Verlassenheitstrauma als Massenphänomen?

Vielen Dank, Schooko, für den Hinweis, bzw. die Erinnerung. Denn "Kriegsenkel" wollte ich mir schon auf Eva`s Empfehlung hin bestellen, hab`s dann aber irgendwie wieder vergessen. Nun habe ich mir soeben einfach alle 3 Bücher bestellt:).

Tanita

wow :-> Ich glaube das ist eine gute Entscheidung. Mir hat das Lesen dieser Bücher schon gut getan. Freu dich
 
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Guten Morgen,

ich habe eine Frage an alle, die in den 60igern und 70igern geboren sind. Es war damals normal, dass man kranke Kinder, auch ganz kleine, die ins Krankenhaus mußten, dort abgeben hat und dass man sie dort ohne Elternkontakt auch wochenlang ließ. War das bei Euch allen so? Wißt Ihr noch etwas aus der Zeit?

Viele Grüße

Tanita

Hallo Tanita,

Ich bin Bj. 74, mit ca 3 Jahren war ich wegen einer Lungenentzündung, im Spital, Mama kam mich jeden Tag besuchen. (14-18h)

Die Art der Krankenschwester war nicht ok, zb ein Kuscheltier fiel am Boden, und sie warf es in den Mistkübel. :rolleyes:
 
Hi Schooko,

wow :-> Ich glaube das ist eine gute Entscheidung. Mir hat das Lesen dieser Bücher schon gut getan. Freu dich

Nun habe ich die "Revolte des Körpers" von Alice Miller verschlungen. Sehr interessant und empfehlenswert!
Sie kritisiert ja scharf das 4. Gebot, nämlich die eigenen Eltern zu ehren, welches auf allen Ebenen (Therapien, Politik, Religion etc.) wirkt und zu einem furchtbaren Dilemma bei denjenigen führt, die durch ihre Eltern Mißhandlung erfahren haben. "Mißhandlung" ist, wie sie in ihrem Nachwort aufführt, nicht nur das Schlagen, sexuelle Übergriffe etc., sondern auch das Fehlen echter Zuwendung, nährender Kommunikation, das Alleinelassen, das Ersticken durch Mutter"liebe", welche gar keine Liebe ist etc. Sie ergreift absolut Partei für die Kinder und erklärt jeglichen Ansätzen von "Heilung durch Vergebung" etc. eine klare Absage. Vielmehr benötige das ehemals mißhandelte Kind die Gegenwart eines "wissenden Zeugen", der nix analysiert, relativiert, erklärt , nichts will etc., sondern den Menschen einfach in seinen Gefühlen ernst nimmt und ihm durch seine einfache aufmerksame Gegenwart hilft, all die verdrängten und auch ungewollten Gefühle zu durchleben. So und nur so könne der erwachsene Mensch seinen verinnerlichten Eltern entkommen und das, was er da nicht bekam, in sich selbst finden. Was das dann im heutigen Leben für das Verhältnis zu den Eltern bewirke, sei sehr individuell. Insgesamt aber geht die Tendenz dahin, klaren Gefühle klare Worte und klare Konsequenzen und damit oft Kontaktabbruch folgen zu lassen, vor allem, wenn die Eltern so gar nicht einsichtig sind.

Ich lasse das jetzt noch ein bißchen auf mich wirken und mache mich dann an die "Kriegsenkel". Allerdings wehrt sich in mir alles dagegen, meine Eltern an den Pranger zu stellen. Ich sage ihnen, was mir weh tut und weh getan hat (soweit ich es noch weiß), aber ich plädiere immer für einen Dialog. Ich möchte auch klare Worte meine Kinder an mich gerichtet hören (gerne auch unbequeme Wahrheiten), ich benötige diese sogar, weil ich ja sonst uU gar nicht weiß, ws falsch gelaufen ist, aber ich möchte nicht auf die Anklagebank für Dinge, die ich "falsch" gemacht habe, obwohl ich sie doch nach bestem Wissen und Gewissen so gemacht habe und es einfach nicht besser hinbekam.

