Stanley Millers Experiment

SvenHoek

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http://www.scinexx.de/dossier-detail-130-5.html

Oktober 1951, Universität von Chicago. Der Student Stanley Miller besucht eine Vorlesung des Nobelpreisträgers Harold Urey, in der dieser Theorien zur Zusammensetzung der frühen Atmosphäre der Erde erörtert. Urey vertritt die Vorstellung, dass in einer reduzierenden Atmosphäre mit Methan, Ammoniak und Wasserstoff die besten Voraussetzungen gegeben seien, um organische Verbindungen, die Bausteine des Lebens, entstehen zu lassen. Und er schlägt vor, dass irgend jemand doch mal ein entsprechendes Experiment konzipieren könnte – ein Vorschlag, den der junge Miller prompt befolgt.

„Also ging ich zu ihm und sagte: ‚Ich würde diese Experimente gerne machen.‘“, erzählt Miller später in einem Interview mit Sean Henahan von Access Excellence und fährt fort: „Zuerst versuchte Urey mir die ganze Sache auszureden. Als er merkte, dass ich fest entschlossen war, erklärte er, es sei ein sehr riskantes Experiment und würde wahrscheinlich ohnehin nicht funktionieren und er sei schließlich verantwortlich dafür, dass ich nach den drei Jahren meiner Graduate-Zeit einen Abschluss bekäme.“ Doch Miller bleibt stur und schließlich einigen sich beide auf eine sechsmonatige Testphase.

Urerde im Labor
Wie sich herausstellt, braucht der Forscher jedoch nur ein paar Wochen, um die Sensation perfekt zu machen. Ausgehend von den Annahmen Ureys beginnt er, sich eine Urerde im Laborformat zu basteln. In einem Glaskolben brodelt bald Millers „Urozean“, im Kolben darüber wabert die „Atmosphäre“, eine Mischung aus Methan(CH4), Ammoniak (NH3), Wasserstoff (H2) und dem aus dem Wasser aufsteigenden Wasserdampf. Um jede Kontamination auszuschließen, verfrachtet der Forscher anschließend den gesamten Versuchsaufbau nach dem Befüllen für 18 Stunden in einen Autoklaven. Die Gasmischung setzt Miller kontinuierlichen elektrischen Entladungen aus – den „Blitzen“ seiner Miniaturwelt. Diese sollen die Energie für Reaktionen der Gase untereinander liefern.

Lebensbausteine aus dem Nichts
Und tatsächlich: „Wir wussten sehr schnell, dass etwas geschehen war, als sich nach einigen Tagen die Farbe der Flüssigkeit änderte“, erklärt Miller. In dem „Urozean“ des Forschers finden sich plötzlich einfache organische Verbindungen wie Formaldehyd und Cyanwasserstoff, aber auch Aminosäuren wie Glycin. Aus dem wässrigen Urozean ist eine nahrhafte „Ursuppe“ geworden.


Sah so die Ursuppe aus?
© MMCD
Zum ersten Mal hatte damit ein Forscher experimentell bewiesen, dass unter den vermeintlich so lebensfeindlichen Bedingungen der frühen Erde – reduzierende Atmosphäre und hohe Temperaturen – tatsächlich wichtige Bausteine des Lebens entstehen können.

In der Wissenschaftswelt stößt Millers Ergebnis allerdings zunächst auf pure Ungläubigkeit. Ohne den guten Ruf und den Einfluss seines Mentors Urey wäre Millers Bericht vermutlich niemals in der renommierten Wissenschaftszeitschrift Science erschienen. Doch der simple Versuchsaufbau und die gute Reproduzierbarkeit sorgen schon bald dafür, dass Millers Ursuppenversuch weltweit Schule macht.

Auch die inzwischen eher als unwahrscheinlich geltende Millersche Atmosphärenmischung mit Methan und Ammoniak scheint dabei kein Hindernis zu sein: Ähnliche Experimente mit Stickstoff- und Kohlendioxidhaltigen reduzierenden Atmosphären lassen ebenfalls die begehrten Amino-, Karbon- oder Fettsäuren entstehen. Die in diesen Ursuppenexperimente der 2. Generation erzeugten Biomoleküle füllen inzwischen schon ganze Bücher, auch fast alle der 20 als essenziell geltenden Aminosäuren sind darunter vertreten.

