Zwei Aspekte der Hexenverfolgung im Mittelalter

lasst die vergangenheit doch ruhen.
um etwas besser zu machen
muss man es eben ändern

wer ewig in der vergangenheit lebt
vergißt im hier und jetzt zu leben

liebe grüße
vOM Liber
 
Werbung:
Ich möchte kurz von einer Rückführung berichten, die in der Reihe
"Reise in ein früheres Leben" bei VOX gesendet wurde. Ein Frau
erinnerte sich an ein Leben als Kräuterfrau/Hexe 1426 in
Frankreich. Sie wurde von dem Burgbesitzer erpresst, sie als Hexe an
den Scheiterhaufen auszuliefern, wenn sie sich nicht als Sex-Sklavin
für ihn und andere Burgbewohner fügte. Die Frau berichtete vom Leben
im Burgverlies, von den Vergewaltigungen, aber auch von Leuten, die
ihre Kräuterfrau-Dienste in Anspruch nahmen und sie dafür bezahlten,
vom Kräutersammeln mit ihrem Sohn.

Hallo Harser,

ich habe die Sendung leider nicht gesehen, kannst Du Dich erinnern, in welcher Region das spielte? 1426 ist eigentlich ganz schön früh für Hexenverfolgungen im eigentlichen Sinne. Die eigentliche Hexereivorstellung, im Zusammenfließen der Volksvorstellungen von Zauberei und Flug einerseits sowie der gelehrten Vorstellungen von Teufelspakt etc. andererseits, entsteht erst um 1450 im Alpenraum (deshalb die Frage nach der Region).

Man könnte jetzt natürlich einwenden, die früheren Prozesse seien einfach nicht schriftlich überliefert, aber es ist in den Vorstellungen, wie sie sich in den Akten widerspiegeln, in der Tat eine Entwicklung feststellbar.

Vor was für einem Gericht sollte sie denn angeklagt bzw. verbrannt werden? Geistlich oder weltlich?

Gruß

Sabine
 
Nein, ich kann mich nicht an die Region erinnern. Sie wurde nicht direkt erwähnt, aber die nächste Stadt und der Name des Chateaus. Es steht wohl nicht auf der VOX-Homepage, aber eine nette Mail an die Redakteure würde das wohl herausfinden. Ich bin nicht mehr ganz sicher, ob das Wort Scheiterhaufen überhaupt erwähnt wurde. Es wurde der Satz des Burgherren erwähnt: "Ich weiß, was du tust!"

Ich würde eher einwenden, dass die institutionelle Hexenverfolgung nicht im luftleeren Raum entstand, sondern Vorläufer hatte. Und diese Vorläufer gehen wahrscheinlich zurück bis in das zweite Jahrhundert, der Christianisierung Irlands und der Verdrängung der keltischen Religion.

Eine Anklage vor Gericht ist jedenfalls nicht nötig, Lynchjustiz ist ausreichend, um ein Klima der Angst zu schaffen, um dass es ja in der Rückführungserinnerung eigentlich ging.
 
Hallo Harser,

Ich würde eher einwenden, dass die institutionelle Hexenverfolgung nicht im luftleeren Raum entstand, sondern Vorläufer hatte. Und diese Vorläufer gehen wahrscheinlich zurück bis in das zweite Jahrhundert, der Christianisierung Irlands und der Verdrängung der keltischen Religion.

wie weit die Vorläufer der Verfolgung jetzt wirklich zurück reichen, bin ich noch nicht sicher. Im Prinzip wurde ja auch noch im christlichen Europa relativ ungestört vor sich hingezaubert, und zwar bis weit in die Frühe Neuzeit, wobei natürlich Schadenzauber schon immer illegal war. - Wie genau die Verdrängung der keltischen Religion vor sich ging, darüber weiß ich zu wenig.

