Tod und Freiheit

Blau

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Viele Menschen haben Angst davor zu "sterben". Doch wovor genau haben sie Angst?

Angst kann meines Wissens erst dann entstehen, wenn wir über etwas nachdenken Diese Gedanken beziehen sich stets auf etwas, das gerade nicht ist, aber irgendwann, also in der Zukunft, sein könnte. Ihre Wurzeln liegen in der persönlichen Vergangenheit. Nun, was ist die persönliche Vergangenheit? Das, was wir erlebt haben, woran wir uns erinnern, was wir getan und wie wir geurteilt haben, worauf sich alle unsere Glaubenssätze und Urteile gründen. Kurz gesagt: unser ich, unser persönliches Selbst.

Doch es gibt eine Sache, an die sich unser ich nicht erinnern kann, ganz einfach, weil es etwas derartiges noch nicht erlebt hat: den Tod unseres Körpers. Deshalb kann es auch keine Angst vor dem körperlichen Tod an sich haben. Doch wovor hat es dann Angst? Es hat Angst um seine Existenz, Angst davor nichtmehr zu sein, wenn der Körper "seinen Geist aufgibt". Die Angst vor dem Verlust des persönlichen Selbst und seiner Erfahrungen oder auch die Angst vor der Unbekannten, vor dem, was dann mit ihm geschehen wird.

Die Angst vor dem Tod scheint für uns Menschen deshalb von so großer Bedeutung zu sein, da sie viele unserer Entscheidungen maßgeblich beeinflusst. Das bedeutet nichts anderes als eine Einschränkung unserer Freiheit, ein Einschränken der uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Handlung und Reaktion. Eingeschränkt durch den Angst-Gedanken vom Tod.

Wie können wir frei in unserer Handlung sein, wenn wir Angst haben? Jede Situation ist neu, ist anders. Wieso treten wir ihnen unter dem Sklaventreiber der Angst und Befürchtungen auf stets dieselbe Art und Weise entgegen, wie Idioten in einem Labyrinth, die, nachdem sie auf einem Weg in westlicher Richtung in eine Fallgrube getappt sind, nurnoch Wege nach Norden, Osten und Süden beschreiten?

liebe Grüße
 
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Hallo Blau,
nach meiner Meinung eins der wichtigsten Themen des Menschen, das Du hier ansprichst.

Die bisherige Resonanz auf Deinen Beitrag erscheint mir dabei recht aussagekräftig über den Kulturkreis, in den Du ihn (Dein Beitrag) geworfen hast.

Ich folge Deinen Aussagen in wesentlicher Übereinstimmung und komme zu ähnlichen Fragestellungen, wie sie Dein Beitrag anriss.

Vorab eine analoge Struktur:
Wenn ich früher ein Musikstück auf dem Klavier oder der Gitarre lernte, kam ich immer relativ schnell an den Punkt, dass ich das Stück von den Noten her spielen konnte, aber dass da an einigen schwierigen Stellen immer „Hänger“ auftauchten, die mich dann oft dazu brachten von vorne anzufangen. Mir hat dann irgendjemand mal erklärt (so dass ich es akzeptieren konnte!), dass es wichtig ist die Aufmerksamkeit mal nur auf eine Vertiefung der Übung im Bereich des „Hängers“ zu geben. Und siehe da, auf einmal war es mir möglich, das Stück ohne Unterbrechung zu beenden. Ich wurde freier in meiner Handlung bezogen auf das Gitarrespielen.

Die Angst des personalen Bewusstseins ist meistens so groß, dass wir uns immer dann umdrehen, wenn wir Erfahrungen machen könnten, die uns mit den Grenzbereichen des Seins in Berührung bringen könnten – aber genau da wäre die Stelle, an der wir durch Vertiefungen frei werden könnten. Wir dürfen halt der „...Fallgrube...“ nicht den Rücken zukehren, sondern müssen versuchen sie zu überwinden – natürlich immer mit dem Risiko, dass dabei unser personales Bewusstsein untergeht.

Durch die Übernahme genau dieses Risikos lässt sich aus meiner Sicht eben diese, von Dir angesprochene Freiheit Schritt für Schritt gewinnen.

Andere Kulturkreise bieten ihren Kindern hier sehr gute, teilweise ritualisierte Erfahrungsmöglichkeiten - ich denke bessere, als in unserer Verdrängungskultur mit Erleuchtungsversicherungsangeboten.

Wenn ich z. B. Kinder und Jugendliche in schwarzen Klamotten und bleich geschminkt gruselige Spiele und Erfahrungen machen sehe, weiß ich dass dahinter eigentlich die Frage nach der von Dir angesprochenen Freiheit steht.

Unseren Kindern ist das noch näher, als der Abschluß einer Versicherung...