Wassersuppe statt Kraftbrühe?
Warum die Ursuppe möglicherweise ausscheidet



Millers „Ursuppenexperiment“ erwies sich als bahnbrechend und belegte erstmals die Theorien von einer präbiotischen Entstehung wichtiger organischer Lebensbausteine. Doch die Grundfrage der Entstehung des Lebens löste es bei weitem noch nicht. Zu viele Fragen blieben offen.

Zu viel Wasser...
So ging Miller noch von einem Urozean aus, der einer wahren Kraftbrühe glich: Zehn Prozent sollte die Konzentration von organischen Molekülen durch die atmosphärischen Reaktionen betragen - ein Wert, der heute als um ein Vielfaches zu hoch angesehen wird. Ist die „Kraftbrühe“ aber stärker verdünnt, können sich die einzelnen Bausteine in der Weite des Urozeans schlicht nicht finden und daher nicht zu komplexeren Verbindungen weiter reagieren.


Die Wahrscheinlichkeit einer spontanen Entstehung von längerkettigen Biomolekülen sinkt damit auf nahezu Null. Doch genau die werden dringend benötigt. Denn die kurzkettigen Aminosäuren sind gerade erst der allererste Schritt auf dem Weg zu Leben. Ihre wichtige Funktion beispielsweise als Bestandteil von Enzymen können sie nur in Form von komplex strukturierten Proteinen übernehmen. Ähnliches gilt auch für die Nukleinsäuren, langkettige, phosphorhaltige Zuckerverbindungen, die das Grundgerüst unserer Erbsubstanz, der DNA und RNA bilden.

Damit nicht genug, erschwert die dünne Ursuppe nicht nur die Bildung solcher komplexer Moleküle, sie sorgt auch dafür, dass sie schnell wieder zerfallen. Wässrige Zucker- und Aminosäurelösungen, das zeigen Laborversuche, sind extrem instabil und schon kürzere Ketten neigen dazu, sich wieder aufzuspalten. Noch dazu ist es bisher nicht gelungen, die beiden Basen Uracil und Cytosin, beides essenzielle Bestandteile der RNA, in verdünnten Lösungen zu erzeugen.

Tümpel statt Ozean?
Für Miller allerdings tut dies auch heute noch der Theorie von der Ursuppe keinen Abbruch. Seiner Ansicht nach spielten sich die entscheidenden Prozesse ohnehin nicht in den Weiten des Urozeans ab, sondern an dessen Rand, in kleinen, immer wieder trockenfallenden Tümpeln. Durch die ständige Verdunstung und Austrocknung, so Millers These, könnte sich die Ursuppe hier soweit konzentriert haben, dass die für spontane chemische Reaktionen nötige Konzentration der Grundbausteine erreicht wurde.

Kritiker wenden dagegen allerdings ein, dass es in einem durchschnittlich 10.000 Meter tiefen Meer ohne nennenswerte Gezeiten schwer gewesen sein dürfte, Tümpel zu finden, die sich nicht nur immer wieder füllen und austrocknen, sondern dies auch tun, ohne dass die angereicherte Brühe durch einen Wasserschwall einfach wieder herausgespült wird. Ihre Hypothesen sehen daher ein ganz anderes Szenario vor....
Bio-Pfannkuchen statt Ursuppe
Mineraloberflächen als Katalysatoren



Wenn die Ursuppe als „Wiege des Lebens“ ausscheidet, wo stand diese dann? Für diese Frage hat der Münchener Chemiker und Patentanwalt Günter Wächtershäuser eine Antwort parat: Auf der Oberfläche von kristallinen Mineralien.


Er und andere Vertreter der Oberflächen- oder Biofilm-Theorie gehen davon aus, dass die Oberflächen bestimmter Kristalle als Katalysatoren und Schablonen zu gleich fungiert haben könnten. Schon in den 1970er Jahren fanden Wissenschaftler heraus, dass bestimmte Tone, die Montmorillionite, organische Substanzen in ihren Poren binden und deren Reaktionen fördern können. Die aus abwechselnden Schichten von negativ geladenem Silikat und positiv geladenen Kationen aufgebauten Minerale wirken damit wie Katalysatoren.