Die HEXENverfolgung im eigentlichen Sinn, sei sie nun institutionell oder nicht, fängt erst um 1450 an - und zwar einfach deshalb, weil die Hexen in der Form, wie sie verfolgt wurden, ein Konstrukt sind, das sich erst dann herausgebildet hat - aus den von mir beschriebenen fünf Punkten, zwei davon eher aus den Vorstellungen der Bevölkerung (Zauberei, Flug), die anderen aufgesetzt von den Gelehrten und in erheblichem Maße geprägt durch die Ketzerverfolgungen des Spätmittelalters (Pakt, Buhlschaft, Sabbat - wobei der via "gute Gesellschaft" eine Art Zwischenstellung hat). Die Forschung der vergangenen Jahre über die Anfänge der Hexenverfolgungen hat gezeigt, dass dem Basler Konzil (1431-1449) hier eine entscheidende Rolle zukam; nicht weil das Thema dort offiziell behandelt worden wäre, wohl aber weil es als Austauschbörse für Informationen diente.

Eine Anklage vor Gericht ist jedenfalls nicht nötig, Lynchjustiz ist ausreichend, um ein Klima der Angst zu schaffen, um dass es ja in der Rückführungserinnerung eigentlich ging.

Die psychologischen Hintergründe sind, denke ich, wieder eine Frage für sich - wobei man sich im Fall der Hexen allerdings fragen müsste, von wem denn eigentlich die Angst ausging, da ja die Verfolgungsbegehren in erster Linie aus der Bevölkerung kamen. Mir fällt jetzt allerdings kein Fall ein, in dem Hexen unter der obigen Definition der Lynchjustiz zum Opfer gefallen wären (lasse mich hier allerdings gerne eines Besseren belehren, meine wirklich aktive Zeit in der Hexenforschung liegt schon zehn Jahre zurück). So abwegig das klingt, waren die Prozesse ja "legal" und folgten bestimmten Regeln - egal ob es jetzt die frühen der Inquisition oder die eigentlichen Hexenprozesse der weltlichen Obrigkeiten waren.

Gruß

Sabine
 
Dein Eingangseinwand wirft ein Licht auf die Frage, inwieweit Ergebnisse aus Rückführungen und ähnlichem (Channelings) überhaupt in die Geschichtsforschung einbezogen werden dürfen. Ich würde das einmal so formulieren: Es gibt zwei Arten von Geschichtswissenschaft - einmal mit und einmal ohne die Verwendung von Channel-Wissen. Es ist nicht davon auszugehen, dass diese beiden Arten der Geschichtsschreibung ohne weiteres in Einklang zu bringen sind, denn sie unterscheiden sich gravierend. Das Channelwissen hat definitiv seine Eigenheiten: es stellt meist eine sehr subjektive Sichtweise auf das Geschehen dar, außerdem ist dieses Wissen zweifach verbogen, einmal durch die falschen Projektionen der Person, die in der Vergangenheit etwas wahrgenommen hat, und dann durch die falschen Projektionen der Person, die das Channeling durchführt, wobei bei der Aufzeichnung und Interpretation ebenfalls noch Fehler gemacht werden können. Aber auch das Vorgehen der "normalen" Geschichtswissenschaft hat seine Eigenheiten: zum ersten ist das das Paradigma, das als nicht existent angenommen wird, was nicht belegt wurde. Zweitens ist sie extrem anfällig gegenüber gefälschten oder fehlinterpretierten Belegen, denn ein als gesichert angenommener Beleg wird als Bezugspunkt für die Interpretation vieler anderer Belege herangezogen, also kann z.B. eine einzige irreführende Behauptung in einem historischen Dokument eine völlig abwegige Sichtweise einer ganzen Epoche bewirken. Zum dritten ist die Auswahl einander widersprechender Belege sehr subjektiv, und führt zu ausgeprägten Grabenkämpfen der Geschichtswissenschaftler.

Ich persönlich stelle mich auf einen neutraleren Standpunkt, und kann diesen offenbaren Widerspruch so stehen lassen: diese Frau war von der Hexenverfolgung 1426 betroffen, obwohl die Hexenverfolgung erst 1450 begann. Gerade in der Frage der Hexenverfolgung wundern mich differierende Standpunkte wenig, denn dieses Forschungsobjekt ist hochpolitisch bis heute. Bei der Channel-Geschichtsschreibung sind durch die Emotionalität des Themas Verbiegungen wahrscheinlicher als bei "ruhigen/friedlichen" Epochen. Bei der Nicht-Channel-Geschichtsschreibung stehen z.B. die politischen Interessen der katholischen Kirche deren Gegnern entgegen, wobei erstere die Verbrechen tendenziell verharmlosen, letztere überbetonen möchten. In der Mitte stehen die um Objektivität bemühten Historiker, die von beiden Seiten mit zwielichtigen Belegen gefüttert werden.