Vielleicht bringe ich in den nächsten Tagen noch einige eigene Einsichten, zum Thema Vertiefung der Grenzbereiche des Seins ein – ich bin im Moment nur mal wieder am Brotgeschäft tätig - hab' also gerade nicht mehr Zeit dafür.

Liebe Grüße, Johann
 
Ich denke es ist die Angst vorm Unbekannten und auch davor die Kontrolle über seinen Körper zu verlieren.

Du hast schon recht, die Angst wird weitergegeben von Generation zu Generation. Dazu kommt noch, dass der Tod ein Tabu darstellt.

ich habe erst gestern bei Elisabeth-Kübler-Ross gelesen, dass es Kinder leichter fällt zu 'gehen', loszulassen. Meist leiden sie mehr, weil die Eltern nicht mit der Situation klarkommen.

Ich kann viel über Tod und Sterben lesen, ich glaube an Wiedergeburt, aber(!): das ist Theorie, wenn ein Angehöriger schwer erkrankt habe ich ebenso angst vorm Tod und ihn zu verlieren.
Vielleicht steckt diese Angst doch viel tiefer? Macht sie vielleicht sogar Sinn oder doch nur alles schwerer?
 
Der Mensch hat doch immer nur vor dem Angst, vor dem ihm Angst eingetrichtert wird.
Das Tabuthema Tod gehört eindeutig dazu.
Wenn ich an meine Eltern oder Großeltern denke, dann weiß ich genau, dass das Thema sterben bei allen eindeutig ein Tabuthema war - darüber spricht man nicht. UND PUNKT!

Was passiert aber in den Sekunden wenn man noch im Hier ist und wechselt?Tut es weh? Ist es schön? Kommen meine bereits verstorbenen Verwandten und holen mich ab? Oder kommt gar Gevatter Tod und zieht mir mit seiner Sense eins über?
Die endgültige Antwort bekommen wir leider erst bei unserem Ableben, denn nur das was man selber erlebt hat ist man bereit auch wirklich zu glauben. Ich glaube daran, dass unsere Energie nach dem Ableben nicht verpufft, aber wie es wirklich ist kann ich erst nach eigenem Erleben, sprich nach meinem Tod, WISSEN! Mein Glaube, mein inneres Wissen sagt mir, das sterben definitiv NICHT weht tut!
Angst habe ich keine, denn für mich ist es ein neues LEBEN, welches danach kommt!

Micha
 
Kann es nicht sein, dass der Respekt vorm Tod uns vorantreibt? wenn wir keine Angst oder Respekt vorm Tod hätten, ihn nicht fürchten würden, was wäre dann? Es sollte uns nicht egal sein ob wir leben. Angst ist der falsche Ausdruck, aber lebenslust-und Freude verbunden mit einer ordentlichen Portion Respekt vorm Tod finde ich schon wichtig. Sonst wäre uns alles egal. Oder?
 
east of the sun schrieb:
Ich denke es ist die Angst vorm Unbekannten und auch davor die Kontrolle über seinen Körper zu verlieren.

und die 2000 jährige Geschichte von Himmel und Hölle, die uns Leute die Macht erhalten wollten uns eingeimpft haben

[
Du hast schon recht, die Angst wird weitergegeben von Generation zu Generation. Dazu kommt noch, dass der Tod ein Tabu darstellt.

Als mein Vater starb (ich war damals fünf Jahre), wurde sehr wenig darüber geredet. Ich musste meinen Vater 6x sterben lassen, bis ich seinen Tod endgültig überwunden habe, doch dadurch sehe ich den Tod jetzt anders.

ich habe erst gestern bei Elisabeth-Kübler-Ross gelesen, dass es Kinder leichter fällt zu 'gehen', loszulassen. Meist leiden sie mehr, weil die Eltern nicht mit der Situation klarkommen.

Da kann ich ihr durch eigener Erfahrung recht geben. Ich habe mehr getrauert wegen meiner Mutter als wegen mir selbst. Weil meine Mutter hat die richtige Trauer unterdrückt. Die ist richtig erst nach 25 Jahren heraus gekommen. Ich habe Partnerersatz für meinen Vater gespielt.


Ich kann viel über Tod und Sterben lesen, ich glaube an Wiedergeburt, aber(!): das ist Theorie, wenn ein Angehöriger schwer erkrankt habe ich ebenso angst vorm Tod und ihn zu verlieren.
Vielleicht steckt diese Angst doch viel tiefer? Macht sie vielleicht sogar Sinn oder doch nur alles schwerer?

Ich weiß, dass meine Oma bald sterben wird, doch das Schönste für mich ist, jedesmal, wenn ich zu ihr gehe, verabschiede ich mich, als wäre es das letzte Mal, dass ich sie sehe. Bei meinem Vater hatte ich die Möglichkeit nicht, er war einfach nicht mehr da.

