"Wir haben von alledem nichts gewusst!"

Die meisten konnten es nicht verstehen und daher auch nicht wissen.
Wie kommt das?

Die Situation damals war eben nur teilweise mit der heutigen Situation zu vergleichen.

Es wäre von Vorteil, nicht von einem deutschen oder österreichischen Phänomen auszugehen, sondern von einem europäischen Problem - von Moskau über die Krim, nach Istanbul, Athen, Rom, Madrid, Paris und London ...

Deutschland (und Österreich) wurden im 1. Weltkrieg zu Verlierern erklärt, obwohl es weder eine militärische Niederlage oder einen schlußendlichen militärischen Sieg - von welcher Seite auch immer gab.

Deutschland und Österreich wünschten zu dieser Zeit eine staatliche Einheit. Die Last die Deutschland aufgebürdet wurde führte zu tiefen Unruhen in Deutschland, es gab bürgerkriegsähnliche Zustände in Deutschland. Während des ersten Weltkrieges war es in D ruhiger, danach wurde in D an vielen Ecken scharf geschossen. Man mußte tatsächlich um sein Leben fürchten, als Deutscher in Deutschland.

Niemand der ernsthaften Politiker nahm Hitler zu diesem Zeitpunkt ernst. Er war ein rechter Aktivist und Revoluzzer.

Deutschland war arm und viele hungerten. Dann kam auch noch die Weltwirtschaftskrise 1923. Noch mehr hungerten, verhungerten. Die Politik kam nur in kleinen Schritten vorwärts, indem sie die Bedingungen des Versailler Vertrages für Deutschland erleichtern konnte. Die Bedingungen des Versailler Vertrages wurden durch die deutsche Politik nach und nach, in zähen Verhandlungen, völlig abgeschaft, bis kurz bevor Hitler an die Macht kam. Allerdings lies sich mit dem Versailler Vertrag gut die Wut hungernder Deutscher schüren, da selbst englische Politiker vom Versailler Vertrag sagten: "Nun haben wir einen Vertrag, der uns Krieg in 20 Jahren garantiert.".

Hitler war dann bekannt als ein begnadeter Redner, vielleicht bis heute der beste politische Redner überhaupt. Niemand in der Politik konnte ihm das rednerische Wasser reichen. Er konnte andere in Grund und Boden reden, ohne jede Sachkenntnis und tiefere Argumentation. Ein begnadeter Blender. Aber er war selbst vor sich geblendet, er wußte nicht, dass er blendet. Er war sich seiner Anziehungskraft bewußt und - ab einem gewissen Punkt - genoß er sie und spielte sie aus.

Die Politiker selbst waren sich sicher, dass Hitler nicht alleine an die Macht kommt und auf die Zusammenarbeit mit anderen Parteien angewiesen sei.

Deutschland war in einer großen realen Depression. Der letzte Krieg und viele Jahre Hungers lagen hinter der Mehrzahl der Deutschen (und Europäer). Hitler versprach ohne genau zu sagen, was und wie er es anstellen würde, Hilfe.

Die Politik hatte damals immerzu gespart und hatte keine weiteren Schulden gemacht. Hitler wurde dann mit den Stimmen aller deutschen Parteien außer der SPD zum Diktator von Deutschland gewählt. Die KPD wurde vorher von den Nazis verboten, ausgerottet, getötet, vertrieben. Völlig illegal.

Hitler machte nun Schulden, um die Wirtschaft auf Vordermann zu bringen. Und es funktionierte. Die Menschen wurden glücklicher. Weil sie eine Perspektive zu haben glaubten.

Carl Friedrich von Weizsäcker:

»Ich bin im Jahre 32, zwanzigjährig, wie ich es in den Sommerferien eigentlich immer getan habe, wochenlang durchs Land gewandert, zu fuß allein, durch Deutschland. Und wo ich hinkam, war Verzweiflung, riesige Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrise, Banken waren zusammen gebrochen, all dies.
33 in der selben Situation: Überall war Hoffnung, jetzt gehts wieder aufwärts. Das ist schwer heutigen Lesern begreiflich zu machen, aber es war schlicht so.
Ein gescheiter Mann, der niemals ein Nazi war, Wilhelm Kütemeyer, ein Psychologe und Philosoph, also Mediziner, hat das genannt: die Pseudo-Ausgießung des Hl. Geistes 1933, dieses Erlebnis der Gemeinsamkeit.«