da ja die Verfolgungsbegehren in erster Linie aus der Bevölkerung kamen
Ich meine:
- dass die meisten Gebiete in dieser Zeit christianisiert waren, was bedeutet, dass die meisten Menschen in die Kirche gingen, und die anderen sozial isoliert waren
- dass die meisten Menschen mit der täglichen Arbeit ausgelastet waren, und sich mit der Ausnahme der Predigt in der Kirche wenig Gedanken um Religiöses machten
- dass die Priester aus der Bibel predigten, was auch immer der genaue Wortlaut war, der religiöse Alleinvertretungsanspruch, die Ablehnung der Götzendienerschaft waren ein Bestandteil davon
- dass die Arbeit der Kräuterfrauen auf der Grundlage des keltisch-germanischen religiösen Weltbilds geschah
- dass dieses Weltbild im Widerspruch zum christlichen Weltbild stand
- dass also das Verfolgungsbegehren zwar an der Oberfläche aus "der Bevölkerung" kam, aber das geistige Fundament dahinter die christliche Religion ist.
 
Hallo Harser,

Dein Eingangseinwand wirft ein Licht auf die Frage, inwieweit Ergebnisse aus Rückführungen und ähnlichem (Channelings) überhaupt in die Geschichtsforschung einbezogen werden dürfen. Ich würde das einmal so formulieren: Es gibt zwei Arten von Geschichtswissenschaft - einmal mit und einmal ohne die Verwendung von Channel-Wissen. Es ist nicht davon auszugehen, dass diese beiden Arten der Geschichtsschreibung ohne weiteres in Einklang zu bringen sind, denn sie unterscheiden sich gravierend. Das Channelwissen hat definitiv seine Eigenheiten: es stellt meist eine sehr subjektive Sichtweise auf das Geschehen dar, außerdem ist dieses Wissen zweifach verbogen, einmal durch die falschen Projektionen der Person, die in der Vergangenheit etwas wahrgenommen hat, und dann durch die falschen Projektionen der Person, die das Channeling durchführt, wobei bei der Aufzeichnung und Interpretation ebenfalls noch Fehler gemacht werden können.

das sehe ich in jedem Fall ganz genau so. Ich bin ja eigentlich ausgebildete Historikerin, verfüge aber auch über schamanische Erfahrungen. Bisher in zwei Fällen habe ich versucht, sozusagen aus der anderen Wirklichkeit stammendes Wissen in der hiesigen wiederzufinden.

Fall 1 war ein Kunde, der mir erklärte, bei einer Session mit Geistern - welcher Art auch immer - sei ihm erklärt worden, ein Vorfahre habe einen Verwandten (ich glaube Bruder) gehabt, der bei einem Unfall ums Leben gekommen sei. Details weiß ich nicht mehr, weil das ungefähr zehn Jahre her ist. Jedenfalls waren die Angaben zu diesem ums Leben gekommenen Verwandten sehr spezifisch, inclusive ungefährem Todeszeitpunkt und - in der Genealogie unverzichtbar - Todesort. Tja; in den Kirchenbüchern und sonstigen Quellen konnte nicht einmal die Existenz dieses Bruders belegt werden, geschweige denn sein Tod. Und da wir uns für diesen Fall in der Zeit um 1900 bewegt haben, sollte im Prinzip von einer Vollständigkeit der Quellen zunächst ausgegangen werden können.

Fall 2 war erst kürzlich. In einem großen, von mir intensiv bearbeiteten Fall ging es u.a. um den Verbleib einer bestimmten Person - wiederum in der Zeit um 1900, was also kein Problem hätte sein sollen, was aber eins war, weil die Meldeunterlagen offensichtlich nicht vollständig waren. Ich träumte also - einen Ortsnamen und eine Jahreszahl, und war mir sicher, es wäre der Tod der Person gemeint. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, bei der schamanischen Praxis eine besondere Qualität der Ein-Gebungen wahrzunehmen, und dieser Traum war ganz genauso. Hinzu kam, dass es zwei Orte dieses Namens gab und der eine in der richtigen Gegend lag und der andere von der beruflichen Struktur zu dem Gesuchten passte. Ich also Anfragen an die Standes- und Einwohnermeldeämter geschickt (natürlich ohne Quellenangabe ...) - und rein gar nichts war über ihn zu finden.

