G
Gawyrd
Guest
Manche Schwierigkeiten entstehen durch (falsche) Bezeichnungen. Nach meinem Erleben haben wir durchaus einen eigenen Sinn für "seelische Wahrnehmungen" - es handelt sich nicht um "aussersinnliche Erfahrungen". Nur ist dieser Sinn bei den meisten ungeübt und unentwickelt - und deshalb können sie ihn nicht nützen. (Ich vergleiche das gerne mit jemand, dem man bei der Geburt die Augen verschließt und zB. mit 30 Jahren wieder öffnet. Er könnte NICHT sehen. Er würde nur eine völlig verwirrende Vielzahl von Farbtupfen wahrnehmen, die für ihn völlig sinnlos wären und denen er keine Gegenstände, Menschen etc. zuordnen könnte. Das "Sehen" - die sinnvolle Verarbeitung und Zuordnung des Lichteinfalls durchs Auge - muss genauso geübt werden wie die "seelische Wahrnehmung".)Pelisa schrieb:Es handelt sich eben um AUSSERsinnliche Erfahrungen. Alles, was menschliche Medizin beeinflussen kann, fällt für mich daher nicht darunter. Das ist allerdings eine persönliche Meinung.
Die "seelische Wahrnehmung" wird natürlich durch Psychopharmaka, Drogen, Alkohol etc. verändert und beeinflusst.
Wie soll man einem Blinden Farben erklären ? Wie soll man ihm erklären, dass es etwas gibt, das er nicht kennt ? Vor allem, wenn die vorherrschende Meinung wäre, dass es keinen "Sehsinn" gibt - weil die Blinden in der Überzahl sind und für sie die Blindheit die Norm und das Normale ist ?
Man darf nicht vergessen, dass bei uns "seelische Wahrnehmungen" vor nicht allzu langer Zeit mit Hexerei und dann mit Verrücktheit gleichgesetzt worden sind - und so bestraft und geächtet worden sind. Mithilfe der Psychiatrie wird ja schon immer das Fremde, Unheimliche, Angsterweckende, Unbequeme und Unerwünschte gerne pathologisiert. (Vor dem zweiten Weltkrieg wurde zB. ein weiblicher Filmstar am Gehirn operiert - die beiden Gehirnhälften getrennt - weil sie so "unanständig" lebte : und das, was heute als normal gilt, damals als psychiatrisch krank abgestempelt worden ist. Weiters gab es auch die "poltische Querulanz" als Krankheitsbild für unbotmäßige Untertanen, die sich nicht alles gefallen ließen und Bürgerrechte einforderten.)
Der Krankheitsbegriff in der Psychiatrie ist dermaßen in Veränderung (allerdings immer der Zeit nachhinkend) - dass er keine verläßliche normative Kraft hat, Krankes von Gesundem zu unterscheiden. Auch ist von Kultur zu Kultur völlig unterschiedlich, was als krank und was als gesund gilt.
In Rom lebt zB. einen Deutschen namens Joseph R., der glaubt, der Stellvertreter Gottes zu sein und in manchen religiösen Fragen mit unfehlbarer Gewissheit (wichtiges Leitsymptom der Schizophrenie !) die absolute Wahrheit verkünden zu können. In diesen Glauben wurde er durch eine größere Gruppe von Männern versetzt, die sich (in Frauenkleider gehüllt !) für einige Zeit in einem Gebäude namens "Vatikan" einmauern (!) ließen, und sich mit der Umgebung eine Zeitlang nur mehr mit Rauchzeichen (!) verständigten.
Eigenartigerweise wurde hier keine Schizophrenie mit religiösem Größenwahn anschließend an eine kleine Gruppenpsychose diagnostiziert, sondern besagter Joseph R. (der sich seither übrigens Benedikt der Sechzehnte nennt) wird in aller Welt von Staatsoberhäuptern in allen Ehren empfangen.
(Ich will hier keinem Katholiken auf den Schlips treten, sondern nur mal zum Nachdenken anregen, wie die Papstwahl zB. auf eine Gruppe afrikanischer Ethnologen und Psychiater wirken würde, die erstmals auf "europäische Eingeborene" treffen und denen die "europäischen Stammesriten" noch fremd sind.)
So relativ ist die Einschätzung psychischer Gesundheit auf Grund kultureller Gewohnheiten.
Liebe Grüße, Reinhard
PS.: Anmerkung für Pelisa (weil Du so drauf rumgeritten bist) - natürlich sind auch Psychotherapeuten und klinische Psychologen (und nicht nur Psychiater) im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit (zB. bei der Kassenabrechnung) verpflichtet, Diagnosen nach ICD 10 zu stellen.
PPS.: So erlebe halt ich jetzt die Welt. Ich habe kein missionarisches Bedürfnis, jemanden von meinem Weltbild zu überzeugen und freu mich, wenn auch andere Menschen die Relativität ihres eigenen Weltbildes erkennen und es nicht unzulässig verallgemeinern. Letztlich "wissen" wir alle doch eh bloß den Hauch von einem feuchten Schmarrn. Sokrates ("ich weiß, dass ich nichts weiß") gehört in die Grundschule !