Viele Grüße

Tanita
 
Ich lasse das jetzt noch ein bißchen auf mich wirken und mache mich dann an die "Kriegsenkel". Allerdings wehrt sich in mir alles dagegen, meine Eltern an den Pranger zu stellen. Ich sage ihnen, was mir weh tut und weh getan hat (soweit ich es noch weiß), aber ich plädiere immer für einen Dialog. Ich möchte auch klare Worte meine Kinder an mich gerichtet hören (gerne auch unbequeme Wahrheiten), ich benötige diese sogar, weil ich ja sonst uU gar nicht weiß, ws falsch gelaufen ist, aber ich möchte nicht auf die Anklagebank für Dinge, die ich "falsch" gemacht habe, obwohl ich sie doch nach bestem Wissen und Gewissen so gemacht habe und es einfach nicht besser hinbekam.

Viele Grüße

Tanita
Hey Tanita

Ein Schritt weiter könnte sein:
Was macht es an den Pranger gestellt zu werden, für seine Fehler. Was machts etwas Falsch gemacht zu haben.
Ist halt so.

Wenn es als 'an den Pragner stellen' rauskommt (aus dem Kind/aus dir) - dann kann man es ja nur so rauslassen (sonst hat man ja schon wieder was verbogen).



Natürlich ist es verständlich 'nicht die Eltern an den Pragner stellen zu wollen - Weil man ja selbst auch nicht an den Pranger gestellt werden will (und hofft: wenn ich es nicht tu, wirds auch wer anderer/meine Kinder nicht tun).
Aber genau Das ist ja das was tabuisierung ausmacht. Es ist ein Geschäft.
>>Irgendwer muss also anfangen mutig genug zu sein - - ehrlich sein, Scheinwerfer drauf auf Teufel komm raus.

(Kann eh nur der Teufel kommen, im schlimmsten Fall; und der ist ja eh schon da. Nicht wahr.)
 
Ein Schritt weiter könnte sein:
Was macht es an den Pranger gestellt zu werden, für seine Fehler. Was machts etwas Falsch gemacht zu haben.
Ist halt so.

Wenn es als 'an den Pragner stellen' rauskommt (aus dem Kind/aus dir) - dann kann man es ja nur so rauslassen (sonst hat man ja schon wieder was verbogen).

Stimmt!:) Schuldvorwürfe mir selbst gegenüber ist ewiges Thema und andere mag ich - bewußt - nicht verurteilen. Finds`s ganz schlimm. Also da hängt noch was:D. Mal gucken!

Bis dann erstmal,

Tanita
 
Liebe Tanita,

es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Benennen ( des eigenen Befindens, der eigenen Defizite und Wunden) und "an den Pranger stellen".
Musst du deine Eltern davor bewahren, zu erfahren, wie es dir als Kind mit ihnen ging, wie es dir heute damit geht?
Als Inspiration dazu hier ein Ausschnitt aus einem Kurzinterview mit Katharina Ohana, Autorin von "Ich, Rabentochter":

Glauben Sie, dass Ihre Lebensgeschichte etwas Repräsentatives für Ihre Generation hat?
Ohana: "Ich gehöre zur Generation der "Kriegsenkel". Bei uns treten viele unverarbeitete psychische Altlasten hervor, die von unseren Eltern, den Kriegskindern, nicht verarbeitet worden sind. Meine Eltern haben furchtbare Dinge im Krieg erlebt - Bombennächte, Leichen, Hunger, Flucht. Doch damals glaubte man wohl, die Kinder würden das nicht so schwer nehmen. Niemand hat ihnen bei der Verarbeitung geholfen. Dann kam das Wirtschaftswunder, und die Erinnerungen wurden mit dem Streben nach Sicherheit und Wohlstand betäubt. Ihre Ängste haben die Kriegskinder dann später ihren Kindern in Form von ungelebter Nähe, krankhafter Sparsamkeit, zu hohen Erwartungen oder Zwangsvorstellungen weiter gegeben."