Wenn ich also auch keine grundsätzlichen Einwände gegen die Möglichkeit habe, dass sich "Fakten"-Erkenntnisse aus der anderen Wirklichkeit hierher übertragen lassen, so ist mir persönlich bisher noch kein schlagender Beweis gelungen.

Aber auch das Vorgehen der "normalen" Geschichtswissenschaft hat seine Eigenheiten: zum ersten ist das das Paradigma, das als nicht existent angenommen wird, was nicht belegt wurde. Zweitens ist sie extrem anfällig gegenüber gefälschten oder fehlinterpretierten Belegen, denn ein als gesichert angenommener Beleg wird als Bezugspunkt für die Interpretation vieler anderer Belege herangezogen, also kann z.B. eine einzige irreführende Behauptung in einem historischen Dokument eine völlig abwegige Sichtweise einer ganzen Epoche bewirken. Zum dritten ist die Auswahl einander widersprechender Belege sehr subjektiv, und führt zu ausgeprägten Grabenkämpfen der Geschichtswissenschaftler.

Ich denke eigentlich schon, dass die Historiker sich heute der Bedingtheit ihrer Quellen und auch ihres eigenen Tuns bewusst sind - das Rankesche Wort von "dem, was gewesen" funktioniert schon lange nicht mehr.

Gerade in der Frage der Hexenverfolgung wundern mich differierende Standpunkte wenig, denn dieses Forschungsobjekt ist hochpolitisch bis heute. Bei der Channel-Geschichtsschreibung sind durch die Emotionalität des Themas Verbiegungen wahrscheinlicher als bei "ruhigen/friedlichen" Epochen.

Gerade deshalb wäre ja ein Beleg durch schriftliche Quellen so interessant dabei!

Bei der Nicht-Channel-Geschichtsschreibung stehen z.B. die politischen Interessen der katholischen Kirche deren Gegnern entgegen, wobei erstere die Verbrechen tendenziell verharmlosen, letztere überbetonen möchten. In der Mitte stehen die um Objektivität bemühten Historiker, die von beiden Seiten mit zwielichtigen Belegen gefüttert werden.

Im Prinzip ja. Allerdings ergibt sich dabei die Frage, mit was für Quellengattungen man es eigentlich zu tun hat. Ich meine, wir wollen ja nicht anfangen wie Heinsohn/Steiger, die in ihrem Vorwort zur "Vernichtung der weisen Frauen" so niedlich geschrieben haben, es hätte gar keinen Sinn, die eigentlichen Prozessakten zu studieren, weil eh immer nur dasselbe drin stehen würde. In gewisser Weise haben sie zwar recht - es steht in den Grundstrukturen immer nur dasselbe drin -, aber gerade diese Masse an Quellen - gerade im Fall der Hexenprozesse - ermöglicht auch, zwischen den Zeilen zu lesen und die Besonderheiten jedes einzelnen Falles herauszustellen. Man könnte auch sagen, die Prozessakten selbst sind nicht mit einer bestimmten (propagandistischen) Absicht geschrieben worden, sondern im Rahmen und als Protokollierung eines legalen Gerichtsverfahrens. Wenn ich mich recht entsinne, gab es bei irgendeinem historiographischen Theoretiker die Unterscheidung zwischen "Überresten" und "Tradition" - ersteres eher zufällig entstandene Zeugnisse des Verwaltungshandelns, zweiteres absichtlich zusammengestellte Texte.

