Vision 2080
Im Sieben-Grad-Schwitzkasten
Von Joachim Wille
Es ist Sylvester 2080. Früher gab es zu dem Anlass rauschende Feste - mit Wein und einem Gläschen Champagner um Mitternacht. In den Seniorenheimen erinnern sie sich noch daran. Doch Champagner wird schon lange nicht mehr produziert, weil es in der Champagne für den Weißwein-Anbau zu warm ist.
Und den englischen "Bubbly"-Sekt, der das edle französische Getränk in den 2030er Jahren ersetzte, kann sich kaum noch einer leisten, seitdem die Mehrwertsteuer zur Finanzierung der Klima-Anpassungskosten auf 50 Prozent angehoben wurde.
Der Discounter Aldi hat ihn 2058 endgültig aus dem Sortiment genommen. Ein Kasten Bier, importiert aus Sibirien, wo heute Braugerste und Hopfen gut wachsen, ist für normale Leute schon das höchste der Gefühle. Damit lässt sich auch feiern, aber es ist halt nicht mehr dasselbe.
Der schlimmste Fall
Wenn die Staaten keine Leitplanken für den CO2-Ausstoß aufstellen, versinken Großstädte im Wasser, werden Regionen unbewohnbar und Nahrungsmittel knapp. Gewaltätige Konflikte wären weltweit an der Tagesordnung.
Die Erde ist im Schwitzkasten schon seit Jahrzehnten. Das "ewige Eis" der Arktis war 2030 bereits fast komplett weggeschmolzen. Aber das war nur der Anfang, und zu wenige Zeitgenossen nahmen diesen Fingerzeig damals wirklich ernst.
Jubel über neue Schiffahrtsroute
Ja, die Reeder jubelten sogar darüber, dass sie plötzlich ihre Schiffe auf der kürzeren, eisfreien Route über den Nordpol von Europa nach Asien fahren lassen konnten.
Doch die starke Erwärmung führte dazu, dass die Gletscher in den Alpen, in den Anden und im Himalaja schneller als befürchtet abschmolzen. Und auch die Grönland-Eisdecke rutscht nun schon seit Jahrzehnten beschleunigt ins Meer. Das ließ den Meersspiegel stark ansteigen. Inzwischen ist er bereits über einen Meter erhöht.
Die Folgen sind dramatisch, weil viel zu spät mit Deichbau und Umsiedlungsaktionen begonnen wurde. Seit den 2030er Jahren stehen nach Taifunen regelmäßig große Teile Bangladeshs unter Wasser, der indische Ozean hat das Land bereits zu einem Drittel "verschluckt".
100 Millionen Menschen auf der Flucht
Millionen Bangladeshis versuchten, ins Nachbarland Indien zu fliehen, Neudelhi aber riegelte seine Grenzen mit Militär ab. Grund: Das Land konnte schon die eigenen Flüchtlingsströme nicht mehr bewältigen.
Über 100 Millionen Inder waren aus dem Norden das Landes geflohen, weil dort die Wasserversorgung im Sommer wegen der abgeschmolzenen Himalaja-Gletscher nicht mehr sicherzustellen war. Und fast ebenso viele verließen den Süden. Dort hatte der unberechenbar gewordene Monsun regelmäßig große Dürren und Hungersnöte verursacht.
Deutschland muss 50.000 Inder aufnehmen
Die Flüchtlingsströme sind seit 2030 nicht nur in Indien, sondern weltweit stark angestiegen. Die Vereinten Nationen, in denen die Entwicklungsländer die Mehrheit haben, verdonnerten die Industrieländer als historische Haupteinheizer, große Kontingente von Klimaflüchtlingen aufzunehmen und hohe Milliardensummen als Hilfszahlungen an die betroffenen Länder wie Bangladesh, Kenia und Brasilien zu überweisen. Deutschland musste zeitweise 50.000 Inder und Bangladeshis aufnehmen, was zu schweren innenpolitischen Konflikten führte.
Klimakonferenz Kopenhagen
Das Kopenhagener Abkommen zum Klimaschutz soll von 2013 an das Kyoto-Protokoll ablösen. Studien, Umweltszenarien, interaktive Grafiken zur Entstehung von Ozon, Hintergründe und mehr.
Die Weltbevölkerung ist inzwischen von neun Milliarden Menschen anno 2045 wieder auf acht Milliarden zurückgegangen. Es werden kaum noch Kinder geboren die Welt ist unsicher geworden.
