Nun gut, also, ich hab gesagt, die Praxis des buddhistischen Tantra ahmt das Leben nach, lernt aus dem, was im Leben geschieht.
Ich fang, so wie ichs von meinen Lamas gehört habe, einmal ganz am Boden der Realität an. Wenn wir jemanden kennenlernen und er gefällt uns, was geschieht? Wir sehen ihn (bzw. sie) durch die rosa Brille, alles, was die Person tut ist wunderbar, was die Person anhat, ist großartig, wie sie sich bewegt, spricht, lacht.... es dauert nicht sehr lange und wir haben uns ein Bild gemacht von dieser Person, so schön, wie ein Bild nur sein kann. ... Wie wir alle wissen, gehen die Monate ins Land und wir kommen drauf, die Realität ist nicht so wie dieses Bild.
Und genau da fängt die Methode des buddhistischen Tantra an. Schon da, wenn das Bild entstanden ist und auch nur ein leises Gefühl entsteht, das Bild und die Realität sind zweierlei. Genaugenommen setzt sie schon direkt davor an, beim Erzeugen des Bildes. Wenn ich im Alltag mir ein Bild mache, dann mache ich es mir unbewußt, es entsteht in mir, ohne daß mir sofort klar ist , was ich da tue. Ich tu es aber immer, unentrinnbar, das liegt in der Natur der Sache, daß ich mir ein Bild mache, an das ich mich dan klammere, weil es mir so gut gefällt. Der Vorgang ist aber im Alltag zunächst einmal unbewußt.
Nun wissen die Lamas, der Trick ist, ich muß Bewußtsein erlangen für das, was geschieht. Es muß mir bewußt werden, was ich tue, in jedem Augenblick. Also besteht Schritt eins darin, ich erzeuge nun bewußt ein Bild. Nachdem ja die Sehnsucht nach Erkenntnis im Hintergrund steht, werden nun als Objekte für die Bilder-Vorstellung Eigenschaften und Kräfte ausgewählt, die als heilsam und segensreich angesehen werden können. Mitgefühl, Weisheit, Konzentration, Ruhe, Heilung, Freude, Erbarmen, Geduld, Hilfsbereitschaft, Tatkraft, Begeisterung. Diese Begriffe werden nun ganz bewußt personifiziert. Man gibt ihnen eine konkrete Gestalt. (Das haben übrigens die Naturvölker im Prinzip auch gemacht, nur nicht mit ganz so viel Bewußtheit mitunter. Das ist auch der Grund, warum man viele alte Götter-Archetypen in der Bilderwelt des Tantra wiederfindet.) Welche das nun genau sind, das schaun wir uns später an...
Der nächste Schritt ist nun, analog zum Geschehen im Alltag, ich male mir dieses Bild in den leuchtendsten, lebendigsten Farben aus. Dazu dienen nun all die Thangkas. Es sind Vorlagen für die Visualisierung in den Sadhanas (= Übungsablauf). Es hat seine Bedeutung, daß mit diesen traditionellen Bildern gearbeitet wird, mit genau den richtigen Symbolen. Das würde jetzt zu weit führen, aber ich denke, wir werden drauf zurückkommen. (Vielleicht weiß ja auch der eine oder andere von euch mehr dazu als ich....)
Der Sinn dieses Vorgangs ist nicht nur, noch ein wenig mehr Bewußtheit über sonst unbewußte Abläufe zu erhalten, sondern der Trick geht jetzt eine Ebene tiefer. Ich habe Freude an dem Bild, das ich mir da mache, es ist schön, die Gottheit (also zum Beispiel personifizierte Tatkraft) ist schön, in prachtvolle Gewänder gehüllt, mit kostbaren Edelsteinen geschmückt, von innen heraus leuchtend. Mir gefällt das Bild, das ich mir da gemacht habe, und ich hätte es gern für immer da so vor mir stehen, wenn mir das nach vieler Mühe endlich einmal geglückt ist, mir all diese Details auszumalen.
Das heißt, auf subtiler Ebene hab ich jetzt Anhaftung erzeugt. Der folgerichtige nächste Schritt ist also, ich mache mir bewußt, daß ich hier bewußt etwas erzeugt habe, an dem ich jetzt festhalten möchte. Nichts da! Wir haben doch in uns die Sehnsucht nach der Erkenntnis, also.... also wird als nächstes geübt, zu erkennen, daß und warum dieses Bild da meine eigene Erzeugung ist und sich im Wesen nicht von mir selbst unterscheidet. Ich kann ja nichts aus mir hervorbringen, was nicht in mir enthalten wäre. Irgendwie logisch. Da gibt es verschiedene Methoden, das zu visualisieren. Kommt ebenfalls später, jetzt will ich ja nur eine Inhaltsangabe des Theaterstücks auf dieser inneren Bühne zusammenbringen.
Wenn nun bewußt geworden ist, meine Essenz unterscheidet sich nicht von der Essenz dieses Bildes, dann kommt der entscheidende Teil jeder Sadhana. Das, was ich da sehe, weiß ich nun, ist aus mir entstanden, aus mir gekommen, aus meinem Inneren. Es ist wunderschön, aber es ist ein Bild. Ein Bild, das die Wahrheit in sich enthält (also die reine unpersonifizierte Eigenschaft, um die es zum Beispiel geht). Kleine Zwischenfrage: Wenn ich nun also dieses Bild entschwinden lasse, was bleibt? ..... Wie bitte - jetzt hab ich mich so bemüht all diese Details zu sehen, alles ganz genau als Bild entstehen zu lassen - und jetzt, weg damit? Ja, schon, wir haben doch die Sehnsucht, an nichts mehr zu klammern, weil wir doch wissen, das bringt Leid, aber dieses Loslassen des Bildes geschieht eben nicht mit Bedauern, sondern fröhlich, denn wir sollen ja erkennen, daß dieses Loslassen vom Leid befreit! Also wird geübt, wie sich die visualisierte Form voll Freude und Seligkeit in einen Lichterregen auflöst und selig zurück in mein Herz sinkt, dem es ja entstiegen ist.
Das Bild ist aufgelöst, was bleibt? .... Die Wahrheit, die es in sich enthalten hat. Gestaltlos, frei von aller Form, in tiefer Stille - Leere im Sinne von alles umfassendem Zusammenhang. Wahrheit, im Inneren von allem zu finden. Und nun löse ich selbst mich genauso auf wie vorher dieses Bild. Wenn ich das aus mir entstandene Bild loslassen kann, dann kann ich auch alles loslassen, von dem ich im Alltag annehme, ich sei es. Und wenn ich nun mich auflöse, was bleibt? ..... Die Wahrheit, die in mir enthalten ist wie in dem Bild, mit dem sie mich verbunden hat... im Inneren von allem.
Danach, nach (anfangs nur ein paar Herzschläge lang) dem Erleben dieses reinen, gestaltlosen Einsseins, taucht man wieder auf. Mit dem Bewußtsein, das Bild, das ich vorhin gemacht habe, das bin ich selber, ich selber bin diese göttliche Eigenschaft. Nun steht es nicht mehr vor mir, nun kann ich durch diese Eigenschaft hinausschauen, und wenn ich Glück habe und mich wirklich nur auf diesen reinen Vorgang konzentriert habe, dann hab ich eventuell einen von 100.000 Schleiern schwinden lassen
Das übt man nun, wieder und wieder und wieder... und es ist ganz und gar undenkbar, daß sich das nicht irgendwann auf die Sichtweise des Alltags auswirkt. Es braucht, denn wir haben viele Schleier vorm Gesicht... aber es wirkt.