Wenn ich also beispielsweise im Geständnis einer Hexe lese, sie hätte sich mit dem Teufel verbündet, weil der in einer Situation persönlichen Unglücks zu ihr kam, und diese Situation vielleicht etwas genauer geschildert wird, so kann ich davon ausgehen, dass diese Hexe diese Situation in der Tat so erlebt hat - und dann eben in der Verhörsituation aus lauter Verzweiflung, weil sie den Verhörern ja irgendetwas bieten musste, was deren Schema entsprach, den Teufel dazu gedichtet hat. Ebenso kann davon ausgegangen werden, dass die geschilderten Schadenzauberfälle (diese Kuh, jener Hagel, etc.) ursprünglich auf Zeugenaussagen der Bevölkerung beruhen. Wenn in einer Prozessakte (Freiburger Raum, um 1600) davon die Rede ist, dass buchstäblich alle Beteiligten - bis auf die Hexe - gezaubert haben, vorwiegend zum Schutz vor und zur Entdeckung von Hexen, kann ich davon ausgehen, dass dem in der Tat so war. Ähnlich lassen Schilderungen des Sabbats üblicherweise keine Rückschlüsse auf die Realität des Sabbats zu, wohl aber auf die sozialen Strukturen im Ort, wenn beispielsweise die ärmeren Hexen auch auf dem Sabbat bedienen mussten, während die anderen sich amüsierten. Wir haben also ein Schema, das grundsätzlich von allen Hexen abgefragt wurde - Pakt, Buhlschaft, Sabbat ggf. mit Flug, Schadenzauber -, das aber von jeder einzelnen Hexe sehr individuell ausgefüllt wurde.

Besonderes Highlight sind dann natürlich diejenigen Fälle, in denen die Angeklagten trotz Folter und allem auf Dingen bestanden, die eigentlich nicht in das Glaubens- und Verhör-Schema der Prozessführenden hineinpassten. Extrem spannend, durchaus auch aus schamanischer oder meinetwegen auch kelto-germanischer Sicht, ist hier die Veröffentlichung von Wolfgang Behringer über "Chonrad Stoeckhlin und die Nachtschar", über einen Prozess im Raum Oberstdorf. Das ist aber ein einsamer Einzelfall auf weiter Flur, sonst nur noch vergleichbar mit Carlo Ginzburgs Funden in Oberitalien. (Behringer ist einer derjenigen, die die Hexenforschung in den vergangenen Jahren weit vorangebracht haben, und meines Erachtens einer der schlauesten Köpfe in diesem Zusammenhang.)


Ich meine:
- dass die meisten Gebiete in dieser Zeit christianisiert waren, was bedeutet, dass die meisten Menschen in die Kirche gingen, und die anderen sozial isoliert waren
- dass die meisten Menschen mit der täglichen Arbeit ausgelastet waren, und sich mit der Ausnahme der Predigt in der Kirche wenig Gedanken um Religiöses machten
- dass die Priester aus der Bibel predigten, was auch immer der genaue Wortlaut war, der religiöse Alleinvertretungsanspruch, die Ablehnung der Götzendienerschaft waren ein Bestandteil davon
- dass die Arbeit der Kräuterfrauen auf der Grundlage des keltisch-germanischen religiösen Weltbilds geschah
- dass dieses Weltbild im Widerspruch zum christlichen Weltbild stand
- dass also das Verfolgungsbegehren zwar an der Oberfläche aus "der Bevölkerung" kam, aber das geistige Fundament dahinter die christliche Religion ist.

Ja, ja, schon - cum grano salis, denn wie oben gezeigt, haben sie ja alle gezaubert, Christen hin oder her. Die Verfolgungsbegehren beruhten allerdings nicht darauf, dass plötzlich alle so große Angst vor dem Teufel hatten, sondern darauf, dass ihnen die Ernte und die Viecher kaputt gegangen sind. Das zeitliche Zusammentreffen der Hauptphase der Hexenverfolgungen im deutschsprachigen Raum - 1570-1630 - mit der Hauptphase der "Kleinen Eiszeit" ist inzwischen ziemlich unbestritten, und auch das Aufleben einer ersten Prozesswelle um und kurz nach 1480 ist offensichtlich begleitet von einer Witterungskrise mit allen damit verbundenen Folgen. Natürlich war gerade in dieser Welle dann auch der gewisse Herr Kramer unterwegs, der seinerseits die Prozesse massiv zu fördern versucht hat - aber es ging los damit, dass das Wetter extrem unvorteilhaft war. Kürzlich stieß ich auch auf Hinweise auf eine Pest- oder Seuchenwelle in einer der Regionen, die gleichzeitig oder kurz darauf massive Prozesse sahen - die dann wiederum im Hexenhammer zitiert werden.

