Die ewige Frage, die die Menschen und insbesondere die Astrolgen
sich ja nicht erst seit heute stellen: inwieweit sind wir frei oder verdammt ein angelegtes Potential zu leben?
Ehrlich gesagt, ich schwanke ständig zwischen beiden Extremen hin und her und bewundere die Menschen, die sich für eine Sichtweise entscheiden konnten.
Liebe Gabi!
Eben, die Frage der Freiheit stellt sich nicht erst seit heute. Und beileibe nicht nur den AstrologInnen. Zur Zeit sind es ja zum Beispiel die materialistischen Gehirnforscher, die die Willensfreiheit in Frage (bzw. in Abrede) stellen und das als "sensationelle Erkenntnis" abfeiern, als hätte sich nicht die Philosophie schon seit Jahrtausenden mit dieser Kontroverse befasst.
Was die Entscheidung für die eine oder die andere Sichtweise anlangt ... ich nehme gern beide. "Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners" heißt ein Buch über einen der Pioniere des Konstruktivismus, Heinz. v. Foerster. Es kommt auf die jeweilige Fokussierung an, welche Sicht nützlicher ist. Und dafür muss ich mich nicht einmal auf die radikale Position des Konstruktivismus zurückziehen (was ich persönlich gern tue) ... auch wenn ich die prinzipielle Möglichkeit eines objektiven Erkennens akzeptieren würde, hätte die unermessliche Komplexität alles Seienden zur Folge, dass ich immer nur Ausschnitte davon wahrnehmen und bearbeiten/aussagen/bedenken kann.
Beispiel: das deterministische Chaos. Ich kann für was auch immer eine völlig schlüssige Kette von Zusammenhängen knüpfen, warum dieses Phänomen genau so und nicht anders gekommen ist. Das schaut dann völlig determininiert aus. Auch in der astrologischen Metagnose: da passen die Transite zu den Progressionen und alles zusammen "flutscht", dass es eine Freude ist.
Der Kurzschluss dabei: die Annahme, dass es nur so und nicht anders kommen konnte, weil die "Kausalkette" es so ergeben hätte. Das ist bereits ein Glaubenssatz, ein Konstrukt. "Der Glaube an den Kausalzusammenhang ist DER Aberglaube schlechthin" sagt der Philosoph Wittgenstein. Warum? Weil auch die so liebevoll geknüpfte Kausalkette in deterministischen Chaos ein Konstrukt ist. Da wird aus dem Meer von vermutlich ebenfalls gegebenen Zusammenhängen und Interaktionen eine ganz bestimmte Kausalkette herauspräpariert und präsentiert als "die Ursache" ... beeinflusst von der Sichtweise des Betrachtenden, von Interessen, bestimmte Phänomene in einem bestimmten Licht darzustellen und dergl. mehr.
Wenn das aber so ist, dann hätte alles unter praktisch denselben "Vorzeichen" immer auch ganz anders kommen können. Oder ich kann das, was ich fokussiere, auch ganz anders begründen. Dann liegen schlicht in der Komplexität der Systeme schon die Spielräume und Herausforderungen, die ich als Freiheit bezeichnen kann (denn unter konstruktivistischen Fokussierungen kann selbstverständlich auch Freiheit immer nur als Konstrukt gedacht werden). An die Stelle von Kausalzusammenhängen treten systemische, komplex vernetzte Interaktionen, treten Musterbildungen als Komplexitätsreduktion/Orientierung. Bewege ich mich in sich bewegenden Kontexten.
Mit solchen Musterbildungen hat es m.E. die Astrologie zu tun, auch mit Interaktionen zwischen Mustern (Transite, divinatorische Verfahren...). Und Muster sind jederzeit modifizierbar, allein schon durch Veränderungen in der Fokussierung. Muster sind ja nichts real Existierendes, sondern eine Art "ordnender Blick", der Zusammenhänge erst herstellt. Solche Zusammenhänge, solche Muster stellt die Astrologie her, wenn sie "oben" und "unten" in Beziehung setzt. Wenn sie postuliert, dass Zeit Qualitäten hätte. Und zu solchen Mustern setzt sich jemand in Beziehung, der sich an astrologischen Aussagen orientiert, sei es als selbst Astrologie Betreibender, sei es als einer, der über die Moderation eines Astrologen mit astrologischen Mustern in Berührung kommt. Oder über ein "Zeitungshoroskop" stolpert. Da ist dann die Frage, wie ich mit den Interferenzen solcher Muster - meiner eigenen und der astrologisch definierten umgehe.
Mal polemischer formuliert: Wenn ich bisher als Opfer sozialisiert wurde, werde ich meine Identität (wie immer das zu definieren ist, das ist ein eigenes Kapitel...) wohl eher weiterhin unter dem Einfluss von fremd auferlegten Mustern ausbilden und "an Astrologie glauben". Wenn ich mich eher als "homo faber", als Schmied meiner Geschicke begreife, werde ich die Begegnung mit astrologischen Mustern eher als Anregung, als Hinweis auf Elemente des Terrains, in dem ich mich bewege, nutzen. Und manchmal mag ja so eine Begegnung mit den Potenzialen und Ressourcen der astrologischen Muster dazu führen, dass ein Opfer seine Muster zu denen eines "homo faber" modifiziert...
Jake