Trotzdem ist die Nahrungsmittelversorgung immer noch das wichtigste Problem, das die Länder in der Treibhaus-Welt lösen müssen. Die Anbau-Zonen haben sich verschoben.
Kein Weizen in USA
Der mittlere Westen der USA liefert keinen Weizen mehr, es ist dort zu trocken geworden. Getreide kommt unter anderem aus Sibirien und Nordkanada, den neuen Kornkammern der Erde.
Das Angebot ist knapp, und Jahre mit vielen schweren Unwettern oder Dürreperioden erzeugen kontinentweite Krisen. Der Fleischkonsum ist auch in den Industrieländern inzwischen stark gesunken. Schnitzel und Hackfleisch kommen nur noch sonntags auf den Tisch, Fleisch ist extrem teuer geworden. Selbst bei McDonald's gibt es nur noch Veggie-Burger, Pommes und Salat.
Klimagipfel gescheitert
Fünf Grad plus sind bereits erreicht, und die Klimaexperten sagen voraus, dass es bis 2100 sogar sieben Grad werden könnten. Das entspricht den schlimmsten Voraussagen, die führende Forscher schon 2009 in ihrem "letzten wissenschaftlichen Aufruf" an den dann gescheiterten Weltklima-Gipfel in Kopenhagen gemacht hatten.
Fünf Grad, das weiß inzwischen jedes Kind, entsprechen dem Unterschied zwischen einer Eiszeit und der "Warmzeit", in der sich die menschlichen Zivilisationen in den letzten 10.000 Jahren entwickelt haben.
Nur, dass inzwischen noch einmal fünf Grad auf die Warmzeit draufgesattelt wurden. Man ist am Beginn einer "Heißzeit" mit Klimaverhältnissen, wie sie auf der Erde vor 30 Millionen Jahren im mittleren Tertiär herrschten.
Wie konnte es soweit kommen? Die Warnungen des UN-Klimarats vor einem galoppierenden, unkontrollierbaren Treibhauseffekt waren schon zu Beginn des Jahrhunderts drastisch genug gewesen.
Aber der Kopenhagen-Gipfel 2009, der die Trendwende beim CO2-Ausstoß bringen sollte, wurde ein Debakel. US-Präsident Obama war zwar dorthin gejettet, doch nur für eine Stippvisite in der ersten Woche der Konferenz. Er zündete zwar ein rhetorisches Feuerwerk für mehr globalen Klimaschutz ab. Aber es verpuffte.
Obama war zum Ende des Gipfels, als es um konkrete Festlegungen ging, nicht mehr da, und seine Unterhändler trauten sich nicht, sich auf konkrete CO2-Ziele für 2020 festzulegen. Im US-Parlament hatte es zu viel Widerstand gegen Obamas Klimapläne gegeben auch von Abgeordneten seiner eigenen Partei, die die Interessen der Kohleindustrie und die Auto-Gewerkschaften vertraten.
Die Folge: eine Blockade des Gipfels. Die Chinesen zogen ihre Zusagen, den CO2-Anstieg zu begrenzen, zurück. Der Pekinger Premier Wen Jibao sagte: "Wenn die USA nicht auf die CO2-Bremse treten, tun wir das auch nicht." Kanada und Australien verwiesen darauf, dass der globale CO2-Ausstoß wegen der Weltwirtschaftskrise sowieso 2009 erstmals um ein paar Prozent zurückgegangen sei. "Wir müsse erst einmal die Ökonomie stabilisieren", rief ein Chefdelegierter aus.
Daraufhin klatschten fast alle Delegierten im Plenum. Und auch die "Vorreiter" von der EU trauten sich nicht, dagegen zu argumentieren. Sie hatten Angst, einen Klimaschutz-Alleingang zuhause bei der Industrie und den Wählern verkaufen zu müssen.
Pause bis 2015
Im Jahr 2010 platzte erneut eine globale Finanzblase, die Wirtschaftskrise verschärfte sich wieder. Folge: Der Weltklimagipfel 2010 beschloss, bis 2015 mit den Konferenzen zu pausieren. Damit war die Luft raus aus den internationalen Verhandlungen. Jedes Land versuchte, seine Wirtschaft wieder ins Laufen zu bekommen unter anderem mit billiger Energie.
Die Laufzeiten der Atomkraftwerke wurden unbegrenzt verlängert, trotzdem gingen viele neue Kohlekraftwerke ans Netz. Die EU setzte ihren Emissionshandel aus, andernfalls wäre der Kohlestrom wegen der dafür nötigen CO2-Zertifkate nicht konkurrenzfähig gewesen.
