Hallo Ihr,
mir scheint, hier gibt es viele Ressentiments egen türkische immigranten. Das kann ich verstehen. Die aufgeworfene Frage ist jedoch nicht so ganz einfach und platt zu beantworten, ich denke der Vorschlag (der allerdings wohl mehr eine Forderung war) hat mehrere Seiten, die es zu bedenken gibt.
Aus meiner Erfahrung in der Arbeit u.a. auch mit Migranten oder Nachkommen von Migranten kann ich mich mit dem Blick auf die Folgen der Sicht anschließen, dass, wer in ein anderes Land geht und dort bleiben will (man beachte den zweiten Teil der Absicht), sich dort eingliedern muss, wenn es gut gehen. Sich eingliedern heißt, dass man einer der "Anderen" wird, so gut man kann. Das bedeutet aber zwangsläufig auch einen gewissen Verrat an der ethnischen Herkunft. Und genau dieser Vollzug fällt den meisten Migranten extrem schwer. Er wird vom individuellen Gewissen (welches u.a. die Zugehörigkeit zu Sippe und ethnischer Gruppe regelt) als mit dem Tode zu bestrafendes Verbrechen angesehen. Und das gilt nicht nur für archaische orientalische Kulturen. Sehr viele Menschen, mit denen ich im Zusammenhang mit Migration zu tun habe und hatte, erleben in der Tiefe ihren Weggang von den Daheimgebliebenen als einen solchen Verrat und trauen sich dann nicht im neuen Land ganz anzukommen.
Zu der von mir oben erwähnten Integration gehört auch, dass man selbstverständlich die Sprache des neuen Heimatlandes so gut als möglich erlernt und perfektioniert, dass man kulturelle und auch religiöse Eigenheiten übernimmt, von rechtlichen und der Staatsbürgerschaft ganz zu schweigen. Diese Übernahme zeigt die Achtung gegenüber dem Gastland und bewirkt, dass man vom neuen ethnischen System gern aufgenommen wird. Nun gibt es Kulturen, die toleranter für Immigration sind (z.B. USA) und andere, die es den "Anderen" schwerer machen. Man wird im neuen Land (systemisch und mit Blick auf die Wirkungen gesehen - nicht rechtlich, was aber auch oft der Fall ist - in den USA kann ein Immgrant z.B. niemals Präsident werden) zunächst den bereits im Land Lebenden und dort Geborenen nicht ebenbürtig sein können. Und einen solchen Anspruch an einen Immigranten zu stellen, wäre m.E. viel zu viel verlangt. Man muss sich eine Eingewöhnung gestatten.
Keinesfals darf man aber eine Haltung innerer Überlegenheit gegenüber dem Land und seiner Kultur mitbringen. Das verhindert jede Integration und jeden Frieden. Ich mutmaße mal, dass es hier viele gibt, die empört aufschreien würden angesichts der Forderung, zum Islam zu konvertieren, wenn man in einem überwiegend islamischen Land leben will. Wenn wir die (v.a. deutschen) Urlauber in islamischen Ländern sehen, wie sie sich in der Öffentlichkeit bar jeden Respekts für die dort geltenden Regeln bewegen, mag sich das bestätigen. Nun sind natürlich Urlauber keine migranten - klar. Aber wer schon als Urlauber keinen Respekt für Gepflogenheiten des Landes aufbringt, wie will der das im Falle einer Migration tun?
Was hat es aber mit den Überlegenheitsgefühlen auf sich? Nun würdet Ihr jemandenin euer Wohnzimmer lassen, der Euch permanent signalisiert, dass er "besser" und ihr "schlechter" seid? Interessanterweise habe ich eine derartige Haltung vor allem bei türkischen Jugendlichen der zweiten und dritten Generation erlebt, die so gar nicht mehr wissen, wo sie hin gehören.
Aber zu den vorigen Gedanken zurück. Erst einmal die Gegebenheiten angenommen, kann ein Immigrant wichtige und wertvolle Beiträge zur Entwicklung einer Kultur leisten - gerade wegen seiner Herkunft. Man muss sich nur den "Rang" und das Recht dazu in einer Gesellschaft durch konsrutkive Beiträge erst erarbeiten. Immigranten waren m.E. immer bereichernd in Kulturen, so sie sich integriert und das Eigene, Mitgebrachte angemessen eingebracht haben.
Ein aus meiner Sicht gutes Beispiel wäre in unserem Land z.B. der türkischstämmige Vural Öger.