Ich bin noch dabei, die Quellen für diese frühe Welle, in diesem Fall beispielhaft für einen Ort im Veltlin, zu sammeln. Aber ungefähr lief es so ab: ab 1481: katastrophale Sommer, Teuerung, Seuche (den Beleg für die Seuche muss ich noch verifizieren); Sommer 1483: Gemeindeversammlung schickt jemanden, den Inquisitor aus Como zu holen (wir haben es hier im Gegensatz zu später noch mit Inquisitionsprozessen zu tun); Oktober 1483: fünf Verbrennungen; Dezember 1483: Bevölkerung trifft sich zu Gemeindeversammlung, um das (weitere) Vorgehen gegen die Hexen zu beraten. Weitere Prozesse bis 1485. Mehrere Beschuldigte fliehen Richtung Innsbruck, wo sie Kramer in die Finger laufen, der sich aber mit seinem Verfolgungsbegehren im Herbst dieses Jahres beim Brixener Bischof nicht durchsetzen kann. (Folge: Kramer schreibt den Hexenhammer, weil er mit seinen eigenen Prozessen gescheitert ist.)

So; glaube, das reicht erstmal als Stoff ...

Gruß

Sabine
 
Total spannend, was du schreibst!

... noch kein schlagender Beweis gelungen....

Im Vergleich zu anderen Rückführungen in dieser Sendereihe (von der ich nur 3 Sendungen gesehen habe, es gibt wohl 2 Staffeln á 6 Sendungen) waren in dem erwähnten Beitrag eher weniger überzeugende Rückbestätigungen. Weder der Name der Kräuterfrau, noch der des Burgherren ließen sich bestätigen, aber es war überhaupt kein Name eines Burgbewohners aus dieser Zeit zu finden.

Ein Beispiel, was vielleicht eher dem Kriterium "schlagender Beweis" nahekommt, ist der von dem Kaufmann aus Lucca (18Jh.), dessen Vater in den Unterlagen wiedergefunden wurde (wenn ich mich recht erinnere), wenn auch nicht die Person selber.

Bei mehreren Rückführungen wurden Zeichnungen angefertigt, die frapperiende Ähnlichkeiten zu den wirklichen Gebäuden hatten, allerdings waren das überwiegend Gebäude, die heute genauso aussehen, außer in einem Falle (glaub ich) stand das Gebäude nicht mehr, aber war auf historischen Zeichnungen zu sehen.

Aber, genau wie bei deinen Beschreibungen, in keinem Fall war die Person selber in den Melderegistern zu finden.

Übrigens, die Ansprechpartner bei VOX für diese Sendungen sind:
ursula.schwellenbach@ip-deutschland.de
andrea.leukel@ip-deutschland.de

Die Rückführungstherapeutin heißt:
Ursula Demarmals

Da könnte man erfragen, was nun die frappierendsten Beispiele beider Staffeln nun waren.

---

Noch eine Frage an dich: Hast du Hinweise auf einen Fall aus der Zeit der eigentlichen Hexenverfolgungen, in dem Menschen erpresst wurden mit der Drohung der Beschuldigung als Hexe?

---

Nun zu der Zeit 1426. Du sagst, es gibt keine Belege für Hexenverfolgungen zu dieser Zeit ... gut, ich stehe mit leeren Händen da. Ich kann nur die Analogie zum Antisemitismus anbieten. Wirklich auffällige Pogrome brachte das dritte Reich, und die Zeit des Aufstrebens der Nationalsozialisten. Das war auch die Zeit der Weltwirtschaftskrise. Allerdings war der Keim schon lange vorher gelegt, und im Grunde war das Deutsche Reich und auch die deutschen Fürstentümer nie gänzlich frei von Antisemitismus.
 
Hallo Harser,

waren in dem erwähnten Beitrag eher weniger überzeugende Rückbestätigungen. Weder der Name der Kräuterfrau, noch der des Burgherren ließen sich bestätigen, aber es war überhaupt kein Name eines Burgbewohners aus dieser Zeit zu finden.

Na ja, das 15. Jahrhundert ist noch nicht wirklich mit Quellen gesegnet.

Ein Beispiel, was vielleicht eher dem Kriterium "schlagender Beweis" nahekommt, ist der von dem Kaufmann aus Lucca (18Jh.), dessen Vater in den Unterlagen wiedergefunden wurde (wenn ich mich recht erinnere), wenn auch nicht die Person selber.

Hmm ... klingt gut - sofern nicht es sich um eine in Lucca verbreitete und bekannte Familie handelt, so dass die Kenntnis des Familiennamens auch so erklärbar wäre und man den dann einfach mit einem gängigen italienischen Vornamen drapieren könnte.

