Nun hob der BGH die Verurteilung des Medizinrechtlers auf und sprach ihn frei. Ein Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung auf der Grundlage des Patientenwillens sei nicht strafbar, entschieden die Richter am Freitag in Karlsruhe.
Die Bewertung des Landgerichts treffe nicht zu, wonach Putz sich durch seine Mitwirkung an der aktiven Verhinderung der Wiederaufnahme der Ernährung wegen versuchten Totschlags strafbar gemacht habe. Der BGH unterschied deutlich zwischen "der auf eine Lebensbeendigung gerichteten Tötung" und Verhaltensweisen, "die dem krankheitsbedingten Sterbenlassen mit Einwilligung des Betroffenen seinen Lauf lassen".
Mit diesem Grundsatzurteil stärkt der BGH das Recht auf menschenwürdiges Sterben: Der Abbruch lebenserhaltender Behandlungen ist künftig nicht mehr strafbar, wenn ein Patient dies in einer Verfügung festgelegt hat.
Dem Urteil zufolge kommt es nicht darauf an, ob der Abbruch durch aktive Handlungen erfolgt, also beispielsweise durch das Entfernen eines Ernährungsschlauchs. Die Einwilligung der Patientin "rechtfertigte nicht nur den Behandlungsabbruch durch bloßes Unterlassen weiterer Ernährung, sondern auch ein aktives Tun, das der Beendigung oder Verhinderung einer von ihr nicht oder nicht mehr gewollten Behandlung diente", heißt es in der offiziellen Mitteilung des BGH.
"Behandlungsabbruch" ist der zentrale Begriff
Ärzte dürfen dem Urteil zufolge auch dann lebensverlängernde Maßnahmen abbrechen, wenn der unmittelbare Sterbevorgang noch nicht begonnen hat. Auch bei bewusstlosen Patienten sei allein deren mutmaßlicher Wille entscheidend.
Der Begriff Behandlungsabbruch spielt eine zentrale Rolle in der Entscheidung. Erstmals gaben die Bundesrichter die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe auf. Die Unterscheidung sei juristisch ungenau, sagte die Vorsitzende Ruth Rissing-van-Saan. Es hänge oft von Zufällen ab, ob eine lebensverlängernde Behandlung unterlassen oder später aktiv beendet werde. Der übergeordnete Begriff sei der Behandlungsabbruch - und der sei gerechtfertigt, wenn er dem Patientenwillen entspreche. Das entspreche dem neuen Gesetz zu Patientenverfügungen, das seit 1. September 2009 wirksam ist.
Sowohl Putz als auch die Staatsanwaltschaft waren nach der Fuldaer Entscheidung in Revision zum BGH gegangen - der Medizinrechtler hatte einen Freispruch gefordert, die Staatsanwälte eine härtere Strafe. In der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe hatten die Anklagevertreter jedoch ebenso wie die Verteidigung auf Freispruch für den Rechtsanwalt plädiert.
Bundesjustizministerin: Entscheidung schafft "Rechtssicherheit"
ANZEIGEBundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) begrüßte das Sterbehilfe-Urteil des BGH. Die Entscheidung schaffe "Rechtssicherheit" im Spannungsfeld zwischen zulässiger passiver und verbotener aktiver Sterbehilfe, betonte die Ministerin in Berlin. Der Bundesgerichtshof habe dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen "zurecht einen besonders hohen Stellenwert eingeräumt".
Die Sterbehilfe liegt in einem problematischen Spannungsfeld. Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland strafbar. Wer jemanden auf dessen eigenen Wunsch hin tötet, wird wegen Tötung auf Verlangen mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft. Das Recht grenzt dabei aktives Tun von bloßen Unterlassen ab. Passive Sterbehilfe nennt man den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen. Zulässig ist dies, wenn der Abbruch dem mutmaßlichen oder in einer Patientenverfügung erklärten Willen entspricht. Bei Zweifeln müssen sich die Ärzte für das Leben entscheiden.
Das Urteil des BGH war mit Spannung erwartet worden. Mediziner erhofften sich endlich Klarheit darüber, unter welchen Voraussetzungen bei bewusstlosen Patienten eine Behandlung abgebrochen werden kann.
siu/dpa/AFP/apn/ddp