Wie ich im Staatstheater zu Weimar den Klassenfeind gab

Werbung:
Wie mir Vanessa später erzählte, seien ihre Mitstudentinnen eigentlich verpflichtet gewesen, den Kontakt Vanessa-Waldbaum höheren Ortes zu melden, ob nun vermisst oder nicht. Doch niemand habe sie verraten! Im nachhinein nun von dieser Stelle aus ein Kompliment an diese Mitstudentinnen!

Doch damit nicht genug. Vanessa selbst war auch verpflichtet, ihren Westkontakt zu melden, wie sie mir später sagte. Doch sie habe das denn mal lieber nicht getan. Und ich tadle sie nicht deswegen. Oder? Wollt ihr sie tadeln?
 
Und nun komme ich zum Schluss:

Bevor Vanessa schließlich meinen westlich-dekadenten französischen R4 verließ, tauschten wir noch unsere Adressen aus. Ich gab ihr meine Adresse, und sie gab mir die Adresse ihrer Großmutter.

Warum das denn?

Nun, das war damals durchaus üblich so. Das war unsere konspirative Deck-Adresse. Denn Westkontakte waren für junge zukünftige Englisch-Lehrerinnen nicht erwünscht - noch nicht mal nach England! Aber an Großmüttern war dieser Markus-Wolf nicht so sehr interessiert. Die durften schon Briefe aus dem Westen bekommen - oder am besten gleich für immer dort bleiben, wo westlicher Pfeffer wächst, um der knappen sozialistischen Staatskasse nicht zur Last zu fallen.

Junge Vanessa-Rotkäppchen aber sollten besser die Finger von westlichen Wölfen lassen, wenn sie die freie deutsche Jugend lehren wollten, wie man den Sozialismus aufbaut!
 
Es geht noch etwas weiter!

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Über die Jahre hinweg war der Kontakt dann eingeschlafen.


Doch dann kam die Wende.
Und es war zur Zeit der dramatischen Wende in der DDR, dass ich mich fragte, wie es Vanessa wohl gehen mag. Und so schrieb ich an ihre Großmutter. Ohne viel Hoffnung auf Antwort.

Doch Gott sei Dank! Und Gott hab sie selig, die selige Großmutter! Sie lebte noch und gab den Brief weiter.

Und bald bekam ich eine dicken und sehr erfreuten Antwortbrief.

Vanessa wohnt inzwischen nun nicht mehr in Sachsen, sondern in Meck-Pomm.
Bald nach dem Brief hat sie unsere Familie mit ihrer Familie besucht: Mit ihrem Mann und zwei Töchtern. Wir haben dann später einen Gegenbesuch gemacht, als wir auf dem Heimweg von der Insel Rügen waren.

Und seither haben wir uns auch einige Male noch gesehen, und ab und zu telefonieren wir auch.
Und: Man kann über Sächsisch sagen, was man will - aber so, wie Vanessa es spricht, klingt es echt schöööön!


Sl
 
Und mit dem nächsten Beitrag endet die Geschichten dann.
Im Jahre 2002 in Dresden.
 
Und es geht noch einmal weiter ....

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Es war im Oktober 2002, als ich von Berlin aus mit dem Zug nach Dresden kam.

In das Dresden nach der großen Überschwemmung. Die Schäden waren noch überall zu sehen. Die Flut hatte den Bahnhof leergeschwemmt, er wirkte wie eine Bau-Ruine. Züge fuhren nur noch in Richtung Polen. Die Verbindung nach Westen war unterbrochen, und um nach Karlsruhe weiterzukommen, musste ich damals eine abenteuerliche Fahrt per Bus über Land machen, bei der ich dann irakische Christen kennenlernte, die aus ihrer Heimat geflohen waren. Aber das ist wieder eine andere Geschichte ....

Die Unterbrechung der Verbindung nach Westen erinnerte ein bisschen an die alte deutsch-deutsche Teilung.

Doch zum Ausgleich dazu gab es an der Frauenkirche ein deutsch-deutsches Treffen!

Diese Frauenkirche habe mich auch in mehreren Stationen ihres Lebens gesehen:

1. als Schuttberg

2. als Baustelle mit Regalen voller numerierter alter Steine, die beim Wiederaufbau verwendet werden sollten

3. und nun als fast fertige Kirche

So stand ich nun bei Nacht, aber ohne Nebel, an der halbfertigen Frauenkirche, um auf mein rendez-vous zu warten.

Und bald schon erschien aus dem Dunkel der Nacht eine wunderschöne junge Frau in feierlichem Schwarz. Vanessas Tochter, die damals an der Uni Dresden studierte.

Und sie hatte ein Lokal ausgesucht, das mir sehr zusagte: einen alten Gewölbekeller am Fluss, wo es sächsische Spezialitäten zu essen gab. Sogar die Speisekarte war zweisprachig, hochdeutsch und sächsisch.

Ich habe eine dreifach gute Erinnerung an jenen Abend: an Vanessas Tochter, an die Frauenkirche, und an das gute Essen und den Wein in jenem historischen Gewölbekeller.

Als ich damals 1977 mit Vanessa in Weimar herumirrte, hätte ich nicht daran gedacht, dass ich viele Jahre später einmal in einem wieder-vereinten Deutschland mit ihrer Tochter in der Nähe der wieder-aufgebauten Frauenkirche zu Dresden speisen würde.

Ein Stück erlebte deutsche Geschichte
 
Weimar kenne ich aus der Zeit nach 1989. Davor aus den Erzählungen meines Vaters, der an wissenschaftlichen Tagungen und an der Leipziger Messe teilgenommen hatte, und auch meine Freundin verbrachte zwei Sommer als Deutschlehrerin bei Kursen in Weimar. Die Sicht von ihnen auf DDR, auf Weimar war aus einer anderen Richtung als die Deine - sie waren ja Bürger eines Staates des Warschauer Paktes. Kontakte mit Weimeranern wiederum den Erzählungen nach eher nur auf die Inhalte ihrer Aufenthalte bezogen, zudem waren ja jeweils noch Menschen aus vielen anderen Ländern zugegen.

Weimar, das ich kennenlernte, ist eine der schönsten Städte Deutschlands, und für mich noch mit ganz besonderem Hintergrund verbunden: ein Vorfahre meines Partners lebte in Weimar zur Zeit von Anna Amalia, Wieland, Goethe und Schiller.
Bei einem Besuch in Oßmannstedt (Gut, auf dem Wieland lebte) trafen wir im Park, auf dem Weg zur Grabstätte Wielands, ein Paar. So um 50 herum, ein wengerl universitär/lehrerhaft und ganz berauscht von dem Besuch am Grab des Dichters wirkend, wie aus der ersten Hälfte des 19ten Jahrhunderts stammend.
 
Werbung:
Dresden steht mir sehr sehr nah, ich habe sogar einmal im Forum geschrieben, die Stadt gehört neben Krakau, Wien, Florenz zu den Orten, an denen ich leben kann, und dies sogar sehr sehr gern.
Und von Dresden aus unternehme ich Ausflüge nach Görlitz , Zgorzelec - beide Städte in den letzten Jahrzehnten wunderbar restauriert, die eine auf der deutschen, die andere auf der polnischen Seite am Ufer der Lausitzer Neiße. Aus Dresden komme ich gern nach Bautzen, der Stadt der Türme und Hauptstadt der Sorben, landschaftlich wunderschön gelegen an der Spree. Hast Du Bautzen bereits besucht, @Mellnik?
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Zurück
Oben