Vom Sinn meines Leids

Tanita

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1. August 2008
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792
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Norddeutschland
Hi:),

Benjamin hatte unten einen thread eröffnet "Warum Leid existiert?" Darauf hatte ich etwas geschrieben und dann war mein schöner Text plötzlich futsch. Und dann dachte ich, vielleicht sollte ich dazu einen eigenen thread aufmachen, der allerdings anders nuanciert ist. Hier soll es nicht um den allgemeinen Sinn von Leid gehen, sondern darum, was denjenigen, die dazu etwas schreiben möchten, ihr Leid gebracht hat. Benjamin schreibt ja, der Sinn von Leid sei es Freude zu erleben. Ist das wirklich so?

Mein großes Leid begann vor etwas über 5 Jahren mit einer Nachricht....... Mein Leiden war subjektiv derart gigantisch, dass ich dafür auch heute noch nicht wirklich Worte habe. Mein vorherrschendes Lebensempfinden damals und für eine längere Zeit war "Ich will sterben (um das nicht mehr spüren zu müssen), aber ich darf nicht (weil ich meine Kinder nicht im Stich lassen will). Für mich war diese Zeit die Hölle auf Erden und es wurde auch nicht besser, will sagen: die nach und nach eintreffenden Nachrichten wurden immer schlimmer. Es war das Erleben der totalen Ohnmacht, des absoluten Kontrollverlusts in einem Höllenszenario.

Nach ca. 2 bis 3 Jahren bemerkte ich eine Veränderung in meinem Leidempfinden. Es ist so, dass ganz da unten am Tiefpunkt der Ohnmacht, im Zentrum von ich weiß nicht, was es ist, ein Tor ist. Als ich mich gar nicht mehr wehren konnte gegen mein Leid, begann es sich zu öffnen. Ganz langsam, aber ganz sicher. Und ich lernte etwas Neues kennen: Hingabe:)!
Das war der Wendepunkt. Aus einer mir bis dato unbekannten Quelle stiegen - ganz ganz langsam - eine von äußeren Dingen völlig unabhängige Kraft sowie ein von äußeren Geschehnissen unabhängiges Vertrauen in mir auf. Und am Wunderlichsten war die Zunahme meiner Fähigkeit zur echten, tiefen, unbändigen Freude an Dingen, die ich vorher so gar nicht wahrgenommen hatte. Die Blüten der Blumen, der Geschmack von Essen, der Hauch des Windes, den ich wie ein Streicheln empfand, überhaupt alles wurde intensiver in meinem Leben. Nicht von heute auf morgen, aber stetig immer mehr.

Letzte Woche kam der "Todestoß" in dieser Geschichte, wieder in Form einer Nachricht. Zuerst dachte ich noch "Oh mein Gott, wieso das? Wieso immer noch? Wieso hört es nicht endlich auf?" Aber dann atmete ich bewusst weiter, nahm es an, gab mich hin und was ist heute? Während meine Umgebung noch mit Schockstarre und/oder Aktionismus beschäftigt ist, geht es mir ganz außergewöhnlich und eigentlich völlig unangemessen gut. Ich weine viel, aber ich kann auch lachen. Ich bin viel mit mir selbst beschäftigt, aber ich kann auch mit und für andere da sein. Ich empfinde überhaupt keinen Hader mit dem, was ist. Und an der Traurigkeit ist nicht Schlimmes, sie ist ein sehr lebendiges Gefühl, das seine Berechtigung hat. Wenn ich das vergleiche mit meiner Leidenszeit, so muss ich feststellen, Leid ist ein sumpfiger Morast, Traurigkeit ist ein klarer Bach. Und mir scheint, Leid ist im Kern nichts anderes als der Widerstand gegen den Schmerz der Traurigkeit. Und paradoxerweise macht es genau das so schlimm. Nicht das Leid ist also das Problem, sondern unser Widerstand dagegen. So zumindest erlebe ich es.

