Nicht immer wächst man an einer Herausforderung, manchmal zerbricht auch etwas nach und nach.
Ich glaube, damit nicht alles in Scherben geht, ist für mich Geduld so wichtig.
Einerseits, weil ich doch eher ungeduldig bin, andererseits, weil ohne Geduld der Geist unmöglich zur Ruhe kommen kann. Denn ohne Geduld ist da Hoffen, Bangen, Vermeiden, Abwehr, Verstricken, Angst usf. Wenn aber der Geist zur Ruhe kommt, wird sich das Denken sicher in die Mitte bewegen. Weg von einem negativen und einseitigen Denken, das nur Gewalt und Unfrieden sieht.
Wenn mein Geist sich in die Mitte bewegt, sehe ich den Dualismus. Gewalt und Liebe. Es entsteht eine Freiheit, die wählen läßt, sich manchmal mit dem Leid der Welt zu beschäftigen und manchmal mit der Liebe. Diese Wahl geht nur über die Mitte. Das Zentrum. Das Auge des Sturms, in dem Ruhe und Geduld herrschen.
Aus diesem Grund sind Feinde gute Lehrmeister , denn man kann an ihnen die eigene Geduld üben. Das heißt aber nicht, daß man gleichzeitig Opfer ist oder sich nicht wehren sollte. Geduld ist keine Rechtfertigung oder gar ein Freifahrtsschein für die Gewalt anderer. Geduld wächst auf dem Wissen, daß alle Wesen das Glück suchen und das Leiden vermeiden wollen.
Es gab in Indien den Tempel der tausend Spiegel. Er lag hoch oben auf einem Berg und sein Anblick war gewaltig. Eines Tages kam ein Hund und erklomm den Berg. Er stieg die Stufen des Tempels hinauf und betrat den Tempel der tausend Spiegel. Als er in den Saal der tausend Spiegel kam, sah er tausend Hunde. Er bekam Angst, sträubte das Nackenfell, klemmte den Schwanz zwischen die Beine, knurrte furchtbar und fletschte die Zähne. Und tausend Hunde sträubten das Nackenfell, klemmten die Schwänze zwischen die Beine, knurrten furchtbar und fletschten die Zähne. Voller Panik rannte der Hund aus dem Tempel und glaubte von nun an, dass die ganze Welt aus knurrenden, gefährlichen und bedrohlichen Hunden bestehe. Einige Zeit später kam ein anderer Hund, der den Berg erklomm. Auch er stieg die Stufen hinauf und betrat den Tempel der tausend Spiegel. Als er in den Saal mit den tausend Spiegeln kam, sah auch er tausend andere Hunde. Er aber freute sich. Er wedelte mit dem Schwanz, sprang fröhlich hin und her und forderte die Hunde zum Spielen auf. Dieser Hund verließ den Tempel mit der Überzeugung, dass die ganze Welt aus netten, freundlichen Hunden bestehe, die ihm wohlgesonnen sind.
Eine Geschichte aus Indien