Allerdings fällt es wegen der weiter oben erwähnten Wirkungen im individuellen Gewissen vielen Menschen schwer, sich derart total der neuen Kultur anzuvertrauen. Dann versuchen sie, den Blick immer innerlich in Richtung der Herkunft zu halten. Das ist nach meiner Erfahrung auch wichtig, denn wer die eigene Herkunft nicht achtet und vielleicht sogar verleugnet oder verteufelt, der kommt ebenfalls nie ganz im neuen Land an.
Viele deutsche Immigranten in USA und Kanada haben dort "Heimatvereine" gegründet, in denen eine sehr verzerrte Art von "deutscher Kultur" gepflegt wird. Ebenso befremdlich wird ein Bewohner der Türkei die hier entstandenen Auswüchse der deutsch-türkischen Kultur erleben. Nicht umsonst gelten Türken, die hier lange leben, in der Türkei nicht gut angesehen und als "Deutschländer" gefemt.
Wann also macht es Sinn, im anderen Land Schulen in der Sprache des Herkunftslands zu etablieren? M.E. macht es für jene Sinn, die z.B. nicht auf Dauer in unserem Land bleiben wollen, jene, die wirklich nur hier arbeiten und etwas Wohlstand erwerben wollen, deren Blick aber wieder in Richtung alte Heimat geht und wo die Absicht besteht, eines Tages zurück zu kehren. Das war ja für die "erste Welle" der türkischen Migranten der Fall. Sie wollten hier für ein paar Jahre arbeiten und dann wieder zurück kehren. Insofern rechtfertigt sich die Enklavenbildung in unserem Land. Doch dann blieben sie doch hier. Und an diesem Punkt wurde es schwierig. Für die Nachgeborenen ergibt sich nun Wurzellosigkeit.
Unser Staat und unsere Gesellschaft haben m.E. ein unangemessenes Integrationsverständnis entwickelt. Nicht wir müssen (aus einer Art schlechtem Gewissen für die Taten der Nazizeit) andere integrieren und Ihnen Vorrechte einräumen, die wir nicht haben, sondern die Hinzugekommenen (ganz gleich woher) müssen zunächst einmal eine Integrationsleistung wie oben beschrieben erbingen. Und wir müssen ihnen den Zweispalt und inneren Konflikt zumuten. Die nachfolgenden Generationen sind bei uns lleider aufgewachsen in einem Umgang, bei dem ihnen jedwede Verantwortung abgesprochen wurde und nichts gefordert wurde. Kein Wunder, wenn man dann Ansprüche stellt. Ich habe in der Arbeit so oft eroleb, wie sich deutsche Institutionen und Betreuer mit gnadenlosem "Verständnis" und unangemessen politisch korrektem Bestreben dermaßen auf der Nase herumtanzen lassen. Kein Wunder, wenn sich da einer aufspielt! Ich erlebe dieses aufspielen oft als Herausforderung an unsere Gesellschaft, ihnen ebenso mit Kraft wie mit Liebe entgegen zu treten und ihnen Grenzen und damit Halt zu bieten.
Zudem haben viele durch ihre Enklavenbildung und Ghettoisierung - v.a. auch durch das Nichterlernen der deutschen Sprache - erheblich beigetragen, dass gesellschaftliche und wirtschaftliche Chancen ihnen oft verwehrt sind. Daraus hat sich nun eine Haltung innerer Überheblichkeit und Ansprüchlichkeit entwickelt, die es ihnen hier nicht leichter macht und auf die wir m.E. auf keinen Fall einsteigen dürfen.
Für jene, die quasi für ein paar Jahre im Lande sind, machen m.E. Schulen in ihrer Sprache absolut Sinn! Die Schulen der amerikanischen Militärangehörigen auf deutschem Boden mögen da ein Beispiel sein. Dann bleibt der Blick in die Heimat erhalten und man findet dort nach der Rückkehr wieder den Anschluss. Allerdings sollte an solchen Schulen vielleicht bilingual unterrichtet werden. So haben auch die, welche nur auf Zeit hier sind etwas davon.
Für jene aber, die hier geboren sind und bleiben wollen und sollen, macht es m.E. absolut keine Sinn. Wenn Erdogan also einen Anspruch erhebt, dass sich Deutschland auf seine Immigranten folgend einstellen soll und Ihnen damit die Führung überlassen, so kann das von uns auch mit Blick auf die Hierbleibenwollenden nicht geduldet werden.
Zum Abschluss möchte ich noch bitten: würdigt den Beitrag, den türkische und andere Immigranten in unserer Kultur geleistet haben, bitte! Und gebt ihnen die Möglichkeit, sich einem starken Staat und einer starken Kultur anzuschließen, die sich nicht auf de Nase herumtanzen lassen. Dann kann vielleicht Gutes draus werden.
A.