Und welche Folgen hat das?
Ohana: "Bei uns Kindern der Kriegskinder kommen nun, bei den derzeit wirtschaftlichen Unsicherheiten, die vererbten psychischen Probleme an die Oberfläche. Wir wechseln ständig Beziehungen. Viele von uns glauben, mehr leisten zu müssen, besser aussehen zu müssen, um wirklich glücklich zu werden. Wir fühlen uns oft missverstanden und nicht genug geschätzt - alles Dinge, die aus der Behandlung in unseren Kindertagen kommen. Wir sind in gewisser Weise noch kriegsgeschädigt und gerade dabei, diese Neurosen an unsere Kinder weiter zu geben, wenn wir nicht aufpassen."

Es geht nicht darum, Eltern für das, was sie getan oder unterlassen haben - aus welchen, m.E. durchaus nachvollziehbaren Gründen auch immer - zu schmähen, anzuklagen oder für die Folgen verantwortlich zu machen. Uns verbinden das Schicksal mit unseren Eltern, wir bilden ein System. Dieses System ist traumatisiert und das hat Auswirkungen. Der Heilungsprozess zieht sich über mehrere Generationen. Wir Kriegsenkel lösen uns gerade erst aus der Betäubung, der Derealisation dessen, was passiert ist, und fangen an, uns wahr und unsere Gefühle ernst zu nehmen. Bestehen unsere Eltern darauf, sich weiterhin selbst fremd zu bleiben, steht eine schwere Entscheidung an:
Wir können uns verleugnen und so wenigstens die Schein-Nähe zu den Eltern erhalten, oder zu uns und unseren Wahrnehmungen stehen und damit in Konflikt zu weiterhin leugnenden und abwehrenden Eltern kommen.
Das eine ist die (parentifizierte) Liebe eines Kindes zu den Eltern, das andere führt über einen schmerzhaften Prozess zur reifen, erwachsenen, die Selbstliebe einschließenden Liebe den Eltern gegenüber, wie sie nun einmal waren und wie sie heute sind. Letztere stellt sich von selbst ein und ist durch keine Übung oder das vielfach missverstandene und missbrauchte "Verzeihen" zu erzielen.
Eingedenk des kindlichen Gehorsams, der erworbenen emotionalen Blindheitden Eltern gegenüber, tut tatsächlich der mitfühlende Zeuge, die Ermutigung durch "Sehende" beim Ausstieg aus einer verbindenden Familientrance ausgesprochen gut.

Verlangst du in Bezug auf deinen Heilungsweg stets gerechtes und korrektes Denken und Verhalten deinen Eltern gegenüber?

Beste Grüße,
Eva
 
Liebe Eva:),

ich kann Dir und Katharina Ohana nur beipflichten.

es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Benennen ( des eigenen Befindens, der eigenen Defizite und Wunden) und "an den Pranger stellen".
Musst du deine Eltern davor bewahren, zu erfahren, wie es dir als Kind mit ihnen ging, wie es dir heute damit geht?

Ja, in der Tat. Das war der Fall. Ich wollte sie - und mich - vor der damit verbundenen Wut und dem Schmerz bewahren und ich erkenne nun, wie sehr ich damit sowohl meine Eltern wie auch mich betrogen habe.
Heilung durch "Vergebung" funktioniert tatsächlich nicht und mit der Heilung, der Akzeptanz, der Benennung, dem authentischen Ausdruck aller - auch "unguten" - Empfindungen stellt sich die Frage nach Vergebung überhaupt nicht mehr.
Ja, vielleicht sind wir tatsächlich die Generation, die einen entscheidenen Schritt zum "Heil" unserer großen Menschenfamilie beiträgt:).

Liebe Grüße

Tanita
 
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Ist ein sehr interessanter Thread hier, werde zumindest lesend verfolgen, da es wohl ein aktuelles Thema ist.

Wie Ireland sagte, es macht klick.

:)
 
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