Und so kann ich also vorläufig schließen, dass mein tiefes Durchleben von Leid mir tatsächlich einen Zuwachs an unabhängiger Freude, an unabhängiger Kraft und Lebendigkeit in mein Leben gebracht hat. Heute lebe ich wirklich gerne. Früher wurde ich eher gelebt:).

Liebe Grüße

Tanita
 
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Nach ca. 2 bis 3 Jahren bemerkte ich eine Veränderung in meinem Leidempfinden. Es ist so, dass ganz da unten am Tiefpunkt der Ohnmacht, im Zentrum von ich weiß nicht, was es ist, ein Tor ist. Als ich mich gar nicht mehr wehren konnte gegen mein Leid, begann es sich zu öffnen. Ganz langsam, aber ganz sicher. Und ich lernte etwas Neues kennen: Hingabe:)!

Freude

Und mir scheint, Leid ist im Kern nichts anderes als der Widerstand gegen den Schmerz der Traurigkeit. Und paradoxerweise macht es genau das so schlimm. Nicht das Leid ist also das Problem, sondern unser Widerstand dagegen.

Freude, Kraft und Lebendigkeit in mein Leben gebracht hat. Heute lebe ich wirklich gerne. Früher wurde ich eher gelebt:).

Liebe Grüße

Tanita
präzise.
dankesehr

Was du beschreibst ist ein Aufwachen (ob es sich stabil halten wird, wird von deinem möglichst klaren Umgang damit abhängen)

Antworten
(sollte das Video nicht genau passen, wähle dir einfach ein anderes von ihm. es lohnt sich wahrscheinlich
sehr :->)
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Wirklich schön beschrieben , Tanita

Ähnlich erlebte ich es auch: Erst das Hinabsteigen in die tiefsten Tiefen macht einen wirklich empfänglich für Freude...und die kleinen Dinge;..... Leben ist überall.
Dem Glücklichen offenbahrt es sich in JEDER Facette. :)
 
Und am Wunderlichsten war die Zunahme meiner Fähigkeit zur echten, tiefen, unbändigen Freude an Dingen, die ich vorher so gar nicht wahrgenommen hatte. Die Blüten der Blumen, der Geschmack von Essen, der Hauch des Windes, den ich wie ein Streicheln empfand, überhaupt alles wurde intensiver in meinem Leben. Nicht von heute auf morgen, aber stetig immer mehr.

Ich würde das Leid mit einem Brechen verbinden, was nötig ist, um dann überhaupt so erleben und empfinden zu können.
(Was hier als "Zunahme einer Fähigkeit" beschrieben und verstanden wird.)
Wozu es wiederrum auch diesen Widerstand benötigt, um eben genau "das" in einem brechen zu können.

"Das", was den Kern umgibt?!

Weshalb Leid und Widerstand in dem Sinne ja auch als "sinnvoll" betrachtet werden kann.

So verstehe ich das - wo auch ein schmaler Grat vorhanden ist wenn es um "ZER-brechen" geht.
Wenn man nicht zer-bricht, ist man evtl. mitunter in der Lage vieles mehr zu schätzen, was an Positivem da ist oder kommt.
 
Und am Wunderlichsten war die Zunahme meiner Fähigkeit zur echten, tiefen, unbändigen Freude an Dingen, die ich vorher so gar nicht wahrgenommen hatte. Die Blüten der Blumen, der Geschmack von Essen, der Hauch des Windes, den ich wie ein Streicheln empfand, überhaupt alles wurde intensiver in meinem Leben. Nicht von heute auf morgen, aber stetig immer mehr.

Genauso kann es sich vllt. auch 'anfühlen' wenn eine Aufgabe erledigt ist oder sich eine "Karmaverstrickung" endlich "GELÖST" hat.

Nur so ein Gedanke gerade noch. ;)
... woher auch immer der gerade kam. :tongue:
 
Und so kann ich also vorläufig schließen, dass mein tiefes Durchleben von Leid mir tatsächlich einen Zuwachs an unabhängiger Freude, an unabhängiger Kraft und Lebendigkeit in mein Leben gebracht hat. Heute lebe ich wirklich gerne. Früher wurde ich eher gelebt:).