Ich hab mal die Leute von der Produktionsfirma angeschrieben, nicht wegen Lucca, aber wegen der Hexe.


Noch eine Frage an dich: Hast du Hinweise auf einen Fall aus der Zeit der eigentlichen Hexenverfolgungen, in dem Menschen erpresst wurden mit der Drohung der Beschuldigung als Hexe?

So nach dem Motto, wenn Du nicht tust, was ich will, denunziere ich dich? Nein, spontan nicht. Fraglich allerdings, ob ein solcher Vorgang in den Akten auftauchen würde, die ja per definitionem eigentlich Ergebnis des Verwaltungshandelns sind und nur indirekt die Vorgänge in der Bevölkerung widerspiegeln.

Was es gibt, sind immer wieder Hinweise auf die Benutzung von "Hexe" (et al.) als Schimpfwort. Dabei ist festzuhalten, dass zumindest in der Hochzeit der Hexenverfolgungen der solcherart Beschimpfte eigentlich keine Möglichkeit hatte als Beleidigungsklage dagegen zu erheben, denn wer sich nicht gegen so etwas wehrte, gab damit schon ein halbes Schuldeingeständnis ab, was sich im weiteren Fortschreiten einer Prozesswelle dann höchst ungesund auswirken konnte. Solange die Hexenpanik im Ort noch heftig war, konnte eine solche Injurienklage nahtlos in ein Hexereiverfahren gegen die Beschimpfte umschlagen. Näherte sich eine Verfolgungswelle dem Ende, wurden immer mehr Injurienklagen erfolgreich durchgebracht - deutlich wird also jeweils der zunehmende Zweifel an der Realität der Hexenbeschuldigungen.

In dem Veltliner Fall stieß ich auf eine Szene einige Monate nach den ersten Verbrennungen, die ungefähr so abgelaufen sein muss: zwei Männer begegnen sich auf der Straße, der eine, gesellschaftlich vermutlich relativ hoch stehend, da als Herr tituliert, beschimpft den anderen als Sohn einer Hexe, der schimpft gleichwertig zurück. Darauf schnappt sich der Herr einen Stein und will auf den Ersten einschlagen - Resultat Injurienklage und Verurteilung des Herrn, je hälftig wegen der Beleidigung und der beabsichtigten Tätlichkeit.

Nun zu der Zeit 1426. Du sagst, es gibt keine Belege für Hexenverfolgungen zu dieser Zeit ... gut, ich stehe mit leeren Händen da. Ich kann nur die Analogie zum Antisemitismus anbieten. Wirklich auffällige Pogrome brachte das dritte Reich, und die Zeit des Aufstrebens der Nationalsozialisten. Das war auch die Zeit der Weltwirtschaftskrise. Allerdings war der Keim schon lange vorher gelegt, und im Grunde war das Deutsche Reich und auch die deutschen Fürstentümer nie gänzlich frei von Antisemitismus.

Richtig. Die Hexen haben die Juden nur vorübergehend als Sündenböcke abgelöst. Das Sündenbockprinzip als solches war - und ist - immer wirksam.

Ein erheblicher Teil der Missverständnisse, was die Hexen angeht, ergibt sich aus der Definition, da die Historiker unter "Hexe" etwas völlig anderes verstehen als die Leute aus dem esoterischen Umfeld. Es gibt durchaus Berührungspunkte (die mir aufgrund meines schamanischen Hintergrunds vielleicht bewusster sind als den meisten "normalen" Historikern), aber es wird immer dann schwierig, wenn es um HexenVERFOLGUNGEN geht. Das ging mir früher immer so, wenn ich gefragt wurde, was ich denn so mache. Der Dialog ging dann ungefähr so: "Also, ich schreibe an einer Doktorarbeit über Hexenverfolgungen ..." - "Boah, spannend ..." Und dann kamen unweigerlich die drei Stichworte "katholische Kirche", "Mittelalter" und "weise Frauen". Und dann hab ich jedes Mal tief Luft geholt und zu einem längeren Vortrag angesetzt, dass alle drei Stichworte eben völlig falsch sind (weltliche und dabei auch protestantische Obrigkeiten, Frühneuzeit, Sündenbockprinzip und keine weisen Frauen). - Die Diss ist nicht fertig geworden, aber kleinere Sachen sind publiziert.

