchten Schwert, das Land durchtrennte.
Doch so genau, wusste das niemand mehr, da die Menschen nach so vielen Jahren nicht mehr fragten, warum sie voneinander getrennt leben mussten. Es wurden irgendwann einfach „die anderen“. „Die“ da und „wir hier“, hieß es dann einfach.
So wuchs Sirielle auf der einen Seite der Tausend Sonnen auf und Tandrias auf der anderen.
Doch je größer sie wuchsen, desto neugieriger wurden sie, was denn auf dem fremden Landabschnitt vor sich ging. Wer mochte dort wohl leben, am anderen Ufer ihrer Welt? Erst recht jene Schauermärchen, die sich gerne beim flackernden Feuerschein erzählt wurden, luden geradezu dazu ein, sich näher damit zu beschäftigen. All die „Monster“ auf der anderen Seite des Landes, die dunklen Schatten zwischen den mörderischen Schluchten, boten viel Platz für schlechte Träume und gruselige Warnungen.
So kam es, dass sich niemand aus Sierelles Volk dafür einsetzte, Nachforschungen zu betreiben oder Brücken zu bauen. Es gab schlichtweg nur das allgemeine Verbot, sich nicht dem reißenden Wasser in der Schlucht zu nähern. Ein Verbot das befolgt wurde, weil die Menschen abergläubisch waren.
Doch eines Tages, hatte das noch junge Mädchen Sirielle einen Traum. Sie legte sich in plötzlicher Müdigkeit unter einen verführerisch duftenden Jasminbusch. Der starke Geruch berauschte sie so sehr, dass es ihr leicht fiel, im grünen Gras einzuschlafen.
Sie träumte von der anderen Seite, sah sich direkt über die Schlucht schweben. Schwerelos, frei und ohne Angst. Wie ein Engel ohne Flügel…
Ihre Gedanken führten sie über die Schlucht, über das reißende Wasser.
Ganz weit hinein in ein anderes Land.
Und da sah sie ihn… Einen blonden Jungen mit glasklaren, blauen Augen. Elfengleich und fein anzusehen. Zart und feingliedrig. Offenbar war dieser Junge musikalisch gut veranlagt, denn er saß auf einem Stein und spielte ein kleines Lied auf seiner Mundharmonika. Einsam und ganz in sich versunken.
In diesem Augenblick, war es um Sirielle geschehen. Nie zuvor, hatte sie ein solches Wesen gesehen. So hell, so zart, so besonders. Für sie besonders.
Verzweifelt rief sie ihn, versuchte auf sich aufmerksam zu machen.
Doch er hörte sie nicht. Denn es war ja nur ein Traum. Er konnte sie nicht hören, nicht sehen.
Aber spüren. Denn er hob irritiert seinen Kopf und schüttelte dann sein Haar, als würde er über sich selbst den Kopf schütteln.
Hart wachte sie auf, als sie das kalte Wasser traf… Sie hatte nur geträumt. Aber so tief, dass ihre Menschen sie für ohnmächtig hielten.
„Oh Gott sei gedankt… Sie lebt noch! Die Prinzessin, sie lebt!“
Besorgte, liebe Gesichter… Ihr Volk. Ihre Familie. Der Wald in dem sie wuchs. Ihre Welt.
Doch seit jenem Traum, ließ kein Gedanke sie mehr ruhen…
Der Junge, am anderen Ende der Schlucht.
Dieser blonde Junge.
Gab es ihn wirklich?
Und je älter sie wurde, desto größer wurde die Sehnsucht.
Die Sehnsucht ihn zu finden.
Eines Tages, sattelte sie ihr Pferd Rabeas. Von Sehnsucht getrieben. In Liebe entflammt.
Ohne Angst vor den vielen Monstern aus der Schlucht.
Sie wollte nur noch eines: ihm endlich in die Augen sehen.
Kopflos, verließ sie ihr Schloß. Fort von Pflicht und Adel.
Ihr Ziel war jene Schlucht und der Ort, an dem sie ihn zuletzt gesehen hatte.
Und Rabeas gehorchte schnaubend ihrem Willen.
Wie ein guter, verlässlicher Freund.
Er fragte nicht, sondern tat was seine Herrin begehrte und bewegte sich mit ihr ins Unbekannte Land.
So kam es, dass sich Sirielle in die schwarze Mähne ihres Pferdes krallte und sich aufmachte, um ihr Glück zu finden… Weit, weit fort und ohne Garantie.
Fortsetzung folgt.