Nein. Auch die Idee eines individuellen Weltbilds gehört in die europäische (Post-)Moderne. Traditionelle Astrologie funktioniert im traditionellen europäischen Weltbild. Dieses Weltbild erklärt auch, warum und wie traditionelle Astrologie funktioniert. Google mal "Aristotelisch-ptolemaisches Weltbild". Alle Dinge auf der Welt (in der sublunaren Zone) werden vom Licht der Sterne beeinflusst- am stärksten durch den Mond, dann die übrigen planetaren Sphären (in der sogenannten chaldäischen Ordnung). Die Planeten sind im Einfluss der Fixsterne und über den Fixsternen befindet sich eine 8te Sphäre der göttlichen Ideen; und darüber nur noch das Göttliche. Alle Dinge, Sphären und Phänomene sind durch eine unsichtbare Kette von Sympathien verbunden. Daher gibt es bei Lilly zu den Planeten auch diese Zuordnungen von Tieren, Pflanzen, Bäumen usw. Daher sind Dinge wie Hierarchien und Ideen, im Gegensatz zum Physischen und psychologischen Vorstellungen, vorherrschend. Meine Literaturempfehlungen beginnen aus diesem Grund auch immer beim Höhlengleichnis Platons und seinem Dialog Timaios.
Auf meine vorherige Aussage bezogen ist es so: Das (Post-)Moderne Weltbild ist materialistisch, aber die Astrologie (pseudo-)spirituell; jedoch eigentlich durch die Psychologisierungen im Materialismus verhaftet. Traditionelle Astrologie betont die Materie (da das eher den Sorgen der Menschen entsprach - siehe die Bedürfnispyramide nach Maslow; heutzutage ist Astrologie nur ein weniger ernst zunehmender Zeitvertreib und kaum jemand würde z.B. medizinische oder finanzielle Entscheidungen rein auf Astrologie basieren), ist ihrem Wesen nach aber spirituell. Für jemand wie Lilly war beispielsweise klar, dass der Sinn des Lebens die Preisung Gottes ist. Und auch aus anderen astrologischen Aufzeichnungen aus dieser (vergleichsweise späten und fortschrittlichen) Zeit sehen wir praktisch keine "Wer bin ich" Fragen. Die Menschen wussten aufgrund der hierarchischen Gesellschaft genau, wo sie hingehörten und was ihre Aufgabe war.
Ok, nun kann ich nachvollziehen, was Du meintest und es einordnen.
Wenn auch ich als Fast-Historikerin da ein wenig etwas an Begrifflichkeiten und bekannten Theorien durcheinander geworfen sehe. Die Postmoderne Idee habe ich schlicht anders gelernt und "traditionelles euopäisches Weltbild" allein als Begrifflichkeit ist mir nicht greifbar (welche Zeit und Region? Da gibt es ganz viele Schattierungen.).
Der gute Querulant Aristoteles ist mir mit seiner Geschichte gut vertraut übrigens findet man bereits bei ihm postmoderne Ansätze, im klassischen Sinne.
Platon hat, soweit mir bekannt auch nicht so streng getrennt, wie Du es in Deiner Begründung tust, weshalb Du wiederum gern ihn empfielst, gerade Platon mit seinen übergreifenden und universellen Ideen und Konzepten.
Maslow lernt man (ich) natürlich im Bereich (Arbeits-)Psycholgie relativ am Anfang. Allerdings darf ich hier darauf hinweisen, dass er natürlich als einer der wichtigsten Gründerväter der Humanistischen Psychologie gilt, jedoch gerade ebensein Bedürfnismodell bereits seit einiger Zeit durch sehr viel differenziertere Modelle, fast komplett abgelöst wurde. Also für mich eignet es sich gerade in unserer heutigen komplexen Zeit nicht mehr.
Aus der Schweiz kenne ich durchaus, dass die Astrologie bspw. in seriöse Geschäftsentscheidungen, klassischer Finanzunternehmen maßgeblich einbezogen wird, wovon ich sehr begeistert bin.
Lilly habe ich noch nicht komplett gelesen, daher kann ich dazu wenig sagen. Momentan pflege ich das enge Zwiegespräch mit Frawley, auch nach Santos' hilfreichen Hinweisen.
Zur "wer bin ich"-Frage, wie Du sie nennst, also Identifikation/Sinnsuche etc. kann ich Dir sagen, dass es die zu Lillys Zeiten definitiv en vogue gab. Fragen, die sich der Mensch immer stellte, mal mehr, mal weniger. Für mich ist kein Indiz, dass es diese Beschäftigung im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit nicht gegeben habe, nur weil sie in den aus diesen Zeiten sehr raren astrologischen Quellen nicht auftaucht. Man muss diese Frage zunächst generell immer im Kontext ihrer Zeit lesen, als auch die Quellenlage an sich maßstäblich korrekt einordnen.