Soeben habe ich erfahren, dass er heute freigegeben wird. D. h., er wird heute beim Bestatter sein und ich habe die Möglichkeit, ihn nochmal zu sehen. Ich weis nicht, wie es mir heute abend gehen wird aber ich werde ihn nochmal sehen!!! Ich möchte alleine mit ihm sein und Abschied nehmen. Dann werde ich ihm alles sagen. Dass ich ihm verzeihe, dass ich ihn liebe und dass ich ihm dankbar bin. Vllt. kann er ja dann besser gehen. Ich habe immer noch diesen schrecklichen Drang danach, bei ihm zu sein. Vermutlich ist er immer noch bei seinem toten Körper und kann nicht weg. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass er nach mir ruft, dass er nicht fort kann bis ich bei ihm war. Ich werde ihn holen, ich werde seine Seele zu mir holen und mit mir mit nehmen.
Er hat mir immer gesagt, hier (zu Hause) wäre sein Ruhepol. Der Ort, wo er immer wieder so gerne hin zurückkommt, weil er abschalten kann. Vllt. hat sich das bisher noch nicht geändert? Seine Familie hat sich heftig gestritten wegen der Art und Weise der Beerdigung. Ich habe selber keine Rechte auf ihn, weil wir nicht verheiratet waren sondern "nur" zusammen gelebt haben. Mit der Familie hatte er seit Jahren kaum noch Kontakt. Jetzt wollen alle wissen wie er die letzten Jahre so war und wie er gelebt hat. Jetzt spielt auch Geld keine Rolle mehr. Die Beerdigung soll teuer und feierlich werden.
Sein Herz gehörte aber mir. Wir hatten hier (130 km von seiner Familie entfernt) unsere eigene kleine Welt. Hier hängen seine Kleider im Schrank, hier liegen seine Lesebrillen rum und hier hat er sich wohl gefühlt. So oft es eben ging, ist er abends die Strecke gefahren um wenigstens Nachts zu Hause zu sein. Eigentlich fast jeden Abend.
Ich habe mich darum schweren Herzens dazu entschieden, dass ich heute an seinem Sarg Abschied nehmen werde und seine Seele mit nach Hause führe. Zu dieser Beerdigung werde ich dann nicht mehr gehen. Einerseits weil ich es nicht ertragen könnte und andererseits, weil es MIR keinen Trost gibt, umringt von fremden Menschen zu sein, die ich noch nichtmal zuordnen kann. Außerdem wird ER dann sowieso nicht mehr dabei sein, denn ER wird zu Hause sein.
Ich habe hier nichts verändert, alles wird so sein wie er es verlassen hat. Ich nehme abends seine Kleider mit ins Bett die noch nach ihm riechen. So kann ich friedlich schlafen. Ich habe keine Angst mehr.
Was mir allerdings Sorge macht ist das Quatschen der nächsten Umgebung, von wegen ich solle es mir nicht mehr antun ihn zu sehen. Aber ich muss es einfach tun, egal was mich erwartet. Mein Hausarzt sagt es ist gut wenn ich das tue. Ich bin kein Kind mehr, ich weis, dass der Anblick schlimm sein kann. Organentnahme, Obduktion, ein Bein wurde ihm in der Unfallnacht noch abgenommen... Aber sein Gesicht ist unverletzt. Und darum werde ich das alles ertragen. Ich freue mich auf ihn, ich habe schreckliche Sehnsucht. Und ich SPÜRE einfach, dass ich es tun MUSS!!!! Ich kann nicht erklären warum und wieso aber irgendetwas treibt mich dazu, mir diesen Wahnsinn noch anzutun. Ich bin sogar in freudiger Erregung, versteht ihr das?