Der Druck, die weltweit noch reichhaltig vorhandene, aber klimagefährliche Kohle zu nutzen, stieg in den 2020er Jahren noch weiter. Die globale Erdölproduktion hatte da nämlich ihren "Peak" erreicht, und der Ölpreis stieg auf Rekordhöhen von 250 Dollar pro Barrel und mehr.
Neuer Kohleboom
Die Klimafolgen des Kohlebooms waren verheerend. Die CO2-Konzentration in der Atomsphäre erreichte schon ab 2012 wieder jedes Jahr Rekorde. Die kritische Zwei-Grad-Erwärmungsgrenze wurde noch vor der Mitte des Jahrhunderts erreicht.
Damit war klar, dass das Weltklima unaufhaltsam in einen anderen "Systemzustand" übergehen würde. Bereits 2005 hatten Klimaforscher ein gutes Dutzend zentrale Klimaelemente identifiziert, die bei mehr als plus zwei Grad "umkippen" würden - darunter der Amazonas-Regenwald, die großen Eisschilde Grönlands wie der Westantarktis und die tropischen Monsunsysteme.
Aus Regenwald wird Steppe
Beim Regenwald ging es am schnellsten. Er ist heute praktisch flächendeckend ausgetrocknet. Wo früher ein mächtiges Blätterdach stand, dehnt sich die Steppe aus. Das heizte das Klima zusätzlich auf, ebenso wie die Freisetzung riesiger Mengen des starken Treibhausgases Methan aus den aufgetauten Permafrostböden in Sibirien und Nordamerika.
Auch das Schmelzen des Grönland-Eisschilds ist inzwischen unumkehrbar geworden. Bis die gigantischen Massen dieses Eispanzers weg sind, wird es zwar mehrere Jahrhunderte dauern. Doch die Folgen werden für die Weltbevölkerung dramatisch sein.
Der Meeresspiegel wird danach um mindesten sieben Meter höher liegen als heute. Große küstennahe Städte wie London, New York oder Rio de Janeiro werden dann schon lange unbewohnbar sein.
Es gab keine Klima-Leitplanken, weil die Weltgemeinschaft sie nicht aufstellen wollte. Heute weiß man: Damit startete sie ein absolut fahrlässiges Großexperiment mit dem Planeten.
http://www.fr-online.de/top_news/2117373_Vision-2080-Im-Sieben-Grad-Schwitzkasten.html
Im Sieben-Grad-Schwitzkasten
Von Joachim Wille
Es ist Sylvester 2080. Früher gab es zu dem Anlass rauschende Feste - mit Wein und einem Gläschen Champagner um Mitternacht. In den Seniorenheimen erinnern sie sich noch daran. Doch Champagner wird schon lange nicht mehr produziert, weil es in der Champagne für den Weißwein-Anbau zu warm ist.
Und den englischen "Bubbly"-Sekt, der das edle französische Getränk in den 2030er Jahren ersetzte, kann sich kaum noch einer leisten, seitdem die Mehrwertsteuer zur Finanzierung der Klima-Anpassungskosten auf 50 Prozent angehoben wurde.
Der Discounter Aldi hat ihn 2058 endgültig aus dem Sortiment genommen. Ein Kasten Bier, importiert aus Sibirien, wo heute Braugerste und Hopfen gut wachsen, ist für normale Leute schon das höchste der Gefühle. Damit lässt sich auch feiern, aber es ist halt nicht mehr dasselbe.
Der schlimmste Fall
Wenn die Staaten keine Leitplanken für den CO2-Ausstoß aufstellen, versinken Großstädte im Wasser, werden Regionen unbewohnbar und Nahrungsmittel knapp. Gewaltätige Konflikte wären weltweit an der Tagesordnung.
Die Erde ist im Schwitzkasten schon seit Jahrzehnten. Das "ewige Eis" der Arktis war 2030 bereits fast komplett weggeschmolzen. Aber das war nur der Anfang, und zu wenige Zeitgenossen nahmen diesen Fingerzeig damals wirklich ernst.
Jubel über neue Schiffahrtsroute
Ja, die Reeder jubelten sogar darüber, dass sie plötzlich ihre Schiffe auf der kürzeren, eisfreien Route über den Nordpol von Europa nach Asien fahren lassen konnten.
Doch die starke Erwärmung führte dazu, dass die Gletscher in den Alpen, in den Anden und im Himalaja schneller als befürchtet abschmolzen. Und auch die Grönland-Eisdecke rutscht nun schon seit Jahrzehnten beschleunigt ins Meer. Das ließ den Meersspiegel stark ansteigen. Inzwischen ist er bereits über einen Meter erhöht.
