Fleischesser nicht gesünder als Vegetarier
Eine aktuell veröffentlichte Studie der Medizinischen Universität Graz versetzt die vegetarische und gesundheitsorientierte Ernährungsszene in Aufruhr. Vegetarier seien öfter krank, häufiger depressiv und hätten eine geringere Lebensqualität als Fleischesser. Ernährungswissenschaftler des Verbands für Unabhängige Gesundheitsberatung e. V. (UGB) kritisieren diese unzulässigen Schlussfolgerungen aus der Studie.
Die Studie von Burkert basiert auf einer Auswertung von Daten des Austrian Health Interview Survey mit über 15.000 Teilnehmern. In dieser Originalstudie waren:
0,2% Veganer
0,8% Ovo-Lakto-Vegetarier
1,2% „Vegetarier“, die Fisch verzehren
23,6% Fleischesser mit hohem Obst- und Gemüseverzehr
48,5% Fleischesser mit geringerem Fleischverzehr
25,7% Fleischesser mit hohem Fleischverzehr
Die Einstufung erfolgte nach eigener Auskunft, also subjektiv.
Die ersten drei Gruppen wurden zur Gruppe der „Vegetarier“ zusammengefasst. In der Gesamtstudie von über 15.000 Teilnehmern bestand die Gruppe der so genannten Vegetarier aus etwa 30 Veganern und 125 Ovo-Lakto-Vegetariern, die man mit den rund 180 Fischessern in eine Gruppe zusammenlegte. Dies zeigt nicht nur ein seltsames Verständnis von Vegetarismus, sondern es verfälscht das Ergebnis massiv, da mehr als die Hälfte der angeblichen Vegetarier keine Vegetarier sind.
Es wurde nicht der Gesundheitszustand einer repräsentativen Auswahl von echten Vegetariern mit einer repräsentativen Auswahl von Fleischessern verglichen. Sondern verglichen wurden einzelne Gesundheitsparameter von Menschen, die mehr oder weniger viel Fleisch oder Fisch essen.
Die Erkrankungen, über die in der Studie berichtet wurde, wurden ebenfalls im Interview abgefragt: Allergien, Diabetes, Katarakt, Tinnitus, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall, Bronchitis, Arthritis, Wirbelsäulenbeschwerden, Osteoporose, Inkontinenz, Magengeschwür, Krebs, Migräne, Angstzustände, Depressionen.
Auffällig ist, dass in der Studie selbst und in Pressemeldungen über die Studie keine Differenzierung stattfindet in Erkrankungen, bei denen der Fleisch- und Fischkonsum anerkanntermaßen eine Rolle spielt und in Erkrankungen, bei denen dies nicht der Fall ist. Angemerkt wird auch, dass die „Vegetarier“ öfter zum Arzt gehen, was allerdings aus den Zahlen der Studie nicht hervor geht.
Betrachtet man die einzelnen Krankheiten, zeigt sich nur bei 1 von 18 Kategorien ein hoch signifikanter Zusammenhang, nämlich bei den Allergien (p = .000). Schaut man sich die Zahlen an (= selbst angegebene Allergieerkrankung), wundert man sich über die hohen Zahlen: über 30% der Vegetarier und über 16% der Viel-Fleischesser. Bei Allergien ist bekannt, dass in der Bevölkerung eine deutliche Überschätzung tatsächlicher Allergieerkrankungen vorliegt. Laut DEGS sind aktuell (12-Monatsprävalenz) 19,4% der Erwachsenen in Deutschland von einer allergischen Erkrankung betroffen. Zieht man Asthma bronchiale ab, sind es noch 14,4%.
Die Teilnehmer der österreichischen Studie wären somit deutlich überdurchschnittlich von einer Allergie betroffen. Das könnte bedeuten, dass viele sich fälschlicherweise als erkrankt bezeichnet haben und/oder dass bei den Vegetariern viele die Ernährungsform aufgenommen haben, weil sie eine Allergie haben (oder zu haben glauben).
Pikanterweise verschwiegen wird, dass Inkontinenz bei den Fleischessern gemäß der Studie deutlich öfter vorkommt als bei den Vegetariern (6,4% vs. 2,1%).
Völlig unhaltbar ist die Behauptung in populistischen Pressemeldungen, dass Vegetarier "150% mehr Herzinfarkte" verzeichnen als Fleischesser. Der p-Wert liegt bei .610, der Zusammenhang ist damit nicht signifikant (sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit zufällig). Beim Schlaganfall sieht es übrigens umgekehrt aus (auch nicht signifikant) - aber das war in den Pressemeldungen keine Erwähnung wert.