Das Buch Mein Kampf von Hitler war für Hitler eher peinlich und niemand konnte sich damals vorstellen, dass er mit diesen abstrusen Aussagen ernst machen würde - außer ein paar sehr hellen Herzen und Köpfen. Man war ein Maß von Gewalt gewohnt, das unsere Vorstellungen heute weit übersteigt. Mein Urgroßvater ließ einmal ein paar Worte über Hitler fallen und wurde sofort vor ein Tribunal bestellt. Im Dorf hieß es: »Jetzt reicht es einem Handwerker aus dem Dorf ins KZ.«, das war zu Zeiten des Hitler-Stalin-Paktes, August 1939, wenige Tage vor dem Beginn des 2. Weltkrieges.
Damals konnten es dann schon alle wissen, ja.
Mitte 1939 ja.
1936 nein.
Siehe:

Ich zitiere weiter Siegfried Hagl aus seinem Buch Der okkulte Kanzler:

Diese für alle Beobachter überraschenden Erfolge des »Führers« wurden auch im Ausland gewürdigt. Kein Geringerer als David Lloyd George (1863 - 1945), während des Krieges als britischer Premierminister Anführer der Kriegskoalition gegen Deutschland, besuchte Hitler im September 1936 auf dem Obersalzberg und gab danach dem »Daily Express« ein viel beachtetes Interview, in dem er unter anderem sagte:

»Ich habe jetzt den berühmten deutschen Führer gesehen und auch etliches von dem großen Wechsel, den er herbeigeführt hat. Was immer man von seinen Methoden halten mag - es sind bestimmt nicht die eines parlamentarischen Landes -, es besteht kein Zweifel, dass er einen wunderbaren Wandel im Denken des Volkes herbeigeführt hat ...
Zum ersten Mal nach dem Krieg herrscht ein allgemeines Gefühl der Sicherheit. Die Menschen sind fröhlicher. Über das ganze Land verbreitet sich die Stimmung allgemeiner Freude. Es ist ein glückliches Deutschland. Überall habe ich das gesehen, und Engländer, die ich während meiner Reise traf und die Deutschland gut kennen, waren von dem Wandel tief beeindruckt ...
Dieses Wunder hat ein Mann vollbracht. Er ist der geborene Menschenführer. Eine magnetische, dynamische Persönlichkeit mit einer ehrlichen Absicht, einem entschlossenen Willen und einem unerschrockenen Herzen. Er ist nicht nur dem Namen nach, sondern tatsächlich der nationale Führer. Er hat sie gegen potentielle Feinde, von denen sie umgeben waren, gesichert. Auch schützt er sie gegen die ständige Gefahr des Hungertodes, eine der schmerzhaften Erinnerungen aus den letzten Kriegs- und den ersten Friedensjahren ...
An seiner Popularität, vor allem unter der deutschen Jugend, besteht kein Zweifel. Die Alten vertrauen ihm; die jungen vergöttern ihn ...«

So sprach ein welterfahrener Politiker von höchstem internationalem Rang. Und der einfach deutsche Bürger hätte Hitler durchschauen sollen ...?


Shimon hat es an anderer Stelle ausgedrückt, dass zu viele geschwiegen hätten: unbedingt ja.
ABER es haben auch zu viele Franzosen, Italiener, Briten, Amerikaner etc. geschwiegen, nicht nur Deutsche.
Wir hatten damals in Italien, Spanien und im Süden Frankreichs faschistoide Diktaturen.
Selbst viele Juden schwiegen, weil es einfach UNVORSTELLBAR ist, was dann geschehen sollte.

Wir haben heute leicht reden, nachdem das UNVORSTELLBARE geschehen ist.
Das macht uns nicht weniger hilflos, der Geschichte gegenüber.

Realität ist leider komplexer als eine Geschichtsschau.





du könntest es auch viel einfacher ausdrücken: die menschen waren damit einversatnden, was von den nazis den juden angetan wurde. von anfang an einversatnden. alles lief schleichend ab...


shimon
 
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