Die Folgen sind dramatisch, weil viel zu spät mit Deichbau und Umsiedlungsaktionen begonnen wurde. Seit den 2030er Jahren stehen nach Taifunen regelmäßig große Teile Bangladeshs unter Wasser, der indische Ozean hat das Land bereits zu einem Drittel "verschluckt".
100 Millionen Menschen auf der Flucht
Millionen Bangladeshis versuchten, ins Nachbarland Indien zu fliehen, Neudelhi aber riegelte seine Grenzen mit Militär ab. Grund: Das Land konnte schon die eigenen Flüchtlingsströme nicht mehr bewältigen.
Über 100 Millionen Inder waren aus dem Norden das Landes geflohen, weil dort die Wasserversorgung im Sommer wegen der abgeschmolzenen Himalaja-Gletscher nicht mehr sicherzustellen war. Und fast ebenso viele verließen den Süden. Dort hatte der unberechenbar gewordene Monsun regelmäßig große Dürren und Hungersnöte verursacht.
Deutschland muss 50.000 Inder aufnehmen
Die Flüchtlingsströme sind seit 2030 nicht nur in Indien, sondern weltweit stark angestiegen. Die Vereinten Nationen, in denen die Entwicklungsländer die Mehrheit haben, verdonnerten die Industrieländer als historische Haupteinheizer, große Kontingente von Klimaflüchtlingen aufzunehmen und hohe Milliardensummen als Hilfszahlungen an die betroffenen Länder wie Bangladesh, Kenia und Brasilien zu überweisen. Deutschland musste zeitweise 50.000 Inder und Bangladeshis aufnehmen, was zu schweren innenpolitischen Konflikten führte.
Klimakonferenz Kopenhagen
Das Kopenhagener Abkommen zum Klimaschutz soll von 2013 an das Kyoto-Protokoll ablösen. Studien, Umweltszenarien, interaktive Grafiken zur Entstehung von Ozon, Hintergründe und mehr.
Die Weltbevölkerung ist inzwischen von neun Milliarden Menschen anno 2045 wieder auf acht Milliarden zurückgegangen. Es werden kaum noch Kinder geboren die Welt ist unsicher geworden.
Trotzdem ist die Nahrungsmittelversorgung immer noch das wichtigste Problem, das die Länder in der Treibhaus-Welt lösen müssen. Die Anbau-Zonen haben sich verschoben.
Kein Weizen in USA
Der mittlere Westen der USA liefert keinen Weizen mehr, es ist dort zu trocken geworden. Getreide kommt unter anderem aus Sibirien und Nordkanada, den neuen Kornkammern der Erde.
Das Angebot ist knapp, und Jahre mit vielen schweren Unwettern oder Dürreperioden erzeugen kontinentweite Krisen. Der Fleischkonsum ist auch in den Industrieländern inzwischen stark gesunken. Schnitzel und Hackfleisch kommen nur noch sonntags auf den Tisch, Fleisch ist extrem teuer geworden. Selbst bei McDonald's gibt es nur noch Veggie-Burger, Pommes und Salat.
Klimagipfel gescheitert
Fünf Grad plus sind bereits erreicht, und die Klimaexperten sagen voraus, dass es bis 2100 sogar sieben Grad werden könnten. Das entspricht den schlimmsten Voraussagen, die führende Forscher schon 2009 in ihrem "letzten wissenschaftlichen Aufruf" an den dann gescheiterten Weltklima-Gipfel in Kopenhagen gemacht hatten.
Fünf Grad, das weiß inzwischen jedes Kind, entsprechen dem Unterschied zwischen einer Eiszeit und der "Warmzeit", in der sich die menschlichen Zivilisationen in den letzten 10.000 Jahren entwickelt haben.
Nur, dass inzwischen noch einmal fünf Grad auf die Warmzeit draufgesattelt wurden. Man ist am Beginn einer "Heißzeit" mit Klimaverhältnissen, wie sie auf der Erde vor 30 Millionen Jahren im mittleren Tertiär herrschten.
Wie konnte es soweit kommen? Die Warnungen des UN-Klimarats vor einem galoppierenden, unkontrollierbaren Treibhauseffekt waren schon zu Beginn des Jahrhunderts drastisch genug gewesen.
Aber der Kopenhagen-Gipfel 2009, der die Trendwende beim CO2-Ausstoß bringen sollte, wurde ein Debakel. US-Präsident Obama war zwar dorthin gejettet, doch nur für eine Stippvisite in der ersten Woche der Konferenz. Er zündete zwar ein rhetorisches Feuerwerk für mehr globalen Klimaschutz ab. Aber es verpuffte.
