Die Astrologie hat noch nie etwas einschneidendes hervorgebracht, sie ist eine von vielen (Glaubens)-Systemen.
Naja, das mit dem Einschneidenden ... dafür wäre ja wohl auch ein Messer eher das richtige Werkzeug.
Scherz beiseite ... das mit dem Glaubens-System kann ich durchaus unterschreiben (ich würde es allerdings eher als Konstrukt bezeichnen), und diese Einschätzung kann die Astrologie dann mit der Wissenschaft teilen ... wobei es freilich gravierende Unterschiede in der jeweiligen Theoriebildung gibt, aber grundsätzlich sind auch wissenschaftliche Theorien nichts Anderes als Konstrukte - von hohem Gebrauchswert, sehr nützlich, aber letzten Endes eben Konstrukte.
Ich meine jetzt freilich nicht diese naive Gläubigkeit ("Saturn verpfuscht meine Leben..."), die Menschen davon befreit, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Wenn ich allerdings mein Leben selbst in die Hand zu nehmen bereit bin, dann halte ich es auch für klug, alle möglichen Konstrukte daraufhin zu überprüfen, ob ich aus ihnen gute Infos über Parameter meines Lebens gewinnen kann.
Wenn ich grundsätzlich "dem Glauben anhänge", dass es so etwas wie Zeitqualität gibt (und das ist auch nur eine Annahme ... Empirie ist da kein Beweis, weil Empirie ja immer vom Fokus des Betrachters bestimmt ist ... aber immerhin sind Erfahrungen vertrauensbildend), wenn ich also an Zeitqualität glaube, dann werde ich sinnvoller Weise auch Methoden nutzen, die mir das Konstruieren von viablen (auch so ein Ausdruck aus dem Konstruktivismus, heißt so viel wie ca. "in sich schlüssig") Aussagen über diese Zeitqualität erlauben. Wobei es ja grundsätzlich schwierig ist, "Qualität" zu beschreiben oder zu messen. Da geht es immer um Deutungen...
Wenn ich Astrologie als Orakel betreiben will, dann ist die komplexe Vieldeutigkeit eines Horoskops freilich problematisch. Dann möchte ich eindeutige Zuschreibungen, dann bin ich sozusagen Anhänger einer zweiwertigen Logik ("wahr" oder "falsch"), dann wäre es unter solchen Erwartungen, solchen Fokussierungen - fast schon so etwas wie eine Falsifikation, wenn bei einem "Unfallshoroskop" gleichzeitig am gleichen Ort Familien Adventslieder singen.
Dahinter steht dann meistens auch ein linear-kausales Denken, und da hat schon Wittgenstein postuliert: "Der Glauben an die Kausalität ist DER Aberglaube schlechthin". Ein paar Jahrzehnte später haben dann etliche Wissenschaftszweige (!) der linearen Kausalität andere Konstrukte an die Seite gestellt, etwa das "deterministische Chaos" oder zirkulär-kausale Modelle. Komplexe, nicht-triviale Systeme funktionieren grundsätzlich anders als triviale Maschinen oder theoretische Modelle.
Damit ist die Astrologie hochmodern (sofern ich sie nicht auch mit linear-kausalen Fokussierungen betreibe): als Instrument zur Beschreibung (!) von ausgewählten Begleitumständen systemischer Prozesse und Interferenzen bringt sie höchst spannende und - meiner Meinung nach - hochgradig signifikante Ergebnisse.
Zurück zum Beispiel des Ereignishoroskops, das hier zur Debatte steht: Es ist eben "nur" ein Ereignishoroskop, mit dem Fokus erstellt, eben auch mit dieser Perspektive ein paar Annahmen über die begleitende Zeitqualität zu formulieren. Eine Perspektive von vielen. Es ist keine Aussage über Ursachen des Unfalls, sondern lediglich eine über Begleitumstände. Wobei - siehe oben - jede Aussage über eine "Ursache" immer vorläufig ist, weil jede "Ursache" wiederum ihre "Ursache" hat ... was wäre also dieses "Ur" der Sache? Letzten Endes der Urknall? Nein, das sind alles nur Fokussierungen und Vereinfachungen innerhalb von sehr komplexen Zusammenhängen.
Ein Ereignishoroskop ist das Radix eines Ereignisses ... und wenn ich die Frage stelle, warum das nun das Horoskop eines Unfalls ist und nicht das einer singenden Trapp-Familie unterm Adventskranz ... dann kann ich auch bei jedem Geburtshoroskop die Frage stellen, warum es für diesen Menschen relevant ist, warum es das Ereignishoroskop einer Geburt ist, wenn es doch zugleich auch für unermesslich viel Geschehen "gilt", was Nicht-Geburt ist zur gleichen Zeit... und das ist ja auch eine durchaus sinnvolle Frage. Die immer wieder leidenschaftlich diskutiert wird, unter Astrologen ebenso wie unter ihren Gegnern.
Ich halte das wirklich für eine Frage der Fokussierung (ausgehend von Maturana: "Alles, was gesagt werden kann, wird von einem Beobachter gesagt" und Foerster: "Alles, was gesagt werden kann, wird zu einem Beobachter gesagt"). In dem Augenblick, in dem ich ein Horoskop als Ereignishoroskop eines Unfalls betrachte, stelle ich eine ganz bestimmte Beziehung her (ich als Beobachter), die nicht im Horoskop liegt, sondern in meinem Blick darauf. Und dann zählt nur: Passt meine Wahrnehmung eines Unfalls mit bestimmten Begleitumständen zusammen mit meiner Deutung der aktuellen Zeitqualität für diesen Unfall? Und wenn ja, dann ist das nicht umkehrbar, dann erlaubt das nicht den Schluss, dass dieses Horoskop "in sich" die Eigenschaft hätte, auf einen Unfall hinzudeuten. Das Horoskop an sich hat überhaupt keine Bedeutung. Die gebe ich ihm erst, je nachdem, wie ich mit ihm arbeite. Das ist wie mit den Kopfschmerzen: Ich kann die Erfahrung machen, dass Aspirin dabei hilft. Wenn ich allerdings den Umkehrschluss treffe, Kopfschmerzen wären daher eine Folge der Abwesenheit von Aspirin, dann wäre das wohl ziemlich dumm.
So ein Ereignishoroskop sagt nicht mehr und nicht weniger, als dass ein bestimmtes Geschehen mit aktuellen Deutungsmöglichkeiten von Zeitqualität zusammenpasst. Es sagt überhaupt nicht aus, dass es zu einem solchen Geschehen kommen wird und es sagt ebenso wenig aus, dass es auf keinen Fall zu einem völlig anderen Geschehen kommen kann.
Es ist eine der trivialsten Herausforderungen jedes Umgangs mit Astrologie, die jeweiligen Aussage-Grenzen im Blick zu behalten. Wo das nicht geschieht, blamieren sich sowohl die Adepten der Astrologie als auch ihre Kritiker.
Jake