Gruß

Sabine
 
Ich schreib später noch was dazu, jetzt nur kurz:
Crow_München;776662 schrieb:
sofern nicht es sich um eine in Lucca verbreitete und bekannte Familie handelt
Ja, der Vater war ein relativ bekannter Kaufmann. Also auch nicht das perfekte Beispiel.

Ich versuche irgendwann noch einmal an den Rückführer, den ich erwähnte, heranzukommen. Er selber sieht sich Anfang des 20.Jh. in Berlin. Da sollte doch was zu finden sein, obwohl im Krieg auch einiges vernichtet wurde.
Ich hab mal die Leute von der Produktionsfirma angeschrieben, nicht wegen Lucca, aber wegen der Hexe.
Ja, gute Idee, das war auch mit Abstand der spannendste Beitrag, den ich der Serie gesehen habe.
 
Werbung:
Ich beginne mal mit diesem Sprichwort, um einer Sichtweise entgegenzutreten, die mir schon manchmal begegnet ist, die du auch in deinem vorletzten Satz andeutest (aber vielleicht gar nicht hast). Und zwar die, dass es im Spätmittelalter/Frühneuzeit gar keine Hexen/weisen Frauen/Hexer/Magier/heidnische Priester/keltisch-germanische Schamanen (ich nenne das mal Hexen) mehr gegeben hat, und dass die Hexenverfolgung eine reine Hinschlachterei aufgrund einer haltlosen Ideologie an beliebigen unliebsamen Menschen war. Da finde ich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.

Ich komme wieder mit Antisemitismus-Analogie. Auch wenn die antisemitischen Pogrome allesamt verurteilenswürdig sind, es gibt einen Kern, und das ist die Zuwanderung von Juden in Verbindung mit einer Aufrechterhaltung einer gewissen kulturellen Eigenständigkeit in Verbindung mit großer Friedfertigkeit (dadurch kam es nicht gleich zu Krieg) in Verbindung mit großer Integrationswilligkeit (dadurch wurden die offenen Antipathien ins Latente abgedrängt).

Warum soll das bei den Hexen nicht ebenso sein? Es gibt keine guten Aufzeichnungen von Hexen (die echten jetzt), keine guten Berichte über sie, sagen die Historiker, nicht wahr? Aber es gibt immerhin Aufzeichnungen von christlich-assimilierten Hexen, Hildegard von Bingen fällt mir da ein. Da könnte man eine Idee bekommen, wie so etwas ausgesehen haben mag. Und diese Schriften sind erhalten geblieben durch den Schutz der Klostermauern. Dieser Schutz basiert auf der immensen Macht der Kirche. Wie verwundbar waren demgegenüber die putativen heidnischen Hexen, wie wahrscheinlich das restlose Auslöschen aller Hinweise. Also, das Fehlen der Hinweise bedeutet nichts weiter als ein weißer Fleck in der Geschichtsschreibung bezüglich dieses Sachverhalts, nicht wahr? Und auf diesen weißen Fleck trifft jetzt diese Rückführungs-Geschichte.

Die Frau sammelt Kräuter. Menschen kommen deswegen, bezahlen sie dafür (sie hat übrigens in der Rückführung eine Münze beschrieben: das war mit die beste Übereinstimmung in dieser Folge). Die Ausübung dieser Dienstleistung macht sie verwundbar, erpressbar.

Diese Geschichte ist nicht weit hergeholt, oder? Sie passt gut auf den weißen Fleck, mit der Ausnahme, dass die aktenkundigen Hexenverfolgungen erst später einsetzten.

--

Zum Stichwort Aktenlage fällt mir ein Passus aus dem Buch: "Zepernick, das Domdorf im Spiegel alter Akten" ein. Da gab es ein Entschuldigungsschreiben aus der Zeit des 30-jährigen Krieges, dass die Bewohner wegen Kriegsfolgen weniger Abgaben an den Dom zahlen können. Das Schreiben ist datiert auf einen Zeitpunkt, an dem das Dorf bereits verwüstet und unbewohnt war, natürlich als Schlussfolgerung wieder anderer Akten. Der Autor bemerkt dazu, dass die Datumsangabe von mehreren Dokumente aus diesem Zeitraum offensichtlich falsch sei.
 
Zurück
Oben