Montmorillionit, aber auch das inzwischen für diese Rolle favorisierte Mineral Pyrit und ähnliche Substanzen, liefern freie Elektronen für bestimmte Reaktionen und halten gleichzeitig durch ihre Ladung die Reaktionspartner an der Oberfläche fest. Damit verhindern sie, dass sich das Reaktionsgleichgewicht so weit verschiebt, dass der Zerfall der Makromoleküle gegenüber ihrer Produktion überwiegt, wie es im freien Wasser der Fall wäre. Versuche haben gezeigt, dass sich an solchen Mineralen sogar Polypeptide aus bis zu 60 Aminosäuren erzeugen lassen.

Dabei verhilft die Mineraloberfläche den Reaktionen nicht nur zu größerer Stabilität, sie dient auch gleichzeitig als eine Art Schablone: Je nach Struktur der Oberfläche werden die abgelagerten Moleküle durch Wasserstoffbrückenbindungen festgehalten und stabilisiert, aber auch in bestimmter Weise geordnet. Nach Ansicht von Wächtershäuser könnten sich so nicht nur Polypeptide, sondern auch längerkettige Zucker wie Phosphotribosen aus einfachen Zuckerbausteinen gebildet haben. Sie gelten als Vorläufer von Nukleinsäuren, dem Grundgerüst der Erbsubstanzen RNA und DNA.

Gruppenbildung mit Mineral
Mithilfe des Rastertunnelmikroskops konnten die Wissenschaftler Wolfgang Heckl und Stephen Sowerby in den 1990er Jahren sogar direkt beobachten, wie sich DNA-Basenmoleküle in einer wässrigen Lösung durch den Kontakt mit einer Molybdänit-Mineraloberfläche „wie von selbst“ zu einer hochgeordneten Uracilschicht formierten. An dieser dockte dann, ebenfalls wie von Geisterhand, die Aminosäure Glycin an und hätte so den Ausgangspunkt für die Entstehung einer Polypeptidkette bilden können.

Ein ganz neues Gewicht erhielten diese Beobachtungen, als Heckl auf einem 650 Millionen Jahre alten Molybdänsulfidbrocken auf seltsame, nur vier Nanometer kleine Ringstrukturen stieß, die sich bei näherer Analyse als organisch herausstellten. Konnte es sich hier möglicherweise sogar um eine Art einfacher DNA, ähnlich den bakteriellen Plasmidringen handeln? Für Heckl ist diese Annahme absolut denkbar. Warum sollte in der Erdfrühzeit nicht genau das geschehen sein, was er in seinem Labor ja quasi „live“ beobachtet hatte? Nukleinsäuren und Aminosäuren hätten sich demnach geordnet gruppiert und mit der Zeit den ersten genetischen Code gebildet.

Konkurrenz für die Ursuppe
Das Oberflächen-Szenario von Wächtershäuser und Co. gilt heute als durchaus plausible Alternative zur klassischen Ursuppen-Theorie. Oder, wie es der Biochemiker Günter Kiedrowski von der Ruhr-Universität Bochum beschreibt: „Es sieht so aus, als ob die Polymere des Lebens eher in Form eines präbiotischen Pfannkuchens gebacken als in einer präbiotischen Suppe gekocht wurden.“

Doch auch der „Pfannkuchen-Theorie“ fehlen bisher noch in vielen Aspekten gesicherte Erkenntnisse und experimentelle Belege. So ist beispielsweise noch nicht eindeutig geklärt, wie die Biomoleküle den Sprung von der sicheren 2-D-Schablone auf der Mineraloberfläche zur eigenständigen, sich selbst vermehrenden 3-D-Struktur geschafft haben könnten. Denn einmal freigesetzt, wirken an ihnen erneut die verdünnenden und destabilisierenden Kräfte des Urozeans.

Was meint ihr wie alles seinen Anfang nahm? Alles nur Zufall?

MfG Sven
 
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