Bei der Sympathie/Antipathie steht die Seele dem Gegenstand in einer passiven Erwartungshaltung gegenüber. Indem die von ihm ausgehenden Wesensäußerungen unmittelbar auf sie einwirken, entscheidet und urteilt sie über die von ihnen in ihr ausgelösten Empfindungen und wertet sie - je nach Artung und Intensität - als angenehm/einnehmend/sympathisch oder als unangenehm/abstoßend/unsympathisch bzw. antipathisch.
Zwischen der individuellen psychisch-geistigen Befindlichkeit und der Qualität des emotional intendierten Urteils über den betreffenden Gegenstand besteht ein intimer Zusammenhang, was sich darin zeigt, dass jene Wertung zwischen den beiden Extremen insbesondere mit dem Wechsel der Stimmungen bisweilen erhebliche Schwankungen aufweist.
Da die jeweilige Einseitigkeit und Übermacht der passiv empfangenen Eindrücke die nüchterne Ratio und das vernünftige klare Denken übertölpelt, wird somit deutlich, dass das sympathisch/antipathisch motivierte rein gefühlsmäßige Urteil jenseits dieser neutralen Maßgabe gefällt wird und mithin keinen Schluss auf die tatsächliche Wertigkeit des in Frage kommenden Objekts erlaubt.
Die absolute Negation zu dem Sympathie-Antipathie-Komplex ist die Empathie. Sie stellt gewissermaßen den "goldenen Mittelweg" dar, der zwischen dem trügerischen Schein der Sympathie und dem umnebelten Nachtschatten der Antipathie hindurch zum Gegenstand der Betrachtung hinführt. Auf dieser goldenen Straße kommt die Seele ihm aktiv entgegen und tritt in seinen intimen Eigenraum ein, wo sich ihr sein wahres Wesen offenbart. Denn da nun die Seele selber es ist, die ihr Wesen in das Wesen des Gegenübers hineinsenkt und sich ihm hingibt, erlebt sie dieses unmittelbar in seiner realen Art und Wertigkeit. Demgemäß ist sie auch fähig, ein reales, objektiv neutrales und somit vernünftiges Urteil über es zu finden, und es bleibt nurmehr eine Sache des Intellektes oder des Herzens, es entweder logisch und rationell zu artikulieren oder mit schlichten Worten des Herzens auszusprechen - sofern Verstand und Herz dies nicht auch gleichermaßen vermögen.
Selbstverständlich wird sich das realistische Urteil nie gänzlich ohne eine sympathische oder antipathische Färbung äußern, denn schließlich ist die Seele beim Erleben des anderen Wesens auch passiv empfangend. Hierbei aber überglänzt die Sonne der unmittelbaren Erfahrung den individuellen stimmungs- oder temperamentsabhängigen Eindruck und lässt somit keine einseitig unrealistische Wertung zu.
Empathie heißt Mit-Leid, Mit-Gefühl. Sie ist die Fähigkeit, sein eigenes Wesen in das Wesen eines anderen/einer Anderheit hineinzuversetzen und sich ihm/ihr hinzugeben; dies ist ein dynamischer aktiver Prozess, der je nach dem Grad der individuellen Ich-Entwicklung bewusst oder unbewusst ausgelöst stattfindet. Und sie ist die letzte und höchste Stufe hin zur universalen Menschenliebe, die alle Wesen und Dinge der Welt durchglüht, durchwärmt und mit Licht und Leben erfüllt.
Es war kein geringerer als der Träger und Botschafter der all-umfassenden Welten-Liebe selbst, der uns das hehre Ideal wahrer Menschlichkeit mit aller Selbstvergessenheit dramatisch und bewegend vor Augen führte und mit tiefster Überzeugung versicherte, dass uns dessen Verwirklichung in der Tat möglich ist. Geradezu beschämend für die Einen und wie lächerlicher Hohn für die Anderen klingen seine lapidaren Weisungen, die den Grundstein für jenes verheißungsvolle Glück legen: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!"; "Liebe deine Feinde!";"Tuet Gutes denen, die euch hassen!"; "Wie ihr wollt, dass euch geschieht, so tuet auch den anderen!"; "... und wenn einer dich bittet, eine Meile mit ihm zu laufen, so laufe zwei mit ihm!" ... - All dem können wir nur gerecht werden, wenn wir der Welt und ihren Wesen und Dingen bereitwillig entgegenkommen und uns ihnen mit warmer Herzlichkeit öffnen.
Das Gebot ist ebenso schlicht wie erfüllbar. Allein, dass die wahre Liebe die Regentin der Menschheit und jedes einzelnen Menschen werde, bedarf es "nur" der Empathie, dieses kleinen Schrittes vom Ich zum Du.
Werdender