Liebe Grüße

Tanita

Hallo Tanita, :umarmen:

ich kann Dich so gut verstehen, denn auch ich habe diese Erfahrung gemacht.

Wenn man das Tal der Tränen durchschritten hat, gehts im wahrsten Sinne des Wortes steil bergauf.

Ich stoße oft auf Unverständnis, wenn ich sage, dass es mir noch nie so gut gegangen ist wie heute.
Natürlich weine ich auch noch manchmal - das eine schließt das andere nicht aus.
Wenn es einen derart durchschüttelt, dass kein Stein mehr auf dem anderen bleibt, dann kann man daran zerbrechen oder aber man steigt auf wie Phönix aus der Asche.

Alles Liebe Dir
:)
 
Und so kann ich also vorläufig schließen, dass mein tiefes Durchleben von Leid mir tatsächlich einen Zuwachs an unabhängiger Freude, an unabhängiger Kraft und Lebendigkeit in mein Leben gebracht hat.

Du hast eine tiefgründige Entdeckung gemacht.

Es freut mich, dass du mit meinem Thema etwas anfangen konntest. Was ich schrieb, sind nur Worte. Man versteht sie erst wirklich, wenn man sie selbst nachempfinden kann. Das geht oft nur, wenn man etwas Ähnliches erlebt hat. So wie du.

Die tiefsten Momente meines Lebens (und da waren sehr tiefe dabei) haben mich am weitesten gebracht, so dass ich sie heute dafür segnen kann. Ich bin dankbar für mein Leiden, weil es der effizienteste Lehrer war. Und ich weiß auch, dass ich das Leid selbst not-wendig gemacht habe, weil ich zu träge war, irgendetwas an meinem Leben zu ändern, obwohl ich damit unglücklich war (ohne es richtig zu merken).

Als das Leid kam, habe ich geschworen, dass ich alles tun würde, nur damit es endet. Und ich hätte es getan! Ich wäre nackt durch den Supermarkt gelaufen, hätte mein ganzes Geld und meinen ganzen Besitz verschenkt. Ich hätte Freunde und Familie verlassen, ich wäre von einem Hochhaus gesprungen (habe mir oft überlegt es zu tun), ich wäre zu Fuß bis nach Indien gegangen und wäre bis zum Ertrinken geschwommen, ich wäre sogar zum Verbrecher geworden, wenn es nötig gewesen wäre. Alles hätte ich getan, damit es endet.

Ich weiß heute, dass es diese innere Bereitschaft war, die letztlich alles geändert hat, die vor allem mich verändert hat, und mich dahin bewegte ein besserer Mensch zu sein. Ein Mensch mit dem ich selbst glücklich sein kann. Und nur um das ist es gegangen.
Jedes Leid kann enden, wenn man diese innere Bereitschaft hat, die Bereitschaft WIRKLICH ALLES zu tun, damit es aufhört.
 
Ja das habe ich auch erfahren dürfen, wenns ganz schlimm kommt, wird's danach wieder besser.:)
 
freud und leid ein kleid...:)
ein spiel der energien
nur das ich kann leiden
das wir erhebt sich drüber...steht jenseits davon
da heisst es dann :
in freud und leid vereint...:)
und die vereinigung kann man dann solidarität oder auch liebe nennen
 
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Hi:),

Benjamin hatte unten einen thread eröffnet "Warum Leid existiert?" Darauf hatte ich etwas geschrieben und dann war mein schöner Text plötzlich futsch. Und dann dachte ich, vielleicht sollte ich dazu einen eigenen thread aufmachen, der allerdings anders nuanciert ist. Hier soll es nicht um den allgemeinen Sinn von Leid gehen, sondern darum, was denjenigen, die dazu etwas schreiben möchten, ihr Leid gebracht hat. Benjamin schreibt ja, der Sinn von Leid sei es Freude zu erleben. Ist das wirklich so?

