Mutter achtete immer streng darauf, dass wir alles aufaßen, was auf den Tisch kam. Es durfte nichts weggeschüttet werden oder verkommen, schon gar nicht angebissene Brotreste. Daraus fertigte sie zum Abendbrot eine Brotsuppe. Hinein kamen auch noch die Reste vom Mittagessen; das Ganze hieß dann *Pampersuppe*. Es gab abends auch oft Mehlsuppe mit Klümpchen, oder auch schon einmal angebrannte Grießsuppe. Mutter sagte dann immer: "Das ist das Gewürz der seligen Frau." Hintergrund dieses Kommentars war eine anekdotenhafte Geschichte, die man in Schlesien kannte:
Ein Mann, dessen Frau gestorben war, hatte wieder geheiratet. Aber die neue Lebensgefährtin kochte nicht so recht nach seinem Geschmack. Und obwohl sie dies und jenes ausprobierte nichts entsprach dem, wie er es lieben und schätzen gelernt hatte. Es fehlte eine Kleinigkeit, die entscheidende Zutat, das spezielle Gewürz.
Eines Tages brannte ihr das Essen an. Sie hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen und wollte es schon gerade wegschütten, da rief er aus dem Nebenraum: "Das ist es! Jetzt hast du es! Ich rieche es deutlich. Das
ist das Gewürz meiner seligen Frau!"
Wenn Mutter in den frühen Abendstunden nebenan im Laden stand und verkaufte, war Zeit eine knappe Ressource. Sie huschte in die Küche und setzte Milch auf, wir sagten Bescheid, wenn die Milch kochte. Dann kam sie wieder und rührte rasch Mehl oder Grieß hinein, meist zu schnell, so dass sich Klümpchen bildeten. Nicht selten brannte die Suppe an. Und dann brachte
sie eben *das Gewürz der seligen Frau* ins Spiel, wegschütten wollte sie ihre Kreation nicht.
Zuweilen schickte Mutter uns nach Brennesseln. Die Nesseln wurden mit Wasser aufgekocht, ein bisschen Speck ausgelassen, damit die Suppe Geschmack bekam und wieder alle übrig gebliebenen Reste eingekocht.
"Wegwerfen ist Sünde", sagte Mutter immer. Sie segnete auch jedes Brot, bevor sie es anschnitt, drehte es um und ritzte mit dem Messer ein Kreuzzeichen hinein.
Oft gab es auch einfach nur Pellkartoffeln mit Quark und einem Klecks Margarine. Wurst bekamen wir selten
zu Gesicht. Zwar hatten wir Wurst und Käse im Laden, sogar sämtliche Sorten, aber die wurden verkauft und waren nicht für uns bestimmt. Unsere Nahrungsbasis hieß "Marmelade und Schmalz". Meldete sich zwischen den Mahlzeiten der Magen, so nahmen wir uns trockene Brötchen, puhlten das Weiße heraus und gossen Buttermilch hinein. *Quetschbrötchen*
nannten wir es.