....und da wusste Sie, was es bedeutet geliebt zu werden

Nelly111

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Sie war eine Frau und Mutter in der Mitte ihres Lebens angekommen.
Eines Lebens der Extremen.

Erschöpft, müde und schwach, zog Sie sich in ihr Schneckenhäuschen, dass, solange Sie denken kann, immer ihr Schutzpunker war, zurück und verblieb dort einige Zeit.

Für ihre Söhne hieß das, eine Mutter, die sich ihre Bettdecke weit über den Kopf zieht und monatelang nicht aus dem Bett kommt, manchmal nicht mal zur Toilette.
Ihre Söhne waren am Anfang ihrer Auszeit besorgt, denn so kannten sie ihre Mutter nicht!
Und sie waren, fürsorglich, liebevoll und hilfsbereit für Sie immer da.
Ob die Wäsche gemacht werden musste, Miete bezahlt oder aufgeräumt werden musste, ihre Söhne erledigten alles für sie. Kümmerten sich darum dass Sie aß und auch brav ihre Medizin nahm.
Ihre Söhne brachten Sie wieder soweit, dass sie den Kopf aus ihrem Schneckenhaus steckte. Ja sogar mit der Zeit auch beide Beine.

Sie bewältigte immer öfter für einige Zeit ihr Leben alleine. Doch dann zog sie sich wieder, mit eingezogenem Kopf, in ihr Schneckenhäuschen zurück.
Und wieder waren es ihre Söhne, die sie ausruhen ließen und geduldig darauf warteten Ihren Schopf, aus einem Fenster guckend, zu entdecken!

Einige Jahre gingen so dahin und je kürzer Ihre Besuche in diesem Schneckenhäuschen wurden, desto mehr wandten sich ihre Söhne ihrem eigenen Leben zu.

Plötzlich war keine Zeit mehr für Sie übrig von ihren Söhnen, um einzukaufen, Holz zu machen,....
Sie verstand die Welt nicht mehr. Was ist denn nur aus ihren Söhnen geworden? Keine Hilfsbereitschaft, keine Zeit mehr für Sie?

Klar, sagte Sie sich, die letzten Jahre stand sie nicht nur im Mittelpunkt bei den Söhnen, sondern war deren Lebensaufgabe.
Also, klar, dass die Söhne nun mal ihre Auszeit von der Mutter brauchten.
Schweren Herzens verstand Sie und fügte sich.

Sonntags saßen immer alle, Söhne, Schwiegertöchter, Enkelkinder, in ihrer Küche. Assen zusammen, lachten, spielten, hatten einfach Spaß, als Familie.

Dann, eines schönen Sonntags, schloss sie die Tür hinter sich und steuerte auf die Küchentür zu als sie folgende Worte vernahm:
„Es tut so weh, nein zu sagen, wenn sie anruft und mich bittet ihren Einkauf zu erledigen. Ja, aber es muss sein. Sie schafft das. Ihr seht doch, dass es ihr gut tut, wenn sie ihr Leben selbst in der Hand hat. Aber einmal können wir doch ja sagen. Nein, solange nicht, bis sie uns nicht mehr fragt, außer sie liegt krank im Bett! Sie ist eine starke Frau, schon immer gewesen und das ist sie auch jetzt noch. Genau, trotzdem die letzten Jahre sie niederzwangen. Unsere Mutter muss 99 werden, unter dem geht nix, ha,ha,ha,

Diese Worte lösten in ihr ein Gefühl der Schwäche aus.
Dieses Zittern in ihren Beinen kannte sie bereits, also tastete sie sich die Wand entlang bis zum WC, verschloss die Tür hinter sich und setzte sich auf den Boden.
Sie genoss die angenehme Kühle der Fließen. Und erwartete bereits die bekannten Schmerzen, die sich kurz darauf meldeten,wenn es ihre Beine nicht mehr schafften sie aufrecht zu halten.

Doch dieses mal war dieses Gefühl anders. Es tat nicht weh. Dieser heiße Stich, der ihr von den Zehen, durch ihre Beine, durch den Bauch bis in ihr Herz fuhr, tat nicht weh. Keinen anhaltenden brennenden Schmerz im Herzen, keine Atemnot, keinen Druck auf der Brust.
So wie sie es schon sehr oft erlebt hatte.

Nein, dieser Stich verwandelte sich in einen heißen Strom, der angenehm warm im Herzen halt machte. Die Tränen flossen über ihre Backen, fast im Takt ihres Herzens. Das ruhig und gleichmäßig schlug. Sie atmete tief durch und konnte die Luft in ihrem Bauch spüren. Ihre Brust wurde so leicht und locker, dass sie kurz das Gefühl hatte, gleich zu schweben.

....und da wusste sie, wie es sich anfühlt, geliebt zu werden
 
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