Obama war zum Ende des Gipfels, als es um konkrete Festlegungen ging, nicht mehr da, und seine Unterhändler trauten sich nicht, sich auf konkrete CO2-Ziele für 2020 festzulegen. Im US-Parlament hatte es zu viel Widerstand gegen Obamas Klimapläne gegeben auch von Abgeordneten seiner eigenen Partei, die die Interessen der Kohleindustrie und die Auto-Gewerkschaften vertraten.
Die Folge: eine Blockade des Gipfels. Die Chinesen zogen ihre Zusagen, den CO2-Anstieg zu begrenzen, zurück. Der Pekinger Premier Wen Jibao sagte: "Wenn die USA nicht auf die CO2-Bremse treten, tun wir das auch nicht." Kanada und Australien verwiesen darauf, dass der globale CO2-Ausstoß wegen der Weltwirtschaftskrise sowieso 2009 erstmals um ein paar Prozent zurückgegangen sei. "Wir müsse erst einmal die Ökonomie stabilisieren", rief ein Chefdelegierter aus.
Daraufhin klatschten fast alle Delegierten im Plenum. Und auch die "Vorreiter" von der EU trauten sich nicht, dagegen zu argumentieren. Sie hatten Angst, einen Klimaschutz-Alleingang zuhause bei der Industrie und den Wählern verkaufen zu müssen.
Pause bis 2015
Im Jahr 2010 platzte erneut eine globale Finanzblase, die Wirtschaftskrise verschärfte sich wieder. Folge: Der Weltklimagipfel 2010 beschloss, bis 2015 mit den Konferenzen zu pausieren. Damit war die Luft raus aus den internationalen Verhandlungen. Jedes Land versuchte, seine Wirtschaft wieder ins Laufen zu bekommen unter anderem mit billiger Energie.
Die Laufzeiten der Atomkraftwerke wurden unbegrenzt verlängert, trotzdem gingen viele neue Kohlekraftwerke ans Netz. Die EU setzte ihren Emissionshandel aus, andernfalls wäre der Kohlestrom wegen der dafür nötigen CO2-Zertifkate nicht konkurrenzfähig gewesen.
Der Druck, die weltweit noch reichhaltig vorhandene, aber klimagefährliche Kohle zu nutzen, stieg in den 2020er Jahren noch weiter. Die globale Erdölproduktion hatte da nämlich ihren "Peak" erreicht, und der Ölpreis stieg auf Rekordhöhen von 250 Dollar pro Barrel und mehr.
Neuer Kohleboom
Die Klimafolgen des Kohlebooms waren verheerend. Die CO2-Konzentration in der Atomsphäre erreichte schon ab 2012 wieder jedes Jahr Rekorde. Die kritische Zwei-Grad-Erwärmungsgrenze wurde noch vor der Mitte des Jahrhunderts erreicht.
Damit war klar, dass das Weltklima unaufhaltsam in einen anderen "Systemzustand" übergehen würde. Bereits 2005 hatten Klimaforscher ein gutes Dutzend zentrale Klimaelemente identifiziert, die bei mehr als plus zwei Grad "umkippen" würden - darunter der Amazonas-Regenwald, die großen Eisschilde Grönlands wie der Westantarktis und die tropischen Monsunsysteme.
Aus Regenwald wird Steppe
Beim Regenwald ging es am schnellsten. Er ist heute praktisch flächendeckend ausgetrocknet. Wo früher ein mächtiges Blätterdach stand, dehnt sich die Steppe aus. Das heizte das Klima zusätzlich auf, ebenso wie die Freisetzung riesiger Mengen des starken Treibhausgases Methan aus den aufgetauten Permafrostböden in Sibirien und Nordamerika.
Auch das Schmelzen des Grönland-Eisschilds ist inzwischen unumkehrbar geworden. Bis die gigantischen Massen dieses Eispanzers weg sind, wird es zwar mehrere Jahrhunderte dauern. Doch die Folgen werden für die Weltbevölkerung dramatisch sein.
Der Meeresspiegel wird danach um mindesten sieben Meter höher liegen als heute. Große küstennahe Städte wie London, New York oder Rio de Janeiro werden dann schon lange unbewohnbar sein.
Es gab keine Klima-Leitplanken, weil die Weltgemeinschaft sie nicht aufstellen wollte. Heute weiß man: Damit startete sie ein absolut fahrlässiges Großexperiment mit dem Planeten.
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