Leute, die schwerkrank sind, wollen tw. nicht sterben, nicht aus Angst vor dem Tod, sondern aus Sorge um die Angehörigen. Wie werden sie Weiterleben? Die Lebenden können nicht loslassen. (Aus Angst nicht nur vor dem Tod, sondern wegen dem Gefühl der Verlassenheit, Angst alleine nicht zurechtzukommen,....)

Ich bin auch nicht frei von der Angst, dass ich sterben werde, obwohl ich weiß, dass es hinterher noch nicht vorbei ist, denn warum konnte mein Vater mich einmal vor einer großen Dummheit bewahren und warum ist mir mein Schwiegervater erschienen mit der Bitte auf seinen Sohn zu achten?
Ganz einfach, weil sie eine Zeitlang noch immer bei uns sind.

Vor dem Tod habe ich keine Angst, jedoch vor dem tw unmenschlichen Sterben, was wir Menschen betreiben.
 
Hallo Johann,

JohannW schrieb:
Wenn ich früher ein Musikstück auf dem Klavier oder der Gitarre lernte, kam ich immer relativ schnell an den Punkt, dass ich das Stück von den Noten her spielen konnte, aber dass da an einigen schwierigen Stellen immer „Hänger“ auftauchten, die mich dann oft dazu brachten von vorne anzufangen. Mir hat dann irgendjemand mal erklärt (so dass ich es akzeptieren konnte!), dass es wichtig ist die Aufmerksamkeit mal nur auf eine Vertiefung der Übung im Bereich des „Hängers“ zu geben. Und siehe da, auf einmal war es mir möglich, das Stück ohne Unterbrechung zu beenden. Ich wurde freier in meiner Handlung bezogen auf das Gitarrespielen.
Ich habe ähnliche Erfahrungen im Sport gemacht. Sobald ich dort mit meinen Gedanken "abdrifte" und nicht mehr ganz bei der Sache bin, mich also in Befürchtungen, Wunschvorstellungen oder dergleichen verliere, werde ich zum Gewohnheitstier und kann auf die ständig neuen Situationen nurnoch mit Standardreaktionen antworten. Das kann gutgehen, meistens jedoch geht es schief; zum Beispiel dann, wenn mein Trainingspartner voll bei der Sache, voll gegenwärtig ist, und ich nicht.

Die Angst des personalen Bewusstseins ist meistens so groß, dass wir uns immer dann umdrehen, wenn wir Erfahrungen machen könnten, die uns mit den Grenzbereichen des Seins in Berührung bringen könnten – aber genau da wäre die Stelle, an der wir durch Vertiefungen frei werden könnten. Wir dürfen halt der „...Fallgrube...“ nicht den Rücken zukehren, sondern müssen versuchen sie zu überwinden – natürlich immer mit dem Risiko, dass dabei unser personales Bewusstsein untergeht.
Ja. Und das Risiko zu sterben ist immer und überall, egal was wir tun. Es kann sich jederzeit die Erde auftun und uns verschlucken, irgendein Transportmittel uns totfahren, oder wir können stolpern und mit dem Kopf tödlich auf einem Stein aufschlagen, da hilft dann auch keine Versicherung :)

liebe Grüße,
Marco
 
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east of the sun schrieb:
ich habe erst gestern bei Elisabeth-Kübler-Ross gelesen, dass es Kinder leichter fällt zu 'gehen', loszulassen. Meist leiden sie mehr, weil die Eltern nicht mit der Situation klarkommen.
Kinder haben noch nicht soviele Erfahrungen, Gedanken, Befürchtungen, Glaubenssätze ect. Also ihr "ich" ist noch nicht so präsent und übergewichtig, was mir der Grund zu sein scheint.

Ich kann viel über Tod und Sterben lesen, ich glaube an Wiedergeburt, aber(!): das ist Theorie, wenn ein Angehöriger schwer erkrankt habe ich ebenso angst vorm Tod und ihn zu verlieren.
Vielleicht steckt diese Angst doch viel tiefer? Macht sie vielleicht sogar Sinn oder doch nur alles schwerer?
Womöglich hast Du Angst, die Lust oder Freude, die Dir dessen Dasein bereitet, zu verlieren? Das weißt Du selbst am ehesten, wenn Du ehrlich zu Dir bist.

Kann es nicht sein, dass der Respekt vorm Tod uns vorantreibt? wenn wir keine Angst oder Respekt
Ich finde auch, daß Angst und Respekt nicht dasselbe sind. Angst ist eine Fessel, die uns in vielerlei Hinsicht bewegungsunfähig macht. Respekt gegenüber etwas zu haben, bedeutet dieses etwas zu respektieren, also seine Existenz anzuerkennen, es zu beachten und nicht etwa zu verdrängen.

liebe Grüße
 
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