Mein großes Leid begann vor etwas über 5 Jahren mit einer Nachricht....... Mein Leiden war subjektiv derart gigantisch, dass ich dafür auch heute noch nicht wirklich Worte habe. Mein vorherrschendes Lebensempfinden damals und für eine längere Zeit war "Ich will sterben (um das nicht mehr spüren zu müssen), aber ich darf nicht (weil ich meine Kinder nicht im Stich lassen will). Für mich war diese Zeit die Hölle auf Erden und es wurde auch nicht besser, will sagen: die nach und nach eintreffenden Nachrichten wurden immer schlimmer. Es war das Erleben der totalen Ohnmacht, des absoluten Kontrollverlusts in einem Höllenszenario.

Nach ca. 2 bis 3 Jahren bemerkte ich eine Veränderung in meinem Leidempfinden. Es ist so, dass ganz da unten am Tiefpunkt der Ohnmacht, im Zentrum von ich weiß nicht, was es ist, ein Tor ist. Als ich mich gar nicht mehr wehren konnte gegen mein Leid, begann es sich zu öffnen. Ganz langsam, aber ganz sicher. Und ich lernte etwas Neues kennen: Hingabe:)!
Das war der Wendepunkt. Aus einer mir bis dato unbekannten Quelle stiegen - ganz ganz langsam - eine von äußeren Dingen völlig unabhängige Kraft sowie ein von äußeren Geschehnissen unabhängiges Vertrauen in mir auf. Und am Wunderlichsten war die Zunahme meiner Fähigkeit zur echten, tiefen, unbändigen Freude an Dingen, die ich vorher so gar nicht wahrgenommen hatte. Die Blüten der Blumen, der Geschmack von Essen, der Hauch des Windes, den ich wie ein Streicheln empfand, überhaupt alles wurde intensiver in meinem Leben. Nicht von heute auf morgen, aber stetig immer mehr.

Letzte Woche kam der "Todestoß" in dieser Geschichte, wieder in Form einer Nachricht. Zuerst dachte ich noch "Oh mein Gott, wieso das? Wieso immer noch? Wieso hört es nicht endlich auf?" Aber dann atmete ich bewusst weiter, nahm es an, gab mich hin und was ist heute? Während meine Umgebung noch mit Schockstarre und/oder Aktionismus beschäftigt ist, geht es mir ganz außergewöhnlich und eigentlich völlig unangemessen gut. Ich weine viel, aber ich kann auch lachen. Ich bin viel mit mir selbst beschäftigt, aber ich kann auch mit und für andere da sein. Ich empfinde überhaupt keinen Hader mit dem, was ist. Und an der Traurigkeit ist nicht Schlimmes, sie ist ein sehr lebendiges Gefühl, das seine Berechtigung hat. Wenn ich das vergleiche mit meiner Leidenszeit, so muss ich feststellen, Leid ist ein sumpfiger Morast, Traurigkeit ist ein klarer Bach. Und mir scheint, Leid ist im Kern nichts anderes als der Widerstand gegen den Schmerz der Traurigkeit. Und paradoxerweise macht es genau das so schlimm. Nicht das Leid ist also das Problem, sondern unser Widerstand dagegen. So zumindest erlebe ich es.

Und so kann ich also vorläufig schließen, dass mein tiefes Durchleben von Leid mir tatsächlich einen Zuwachs an unabhängiger Freude, an unabhängiger Kraft und Lebendigkeit in mein Leben gebracht hat. Heute lebe ich wirklich gerne. Früher wurde ich eher gelebt:).

Liebe Grüße

Tanita

ein wunderschöner, intensiver, bilderreicher, ausdruckstarker Text Tanita, :umarmen: Druckreif, finde ich.
kann Dich, dein Erleben voll nachempfinden. Tiefschichtige Schönheit des Leides...(keinesfalls sarkastisch gemeint von mir)
 
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